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Fahrtenbuchauflage – fehlender Anhörungsbogen

Verwaltungsgericht Gelsenkirchen

Az: 14 L 716/11

Beschluss vom 12.08.2011


1.

Der Antrag wird abgelehnt. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

2.

Der Streitwert wird auf 2.400,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der sinngemäß gestellte Antrag gemäߧ 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO -, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 6. Juli 2011 – 14 K 2792/11 – gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 6. Juni 2011wiederherzustellen, hat keinen Erfolg.

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung in Fällen, in denen gemäߧ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse durch die Behörde besonders angeordnet worden ist, fällt hier zu Lasten der Antragstellerin aus.

Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrtenbuchauflage in der streitbefangenen Ordnungsverfügung genügt den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Der Antragsgegner hat die Vollzugsanordnung in der angegriffenen Verfügung schriftlich gesondert begründet. Im Hinblick auf die Vergleichbarkeit der eine Fahrtenbuchauflage nach § 31a der Straßenverkehrszulassungsordnung – StVZO – rechtfertigenden Lebenssachverhalte ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner dabei auf das bei der Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches regelmäßig bestehende öffentliche Interesse verweist, zu verhindern, dass bei zukünftigen Verkehrsverstößen der Führer des betroffenen Fahrzeugs erneut nicht ermittelt werden kann bzw. dafür Sorge zu tragen, dass künftige, die körperliche Unversehrtheit aller Bürger gefährdende Verkehrsverstöße unterbleiben und dazu einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem wegen fehlender Ermittlung des Fahrers nicht geahndeten Verkehrsverstoß und dem Führen des Fahrtenbuchs für erforderlich erachtet. Auf eine konkrete Wiederholungsgefahr kommt es insoweit nicht an. Ebensowenig ist zu beanstanden, dass die Begründung nicht erheblich über die Gründe hinausgeht, welche den Erlass der Fahrtenbuchauflage rechtfertigen. Gerade § 31a StVZO gehört zu denjenigen Vorschriften, bei denen zur Abwehr von Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter, nämlich die Ordnung und Sicherheit im Straßenverkehr und damit letztlich auch die Bewegungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit aller Bürger, das besondere öffentliche Vollzugsinteresse zulässigerweise im Regelfall mit dem Interesse am Erlass des Verwaltungsakts zusammenfallen kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Januar 2006 – 8 B2036/05 -; Beschluss vom 28. Februar 2005, – 8 B 2736/04 – und vom 16. September 2008 – 8 B 1208/08 -.

Die in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht in den Fällen, in denen die Anfechtungsklage gegen einen belastenden Verwaltungsakt abweichend von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung entfaltet, weil es sich bei dem Verwaltungsakt um eine Maßnahme handelt, deren sofortige Vollziehbarkeit – wie hier – durch die erlassende Behörde angeordnet wurde, auf Antrag des Betroffenen die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs wiederherstellen.

Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kommt nur in Betracht, wenn das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das Interesse der Antragstellerin, von Vollziehungsmaßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, nicht überwiegt. Bei der in diesem Zusammenhang gebotenen Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren mit zu berücksichtigen. Stellt sich heraus, dass der Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben wird, spricht dies für ein vorrangiges Vollziehungsinteresse, sofern nicht besondere Umstände im Einzelfall eine andere Entscheidung erfordern.

Die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 6. Juni 2011 in der Gestalt, die sie durch das nachfolgende Schreiben vom 5. Juli 2011 erhalten hat, mit der der Antragstellerin aufgegeben wurde, für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen S. -I. für die Dauer von zwölf Monaten ein Fahrtenbuch zu führen, stellt sich bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig dar, so dass die dagegen erhobene Klage voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.

Nach § 31a Abs. 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die tatbestandlichen Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ist gegeben. Mit dem auf die Antragstellerin als Halterin zugelassenen Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen S. -I. wurde am 1. März 2011 auf der Bundesautobahn A1 bei Tecklenburg, (KM 234,400, Fahrtrichtung Bremen) außerhalb geschlossener Ortschaften die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h – nach Abzug der Toleranz – um 29 km/h überschritten. Anhaltspunkte dafür, dass die getroffenen Feststellungen fehlerhaft waren, sind nicht ersichtlich. Soweit die Antragstellerin in der Antragsbegründung vortragen lässt, möglicherweise sei aber auch ein ordnungswidriges Verhalten gar nicht im Kreis Steinfurt eingetreten, dies werde sich alles nicht mehr rekonstruieren lassen, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Bei diesem Vortrag handelt es sich streng genommen nicht einmal um ein Bestreiten des Sachverhalts, sondern um eine hypothetische Überlegung, die jedoch keinerlei Anhalt an dem von der Ordnungswidrigkeitenbehörde ermittelten und in den Verwaltungsvorgängen dokumentierten Sachverhalt hat und in keinster Weise auch nur annähernd substantiiert wird.

