Übersicht:
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Rote Ampel überfahren: Kann man ein Fahrverbot umgehen, wenn der Job auf dem Spiel steht?
- Wie kam es zu dem Rotlichtverstoß?
- Was sah der Bußgeldkatalog eigentlich für einen solchen Verstoß vor?
- Warum war ein Fahrverbot für den Betroffenen ein existenzielles Problem?
- Wie hat das Gericht die Angaben des Betroffenen überprüft?
- Warum entschied das Gericht, ausnahmsweise auf das Fahrverbot zu verzichten?
- Warum wurde die Geldbuße dann verdoppelt?
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was sind die typischen rechtlichen Konsequenzen eines Rotlichtverstoßes im Straßenverkehr?
- Wie unterscheidet das Gesetz die Schwere eines Rotlichtverstoßes?
- Unter welchen Umständen kann ein Fahrverbot aufgrund einer besonderen persönlichen Härte abgewendet werden?
- Welche Nachweise sind erforderlich, um eine drohende Existenzgefährdung bei Gericht glaubhaft zu machen?
- Welche Ersatzmaßnahmen werden typischerweise verhängt, wenn ein Fahrverbot zugunsten einer anderen Sanktion abgewendet wird?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 729 OWi-268 Js 298/25-30/25 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Amtsgericht Dortmund
- Datum: 27.03.2025
- Aktenzeichen: 729 OWi-268 Js 298/25-30/25
- Verfahren: Bußgeldverfahren
- Rechtsbereiche: Verkehrsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Die Verfolgungsbehörde (implizit die Staatsanwaltschaft), die für den Rotlichtverstoß ein Fahrverbot forderte.
- Beklagte: Der Betroffene, der den Rotlichtverstoß einräumte, aber wegen drohender wirtschaftlicher Härten ein Absehen vom Fahrverbot beantragte.
Worum ging es genau?
- Sachverhalt: Der Betroffene fuhr bei einer Rotlichtphase von etwa 6 Sekunden über eine Ampel. Er gestand den Verstoß und beantragte, von der üblichen Verhängung eines Fahrverbots abzusehen, da dies für seine berufliche Existenz erhebliche wirtschaftliche Härten bedeuten würde.
Welche Rechtsfrage war entscheidend?
- Kernfrage: Kann von der Verhängung eines Fahrverbots wegen eines Rotlichtverstoßes bei einer Rotlichtphase von über einer Sekunde Dauer abgesehen werden, wenn dies für den Betroffenen zu erheblichen wirtschaftlichen Härten sowohl im Haupt- als auch im Nebenberuf führen würde, auch wenn eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht abschließend feststeht?
Wie hat das Gericht entschieden?
- Absehen vom Fahrverbot bei erhöhter Geldbuße: Der Betroffene wurde wegen fahrlässiger Nichtbefolgung eines Wechsellichtzeichens zu einer Geldbuße von 400,00 € verurteilt, jedoch wurde von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen.
- Kernaussagen der Begründung:
- Absehen vom Fahrverbot gerechtfertigt: Das Gericht sah ausnahmsweise von einem Fahrverbot ab, da dieses für den Betroffenen zu erheblichen und glaubhaften wirtschaftlichen Härten sowohl im Haupt- als auch im Nebenberuf führen würde.
- Wirtschaftliche Abhängigkeit vom Führerschein: Der Betroffene ist als selbstständiger Garten- und Landschaftsbauer und als Elektriker in einer Zweier-Kolonne zwingend auf seinen Führerschein angewiesen, um seiner Arbeit nachgehen zu können.
- Geldbuße erhöht als Ausgleich: Zum Ausgleich für das Absehen vom Fahrverbot wurde die Regelgeldbuße von 200 € auf 400 € erhöht.
- Kooperation und fehlende Vorbelastung: Die fehlende verkehrsrechtliche Vorbelastung des Betroffenen und seine Kooperation durch Beschränkung des Einspruchs auf die Rechtsfolgen wurden positiv berücksichtigt.
- Folgen für die Klägerin/den Kläger:
- Das von der Verfolgungsbehörde standardmäßig beantragte Fahrverbot wurde nicht verhängt.
- Die Geldbuße wurde im Gegenzug erhöht.
Der Fall vor Gericht
Rote Ampel überfahren: Kann man ein Fahrverbot umgehen, wenn der Job auf dem Spiel steht?
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf Ihren Führerschein angewiesen. Nicht nur, um zur Arbeit zu kommen, sondern um Ihre Arbeit überhaupt ausüben zu können. Ein Fahrverbot von einem Monat würde nicht nur eine Unannehmlichkeit bedeuten, sondern Ihre wirtschaftliche Existenz bedrohen. Genau in dieser Situation befand sich ein Elektriker und nebenberuflicher Gartenpfleger, nachdem er eine rote Ampel übersehen hatte. Das Amtsgericht Dortmund musste entscheiden, ob die drohenden beruflichen Folgen schwer genug wiegen, um von einem ansonsten fälligen Fahrverbot abzusehen.
Wie kam es zu dem Rotlichtverstoß?

Der Betroffene, ein Elektriker, war an einem Tag in Dortmund mit seinem Pkw unterwegs. Er war völlig ortsunkundig. An der V.-straße kam es dann zum entscheidenden Fehler: Dort gibt es zwei Ampelanlagen, die sehr kurz hintereinander stehen. Der Mann konzentrierte sich auf die zweite, weiter entfernte Ampel und übersah dabei die erste, die für ihn bereits Rot zeigte.
Erst als es blitzte, bemerkte er seinen Fehler. Die Messung der Rotlicht-Blitzanlage war eindeutig: Die Ampel war bereits seit etwa sechs Sekunden rot, als er die Haltelinie überfuhr und in den sogenannten „geschützten Bereich“ einfuhr. Das ist der Bereich der Kreuzung, der in diesem Moment für den Querverkehr freigegeben ist. Der Betroffene räumte den Vorfall sofort ein. Er erklärte, dass er die erste Ampel schlicht nicht wahrgenommen habe. Da er den Sachverhalt nicht bestritt, beschränkte er seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nur auf die Folgen, also die Höhe der Strafe.
Was sah der Bußgeldkatalog eigentlich für einen solchen Verstoß vor?
Für Verkehrsverstöße gibt es in Deutschland den sogenannten Bußgeldkatalog. Das ist eine Art offizielle Preisliste, die festlegt, welche Strafe für welches Vergehen üblicherweise vorgesehen ist. Bei einem Rotlichtverstoß unterscheidet das Gesetz zwischen zwei Arten:
- Der einfache Rotlichtverstoß: Die Ampel war kürzer als eine Sekunde rot.
- Der qualifizierte Rotlichtverstoß: Die Ampel war schon länger als eine Sekunde rot.
Da die Ampel im Fall des Elektrikers bereits sechs Sekunden rot war, lag ein Qualifizierter Rotlichtverstoß vor. Laut Bußgeldkatalog ist hierfür eine Regelstrafe von 200 Euro Bußgeld und zwingend ein einmonatiges Fahrverbot vorgesehen. Das Fahrverbot soll eine spürbare Sanktion sein, da ein solcher Verstoß als besonders gefährlich gilt. Das Gericht musste also prüfen, ob es einen Grund gab, von dieser Regel abzuweichen.
Warum war ein Fahrverbot für den Betroffenen ein existenzielles Problem?
Der Betroffene legte dem Gericht dar, dass ein Fahrverbot ihn in eine außergewöhnlich schwierige Lage bringen würde. Seine berufliche Existenz hing an zwei Säulen, und beide wären durch den Verlust des Führerscheins massiv gefährdet.
- Der Hauptberuf als Elektriker: Er arbeitete in einer festen Zweier-Kolonne. Sein Kollege war ein Auszubildender ohne Führerschein. Der Betroffene war der einzige Fahrer des Teams, das mit einem Firmenfahrzeug und viel Werkzeug zu Baustellen im Umkreis von bis zu 100 Kilometern fuhr. Ohne Führerschein gäbe es für ihn keine andere Einsatzmöglichkeit im Betrieb. Er befürchtete daher gravierende berufliche Nachteile bis hin zum Jobverlust.
- Der Nebenberuf als selbstständiger Gartenpfleger: Neben seiner Festanstellung betrieb er ein Ein-Mann-Unternehmen für Garten- und Landschaftsbau. Hierfür benötigte er zwingend seinen Pkw mit Anhänger, um Werkzeuge und Material zu transportieren. Ein Fahrverbot würde ihn gerade in der Hauptsaison (Frühling und Sommer) lahmlegen, was zu erheblichen Einnahmeverlusten und dem Verlust von Aufträgen führen würde. Einen Fahrer einzustellen, konnte er sich als Kleinunternehmer nicht leisten.
Wie hat das Gericht die Angaben des Betroffenen überprüft?
Ein Gericht verlässt sich nicht allein auf die Schilderungen eines Betroffenen. Es muss die behaupteten Härten nachvollziehen und überprüfen können. Um seine Situation im Hauptberuf zu beweisen, bot der Elektriker an, seinen Chef als Zeugen zu benennen.
Hier ging das Gericht einen ungewöhnlichen, aber prozessual zulässigen Weg. Mit Zustimmung aller Beteiligten wurde der Geschäftsführer des Arbeitgebers per audiovisueller Vernehmung befragt – und zwar über die App WhatsApp. Eine solche Vernehmung ist rechtlich durch die Strafprozessordnung (§ 247a StPO) in Verbindung mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz (§ 71 OWiG) möglich, wenn sie der Verfahrensbeschleunigung dient und alle zustimmen. Das Gericht fasste hierzu einen formellen Beschluss.
Der als Zeuge befragte Geschäftsführer bestätigte die Angaben seines Mitarbeiters vollständig. Er erklärte, dass der Betroffene ohne Führerschein seine Arbeit nicht verrichten könne. Eine andere Tätigkeit im Betrieb sei nicht möglich. Man würde in einem solchen Fall versuchen, eine Freistellung ohne Gehaltszahlung zu vereinbaren. Eine Kündigung stand zwar nicht fest im Raum, aber der komplette Gehaltsausfall für die Dauer des Fahrverbots war eine reale Konsequenz.
Warum entschied das Gericht, ausnahmsweise auf das Fahrverbot zu verzichten?
Nach der umfassenden Prüfung kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass hier ein Ausnahmefall vorlag. Normalerweise wiegt der Verkehrsverstoß so schwer, dass persönliche Härten hingenommen werden müssen. Doch im vorliegenden Fall sah das Gericht eine sogenannte Unzumutbare Härte. Dies ist ein juristischer Begriff, der eine Belastung beschreibt, die weit über die normalen Unannehmlichkeiten eines Fahrverbots hinausgeht und die Existenzgrundlage einer Person bedroht.
Die Gründe des Gerichts für diese Einschätzung waren:
- Die glaubhafte Bedrohung der nebenberuflichen Selbstständigkeit: Das Gericht sah es als erwiesen an, dass das Fahrverbot das saisonale Geschäft des Betroffenen im Gartenbau vollständig zum Erliegen gebracht hätte. Der Verlust der Einnahmen und von Kunden wäre eine direkte und schwere Folge gewesen.
- Die bestätigte Gefahr für den Hauptberuf: Durch die Aussage des Arbeitgebers war klar, dass der Betroffene im Falle eines Fahrverbots seine Arbeitsleistung nicht mehr hätte erbringen können. Die Folge wäre ein kompletter Lohnausfall gewesen. Auch wenn eine Kündigung nicht explizit angedroht wurde, ist der Verlust des gesamten Einkommens aus dem Hauptberuf eine existenzielle Bedrohung.
- Die Gesamtbetrachtung beider wirtschaftlicher Säulen: Das Gericht würdigte die Tatsache, dass nicht nur ein Job, sondern beide Einkommensquellen des Mannes massiv betroffen gewesen wären. Diese Kumulation der negativen Folgen war entscheidend.
- Das Verhalten des Betroffenen: Positiv wertete das Gericht auch, dass der Betroffene verkehrsrechtlich bisher nicht aufgefallen war und durch sein Geständnis das Verfahren vereinfacht hatte.
