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Fahrtenbuchauflage für 9 Monate bei geringem Verkehrsverstoß

OVG Lüneburg

Az: 12 LB 318/08

Urteil vom 10.02.2011


Die Klägerin ist Halterin des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen F., mit dem nach polizeilichen Messunterlagen am 19. August 2006 in G. außerhalb geschlossener Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 22 km/h (nach Abzug des Toleranzwertes) überschritten wurde.

Im Rahmen der Anhörung als Beschuldigte im Bußgeldverfahren erklärte die Klägerin auf dem ihr übersandten Fragebogen, nicht der verantwortliche Fahrzeugführer gewesen zu sein. Auf die weitere Anhörung als Zeugin teilte sie mit, von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.

Nachdem das Ordnungswidrigkeitenverfahren eingestellt worden war, ordnete der Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 12. Dezember 2006 das Führen eines Fahrtenbuches für die Dauer von neun Monaten an, weil der verantwortliche Fahrzeugführer bei dem Verkehrsverstoß nicht habe ermittelt werden können. Zur Begründung ist u. a. ausgeführt, mit dem Fahrzeug der Klägerin sei die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten worden. Die gemessene Geschwindigkeit habe abzüglich Toleranz 72 km/h betragen. Dies ergebe eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h.

Dagegen hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 12. Dezember 2006 sowie den Kostenfestsetzungsbescheid vom 12. Dezember 2006 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Verwaltungsgericht hat mit dem im Tenor bezeichneten Urteil den angefochtenen Bescheid aufgehoben, soweit darin eine Verpflichtung zum Führen eines Fahrtenbuches über sechs Monate hinaus angeordnet worden war, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Fahrtenbuches lägen vor. Mit dem Kraftfahrzeug der Klägerin sei unstreitig eine Geschwindigkeitsübertretung begangen worden und die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers der zuständigen Behörde wegen nicht hinreichender Mitwirkung der Klägerin unmöglich gewesen. An einer hinreichenden Mitwirkung des Fahrzeughalters fehle es bereits dann, wenn er im Anhörungsbogen der Bußgeldbehörde keine weiteren Angaben zum Personenkreis, der das Tatfahrzeug benutzt, mache. Dies gelte auch, wenn er sich – wie die Klägerin – auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufe. Der Beklagte habe auch nicht unter dem Gesichtspunkt des ihm im Rahmen des § 31a StVZO eingeräumten Ermessens von der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage absehen müssen. Da die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 19. August 2006 mit einem Punkt im Verkehrszentralregister einzutragen gewesen wäre, erweise sie sich als eine Verkehrsgefährdung von einigem Gewicht. Allerdings sei die Dauer der Fahrtenbuchauflage vor dem Hintergrund der dem Gericht bekannten Verwaltungspraxis des Beklagten unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) auf den Zeitraum von sechs Monaten zu reduzieren. Dem Gericht sei bekannt, dass in Fällen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 21 bis 25 km/h bei einem erstmaligen Verstoß der Beklagte regelmäßig eine Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten vorsehe. Gesichtspunkte, die Anlass böten, von dieser Verwaltungspraxis abzuweichen, lägen im vorliegenden Fall erkennbar nicht vor. Zwar sei auch eine andere Verwaltungspraxis möglicherweise nicht zu beanstanden, es sei jedoch nicht ersichtlich, dass der Beklagte gerade im vorliegenden Fall mit einer derartigen Änderung habe beginnen wolle. Vielmehr sei die Dauer von neun Monaten offensichtlich auf einen Fehler der Sachbearbeiterin zurückzuführen. Daher sei es auch gerechtfertigt, wenn das Gericht die Fahrtenbuchbegrenzung auf sechs Monate selbst vornehme, weil Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte sein Ermessen im Falle der erneuten Ausübung mit einem anderen Ergebnis abschließen würde, nicht ersichtlich seien.

Auf Antrag des Beklagten hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 20. Oktober 2008 (Az.: 12 LA 273/07) die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen.

Zur Begründung der Berufung macht der Beklagte geltend: Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht den im angefochtenen Bescheid vorgesehenen Zeitraum von neun Monaten, für den die Klägerin zur Führung eines Fahrtenbuches verpflichtet worden sei, auf sechs Monate verkürzt. Es habe sich dabei tragend darauf gestützt, dass eine Verwaltungspraxis existiere, nach der für einen Verkehrsverstoß der vorliegenden Art eine Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten vorgesehen sei. Diese Annahme sei indes unzutreffend. Er (der Beklagte) habe seine Verwaltungspraxis Anfang 2006 geändert und im Ergebnis die zuvor vorgesehene Dauer der Fahrtenbuchauflagen um jeweils drei Monate erhöht. Hintergrund sei gewesen, dass das Verwaltungsgericht Stade in vorangegangenen Fällen wiederholt darauf hingewiesen habe, dass eine Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten sich an der untersten Grenze bewege. Bei der Änderung habe er auch die Praxis anderer Landkreise – der Landkreis H. habe seinerzeit für mit einem Punkt zu bewertende Verkehrsverstöße im Regelfall Fahrtenbuchauflagen von 12 Monaten angeordnet – sowie aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung berücksichtigt. Die Entscheidung für einen Zeitraum von neun Monaten sei auch verhältnismäßig. In der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung sei eine Fahrtenbuchauflage von zwölf Monaten bei einem Geschwindigkeitsverstoß von mehr als 20 km/h als mit dem Übermaßverbot vereinbar angesehen worden. Er (der Beklagte) orientiere sich für die Dauer der Fahrtenbuchauflage komplett an der Logik des Punktsystems und der darin zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers hinsichtlich der Schwere des Verstoßes. Wenn – wie im vorliegenden Fall – eine mit einem Punkt zu ahndende Verkehrszuwiderhandlung vorliege, ordne er im Regelfall die Führung eines Fahrtenbuches für die Dauer von neun Monaten an. Schließlich sei die Anordnung auch ermessensfehlerfrei. § 31a StVZO enthalte keine Angaben darüber, für welche Zeitspanne die Führung eines Fahrtenbuches anzuordnen sei. Dieses bleibe vielmehr pflichtgemäßem Ermessen vorbehalten. Er (der Beklagte) habe im angefochtenen Bescheid erkennen lassen, dass er von dem ihm eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht habe und ausgeführt, die Dauer von neun Monaten sei dem zugrundeliegenden Sachverhalt angemessen. Zwar sei in der angefochtenen Verfügung, die zulässige Höchstgeschwindigkeit mit 50 km/h statt 70 km/h und die gemessene Geschwindigkeit abzüglich Toleranz mit 72 km/h statt mit 92 km/h angegeben worden, dieses habe aber keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Verfügung. Zum einen sei der Klägerin der zugrundeliegende Sachverhalt nämlich bereits aus dem Bußgeldverfahren und dem Anhörungsverfahren bekannt gewesen. Zum anderen habe sich die fehlerhafte Sachverhaltsangabe in der Sache nicht zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt. Er (der Beklagte) stelle nämlich – wie dargelegt – allein auf das Punktsystem ab und eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 22 km/h sei bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h wie 70 km/h mit einem Punkt bewertet. Es liege auch kein Verstoß gegen das Begründungserfordernis gemäß § 39 Abs. 1 VwVfG vor. Nach der Rechtsprechung liege ein Zeitraum von sechs Monaten noch im unteren Bereich einer effektiven Kontrolle und sei insoweit von einem sogenannten „intendierten Ermessen“ auszugehen, bei dem eine weitergehende Darlegung der Ermessenserwägungen entbehrlich sei. Es erscheine aber vertretbar, dass die „gewisse Dauer“, die zur effektiven Kontrolle erforderlich sei, nicht sechs, sondern eben neun Monate betrage, wie er (der Beklagte) annehme. Vorsorglich hat der Beklagte im Berufungsverfahren die Ermessenserwägungen, wie folgt, ergänzt: Es habe ein gravierender Geschwindigkeitsverstoß vorgelegen. Zu Gunsten der Klägerin sei zwar zu berücksichtigen, dass es sich um einen erstmaligen Verstoß gehandelt habe. Zu ihren Lasten wirke sich jedoch aus, dass sie bei der Ermittlung des Fahrzeugführers nicht mitgewirkt, sondern sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen habe. Eine kürzere als die im Regelfall vorgesehene Dauer zur Führung eines Fahrtenbuches von neun Monaten komme daher nicht in Betracht.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade, Einzelrichter der 1. Kammer, vom 31. Mai 2007 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und bezweifelt die von dem Beklagten behauptete Änderung seiner Ermessenspraxis. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte ausweislich des angefochtenen Bescheides seiner Ermessensentscheidung einen falschen Sachverhalt zugrundegelegt habe, nämlich eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 50 km/h statt auf 70 km/h. Darüber hinaus verweist sie auf die seit dem für die Fahrtenbuchauflage maßgeblichen Vorfall (19. August 2006) verstrichene Zeit, in der es zu keiner weiteren Geschwindigkeitsüberschreitung gekommen sei. Damit sei selbst die nach § 31a StVZO zu fordernde abstrakte Wiederholungsgefahr widerlegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie die von diesem zum Beleg für die geänderte Verwaltungspraxis übersandten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die nach Zulassung durch den erkennenden Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet.