Der Antragsgegner durfte auch zu Grunde legen, dass die Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht möglich war.

„Unmöglichkeit“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen Maßnahmen ergriffen hat. Die Angemessenheit der Aufklärung beurteilt sich danach, ob die Behörde in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen getroffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und in gleichliegenden Fällen erfahrungsgemäß Erfolg haben. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde dürfen sich an den Erklärungen des Fahrzeughalters ausrichten. Der Grund für die Unmöglichkeit ist unerheblich, solange nicht ein Ermittlungsdefizit der Behörde ursächlich gewesen ist.

BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 – 11 B 113.93 -, […], Rdnr. 4; Beschluss vom 21. Oktober 1987 – 7 B 162.87 -, Buchholz 442.16 § 31 a StVZO Nr. 18, jeweils m. w. N.; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30. November 1999 – 10 S 2436/99 -, […], Rdnr. 2; OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2004 – 8 B 1519/04 -; Hessischer VGH, Urteil v. 22. März 2005 – 2 UE 582/04 -, […], Rdnr. 21.

Ein hier beachtliches Ermittlungsdefizit ist nicht gegeben.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die Behörden nicht gehalten sind, bestimmte Ermittlungsmethoden anzuwenden, insbesondere den Täter eines Verkehrsverstoßes (etwa durch Anhalteposten) auf frischer Tat zu stellen.

BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 – 11 B 113.93 -, […], Rdnr. 4, m.w.N.

Zu den angemessenen Maßnahmen gehört jedoch grundsätzlich, dass der Halter möglichst umgehend, im Regelfall innerhalb von zwei Wochen, von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann. Die Versäumung dieser Frist schließt eine Fahrtenbuchauflage indessen dann nicht aus, wenn – bei typisierender Betrachtung – auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt. Eine verspätete Anhörung ist unschädlich, wenn feststeht, dass die Rechtsverteidigung des Fahrzeughalters nicht beeinträchtigt worden ist, bzw. die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist. Das gilt namentlich, falls nach den gegebenen Umständen erkennbar ist, dass auch eine frühere Unterrichtung des Fahrzeughalters nicht zu einem Ermittlungserfolg geführt hätte, weil dieser ohnehin nicht bereit war, an der erforderlichen Aufklärung mitzuwirken.

OVG NRW, Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 -, DAR 2006, 172; Beschluss vom 15. März 2007 – 8 B 2746/06 -, m. w. N.

Insoweit ist es grundsätzlich Sache des Halters, Angaben zu der Person zu machen, die im fraglichen Zeitpunkt sein Fahrzeug geführt hat. Dem Halter obliegt es, zur Aufklärung eines mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Radarfoto erkannten Fahrer benennt oder zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 -, DAR 2006, 172; Beschlüsse vom 12. Dezember 2005 – 8 B 1652/05 – und 15. März 2007 – 8 B 2746/06 -.

Insoweit ist es keinesfalls Aufgabe der Ordnungswidrigkeitenbehörde, aufgrund des Fahrzeugtyps oder etwa des Kennzeichens Mutmaßungen über den möglichen Nutzerkreis des Fahrzeugs anzustellen und das Radarmessfoto mit anderweitig – etwa bei der Führerscheinstelle – vorhandenen Lichtbildern abzugleichen. Die Antragstellerin war im Rahmen der Ermittlungen nicht nur gehalten, einen ihr bekannten Täter zu benennen oder die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten zu fördern, sondern es oblag ihr auch, den Täterkreis gegenüber der Ordnungswidrigkeitenbehörde so umfassend wie möglich einzugrenzen.

OVG NRW, Beschluss vom 16. September 2008 – 8 A 1250/08 -.

Lehnt der Halter die Mitwirkung an der Aufklärung des Verkehrsverstoßes ab, ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende, kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 – 7 C 3.80 -, […], Rdnr. 7; Beschluss vom 9. Dezember 1993 – 11 B 113.93 -, […], Rdnr. 4; OVG NRW, Beschluss vom 11. April 2006 – 8 A 1330/05 -; BayVGH, Urteil vom 12. Februar 2007 – 11 B 05.427 -, […], Rdnr. 16.

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Vorliegend kann dahinstehen, ob der von dem Kreis Steinfurt nach Aktenlage abgesandte Anhörungsbogen im Ordnungswidrigkeitenverfahren bei der Antragstellerin nicht eingegangen ist, wie diese vorträgt.

Zwar reicht in dem hier vorliegenden Fall, dass der Empfänger den Zugang als solchen – und nicht lediglich den Zeitpunkt des Zugangs – bestreitet, das nicht weiter substantiierte Vorbringen der Antragstellerin, sie habe das Schreiben nicht erhalten, aus. Wer einen Brief nicht erhält, hat keine Möglichkeit über das Bestreiten des Zugangs hinaus darzulegen, dass oder gar, warum er ihn nicht erhalten hat. Da es sich bei dem Nichtzugang des Anhörungsschreibens um eine negative Tatsache handelt und die Umstände, die den Nichtzugang verursacht haben, außerhalb des Einfluss- und Kenntnisbereichs des Empfängers liegen, sind keine weiteren Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zu stellen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2011 – 8 B 192/11, nicht veröffentlicht, sowie Urteile vom 7. März 1994 – 22 A 1063/91 -, NVwZ 95, 1228, vom 28. November 1995 – 15 A 72/93 -, NWVBl 96, 233 und vom 1. April 2003 – 15 A 2468/01 (die zitierten Urteile jeweils zu § 122 Abs. 2 AO); Kopp/Ramsauer, VwVfG § 41 Rdnr. 43.

Davon zu unterscheiden ist die im Rahmen der Beweiswürdigung zu prüfende Frage, ob das Bestreiten des Zugangs unter Berücksichtigung der sonstigen Umstände des Einzelfalls glaubhaft ist.

Dem muss vorliegend nicht weiter nachgegangen werden, denn ausweislich des in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Vermerks vom 27. April 2011 hat der vom Kreis Steinfurt im Wege der Amtshilfe ersuchte Ermittlungsdienst der Stadt I1. vor der Einstellung der Ermittlungen im Ordnungswidrigkeitenverfahren Nachforschungen bei der Antragstellerin angestellt und vermerkt, dass nach Auskunft der Antragstellerin der Fahrzeugführer nicht ermittelt werden könne.

Bei diesem Vermerk handelt es sich um eine dienstliche Äußerung, an deren Richtigkeit zu Zweifeln vorliegend kein Anlass besteht. Auch ist die Antragstellerin dem Inhalt dieses Vermerks nicht substantiiert entgegen getreten. Vielmehr hat sie im vorliegenden Verfahren angegeben, dass einer der Geschäftsführer sich an einen solchen Besuch erinnern könne, wenn sich auch nicht mehr feststellen lasse, ob diese Nachfrage dem Verkehrsverstoß vom 1. März zuzuordnen gewesen sei. Allein aus dieser partiell fehlenden Erinnerung des Geschäftsführers lässt sich jedoch nicht ableiten, dass der Inhalt des Vermerks unzutreffend sei.

Dass die Nachforschungen des Ermittlungsdienstes ausweislich des Vermerks erst am 27. April 2011 und somit fast zwei Monate nach dem Verkehrsverstoß stattfanden, führt nicht zu einem beachtlichen Ermittlungsdefizit, welches der Fahrtenbuchauflage entgegenstünde. Die Nichteinhaltung der Zwei-Wochen-Frist ist unschädlich. Die Antragstellerin ist den ihr obliegenden Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen und hat dadurch wesentlich zu der Erfolglosigkeit der Fahrerermittlung beigetragen.

In diesem Zusammenhang ist unerheblich, ob der Antragstellerin im Zuge der Ermittlungen das Radarmessfoto vorgelegt wurde, und ob dieses Foto von hinreichender Qualität gewesen ist. Die genannten Mitwirkungsobliegenheiten setzen nicht voraus, dass dem Halter eine zweifelsfreie Identifizierung des Fahrzeugführers möglich gewesen ist. Es entspricht gesicherter Rechtsprechung der Kammer und des zuständigen Senats des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein – Westfalen, dass die Qualität des dem Fahrzeughalter zugänglich gemachten Radarmessfotos unerheblich ist. Denn die genannten Obliegenheiten des Fahrzeughalters bestehen vor dem Hintergrund, dass ein Foto für die Verfolgung einer Verkehrsordnungswidrigkeit nicht erforderlich ist und häufig auch gar nicht gefertigt werden kann, grundsätzlich unabhängig davon, ob dem Halter ein (aussagekräftiges) Foto vorgelegt wird.

