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Fahrtenbuchauflage – Nichtvorlage und erneute Fahrtenbuchauflage

VG Hannover

Az: 5 B 4932/10

Beschluss vom 18.01.2011


Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die erneute Verpflichtung, ein Fahrtenbuch zu führen.

Der Antragsteller ist Halter des Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen D.. Am 02.03.2009 um 12.11 Uhr wurde mit dem Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb der geschlossenen Ortschaft von 50 km/h auf der E., Fahrtrichtung F., um 24 km/h (nach Toleranzabzug) überschritten. Eine derartige Ordnungswidrigkeit wird – neben einer Geldbuße – nach dem Bußgeldkatalog mit einem Punkt im Verkehrszentralregister belegt. Das Bußgeldverfahren wurde eingestellt, weil der Fahrzeugführer nicht zu ermitteln war. Mit Bescheid vom 23.07.2009 wurde dem Antragsteller auferlegt, als Halter des Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen D. oder für ein Ersatzfahrzeug sechs Monate lang ab Bekanntgabe der Entscheidung (24.07.2009) ein Fahrtenbuch zu führen. Der Antragsgegner ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Der Antragsteller erhob dagegen Klage – 5 A 3313/09 – und beantragte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Mit Beschluss vom 30.09.2009 – 5 B 3315/09 – wurde der Antrag von der Einzelrichterin der erkennenden Kammer abgelehnt. Die dagegen beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht erhobene Beschwerde – 12 ME 270/09 – nahm der Antragsteller am 16.11.2009 zurück.

Nachdem das Gericht den Beteiligten mitgeteilt hatte, dass die Frist zur Fahrtenbuchführung abgelaufen sei und sich der Rechtsstreit erledigt habe, wurde das Klageverfahren 5 A 3313/09 nach Abgabe beiderseitiger Erledigungserklärungen mit Beschluss des Gerichts vom 18.05.2010 eingestellt und dem Kläger die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Der Antragsgegner forderte den Antragsteller daraufhin mehrmals auf, das Fahrtenbuch vorzulegen und erinnerte ihn jeweils an seine Verpflichtung. Dem kam der Antragsteller nicht nach. Ihm wurde von der Bußgeldstelle des Antragsgegners mit Bescheid vom 31.03.2010 gemäß §§ 31 a StVZO, 69 a StVZO, 24 StVG, Nr. 190 BKat, § 17 OWiG ein Bußgeld in Höhe von 50,00 EUR auferlegt, wogegen der Antragsteller Einspruch einlegte. Mit Urteil des Amtsgerichts Stadthagen vom 09.08.2010 – 11 OWi 507 Js 3730/10 – wurde der Antragsteller wegen Nichtabgabe des Fahrtenbuchs zu einer Geldbuße in Höhe von 50,00 EUR verurteilt. Dem lag seine Einlassung zugrunde, das Fahrtenbuch nicht geführt zu haben und es daher nicht vorlegen zu können. Das Urteil ist seit dem 06.09.2010 rechtskräftig. Die Verfahren betr. die weiteren Bußgeldbescheide wegen Nichtvorlage des Fahrtenbuchs, gegen die der Antragsteller ebenfalls Einspruch eingelegt hatte, wurden vom Amtsgericht zur weiteren Sachaufklärung an den Antragsgegner zurückverwiesen.

Mit Bescheid vom 08.10.2010 ordnete der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller erneut das Führen eines Fahrtenbuchs an, und zwar für die Dauer von nunmehr neun Monaten ab Bekanntgabe des Bescheides. Die Verlängerung der Frist wurde mit der Nichtführung des mit Bescheid vom 23.07.2009 angeordneten Fahrtenbuchs begründet. Der Antragsgegner ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an mit der Begründung, die Kraftfahrzeugdichte und die latente Gefährdung der Allgemeinheit machten die sofortige Wirkung der Führung eines Fahrtenbuches notwendig. Zum Schutz der öffentlichen Sicherheit im Straßenverkehr müsse ab sofort gewährleistet sein, dass erneute Verkehrsverstöße aufgeklärt werden könnten.

Der Antragsteller hat dagegen am 20.10.2010 Klage (5 A 4931/10) erhoben und um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht. Er trägt zur Begründung vor, der Bescheid sei rechtswidrig. Es bestehe keine Rechtsgrundlage, erneut ein Fahrtenbuch anzuordnen. Dies sei nur möglich, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich gewesen sei. Aufgrund der nicht möglichen Feststellbarkeit des Fahrzeugführers nach der Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften am 02.03.2009 sei bereits mit Bescheid vom 23.07.2009 das Führen eines Fahrtenbuchs angeordnet worden. Eine neuerliche Anordnung sei nicht von § 31 a StVZO gedeckt, da es vorliegend nicht darum gehe, dass die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Verkehrsordnungswidrigkeit nicht möglich gewesen sei. Der Ursprungsbescheid vom 23.07.2009 habe sich durch Zeitablauf erledigt, d. h. es handele sich um einen abgeschlossenen Sachverhalt.