Dabei kann dahinstehen, ob die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Verkürzung der Fahrtenbuchauflage von neun auf sechs Monate zulässig war oder ob es den Bescheid insgesamt hätte aufheben und dem Beklagten Gelegenheit zur Neubescheidung hätte geben müssen. Da die Klägerin das Urteil nicht angefochten hat, ist es, soweit die Klage abgewiesen worden ist, rechtskräftig geworden. Streitgegenstand ist der Bescheid somit nur noch, soweit darin die Führung eines Fahrtenbuches für mehr als sechs, nämlich neun Monate vorgesehen worden ist. (Jedenfalls) in diesem Umfang ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig.

Entgegen der Darlegung des Verwaltungsgerichts folgt die Rechtswidrigkeit insoweit jedoch nicht aus einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Beklagte hat im Berufungsverfahren geltend gemacht, die vom Verwaltungsgericht angenommene Verwaltungspraxis, wonach in Fällen der vorliegenden Art eine Fahrtenbuchauflage „nur“ für sechs Monate vorgesehen werde, sei bereits zu Beginn des Jahres 2006 geändert worden. Seit diesem Zeitpunkt habe man bei einem mit einem Punkt zu ahndenden Verkehrsverstoß einen Zeitraum von neun Monate vorgesehen. Dieser Vortrag wurde durch Vorlage der Verwaltungsvorgänge zu allen im Jahr 2006 getroffenen Entscheidungen über die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage untermauert. Diese belegen, dass der Beklagte bereits im April 2006 im Fall einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft (zulässige Höchstgeschwindigkeit 100 km/h) eine Fahrtenbuchauflage für den Zeitraum von neun Monaten verfügt hat. Dass es sich insoweit um die (seit Anfang 2006) ständige Verwaltungspraxis des Beklagten handelt, wird dadurch bekräftigt, dass im Dezember 2006 in drei weiteren vergleichbar gelagerten Fällen ebenso verfahren wurde.

Die angesichts der Änderung der Verwaltungspraxis (auch) im vorliegenden Fall vorgesehene Dauer der Fahrtenbuchauflage von neun Monaten ist als Ermessensentscheidung jedoch ermessensfehlerhaft und nicht hinreichend begründet (§ 39 Abs. 1 VwVfG) worden. Aus § 31a StVZO lässt sich zwar nicht das zwingende Gebot ableiten, die Wirkungen der Maßnahme von vornherein zeitlich zu begrenzen. Die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, ist vielmehr grundsätzlich ein Dauerverwaltungsakt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.2.1989 – 7 B 18.89 -, NJW 1989, 1624). Die daraus folgende Pflicht der Behörde, ihre Verfügung unter Kontrolle zu halten, enthebt sie freilich grundsätzlich nicht der Notwendigkeit, in jedem Einzelfall schon bei der Anordnung zu prüfen, ob sich der Zweck, den sie verfolgt, nicht mit einer von vornherein befristeten Fahrtenbuchauflage, wie sie auch im vorliegenden Fall verhängt wurde, erreichen lässt.

Bei der Bemessung der Dauer der Fahrtenbuchauflage ist insbesondere das Gewicht des festgestellten Verkehrsverstoßes zu berücksichtigen. Darüber hinaus kann in die zu treffende Ermessensentscheidung einfließen, ob das erste Mal mit einem Pkw des Fahrzeughalters ein Verkehrsverstoß ohne Fahrerfeststellung begangen wurde oder es sich um einen Wiederholungsfall handelt. Auch das Verhalten des Fahrzeughalters bei der Aufklärung des Verkehrsverstoßes sowie etwaige Maßnahmen, die für die Zukunft weitere Verstöße verhindern sollen, kann die Behörde unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr würdigen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 28.05.2002 – 10 S 1408/01 -, DAR 2003, 90; Bay. VGH, Beschl. v. 18.5.2010 – 11 CS 10.357 -, VRS 119, 239). Stellt sie – wie der Beklagte – im Regelfall hinsichtlich der Dauer allein auf das Gewicht des Verkehrsverstoßes ab, so ist es zulässig, anhand dieses Kriteriums zu staffeln. Da das Interesse der Allgemeinheit, der Gefahr, bei weiteren Zuwiderhandlungen vergleichbarer Schwere den Fahrer nicht ermitteln zu können, entgegenzuwirken, wächst je schwerer der Verstoß wiegt, wird es bei einem schweren Verstoß gerechtfertigt sein, dem Halter eine längere Überwachung der Nutzung seines Fahrzeugs zuzumuten. Dabei darf sich die Behörde – wie hier der Beklagte – bei der Bemessung des Gewichtes einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften an dem Punktsystem nach der Anlage 13 zu § 40 FeV orientieren.

Der Beklagte war sich ausweislich der Darlegungen im angefochtenen Bescheid seines Ermessens hinsichtlich der Dauer der Fahrtenbuchauflage bewusst. Die gemachten Ausführungen genügen jedoch nicht den Anforderungen, die an die Begründung einer solchen Entscheidung zu stellen sind.

Bei Ermessensentscheidungen sind gemäß § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG die für die Abwägung maßgeblichen Erwägungen sowie die Gründe, die dazu geführt habe, dass bestimmten Gesichtspunkten der Vorrang gegeben wurde, anzugeben (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Aufl., § 39 Rn. 25). Das Fehlen einer ausreichend substantiellen, nachvollziehbaren Begründung oder die „Vagheit“ einer Begründung, der nichts Wesentliches zur Sache entnommen werden kann, ist bei Ermessensentscheidungen an sich schon ein Mangel, der als solcher den Verwaltungsakt rechtswidrig macht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 114 Rn. 48). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Die Begründung der im Ermessen des Beklagten stehenden Entscheidung für eine Dauer von neun Monaten, war nicht etwa ausnahmsweise entbehrlich und die Anforderungen an die Begründung auch nicht reduziert. Eine Verringerung der diesbezüglich zu stellenden Anforderungen wird in der Literatur und der Rechtsprechung angenommen im Fall des sogenannten „intendierten Ermessens“ (vgl. dazu: Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 39 Rn. 29; Kopp/Schenke, a. a. O. § 114 Rn. 48, 21 ff. jeweils m. w. N.). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Zwar erfordern eine wirksame Überwachung der Fahrzeugbenutzung und das Ziel, den Fahrzeughalter künftig im Falle eines Verkehrsverstoßes zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers anhalten zu können, eine gewisse, nicht zu geringe Dauer der Fahrtenbuchauflage. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschl. v. 17.5.1995 – 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227), der der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt, liegt dabei eine nur sechsmonatige Verpflichtung „noch im unteren Bereich einer effektiven Kontrolle“ und „stellt daher keine übermäßige Belastung dar“. Bei Fahrtenbuchanordnungen für die Dauer von sechs Monaten wird daher in der Rechtsprechung ein „intendiertes Ermessen“ angenommen, welches nicht oder jedenfalls nicht im Einzelnen begründet werden muss (vgl. Bay. VGH, Beschl. v. 18.5.2010 – 11 CS 10.357 -, VRS 119, 239; Hess. VGH, Urt. v. 25.6.1991 – 2 UE 2271/90 -, VRS 83, 236). Anders ist es jedoch, wenn – wie hier – über dieses Maß (deutlich) hinausgegangen wird (vgl. BayVGH, Beschl. v. 18.5.2010 a. a. O.). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Entscheidung sechs Monate als „noch im unteren Bereich einer effektiven Kontrolle“ liegend eingestuft. Schon diese Formulierung deutet darauf hin, dass eine – wie hier – um 50 % längere Dauer nicht mehr als im unteren Bereich angesiedelt zu werten und deshalb begründungsbedürftig ist. Ein Indiz dafür, dass auch eine Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten Dauer effektiv ist, bietet auch der Umstand, dass eine derartige Anordnung bei Verstößen minderen Gewichts einer weitverbreiteten Praxis entspricht und mit Ausnahme des Beklagten nach Kenntnis des Senates wohl alle anderen Kommunen in Niedersachsen als „Einstieg“ gerade einen solchen Zeitraum vorsehen. Der Beklagte hat die Änderung seiner Verwaltungspraxis im Jahr 2006 ausweislich eines der Verlängerung der vorgesehenen Zeiträume zugrundeliegenden Vermerks vom 31. Januar 2006 auch nicht etwa damit begründet, die Verwaltungspraxis habe gezeigt, dass eine sechsmonatige Fahrtenbuchauflage nicht effektiv sei. Ist aber die Auferlegung eines Fahrtenbuchs für einen Zeitraum von sechs Monaten grundsätzlich geeignet, den vorgesehenen Zweck zu erreichen, so hätte der Beklagte die Entscheidung für die um 50 % höher und damit nicht mehr im unteren Bereich der effektiven Kontrolle liegende Dauer von neun Monate in einer für die Klägerin und das Gericht nachvollziehbaren Weise begründen müssen. Daran fehlt es aber.

Zur Begründung des festgelegten Zeitraumes von neun Monaten ist im Bescheid ausgeführt:

„Der festgesetzte Zeitraum von 9 Monaten ist dem der Anordnung zugrunde liegenden Sachverhalt angemessen. Grundsätzlich ist die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, ein Dauerverwaltungsakt. Gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfolgt jedoch eine zeitliche Beschränkung, die sich an der Schwere der Zuwiderhandlung orientiert. Weiterhin wurde zu Gunsten Ihrer Mandantin berücksichtigt, dass es sich um einen erstmaligen Verstoß handelt, bei dem der Fahrzeugführer nicht festgestellt werden konnte. Aus diesen Gründen ist eine Fahrtenbuchauflage über einen Zeitraum von neun Monaten angemessen.“