Ständige Rechtsprechung des OVG NRW, vgl. Beschluss vom 22. Januar 2007 – 8 A 933/06 – m.w.N..

Der Antragstellerin als einem Unternehmen in der Rechtsform der GmbH war es grundsätzlich möglich und zuzumuten, auch nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist und ohne Einsichtnahme in die Ermittlungsakten den verantwortlichen Fahrzeugführer oder jedenfalls einen eingrenzbaren Personenkreis durch sachgerechte Organisation und Dokumentation der innerbetrieblichen Abläufe zu ermitteln.

Denn bei Verkehrsverstößen, die mit einem Firmenfahrzeug eines Kaufmanns im geschäftlichen Zusammenhang begangen worden sind, trifft die Geschäftsleitung eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Anders als etwa bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeugs liegt eine längerfristige Dokumentation im kaufmännischen Eigeninteresse, schon um Vorkehrungen gegen missbräuchliche Verwendungen der Fahrzeuge für Privatfahrten zu treffen oder in Schadensfällen Ersatzansprüche belegen zu können.

Es fällt in die Sphäre der Antragstellerin, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat. Die Geschäftsleitung muss zumindest in der Lage sein, der Behörde die Firmenangehörigen zu nennen, denen das betreffende Fahrzeug zugerechnet werden kann. Ihrer Obliegenheit als Fahrzeughalterin, bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Ordnungswidrigkeiten- bzw. Verwaltungsverfahren mitzuwirken, kann die Antragstellerin deshalb dann, wenn das Fahrzeug geschäftlich genutzt wurde, nicht mit der Behauptung genügen, es sei ihr unmöglich, den Fahrzeugführer ausfindig zu machen. Dies rechtfertigt sich mit Rücksicht auf die handelsrechtlichen Verpflichtungen eines Kaufmanns zur Führung und Aufbewahrung von Büchern, aus denen sich Geschäftsvorfälle „in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen“ (§§ 238 Abs. 1, 257 HGB), sowie aus dem Umstand, dass es unabhängig von der Reichweite dieser Vorschriften sachgerechtem kaufmännischem Verhalten entspricht, auch die Geschäftsfahrten längerfristig zu dokumentieren.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 31. März 1995 – 25 A 2798/93 -, NJW 1995, 3335 ff. sowie Beschlüsse vom 29. März 2006 – 8 A 1786/05 -, 15. März 2007 – 8 B 2746/06 – und 16. September 2008 – 8 A 969/08 -.

Im vorliegenden Zusammenhang kann offen gelassen werden, ob die Antragstellerin grundsätzlich derartige Vorkehrungen getroffen hat und ihre Behauptung zutrifft, aus unerklärlichen Gründen sei nur für den hier in Rede stehenden Tag nicht mehr festzustellen, wer das Fahrzeug geführt habe, oder ob es sich hierbei um eine bloße Schutzbehauptung handelt. Denn bis zum Ablauf der Verjährungsfrist ist die Antragstellerin ihren gesteigerten Mitwirkungsobliegenheiten – sie war, wie bereits ausgeführt, im Rahmen der Ermittlungen jedenfalls gehalten, den Täterkreis gegenüber der Ordnungswidrigkeitenbehörde zumindest einzugrenzen – nicht nachgekommen.

Hiernach war es der Behörde von Rechts wegen nicht zuzumuten, über die getätigten Ermittlungsansätze hinaus weitere zeitraubende Ermittlungen durchzuführen. Die Feststellung des Fahrzeugführers hätte vielmehr einen unter Anlegung der vorgenannten Grundsätze unverhältnismäßigen Ermittlungsaufwand verlangt. Insbesondere sind in diesem Zusammenhang grundsätzlich solche staatlichen Maßnahmen jedenfalls nicht geboten, die die Belange des Betroffenen oder Dritter stärker beeinträchtigen als die Sanktion, auf die sie abzielen (vgl. hierzu § 46 Abs. 3 und 4 OWiG sowie die Formulierung in § 24 Abs. 1 OWiG). Gerade aber solche müssen vielfach ergriffen werden, wenn der Halter selbst nicht willens oder in der Lage ist, das ihm Mögliche zur Aufklärung der Verkehrsordnungswidrigkeit beizutragen. Die Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens ist angesichts dessen im vorliegenden Zusammenhang rechtlich nicht zu bemängeln.

Die Fahrtenbuchauflage erweist sich ebenfalls als verhältnismäßig. Der begangene Verkehrsverstoß ist als erhebliche Verkehrszuwiderhandlung zu werten.

Die Bemessung des Gewichts einer Verkehrszuwiderhandlung ist an dem Punktsystem der Anlage 13 zu § 40 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnisverordnung – FeV -) vom 18. August 1998, Bundesgesetzblatt I, S. 2214 mit nachfolgenden Änderungen zu orientieren.

Vgl. hierzu OVG NRW, Urteil vom 29. April 1999 – 8 A 699/97 -, amtlicher Umdruck S. 12, und Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 -, DAR 2006, 172.

Dabei genügt bereits eine Ahndung des betreffenden Verkehrsverstoßes mit einem Punkt, damit der Verkehrsverstoß als nicht unwesentlich zu qualifizieren ist, ohne dass es auf besondere Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes oder eine konkrete Wiederholungsgefahr ankommt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. September 1999 – 3 B 94.99 -, BayVBl 2000, 380; OVG NRW, Urteil vom 30. November 2005 – 8 A 280/05 – a.a.O sowie BayVGH, Urteil vom 12. Februar 2007 – 11 B 05.427 -.

Die hier festgestellte Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 29 km/h ist gemäß Ziff. 5.4 der o. g. Anlage mit drei Punkten im Verkehrszentralregister einzutragen. Damit handelt es sich um einen Verkehrsverstoß, der die Auferlegung eines Fahrtenbuches für die Dauer von zwölf Monaten rechtfertigt.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 29.04.1999 – 8 A 699/97 -, […].

Die Fahrtenbuchauflage ist schließlich weder aus sonstigen Gründen unverhältnismäßig noch liegen Ermessensfehler vor. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Führen eines Fahrtenbuches für die Antragstellerin keine schwerwiegenden Belastungen mit sich bringt. Die damit verbundenden Handlungen gehen über eine mit einem geringen Zeitaufwand verbundene Belästigung

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17.01.2006 – 8 B 2036/05 – und vom 15.03.2007 – 8 B 2746/06 -.

und über die nach ihrem eigenen Vorbringen – abgesehen von hier in Rede stehende Tattag – ohnehin dokumentierte Nutzung der Fahrzeuge nicht wesentlich hinaus.

Auch entspricht die konkrete Ausgestaltung der Auflage der Bestimmung des § 31 a Abs. 2 StVZO. Die Erstreckung auf ein etwaiges Ersatzfahrzeug ist bedenkenfrei.

Durch die Neufassung des § 31 a StVZO aufgrund der Änderungsverordnung vom 23. Juni 1993 (BGBl. I S. 1024) hat der Verordnungsgeber in Anknüpfung an die Rechtsprechung,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1989 – 7 B 18.89 -, Buchholz, 442.16 § 31 a StVZO Nr. 19,

klargestellt, dass die Fahrtenbuchauflage auf ein Ersatzfahrzeug erstreckt werden kann. Dies beruht auf der Erwägung, dass die Gefährdung der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs, der die Fahrtenbuchauflage begegnen will, mit dem Fortfall eines bestimmten Fahrzeugs nicht ebenfalls entfällt,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Februar 1989 – 7 B 18.89 -, Buchholz, 442.16 § 31 a StVZO Nr. 19.

Zulässiger Anknüpfungspunkt für die den Adressaten belastende Erstreckung der Fahrtenbuchauflage auf ein Ersatzfahrzeug ist dabei die Erfahrung, dass es sich bei der Veräußerung oder Stilllegung eines Fahrzeugs und der Anschaffung oder Verwendung eines neuen Fahrzeugs um einen alltäglichen Lebensvorgang handelt, der grundsätzlich jederzeit stattfinden und damit eine Gefahrenlage schaffen kann, zu deren Abwehr die Straßenverkehrsbehörden im Interesse einer effektiven Aufgabenerfüllung in der Lage sein müssen.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.09.96 25 A 6279/95

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Die Kammer geht in Anwendung des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Ziffer 46.13, von einem Hauptsachewert von 400 EUR je Monat der Geltungsdauer der Fahrtenbuchauflage aus. Dieser Wert ist gemäß Ziffer 1.5 Satz 1 des Katalogs in Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf die Hälfte zu ermäßigen.

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