Der Antragsteller beantragt, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20.10.2010 (5 A 4931/10) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 08.10.2010 wiederherzustellen.

Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.

Er erwidert, der Bescheid vom 08.10.2010 sei gemäß § 31 a StVZO rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Die Voraussetzung, dass der Fahrzeugführer nach einer Verkehrszuwiderhandlung nicht feststellbar gewesen sei, liege vor. Der ihm mit Bescheid vom 23.07.2009 auferlegten Pflicht zur Fahrtenbuchführung für die Dauer von sechs Monaten sei der Antragsteller nicht nachgekommen. Der Verlängerungs- bzw. Erweiterungsbescheid vom 08.10.2010 greife nicht in einen abgeschlossenen Sachverhalt ein. Der Antragsteller könne sich weder auf einen Vertrauenstatbestand noch auf Verletzung des Rückwirkungsverbots berufen. Die Verlängerung sei im Hinblick auf die vom Antragsteller begangene Verkehrszuwiderhandlung nicht unverhältnismäßig. Anderenfalls würde ein Betroffener allein durch die Dauer des von ihm gegen eine Fahrtenbuchauflage angestrengten Klageverfahrens und damit aufgrund des Zeitablaufs der Verpflichtung zur Fahrtenbuchführung nicht mehr unterliegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Gerichtsakten 5 A 4931/10, 5 A 3313/09 und 5 B 3315/09 verwiesen, ferner auf die Beiakten A – F (die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners und die Bußgeldakten des Amtsgerichts Stadthagen 507 Js 3730/10, 507 Js 5443/10 und 5366/10).

II.

Der Antrag hat Erfolg.

Das private Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung der angefochtenen Verfügung vorläufig verschont zu bleiben, überwiegt nach Auffassung des Gerichts das öffentliche Interesse des Antragsgegners an der sofortigen Vollziehung des Bescheides vom 08.10.2010. Das folgt daraus, dass nach der im vorliegenden Verfahren lediglich gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage die Anordnung, erneut ein Fahrtenbuch zu führen, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtwidrig ist.

1. Rechtsgrundlage für die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, ist § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Danach kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für einen oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Eine derartige Fahrtenbuchauflage hatte der Antragsgegner mit Bescheid vom 23.07.2009 erlassen. Seine Wirkungen sind durch Zeitablauf erledigt, denn die Frist, in der das Fahrtenbuch zu führen war, ist abgelaufen. Um die Nichtaufklärbarkeit der am 02.03.2009 erfolgten Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften geht es bei der nunmehr erneut angeordneten Fahrtenbuchauflage nicht. Aus der Begründung für die Verlängerung der Frist, in der das zweite Fahrtenbuch zu führen ist, – von ursprünglich sechs Monaten auf neun Monate – ist ersichtlich, dass Anlass für die erneute Fahrtenbuchauflage des Antragsgegners vom 08.10.2010 die Nichtbefolgung der Anordnung zur Vorlage des ersten Fahrtenbuchs war, welches der Antragsteller vom Tag nach der Bekanntgabe der ersten Fahrtenbuchauflage sechs Monate lang, d. h. vom 24.07.2009 bis zum 23.01.2010, hätte führen müssen.

Die Regelung in § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO bietet keine Rechtsgrundlage für eine Fahrtenbuchauflage wegen Nichtvorlage des Fahrtenbuchs. Vielmehr stellt die Rechtsordnung für ein derartiges als rechtswidrig und vorwerfbar gewertetes Verhalten ausdrücklich eine Sanktion zur Verfügung. Gemäß § 69 a Abs. 5 Nr. 4 a StVZO handelt ordnungswidrig im Sinne des § 24 StVG, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 31 a Abs. 3 StVZO ein Fahrtenbuch nicht aushändigt oder nicht aufbewahrt. Ein derartiger Verstoß wird bei fahrlässiger Begehung gemäß § 1 Bußgeldkatalogverordnung – BKatVO – i. V. m. Nr. 190 der Anlage (BKat) mit einer Geldbuße in Höhe 50,00 EUR geahndet; im Falle vorsätzlicher Begehung ist eine Verdoppelung des Bußgeldes möglich (§ 3 Abs. 4 a BKatVO). Der Verstoß ist nach der Punktbewertung in Nr. 7 der Anlage 13 zu § 40 FeV mit einem Punkt bewertet und führt zu einer entsprechenden Eintragung im Verkehrszentralregister. Das Unterlassen der vom Antragsgegner angeordneten Vorlage des ordnungsgemäß geführten Fahrtenbuchs wird als Verwaltungsunrecht, d. h. als eine Verhaltensweise mit einem – gegenüber der Verwirklichung eines Straftatbestandes – geringeren Unrechtsgehalt durch eine Geldbuße geahndet (Göhler, OWiG, Komm. 15. A., Vor § 1, Rdnr. 7 ff). Die Geldbuße ist in erster Linie darauf gerichtet, eine bestimmte Ordnung durchzusetzen und verfolgt damit neben spezialpräventiven auch generalpräventive Zwecke (Göhler, a.a.O., Rdnr. 9).

Eine erneute Fahrtenbuchführungspflicht hat die Nichtvorlage des Fahrtenbuchs hingegen nicht zur Folge. Hätte der Verordnungsgeber dies aus Gründen der Gefahrenabwehr so gewollt, hätte er in § 31 a StVZO die Möglichkeit der mehrmaligen Anordnung der Fahrtenbuchauflage im Falle des fehlenden Nachweises der (ordnungsgemäßen) Fahrtenbuchführung ausdrücklich regeln können und müssen. Diese rechtliche Einschätzung steht nicht im Widerspruch zu dem Beschluss des VG Würzburg vom 27.04.2009 (- W 6 S 09.263 -, Veröff. nicht bek.) und der dazu ergangenen Beschwerdeentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (B. vom 20.07.2009 – 11 CS 09.1258 -, juris), da unterschiedliche Streitgegenstände vorliegen. Gegenstand der vorgenannten Entscheidungen war ein Verlängerungs- und Erweiterungsbescheid, der einen noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt betraf, denn die ursprüngliche Frist zur Führung des Fahrtenbuchs war bei Erlass des Bescheides noch nicht ganz abgelaufen. Streitgegenstand des hier zu entscheidenden Eilverfahrens ist ein abgeschlossener Sachverhalt, denn die ursprüngliche Fahrtenbuchführungsfrist war abgelaufen.

2. Selbst wenn man der Einschätzung des Gerichts zum Fehlen der Rechtsgrundlage für die erneute Fahrtenbuchanordnung nicht folgt, erweist sich der Bescheid des Antragsgegners bei summarischer Prüfung als voraussichtlich rechtswidrig. Bei der nach § 31a Abs. 1 StVZO zu treffenden Ermessensentscheidung hat die Antragsgegner die Fahrtenbuchdauer gegenüber der in der ursprünglichen Fahrtenbuchauflage festgesetzten Frist von sechs auf neun Monate verlängert und diese Verlängerung mit der Nichtführung des mit Bescheid vom 23.07.2009 angeordneten ersten Fahrtenbuchs begründet. Der Antragsgegner hat damit das ihm in § 31 a Abs. 1 StVZO eingeräumte Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt, wie § 40 VwVfG es vorgibt. § 31 a Abs. 1 StVZO nimmt für die Fahrtenbuchanordnung den Verkehrsverstoß, der nicht hatte aufgeklärt werden können, in den Blick, d. h. im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ist die Schwere des Verkehrsverstoßes von Belang. Hierbei darf sich die Verkehrsbehörde an den in Anl. 13 zur FeV geregelten Punktzahlen und den darin zum Ausdruck kommenden Wertungen des Verordnungsgebers orientieren (ständ. Rspr., vgl. dazu Hentschel / König / Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. A., § 31 a StVZO, Rdnr. 9). Der Umstand, dass ein bereits angeordnetes Fahrtenbuch nicht geführt wurde, stellt für die Dauer der erneuten Fahrtenbuchanordnung kein sachgerechtes Kriterium dar (anders bei dem Sachverhalt, über den vom VG Würzburg (a.a.O.) und vom BayVGH (a.a.O.) zu entscheiden war, denn dort war unter anderem Kriterium für die Verlängerung, dass die ursprüngliche Fahrtenbuchdauer aufgrund des Gewichtes der beiden Verkehrsverstöße im Rahmen der Verhältnismäßigkeit noch „Raum“ für eine Verlängerung bot).

Angesichts der voraussichtlichen Rechtswidrigkeit des Bescheides überwiegt im Eilverfahren das Aufschubinteresse des Antragstellers.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den Nrn. 46.13 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

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