Konkrete Gründe, die gerade eine neunmonatige Fahrtenbuchauflage angezeigt erscheinen lassen oder solche die neben der „Schwere der Zuwiderhandlung“ zu Lasten der Klägerin ins Gewicht fallen, ergeben sich daraus nicht. Soweit der Beklagte insoweit auf seine Verwaltungspraxis verweist, wonach bei einem mit einem Punkt im Verkehrszentralregister einzutragenden Verkehrsverstoß in aller Regel eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von neun Monaten vorgesehen werde, reicht dies nicht aus. Eine an die Schwere des Verstoßes angelehnte Schematisierung der Ermessenspraxis ist ohne Zweifel im Sinne einer Gleichbehandlung zulässig. Die bloße Bezugnahme auf diese internen Vorgaben reicht aber, gerade wenn – wie hier – „nur“ ein mit einem Punkt zu bewertender Verkehrsverstoß vorliegt und zudem – wie im Bescheid selbst dargelegt – zu Gunsten des Fahrzeughalters zu berücksichtigen ist, dass es sich um einen Erstverstoß handelt, nicht aus, um eine Dauer von neun Monaten zu begründen. Da sich die Entscheidungen hinsichtlich der Fragen, ob und ggf. für wie lange die Führung eines Fahrtenbuchs angeordnet wird, nach denselben Kriterien richten, können zwar u. U. auch die zu der Frage des „Ob“ im Bescheid erfolgten Ausführungen für die Begründung des Ermessens hinsichtlich der Dauer der Auflage herangezogen werden (Beschl. d. Sen. v. 6.4.2010 – 12 ME 47/10 -, VD 2010, 175). Im vorliegenden Fall kann dem Bescheid als zu Lasten der Klägerin zu wertender Gesichtspunkt jedoch nur die „Schwere des Verstoßes“ entnommen werden. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage setzt aber schon für sich genommenen einen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht voraus, um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats ist es bei einem Verkehrsregelverstoß, der gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 3 StVG zur Eintragung des Kraftfahrers in das Verkehrszentralregister mit wenigstens einem Punkt führt, angesichts der vom Verordnungsgeber vorgenommene Bewertung der Ordnungswidrigkeit gerechtfertigt, den Verkehrsregelverstoß generell als so gewichtig einzustufen, dass auch ohne zusätzliche Umstände die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches verhältnismäßig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.5.1995 – 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227; ebenso st. Rspr. d. Sen., vgl. nur Beschl. v. 6.4.2010 a. a. O. m. w. N.). Daraus folgt aber zugleich, dass bei Verkehrsverstößen von geringerem Gewicht als dem hier vorliegenden in der Regel schon die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage für sich genommen unverhältnismäßig sein dürfte. Die sich aus der Ahndung mit einem Punkt abzuleitende „Schwere des Verstoßes“ ist somit schon Voraussetzung für die Anordnung als solche und kann hier nicht zu Lasten des Fahrzeughalters als Begründung für eine längere Dauer der Fahrtenbuchauflage angeführt werden.

Auch der Vortrag des Beklagten im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Entscheidung. Dieser ist weder geeignet, den Begründungsmangel gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG zu heilen, noch werden dadurch die Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO derart ergänzt, dass sie den Bescheid hinsichtlich der vorgesehenen Dauer von neun Monaten zu tragen vermögen. Die Gründe, die ausweislich des Vermerks vom 31. Januar 2006 den Beklagten im Jahr 2006 zur Änderung seiner Ermessenspraxis veranlasst haben und die er im Rahmen der Begründung der Berufung wiederholt, reichen zur Rechtfertigung der Ermessensentscheidung für neun Monate Dauer in dem vorliegenden Fall nicht aus. In dem Vermerk ist ausgeführt, aus Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stade gehe hervor, dass die bisherige Verwaltungspraxis „nicht mehr sachgerecht“ sei und die Dauer der Fahrtenbuchauflage „an der untersten Grenze“ liege. Soweit der Beklagte meint, einzelnen Formulierungen in Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stade entnehmen zu können, ein Zeitraum von sechs Monaten sei bei einem mit einem Punkt bewerteten Verstoß eher zu wenig, verkennt er den Zusammenhang der Darlegungen. Die entsprechenden Ausführungen erfolgten, soweit der Senat es übersieht, im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der vorgesehenen Dauer der Fahrtenbuchauflage bzw. der Frage, wie ausführlich die diesbezügliche Ermessensentscheidung begründet werden muss. Mit dem Hinweis, eine sechsmonatige Fahrtenbuchauflage liege „an der untersten Grenze“, wurde demnach lediglich begründet, dass und warum es keiner ausführlich(er)en Prüfung der Verhältnismäßigkeit hinsichtlich des gewählten Zeitraumes bzw. Darlegung (weiterer) diesbezüglicher Ermessenserwägungen bedurfte. Im Ergebnis wurden damit entsprechende Rügen der jeweiligen Antragsteller bzw. Kläger zurückgewiesen. Daraus kann aber – anders als es in dem Vermerk zum Ausdruck kommt – keinesfalls entnommen werden, die Auferlegung einer Fahrtenbuchauflage für sechs Monate sei (auch und gerade bei einem mit einem Punkt zu bewertenden Verkehrsverstoß) nicht sachgerecht. Dies gilt insbesondere, da – wie dargelegt – bei mit einem Punkt zu ahndenden Verkehrsverstößen regelmäßig die Schwere des Verstoßes ebenfalls an der untersten Schwelle der eine Fahrtenbuchauflage (noch) rechtfertigenden Zuwiderhandlung liegt.