Das Gericht stellte klar, dass es keine Mängel an der Ampelanlage gab. Der Fehler lag allein beim Fahrer. Die Entscheidung beruhte also ausschließlich auf den schwerwiegenden persönlichen und wirtschaftlichen Folgen für den Betroffenen.
Warum wurde die Geldbuße dann verdoppelt?
Das Gesetz bietet für solche Ausnahmefälle eine spezielle Regelung im § 4 Abs. 4 der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV). Diese Vorschrift erlaubt es einem Gericht, von einem Fahrverbot abzusehen, wenn dieses eine außergewöhnliche Härte darstellt. Als Ausgleich dafür soll die Geldbuße jedoch angemessen erhöht werden.
Man kann es sich wie eine Art Tauschgeschäft vorstellen: Der Betroffene behält seinen Führerschein, muss dafür aber eine deutlich schmerzhaftere Geldstrafe zahlen. Das Gericht verdoppelte die Regelgeldbuße von 200 Euro auf 400 Euro. Diese erhöhte Geldbuße soll sicherstellen, dass der Verstoß trotzdem eine spürbare und abschreckende Wirkung hat.
Zusätzlich gestattete das Gericht dem Mann, die Geldbuße in monatlichen Raten von 100 Euro zu zahlen, um seine finanzielle Belastung zu verteilen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil des Amtsgerichts Dortmund verdeutlicht, dass bei qualifizierten Rotlichtverstößen das grundsätzlich vorgesehene Fahrverbot unter außergewöhnlichen Umständen durch eine erhöhte Geldbuße ersetzt werden kann.
- Unzumutbare Härte als Ausnahmetatbestand: Das Gericht erkannte eine unzumutbare Härte an, wenn ein Fahrverbot die gesamte wirtschaftliche Existenz bedroht – hier durch den gleichzeitigen Verlust sowohl des Hauptberufs als Angestellter als auch der nebenberuflichen Selbstständigkeit, was zu einem kompletten Einkommensausfall geführt hätte.
- Substantiierte Nachweispflicht: Bloße Behauptungen über berufliche Härten genügen nicht – das Gericht führte eine audiovisuelle Zeugenvernehmung des Arbeitgebers durch WhatsApp durch, um die existenzielle Bedrohung zu verifizieren und die Glaubwürdigkeit der Angaben zu bestätigen.
- Kompensationsprinzip bei Härtefallregelungen: Wenn von einem Fahrverbot nach § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen wird, erfolgt ein angemessener Ausgleich durch Verdoppelung der Geldbuße (von 200 auf 400 Euro), um die präventive Wirkung der Sanktion aufrechtzuerhalten.
Diese Entscheidung etabliert einen strengen Maßstab für die Anwendung der Härtefallregelung und zeigt, dass wirtschaftliche Existenzbedrohungen nur bei umfassender Beweisführung und kumulativer Betroffenheit aller Einkommensquellen zur Vermeidung des Fahrverbots führen.
Droht Ihnen wegen eines Rotlichtverstoßes mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen ein Fahrverbot? Lassen Sie Ihre individuelle Situation in einer unverbindlichen Ersteinschätzung prüfen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was sind die typischen rechtlichen Konsequenzen eines Rotlichtverstoßes im Straßenverkehr?
Typische rechtliche Konsequenzen eines Rotlichtverstoßes im Straßenverkehr sind ein Bußgeld und, je nach Schwere des Vergehens, ein Fahrverbot. Diese Sanktionen sind im offiziellen Bußgeldkatalog festgelegt und dienen der Ahndung und Prävention, um die allgemeine Verkehrssicherheit zu gewährleisten.
Das Gesetz unterscheidet dabei grundsätzlich zwei Arten von Rotlichtverstößen: den einfachen und den qualifizierten Rotlichtverstoß. Ein einfacher Verstoß liegt vor, wenn die Ampel kürzer als eine Sekunde rot war.
Ein qualifizierter Verstoß besteht, wenn die Ampel bereits länger als eine Sekunde rot zeigte. Die Schwere des Verstoßes hat direkte Auswirkungen auf die Höhe der Strafe. Beispielsweise ist für einen qualifizierten Rotlichtverstoß, wie im Fall des Elektrikers, bei dem die Ampel sechs Sekunden rot war, eine Regelstrafe von 200 Euro Bußgeld und ein zwingendes einmonatiges Fahrverbot vorgesehen.
Ein solches Fahrverbot ist als spürbare Sanktion gedacht, da das Überfahren einer bereits lange roten Ampel als besonders gefährlich eingestuft wird und den geschützten Bereich einer Kreuzung für den Querverkehr freigeben sollte. Die genaue Höhe des Bußgeldes und die Verhängung eines Fahrverbots hängen also maßgeblich von der Dauer der Rotphase ab, da dies die Gefährlichkeit des Verstoßes widerspiegelt.
Wie unterscheidet das Gesetz die Schwere eines Rotlichtverstoßes?
Das Gesetz unterscheidet die Schwere eines Rotlichtverstoßes hauptsächlich danach, wie lange die Ampel bereits Rot zeigte, als sie überfahren wurde. Dabei gibt es zwei klar definierte Kategorien: den einfachen und den qualifizierten Rotlichtverstoß.
Ein einfacher Rotlichtverstoß liegt vor, wenn die Ampel zum Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie kürzer als eine Sekunde rot war. Dieser Verstoß wird als weniger gravierend angesehen.
Im Gegensatz dazu spricht man von einem qualifizierten Rotlichtverstoß, wenn die Ampel bereits länger als eine Sekunde Rotlicht zeigte, bevor die Haltelinie überfahren und in den sogenannten „geschützten Bereich“ der Kreuzung eingefahren wurde. Diese Art des Verstoßes wird als besonders gefährlich eingestuft, da in diesem Moment der Querverkehr bereits freigegeben sein könnte.
Der qualifizierte Rotlichtverstoß zieht laut Bußgeldkatalog eine deutlich strengere Bestrafung nach sich. Hierfür ist in der Regel ein Bußgeld von 200 Euro sowie zwingend ein einmonatiges Fahrverbot vorgesehen, um der erhöhten Gefahr, die von solchen Vergehen ausgeht, Rechnung zu tragen.
Unter welchen Umständen kann ein Fahrverbot aufgrund einer besonderen persönlichen Härte abgewendet werden?
Ein Fahrverbot kann nur in Ausnahmefällen abgewendet werden, wenn es für die betroffene Person eine sogenannte unzumutbare Härte darstellt. Dies bedeutet, dass die Folgen des Fahrverbots weit über die normalen Unannehmlichkeiten hinausgehen und die wirtschaftliche oder berufliche Existenz unmittelbar und gravierend bedrohen.
„Unzumutbare Härte“ liegt beispielsweise vor, wenn der Verlust des Führerscheins zum sofortigen Jobverlust führen würde, weil die Fahrberechtigung zwingend für die Ausübung des Berufs notwendig ist und keine anderen Einsatzmöglichkeiten bestehen. Auch wenn eine selbstständige Tätigkeit, die die Existenzgrundlage sichert, ohne den Führerschein nicht mehr fortgeführt werden kann, kann dies eine unzumutbare Härte darstellen.
Reine Unannehmlichkeiten oder der Wunsch, mobil zu bleiben, reichen für eine Abwendung nicht aus. Wenn ein Fahrverbot aufgrund einer solchen Härte abgewendet wird, wird stattdessen in der Regel die verhängte Geldbuße als Ausgleich deutlich erhöht.
Welche Nachweise sind erforderlich, um eine drohende Existenzgefährdung bei Gericht glaubhaft zu machen?
Um eine drohende Existenzgefährdung vor Gericht glaubhaft zu machen, müssen Sie Ihre Behauptungen nicht nur schildern, sondern auch konkret mit Beweisen belegen. Gerichte verlassen sich nicht allein auf mündliche Schilderungen, sondern prüfen die angegebenen Härten sehr genau und benötigen nachvollziehbare Belege.
