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Fahrtkosten: Einfache Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte maßgebend

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen

Az.: L 9 AS 67/07 ER

Urteil vom 21.02.2007

Vorinstanz: Sozialgericht Lüneburg, Az.: S 24 AS 1302/06 ER, Urteil vom 12.01.2007


Entscheidung:

Der Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. Januar 2007 wird abgeändert. Der Antrag der Beschwerdegegner auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt, soweit er der Berücksichtigung der doppelten anstelle der einfachen Entfernung in Straßenkilometern bei der Bemessung des Absetzungsbetrages nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V für Fahrten des Beschwerdegegners zu 2.) zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gilt.

Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegnern die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten erster Instanz zu erstatten. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beschwerdegegner selbst.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 12. Januar 2007 hat das Sozialgericht die Beschwerdeführerin vorläufig verpflichtet, den Beschwerdegegnern für die Zeit ab November 2006 höhere Leistungen als mit Bescheid vom 8. Dezember 2006 zugesprochen zu gewähren. Dabei hat es die Beschwerdeführerin unter anderem an seine Rechtsauffassung gebunden, dass vom Einkommen des Beschwerdegegners zu 2.) für monatlich jeweils 19 Arbeitstage Fahrtkosten in Höhe des Pauschbetrages von 0,20 Euro nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V für die doppelte Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abzusetzen seien.

Allein hiergegen wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer am 25. Januar 2007 eingelegten Beschwerde, zu deren Begründung sie auf die Regelungen des Einkommensteuergesetzes und die Bezugnahme auf diese in der Begründung des Entwurfs zu einer Ersten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld–Verordnung verweist.

Die Beschwerdeführerin beantragt nach ihrem Vorbringen sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 12. Januar 2007 abzuändern und den Antrag der Beschwerdegegner auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen, soweit er der Berücksichtigung der doppelten anstelle der einfachen Entfernung in Straßenkilometern bei der Bemessung des Absetzungsbetrages nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG-V für Fahrten des Beschwerdegegners zu 2) zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gilt.

Die Beschwerdegegner beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie treten der Auffassung des Beschwerdeführerin unter Hinweis auf den Wortlaut von § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V sowie darauf entgegen, dass die Absetzung einer an der einfachen Entfernung orientierten Kilometerpauschale zur Bestimmung des tatsächlich zur Bedarfsdeckung einsetzbaren Einkommens nicht geeignet sei.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Leistungsakten der Beschwerdeführerin Bezug genommen, die beigezogen worden sind.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die Beschwerdegegner haben keinen im Wege einstweiliger Anordnung zu verfolgenden Anspruch darauf, von der Beschwerdeführerin ab 1. November 2006 Leistungen nach dem SGB II zu erhalten, bei deren Berechnung die Beschwerdeführerin vom Einkommen des Beschwerdegegners zu 2.) für dessen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einen Betrag von 0,20 Euro für jeden auf Hin- und Rückfahrt gefahrenen Straßenkilometer abzusetzen hat.

In seinem Beschluss vom 14. Februar 2007 im Verfahren L 9 AS 37/07 ER hat der Senat zur Anwendung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V ausgeführt:

Die Pauschale nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V als solche ist im übrigen vom Sozialgericht zutreffend unter Berücksichtigung der einfachen durchschnittlichen Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bemessen worden. Der Begriff der Entfernung kennzeichnet im Deutschen bereits von seinem Wortsinn her den bloßen Abstand zwischen zwei geographischen Orten. Dementsprechend bezeichnet auch der in § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V verwendete Rechtsbegriff des Entfernungskilometers den absoluten geographischen Abstand in Straßenkilometern zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und nicht die bei Hin- und Herfahrt tatsächlich insgesamt zurückgelegte, der doppelten Entfernung entsprechende Wegstrecke. Für diese Auffassung spricht im Übrigen auch die enge Anlehnung des in § 3 Abs. 1 Nr. 3 ALG II-V geregelten Werbungskostenabzugs an die Regelungen des Einkommensteuergesetzes; denn auch in § 9 Abs. 2 EStG bezeichnet der dort ebenfalls verwendete Begriff des Entfernungskilometers als Grundlage für die Bemessung der einkommensteuerrechtlichen Entfernungspauschale die absolute (bzw. „einfache“) Entfernung zwischen dem Ort der Wohnung und dem Ort der Arbeitsstätte.

An dieser Auffassung hält der Senat fest. Sie wird durch den sinngemäßen Einwand der Beschwerdegegner, der Freibetrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V müsse sich als Teil einer Berechnung, die der Bemessung unterhaltssichernder Leistungen diene, an dem tatsächlichen Kostenaufwand für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und damit auch an der tatsächlich zurückzulegenden Fahrtstrecke orientieren, nicht entkräftet. Soweit es in diesem Zusammenhang um die Frage geht, ob die bloße Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder die zu ihrer Überbrückung zurückzulegende Wegstrecke Bemessungsgrundlage des Freibetrages nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V zu sein hat, verkennen die Beschwerdegegner, dass zwischen beiden Größen in aller Regel ein direkter Zusammenhang in dem Sinne besteht, dass die auf dem Weg von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück zur Wohnung zurückgelegte tatsächliche Gesamtstrecke dem Doppelten der (einfachen) Entfernung in Straßenkilometern entspricht. Diese unmittelbare mathematische Abhängigkeit hat aber zur Folge, dass die (einfache) Entfernung in Straßenkilometern eine genauso taugliche Grundlage für die Bemessung des Freibetrages ist wie die tatsächlich zurückgelegte Wegstrecke. Die von den Beschwerdegegnern erhobene Forderung, dass der Freibetrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V wirklichkeitsnah und prinzipiell kostendeckend sein müsse, erweist sich vor diesem Hintergrund als alleiniges Problem der Höhe des in § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) mit 0,20 Euro festgesetzten Pauschbetrages. Die ALG II-V lässt jedoch gerade in dieser Hinsicht keinen Auslegungsspielraum. Im übrigen belegt die Begründung des Entwurfs einer ersten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld–Verordnung, dass die Entfernungspauschale des § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V auch ihrer mit 0,20 Euro je Entfernungskilometer festgesetzten Höhe nach aus der Entfernungspauschale des § 9 Abs. 2 EStG von 0,30 Euro abgeleitet worden ist. Der Verordnungsgeber hat dabei nachvollziehbar einen Abzug für gerechtfertigt gehalten, weil mit der Entfernungspauschale des § 9 Abs. 2 EStG sämtliche Aufwendungen für die Haltung des Kraftfahrzeuges abgegolten werden und hierzu auch solche Aufwendungen gehören, die bei Leistungsempfängern nach dem SGB II entweder bereits durch andere Freibeträge als die Entfernungspauschale nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V erfasst werden (Absetzung der KFZ-Haftpflichtversicherung nach § 11 Abs. 2 Nr. 3 SGB II) oder für die Bemessung des notwendigen Lebensunterhalts keine Relevanz haben (Garagenmiete, Finanzierungskosten). Der Senat teilt insoweit auch nicht die Auffassung der Beschwerdegegner, dass die Festsetzung eines Pauschbetrages für die Erfassung der Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Sozialleistungsrecht grundsätzlich anderen Maßstäben zu folgen habe als im Einkommensteuerrecht. Ob die Berücksichtigung eines diesbezüglichen Freibetrages überhaupt geboten ist, hängt im Sozialleistungsrecht wie im Einkommensteuerrecht davon ab, dass die Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte – entgegen § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG – als echte Werbungskosten, also mit der Erzielung von Einkommen notwendig verbundene Aufwendungen, verstanden werden. Unter dieser Voraussetzung haben sie allerdings auch im Einkommensteuerrecht wegen des dort geltenden Grundsatzes der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit prinzipiell steuerfrei zu bleiben. Ergänzend weist der Senat in diesem Zusammenhang mit Rücksicht auf die Beschwerdebegründung darauf hin, dass die Freistellung erzielten Einkommens von der Besteuerung, wie sie nach 9 Abs. 2 EStG Folge der Anwendung der einkommensteuerrechtlichen Kilometerpauschale von 30 Eurocent ist, einen finanziellen Vorteil bewirkt, der sich in einer dem jeweiligen persönlichen Steuersatz entsprechenden Steuerersparnis erschöpft, mit Rücksicht auf den höchstmöglichen Einkommensteuersatz nach § 32 a Abs. 1 Nr. 5 EStG von 45 Prozent also 13,5 Eurocent je Entfernungskilometer nicht überschreitet und im Regelfall deutlich geringer ausfällt. Demgegenüber führt nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II die Verringerung erzielten Einkommens um die Entfernungspauschale nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V von 0,20 Euro je Entfernungskilometer zu einer korrespondierenden Erhöhung des Bedarfs an einkommensergänzenden Leistungen nach §§ 20, 22 SGB II in gleicher Höhe. Mit diesen systembedingt unterschiedlichen Wirkungen der Berücksichtigung als (bzw. „wie“, vgl. § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG) Werbungskosten wird auch den divergierenden Regelungsgegenständen des Einkommensteuerrechts und des Sozialleistungsrechts Rechnung getragen. Hinzu kommt schließlich, dass der Pauschbetrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 b) ALG II-V, anders als derjenige nach § 9 Abs. 2 EStG, ohnedies keine die Berücksichtigung von Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abschließend regelnde Wirkung hat. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3, zweiter Halbsatz ALG II-V bleibt es dem Leistungsempfänger unbenommen, höhere als die pauschalierten Ausgaben nachzuweisen. Da hierdurch in jedem Fall eine Berücksichtigung der vollen tatsächlichen Aufwendungen ermöglicht wird, bestehen gegen die Anlehnung der pauschalierten Bemessung des Absetzungsbetrages an die Regelungen des Einkommensteuerrechts erst Recht keine Bedenken.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.

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