Auch soweit der Beklagte im Berufungsverfahren „rein vorsorglich die Ausführungen zur Begründung der Ermessensentscheidung … ergänzt“ hat, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Der Beklagte hat insoweit ausgeführt, es sei zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass es sich um einen erstmaligen Verstoß handele, jedoch wirke sich negativ aus, dass sie bei der Ermittlung des Fahrers in keiner Weise mitgewirkt, sondern sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe, so dass im Ergebnis eine kürzere als die im Regelfall vorgesehene Dauer nicht in Betracht komme. Dieses überzeugt nicht. Ausweislich des der Änderung der Verwaltungspraxis zugrundeliegenden Vermerks vom 31. Januar 2006 soll der sogenannte „Normalfall“ nur nach dem Punktsystem beurteilt werden. Im Einzelfall sollte dann geprüft werden, ob besondere Tatumstände oder etwa eine Behinderung des Ermittlungsverfahrens durch den Fahrzeughalter eine Abweichung rechtfertigten. Auch frühere Fahrtenbuchauflagen sollten danach einen Grund für ein Abweichen von dem Katalog bieten können. Dies erhellt, dass weder die fehlende Mitwirkung, die nicht den Grad der Behinderung erreicht, noch der erstmalige Verstoß in diesem Sinne als Besonderheiten gewertet werden sollten und in der Praxis auch nicht als solche gewertet wurden bzw. werden. Beide Konstellationen, die ohnehin die Mehrzahl aller Fälle bilden werden, sollten vielmehr gerade als „Normalfall“ betrachtet werden und werden dies nach Lage der Dinge auch aktuell noch. Es ist ebenfalls nicht zu erkennen und von dem Beklagten auch nicht substantiiert geltend gemacht, dass etwa im Rahmen einer vorweggenommenen Bewertung die fehlende Mitwirkung des Fahrzeughalters zu der Erhöhung der vorgesehenen Dauer von sechs auf neun Monate geführt hat und bei einer – wohl in der Praxis selten anzunehmenden – hinreichenden Mitwirkung, die aber nicht zur Ermittlung des Fahrers geführt hat, generell ein Zeitraum von sechs Monaten vorgesehen wird. Soweit der Beklagte darauf verweist, es sei zu Lasten der Klägerin zu werten, dass die zulässige Geschwindigkeit seinerzeit um 31 % (92 km/h statt der erlaubten 70 km/h) überschritten worden sei, wird die Ermessensentscheidung auch dadurch nicht hinreichend begründet. Der Beklagte selbst hat nämlich ausgeführt, zwar sei im Bescheid die Überschreitung mit 41 % (72 km/h statt erlaubter 50 km/h) angegeben und – unzutreffend – von einer Geschwindigkeitsüberschreitung „innerhalb geschlossener Ortslage“ gesprochen werde, dies könne sich jedoch nicht zum Nachteil der Klägerin ausgewirkt haben, weil er (der Beklagte) für die Dauer immer allein auf die Einordnung in das Punktsystem zurückgreife. Vor diesem Hintergrund kann dann aber die prozentuale Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht zu Lasten der Klägerin bei der Entscheidung über die Dauer der Fahrtenbuchauflage in die Waagschale gelegt werden. Der für einen Zeitraum von neun Monaten im Berufungsverfahren ins Feld geführte Gesichtspunkt des Fälschungsrisikos des Fahrtenbuchs überzeugt ebenfalls nicht. Ein Zusammenhang zwischen dem Zeitraum, in dem ein Fahrtenbuch zu führen ist, und dem Fälschungsrisiko ist nicht erkennbar und von dem Beklagten auch nicht näher begründet worden.

