OLG Hamm
Az: 4 Ss OWi 671/03
Beschluss vom 16.10.2003
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Rheine vom 18. Juni 2003 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 10. 2003 gemäß §§ 79 Abs. 5 und 6 OWiG beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten der Betroffenen verworfen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Rheine hat gegen die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft eine Geldbuße von 100,- € sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt mit der Maßgabe, dass das Fahrverbot erst wirksam wird, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Nach den getroffenen Feststellungen überschritt die Betroffene als Fahrerin des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXXXXX am 18. November 2002 in Rheine die innerhalb geschlossener Ortschaft zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h fahrlässig um 34 km/h.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Rheine zurückzuverweisen.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.
1. Die von der Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe gegen die Beweiserhebungspflicht aus § 77 OWiG, § 244 Abs. 3 StPO verstoßen, weil es einem Antrag der Verteidigung auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachgekommen sei, ist nicht ordnungsgemäß ausgeführt i.S.v. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Denn mit der Verfahrensrüge wird weder der Inhalt des Beweisantrages noch der Inhalt des ablehnenden Gerichtsbeschlusses mitgeteilt.
2. Die auf die Sachrüge hin vorzunehmende Überprüfung des Schuldspruchs hat einen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen nicht ergeben.
Entgegen der Ansicht der Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft ist das Amtsgericht ohne Rechtsfehler zu der Überzeugung gelangt, dass die Betroffene mit einer Geschwindigkeit von 84 km/h innerorts gefahren ist. Das Gericht hat sich aufgrund der Aussage des Zeugen Emmerich, der die Radarmessung durchgeführt hat, davon überzeugt, dass dieser das Gerät ordnungsgemäß bedient hat und die Messung fehlerfrei erfolgt ist. Hierbei hat das Gericht berücksichtigt, dass beim Kalibrierungsfoto im Protokoll eine falsche Nummer (103) ausgedruckt worden ist und dies als falsche Angabe der Bild-Nummer aufgrund eines Softwarefehlers gewertet, welcher jedoch auf die Messung als solche keinen Einfluss gehabt hat. Mithin hat das Gericht in ausreichendem Umfang mögliche Fehlerquellen berücksichtigt und die Grundlagen der Überzeugungsbildung sorgfältig dargelegt.
3. Der Rechtsfolgenausspruch begegnet insofern keinen rechtlichen Bedenken, als das das Amtsgericht die für diesen Verstoß vorgesehene Regelgeldbuße von 100,- € verhängt hat. Besondere Gründe, die dafür sprachen, von der Verhängung der Regelgeldbuße abzusehen, waren nach den Urteilsfeststellungen nicht ersichtlich.
4. Bei der Verhängung des Fahrverbots von einem Monat hat das Gericht jedoch rechtsfehlerhaft unberücksichtigt gelassen, dass die Messung 150 m vor dem Ortsausgangsschild und damit entgegen den Vorgaben des Runderlasses des Innenministers vom 12. Februar 1981 – MBl. NW S. 496/SMBl. NW 20530 – in der Fassung vom 22. Mai 1996 erfolgte. Nach Maßgabe dieses Runderlasses sind Messungen grundsätzlich so anzulegen, dass sie von Beginn und Ende einer Geschwindigkeitsbeschränkung mindestens 200 m entfernt sind. Die Entfernung kann am Anfang einer Geschwindigkeitsbeschränkung bis auf 50 m unterschritten werden, wenn die Geschwindigkeit stufenweise herabgesetzt ist und die Messstelle nicht innerhalb des Bereichs der ersten Geschwindigkeitsstufe liegt. Ferner ist eine Unterschreitung der Mindestentfernung von 200 m dann am Anfang und am Ende einer Geschwindigkeitsbeschränkung zulässig, wenn es sich um eine Unfallhäufungsstelle oder um eine schutzwürdige Zone handelt und aufgrund der örtlichen Verhältnisse sonst eine Messung nicht möglich wäre. Da Feststellungen zu den genannten Ausnahmetatbeständen nicht getroffen wurden, besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass das Maß der Pflichtwidrigkeit so weit herabgesetzt sein kann, dass die Verhängung eines Fahrverbots nicht mehr in Betracht kommt (vgl. OLG Hamm, 5. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 18. Mai 1999 – 5 Ss OWi 1106/99 – m.w.N.). Die fehlenden Feststellungen erfordern es jedoch nicht, die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Der Senat hat vorliegend vielmehr von der durch § 79 Abs. 6 OWiG eröffnete Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen übrigen Feststellungen in der Sache selbst zu entscheiden. Die Verhängung eines Fahrverbots von einem Monat ist geboten, da eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers i.S.v. § 25 Abs. 1 StVG vorliegt. Ein solcher grober Verstoß ergibt sich in objektiver und subjektiver Hinsicht daraus, dass die Betroffene nicht nur die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 34 km/h überschritten, sondern auch die außerorts nachfolgend angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 14 km/h überschritten hatte. Bei dieser Sachlage ist nach Ansicht des Senats ein grober Pflichtenverstoß i.S.v. § 25 Abs. 1 StVG auch dann gegeben, wenn der regelmäßig einzuhaltende Abstand von Messstellen zu geschwindigkeitsregelnden Verkehrszeichen nicht eingehalten wird, obwohl einer der in dem genannten Runderlass des Innenministers aufgeführten Ausnahmefälle nicht vorliegt.
Von der Verhängung eines Fahrverbots war auch nicht gemäß § 4 Abs. 4 BKatV abzusehen, da die Verhängung des Fahrverbots für die Betroffene weder eine unzumutbare Härte darstellt noch andere erhebliche Härten oder eine Vielzahl für sich genommener gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände vorliegen, die rechtfertigen könnten, eine Ausnahme von der Verhängung eines Fahrverbots zu begründen. Die gesamten Umstände des Falles zeigen vielmehr, dass es der Verhängung eines Fahrverbots im Sinne eines eindringlichen Erziehungsmittels und als Denk- und Besinnungsmaßnahme bedarf (vgl. BGHSt 43, 241, 246).
Bei der Anordnung über das Wirksamwerden des Fahrverbots hatte es zu verbleiben, da die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 a StVG, wie vom Amtsgericht zutreffend festgestellt, gegeben sind.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO.