OLG Rostock
Beschluss vom 21.06.2004
Az.: 2 Ss(OWi) 117/04 I 90/04
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch insoweit abgeändert, als das Fahrverbot in Wegfall kommt.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen einer innerorts begangenen, fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung um 46 km/h eine Geldbuße von 125 Euro festgesetzt sowie ein Fahrverbot von einem Monat (d.h. die Regelsanktion nach BKatV) verhängt. Die hiergegen gerichtet, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.
Das statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden, da die Feststellungen des Amtsrichters den Schuldspruch wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit tragen. Der Betroffene wendet sich zwar erklärtermaßen in erster Linie gegen das Fahrverbot. Insoweit wäre eine Beschränkung des Rechtsmittels wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Höhe der Geldbuße jedoch nicht zulässig (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. z.B. Beschluss vom 12.12.2002 – 2 Ss [OWi] 87/02 I 169/02 – m.w.N.). Damit ist der Schuldspruch des angefochtenen Urteils in Rechtskraft erwachsen.
Das Rechtsmittel hat auch Erfolg; es führt bei eigener Sachentscheidung des Senates zum Wegfall des Fahrverbotes, da die Voraussetzungen für dessen Verhängung nicht gegeben sind. Daher kam auch eine Erhöhung der Geldbuße (§ 4 Abs. 4 BKatV) nicht in Betracht.
1. Alleinige Rechtsgrundlage für die Anordnung eines Fahrverbots wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit ist § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG (BGHSt 38, 125 [128]; 38, 231 [233 f.]; 43, 241 = NJW 1997, 3252). Dies gilt auch für Taten, bei denen eine Rechtsfolge nach § 4 Abs. 1 und 2 BKatV in Betracht kommt. Die Verwirklichung eines der dort aufgeführten Regelbeispiele indiziert zwar eine grobe Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers, ändert jedoch nichts an dem Erfordernis der Einzelfallprüfung und schränkt nur den Begründungsaufwand ein (BGH a.a.O.; BVerfG DAR 1996, 196 [198]; Senatsbeschluss vom 07.05.1999 – 2 Ss [OWi] 22/99 I 23/99 -; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., StVG § 25 Rdnrn. 20 ff. m.w.N.).
Gerade bei Überschreitung der durch Zeichen 274 oder 310 (Ortstafel) beschränkten Höchstgeschwindigkeit kommt die indizielle Wirkung der Verwirklichung des Regelbeispiels nur mit Einschränkungen zum Tragen. Dem Kraftfahrzeugführer kann das für ein Fahrverbot erforderliche grob pflichtwidrige Verhalten nicht vorgeworfen werden, wenn der Grund der von ihm begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung darin liegt, dass er das die Höchstgeschwindigkeit begrenzende Zeichen – infolge eines „Augenblicksversagens“ – nicht wahrgenommen hat und ihm insofern allenfalls einfache Fahrlässigkeit zur Last fällt, also insbesondere keine weiteren Umstände vorliegen, aufgrund derer sich die Geschwindigkeitsbeschränkung aufdrängen musste (Senatsbeschlüsse vom 07.05.1999 a.a.O. und vom 25.05.2001 – 2 Ss [OWi] 50/01 I 59/01 -; BGHSt 43, 241 = NJW 1997, 3252 [3253]; Hentschel a.a.O.).
2. Demnach kam vorliegend die Verhängung eines Fahrverbotes nicht in Betracht.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils gehen die Ortschaften L. und R. – in welcher die Messung stattgefunden hat – an der vom Betroffenen befahrenen B 105 unmittelbar ineinander über, ohne dass sich die – jeweils lückenhafte – Bebauung erkennbar unterscheidet. Etwa 2 km vor der Messstelle befand sich zur Tatzeit an der rechten Straßenseite das Ortseingangsschild R., während gegenüber auf der linken Seite das Ortsausgangsschild L. stand. Die Messung selbst fand nachts gegen 1.55 Uhr statt, die gemessene Geschwindigkeit betrug – abzüglich der Toleranz – 96 km/h. Nach der vom Amtsgericht nicht widerlegten Einlassung des Betroffenen war es dunkel, Straßenbeleuchtung war nicht vorhanden. Gleichwohl sei es objektiv möglich gewesen, die Ortstafel zu erkennen. Dementsprechend ging das Amtsgericht davon aus, „dass die Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer Unachtsamkeit des Betroffenen“ beruhte.
Diese Schlussfolgerung des Tatrichters ist ohne weiteres nachvollziehbar und wird von den Feststellungen getragen. Daraus ergibt sich aber gerade, dass dem Betroffenen lediglich ein leicht fahrlässiges Augenblicksversagen zur Last gelegt werden kann und sich die Geschwindigkeitsbeschränkung an der Messstelle nicht aufdrängte. Der Betroffene hat vielmehr das Ortseingangsschild schlicht übersehen, lediglich das Ortsausgangsschild beachtet und deshalb geglaubt, er befinde sich nunmehr wieder außerorts. Dafür spricht auch, dass er die dann – nach seiner Meinung – zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c StVO) nicht überschritten hat. Die festgestellte Geschwindigkeit von knapp 100 km/h konnte er – 2 km nach der von ihm allein wahr-genommenen Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung – auch ohne weiteres erreicht haben. Anhaltspunkte dafür, dass er sich doch noch innerhalb einer geschlossenen Ortschaft befand, etwa durch die Art der Bebauung oder beleuchtete Bürgersteige, waren für ihn nicht ersichtlich.
Damit hat das Amtsgericht ein bloßes Augenblicksversagen festgestellt. Die Frage, ob das Fahrverbot zu einer für den Betroffenen unzumutbaren Härte führen könnte, war demnach ohne Relevanz.
3. Das Fahrverbot konnte deshalb keinen Bestand haben, da die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG nicht gegeben sind. Eine Erhöhung der gleichwohl verwirkten und vom Amtsgericht auch verhängten (Regel-)Geldbuße von 125 Euro (Nr. 11.3.7 der Tabelle 1 Buchst. c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV) kam damit ebenfalls nicht in Betracht (Senatsbeschluss vom 26.07.2002 – 2 Ss [OWi] 170/01 I 174/01 -; Hentschel a.a.O. m.w.N.).
Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG), da die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen ausreichend und weitere nicht zu erwarten sind.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 467 Abs. 1 analog, 473 Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG. Der Betroffene hat sein Rechtsmittel von vornherein auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und erklärtermaßen lediglich die Verhängung des Fahrverbotes angegriffen, gegen die Festsetzung der Geldbuße hat er nichts erinnert. Er hat damit sein Ziel im Wesentlichen erreicht, weshalb die Kosten und Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen waren (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 473 Rdnrn. 21, 22 m.w.N.).