Soweit der Beklagte auf anderweitige Rechtsprechung Bezug nimmt, die bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h sogar eine Fahrtenbuchauflage von zwölf Monaten als mit dem Übermaßverbot vereinbar angesehen habe, wird dadurch das gefundene Ergebnis nicht in Frage gestellt. Der Verweis des Beklagten auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 1978 (- VII 49.77 -, VkBl 1979, 209) überzeugt schon deshalb nicht, weil dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 28 km/h innerhalb geschlossener Ortschaft und damit ein – nach aktueller Rechtslage – mit drei Punkten zu bewertender Verkehrsverstoß (vgl. Nr. 5.4 der Anlage 13 zu § 40 FeV) zugrunde lag. Darüber hinaus verstößt auch nach Auffassung des Senates eine über sechs Monate hinausgehende Fahrtenbuchauflage bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 20 km/h nicht gegen das Übermaßverbot. Zu der hier relevanten Frage, ob und ggf. wie umfangreich die im Ermessen der Behörde stehende Entscheidung bezüglich des Zeitraumes der Anordnung begründet werden muss und welche Gesichtspunkte insoweit tragfähig sind, äußert sich die Entscheidung nicht. Der Hinweis des Beklagten, eine im Zuge der Änderung seiner Verwaltungspraxis im Jahr 2006 erfolgte Auswertung der in der Datenbank des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts veröffentlichten Entscheidungen, habe seinerzeit ergeben, dass in den jüngeren Gerichtsentscheidungen eine längere Dauer für angemessen erachtet worden sei, überzeugt ebenfalls nicht. Von den in der Übersicht zu dem Vermerk zitierten Entscheidungen aus der Datenbank stand in dreien ein mit einem Punkt bewerteter Verkehrsverstoß in Rede. In lediglich einem dieser Fälle war daraufhin von der Straßenverkehrsbehörde eine über sechs Monate hinausgehende Fahrtenbuchauflage, nämlich für zwölf Monate verfügt worden. Allein aus dem Umstand, dass das Verwaltungsgericht Braunschweig, die dagegen erhobene Klage abgewiesen hat, kann für den vorliegenden Fall nichts geschlossen werden. Das Verwaltungsgericht hat seine Annahme, es liege ein grober Verkehrsverstoß vor, nämlich insbesondere damit begründet, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts begangen wurde. Zudem lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen, wie der Landkreis H. seine Ermessensentscheidung für einen Zeitraum von zwölf Monaten seinerzeit begründet hat. Nur am Rande wird darauf hingewiesen, dass nach Kenntnis des Senats auch der Landkreis H. seine Verwaltungspraxis inzwischen geändert hat und bei mit einem Punkt zu ahndenden Verkehrsverstößen in der Regel eine Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten vorsieht. Auch dass nach Darlegungen des Beklagten das Verwaltungsgericht Stade mehrfach die Auferlegung eines Fahrtenbuches für neun Monate bei mit einem Punkt ins Verkehrszentralregister einzutragenden Verstößen als verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei bestätigt hat, ändert nichts. In allen drei von dem Beklagten angeführten Entscheidungen hat sich das Verwaltungsgericht nur zur Frage der Verhältnismäßigkeit einer neunmonatigen Fahrtenbuchauflage und nicht zur Frage der hinreichenden Begründung geäußert. Selbst wenn man aber unterstellen würde, die Abweisung der Klagen zeige, dass das Gericht auch insoweit keine Bedenken gehabt habe, so würde der Senat einer solchen Einschätzung aus den genannten Gründen nicht folgen.

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