Dazu gehört beispielsweise eine schriftliche Bestätigung oder Zeugenaussage Ihres Arbeitgebers, dass Ihre Tätigkeit ohne Führerschein unmöglich ist und Ihnen deshalb ein Jobverlust oder ein erheblicher Gehaltsausfall droht. Arbeiten Sie in einem Team, muss dargelegt werden, dass kein Kollege mit Führerschein Ihre Rolle übernehmen kann.
Als Selbstständiger müssen Sie detailliert aufzeigen, wie die Fahrerlaubnis für Ihre Berufsausübung unerlässlich ist, etwa für Kundentermine, den Transport von Werkzeugen und Material oder die Unmöglichkeit, einen Ersatzfahrer zu finanzieren. Eine drohende wirtschaftliche Notlage kann zudem durch aktuelle Kontoauszüge, Geschäftszahlen oder Auftragsbücher untermauert werden, die zeigen, dass die Einkommensquelle durch das Fahrverbot zum Erliegen käme.
Ziel dieser umfassenden Nachweise ist es, das Gericht davon zu überzeugen, dass die Folgen eines Fahrverbots weit über die üblichen Unannehmlichkeiten hinausgehen und Ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage unmittelbar bedrohen.
Welche Ersatzmaßnahmen werden typischerweise verhängt, wenn ein Fahrverbot zugunsten einer anderen Sanktion abgewendet wird?
Wird ein Fahrverbot ausnahmsweise abgewendet, wird dies typischerweise durch eine deutlich erhöhte Geldbuße ersetzt. Dies dient als Kompensation, um sicherzustellen, dass der Verstoß weiterhin spürbar sanktioniert wird.
Man kann diesen Vorgang als ein „Tauschgeschäft“ verstehen: Der betroffene Verkehrsteilnehmer behält seinen Führerschein, muss dafür aber eine erheblich höhere Geldstrafe in Kauf nehmen. Diese deutliche Erhöhung der Regelgeldbuße ist die gängigste Form der Ersatzmaßnahme.
Die Geldbuße wird typischerweise verdoppelt, wie im Fall eines Elektrikers, dessen 200 Euro Bußgeld auf 400 Euro erhöht wurden, um sein Fahrverbot abzuwenden. Zweck dieser Erhöhung ist es, trotz des Verzichts auf das Fahrverbot eine angemessene und abschreckende Wirkung der Strafe zu gewährleisten. Solche Ausnahmen vom Fahrverbot werden nur bei Vorliegen einer außergewöhnlichen, unzumutbaren Härte gewährt, die zum Beispiel die berufliche Existenz bedrohen kann.
Die rechtliche Grundlage für eine solche Kompensation bietet § 4 Abs. 4 der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV), welche die Möglichkeit einräumt, bei besonderen Umständen von einem Fahrverbot abzusehen und stattdessen die Geldbuße anzupassen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Audiovisuelle Vernehmung
Eine audiovisuelle Vernehmung ist eine Form der Beweisaufnahme vor Gericht, bei der eine Person (z.B. ein Zeuge oder Sachverständiger) nicht physisch im Gerichtssaal anwesend sein muss, sondern über eine Audio- und Videoverbindung befragt wird. Dies ermöglicht eine Befragung aus der Ferne, beispielsweise per Videokonferenz oder sogar über Messenger-Dienste wie WhatsApp, wenn alle Beteiligten zustimmen. Sie dient oft der Verfahrensbeschleunigung und der Vermeidung von Reiseaufwand.
Beispiel: Im vorliegenden Fall wurde der Chef des Elektrikers per WhatsApp-Videoanruf als Zeuge befragt, um seine Aussagen zur beruflichen Situation des Betroffenen zu überprüfen.
Bußgeldkatalog
Der Bußgeldkatalog ist eine amtliche Verordnung in Deutschland, die für die gängigsten Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr (wie Geschwindigkeitsüberschreitungen oder Rotlichtverstöße) eine Standardliste von Bußgeldern, Punkten im Fahreignungsregister und möglichen Fahrverboten festlegt. Er dient als Richtschnur für die Gerichte und Behörden, um eine einheitliche und nachvollziehbare Bestrafung sicherzustellen. Obwohl er Standardstrafen vorgibt, können Gerichte in Ausnahmefällen davon abweichen.
Beispiel: Laut Bußgeldkatalog ist für einen qualifizierten Rotlichtverstoß ein Bußgeld von 200 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot vorgesehen.
Qualifizierter Rotlichtverstoß
Ein qualifizierter Rotlichtverstoß liegt im deutschen Straßenverkehr dann vor, wenn eine rote Ampel überfahren wird, nachdem sie bereits länger als eine Sekunde Rotlicht gezeigt hat. Dieser Verstoß wird als besonders gefährlich eingestuft, da in diesem Moment bereits der Querverkehr auf der Kreuzung freigegeben sein könnte. Die Konsequenzen sind daher strenger als bei einem „einfachen“ Rotlichtverstoß und umfassen in der Regel ein höheres Bußgeld und zwingend ein Fahrverbot.
Beispiel: Der Elektriker im Fall beging einen qualifizierten Rotlichtverstoß, weil die Ampel bereits sechs Sekunden lang rot war, als er sie überfuhr.
§ 4 Abs. 4 der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV)
Dieser Paragraph der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) ist eine spezielle rechtliche Regelung, die es Gerichten ermöglicht, unter bestimmten Umständen von einem im Bußgeldkatalog vorgesehenen Fahrverbot abzusehen. Dies ist nur dann möglich, wenn das Fahrverbot für den Betroffenen eine außergewöhnliche, sogenannte unzumutbare Härte darstellen würde, die über die normalen Unannehmlichkeiten hinausgeht und seine Existenz gefährdet. Als Ausgleich dafür muss die Geldbuße jedoch angemessen erhöht werden, um weiterhin eine spürbare Sanktion zu gewährleisten.
Beispiel: Das Gericht wandte § 4 Abs. 4 BKatV an, um das Fahrverbot des Elektrikers aufgrund seiner drohenden Existenzgefährdung abzuwenden und stattdessen die Geldbuße zu verdoppeln.
Unzumutbare Härte
Eine unzumutbare Härte ist ein juristischer Begriff, der eine Situation beschreibt, in der die Anwendung einer Rechtsnorm (z.B. die Verhängung eines Fahrverbots) für die betroffene Person derart schwerwiegende und außergewöhnliche Nachteile mit sich bringen würde, dass dies nicht mehr als zumutbar angesehen werden kann. Dies geht über normale Belastungen hinaus und gefährdet oft die berufliche oder wirtschaftliche Existenz. In solchen Ausnahmefällen kann ein Gericht von der Regelstrafe abweichen und eine mildere Sanktion oder eine Kompensation festlegen.
Beispiel: Für den Elektriker war das Fahrverbot eine unzumutbare Härte, da es seine Existenz als festangestellter Elektriker und selbstständiger Gartenpfleger massiv bedrohte.
Wichtige Rechtsgrundlagen
Qualifizierter Rotlichtverstoß und Regelbuße (vgl. § 37 Abs. 2 StVO, § 49 StVO, § 24 StVG i.V.m. BKatV)
Der Bußgeldkatalog ist eine Art „Preisliste“ für Verkehrsvergehen und legt fest, welche Strafe üblicherweise für welches Vergehen vorgesehen ist. Ein Rotlichtverstoß wird als „qualifiziert“ eingestuft, wenn die Ampel bereits länger als eine Sekunde rot war, bevor das Fahrzeug die Haltelinie überfährt und in den geschützten Kreuzungsbereich einfährt. Solche Verstöße gelten als besonders gefährlich, da in diesem Moment bereits der Querverkehr freigegeben sein kann.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Da die Ampel im Fall des Elektrikers bereits seit sechs Sekunden rot war, bevor er die Kreuzung befuhr, handelte es sich um einen qualifizierten Rotlichtverstoß. Für diesen Verstoß sah der Bußgeldkatalog eine Regelstrafe von 200 Euro und zwingend ein einmonatiges Fahrverbot vor, um die hohe Gefahr zu sanktionieren.
Fahrverbot als Regelfolge bei qualifizierten Verkehrsverstößen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVG)
Das Fahrverbot ist eine Sanktion im Straßenverkehrsrecht, bei der dem Betroffenen für eine bestimmte Dauer (meist 1 bis 3 Monate) das Führen von Kraftfahrzeugen untersagt wird. Im Gegensatz zum Entzug der Fahrerlaubnis bleibt der Führerschein erhalten und wird nach Ablauf des Verbots automatisch zurückgegeben. Es soll eine spürbare Sanktion sein, die den Betroffenen zur Besinnung anregen und künftige Verkehrsverstöße verhindern soll.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Fahrverbot war die zentrale Sanktion, gegen die sich der Elektriker wehrte, da es als Regelfolge für seinen qualifizierten Rotlichtverstoß vorgesehen war. Er argumentierte, dass dieses Fahrverbot ihn in eine existenzbedrohende Lage bringen würde.
Grundsatz der unzumutbaren Härte und Abweichung vom Regelfall (Einzelfallprüfung, vgl. § 4 Abs. 4 BKatV)
Auch wenn der Bußgeldkatalog Regelsanktionen für bestimmte Verstöße vorsieht, muss ein Gericht im Einzelfall prüfen, ob die Verhängung einer solchen Regelstrafe eine „unzumutbare Härte“ für den Betroffenen darstellen würde. Das bedeutet, die Folgen der Strafe wären für ihn so extrem und existenziell bedrohlich, dass sie weit über die üblichen Unannehmlichkeiten hinausgehen. Dies ist ein Ausnahmegrund, der nur bei wirklich außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommt.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht prüfte umfassend, ob das vorgesehene Fahrverbot für den Elektriker eine solche unzumutbare Härte bedeuten würde, da es sowohl seinen Haupt- als auch seinen Nebenberuf massiv gefährdete und somit seine gesamte wirtschaftliche Existenz bedrohte. Die Kumulation dieser Gefährdungen führte zur Annahme einer unzumutbaren Härte.
Ersatz des Fahrverbots durch erhöhte Geldbuße (§ 4 Abs. 4 BKatV)
Wenn ein Gericht zu dem Schluss kommt, dass ein Fahrverbot eine unzumutbare Härte für den Betroffenen darstellen würde, erlaubt das Gesetz, von diesem Fahrverbot abzusehen. Als Ausgleich dafür muss die ursprünglich vorgesehene Geldbuße jedoch deutlich erhöht werden. Diese Erhöhung soll sicherstellen, dass der schwerwiegende Verstoß weiterhin spürbar sanktioniert wird und seine abschreckende Wirkung behält, auch wenn die Art der Sanktion geändert wird.
→ Bedeutung im vorliegenden Fall: Aufgrund der festgestellten unzumutbaren Härte verzichtete das Amtsgericht Dortmund auf das einmonatige Fahrverbot. Als Kompensation dafür verdoppelte es die ursprünglich vorgesehene Regelgeldbuße von 200 Euro auf 400 Euro, um die Schwere des Rotlichtverstoßes weiterhin angemessen zu ahnden und eine spürbare Sanktion aufrechtzuerhalten.
Das vorliegende Urteil
Amtsgericht Dortmund – Az.: 729 OWi-268 Js 298/25-30/25 – Urteil vom 27.03.2025
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Ich bin seit meiner Zulassung als Rechtsanwalt im Jahr 2003 Teil der Kanzlei der Rechtsanwälte Kotz in Kreuztal bei Siegen. Als Fachanwalt für Verkehrsrecht und Fachanwalt für Versicherungsrecht, sowie als Notar setze ich mich erfolgreich für meine Mandanten ein. Weitere Tätigkeitsschwerpunkte sind Mietrecht, Strafrecht, Verbraucherrecht, Reiserecht, Medizinrecht, Internetrecht, Verwaltungsrecht und Erbrecht. Ferner bin ich Mitglied im Deutschen Anwaltverein und in verschiedenen Arbeitsgemeinschaften. Als Rechtsanwalt bin ich bundesweit in allen Rechtsgebieten tätig und engagiere mich unter anderem als Vertragsanwalt für […] mehr über Dr. Christian Gerd Kotz