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Fahrverbot – drohender Arbeitsplatzverlust

Oberlandesgericht Bamberg

Az: 3 Ss OWi 966/08

Beschluss vom 20.08.2008


Leitsätze:

1. Der Tatrichter bleibt auch in den Fällen des § 24 a StVG aufgrund des rechtsstaatlichen Übermaßverbotes verpflichtet, sich mit möglichen Folgen eines Fahrverbots für den Betroffenen auseinanderzusetzen, wenn dieser einen durch das Fahrverbot drohenden Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz vorgetragen hat.

2. Ein Absehen vom gesetzlichen Regelfahrverbot nach § 25 I 2 StVG kann nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher Art in Betracht kommen oder wenn wegen besonderer Umstände das Tatgeschehen ausnahmsweise aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a I StVG derart herausfällt, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre (Anschluss an BGHSt 38,125/134; OLG Saarbrücken VRS 102, 458 ff. sowie OLG Bamberg, Beschluss vom 11.03.2005 – 2 Ss OWi 236/05).

3. Angaben eines Betroffenen, es drohe bei Verhängung eines Fahrverbots der Existenzverlust, dürfen nicht ungeprüft übernommen oder ohne hinreichende Ausschöpfung sonstiger Beweismittel nur einer an der Oberfläche verbleibenden Plausibilitätsprüfung unterzogen werden.


Zum Sachverhalt:

Das AG hat den als Berufskraftfahrer tätigen Betr. wegen einer am 26.06.2007 begangenen fahrlässigen Ordnungswidrigkeit des Führens eines Kraftfahrzeugs mit einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,25 mg/l oder mehr bzw. einer zu einer solchen AAK führenden Alkoholmenge im Körper gemäß § 24 a I, III StVG zu einer Geldbuße von 500 Euro verurteilt; von dem im Bußgeldbescheid neben einer (Regel-) Geldbuße von 250 Euro angeordneten Fahrverbot von einem Monat nach Maßgabe des § 25 IIa StVG hat es demgegenüber unter gleichzeitiger Verdoppelung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgeldes von 250 Euro (§ 4 IV BKatV) abgesehen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der StA führte zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das AG.

Aus den Gründen:

Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige, ausweislich der Rechtsmittelbegründung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der StA erweist sich – zumindest vorläufig – als erfolgreich.

1. Zwar hat das AG nicht verkannt, dass ein Absehen von dem gesetzlich angeordneten Regelfahrverbot nach §§ 24 a I, III, 25 I 2 StVG i.V.m. § 4 III BKatV nur in Härtefällen ganz außergewöhnlicher in Betracht kommen kann oder wenn wegen – hier nicht gegebener – besonderer Umstände äußerer oder innerer Art das Tatgeschehen ausnahmsweise aus dem Rahmen einer typischen Ordnungswidrigkeit nach § 24 a I StVG derart herausfällt, dass die Verhängung des Regelfahrverbots als offensichtlich unpassend anzusehen wäre (BGHSt 38,125/134; OLG Saarbrücken VRS 102, 458 ff. sowie schon OLG Bamberg, Beschluss vom 11.03.2005 – 2 Ss OWi 236/05; vgl. auch Hentschel Straßenverkehrsrecht 39. Aufl. § 25 StVG Rn. 18 m.w.N.). Denn anders als bei den Katalogtaten nach § 4 I und II BKatV, in denen ein Fahrverbot lediglich in der Regel „in Betracht“ kommt, ist bei Ordnungswidrigkeiten nach § 24 a StVG gemäß § 25 I 2 StVG i.V.m. § 4 III BKatV in der Regel ein Fahrverbot zu verhängen. Den Gerichten ist deshalb in den Fällen des § 24 a StVG bei der Entscheidung darüber, ob von einem Fahrverbot im Einzelfall ausnahmsweise abgesehen werden kann, ein geringerer Ermessensspielraum eingeräumt. Angesichts des höheren Unrechtsgehalts und der Gefährlichkeit einer derartigen Ordnungswidrigkeit versteht sich die grundsätzliche Angemessenheit eines Fahrverbots regelmäßig von selbst (st.Rspr. des Senats, vgl. zuletzt z.B. Beschluss vom 12.02.2008 – 3 Ss OWi 1776/07).

2. Mit dieser Maßgabe rechtfertigen jedenfalls die bisherigen Feststellungen des AG keine Ausnahme von dem verwirkten Regelfahrverbot:

a) Zwar hat sich das AG zu Recht mit den persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Folgen eines Fahrverbots für den als angestellter Berufskraftfahrer einer Bäckerei tätigen Betr. und seine Familie, darunter zwei minderjährigen Kindern, auseinandergesetzt. Denn der Tatrichter bleibt auch in den Fällen des § 24 a StVG verpflichtet, sich mit den möglichen Folgen eines Fahrverbots für den Betr. auseinanderzusetzen; die Befassung mit dieser Frage gebot vorliegend schon das mit Verfassungsrang ausgestattete rechtsstaatliche Übermaßverbot, nachdem der Betr. eine von einem Fahrverbot ausgehende Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz vorgetragen hat.

b) Es entspricht andererseits ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung, dass Angaben eines Betr., es drohe bei Verhängung eines Fahrverbots der Existenzverlust, nicht ungeprüft übernommen werden dürfen. Vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles auszuschließen. Zugleich wird das Rechtsbeschwerdegericht nur so in die Lage versetzt, die Rechtsanwendung – wenn auch eingeschränkt – nachzuprüfen (vgl. u.a. Senatsbeschlüsse vom 14.12.2005 – 3 Ss OWi 1396/05 = ZfSch 2006, 412 ff.; vom 11.04.2006 – 3 Ss OWi 354/06 = ZfSch 2006, 533 ff. = DAR 2006, 515 f. = VRS 111, 62 ff. = VRR 2006, 230 f. = SVR 2007, 65 f. und vom 12.02.2008 – 3 Ss OWi 1776/07, jeweils mit zahl. weit. Nachw.).

c) Dies ist hier zumindest nicht mit der gebotenen Sorgfalt geschehen. Insbesondere vermag der Senat anhand der Urteilsgründe schon im Ansatz nicht zu übersehen, ob die Feststellungen des AG auf einer hinreichend tragfähigen Beweisgrundlage beruhen. So wird der Inhalt des in Bezug genommenen Schreibens der Arbeitgeberin des Betr. vom 25.07.2007, in welchem dem die deutsche Sprache nur unzureichend beherrschenden Betr. „mit dem Verlust des Arbeitsplatzes gedroht“ wird „für den Fall, dass der Betr. seinen Aufgaben als Kraftfahrer nicht mehr nachzukommen vermag“ in den Urteilsgründen nur in letztlich nicht aussagekräftigen, weil inhaltlich vage anmutenden und möglicherweise verkürzten Thesen (Möglichkeit der Urlaubsgewährung erst „gegen Ende des Jahres“; kategorischer Ausschluss einer – auch nur vorübergehenden bzw. kurzfristigen – anderen Stellenzuweisung innerhalb des Bäckereibetriebs der Arbeitgeberin; „Kündigungsoption“) angedeutet. Schließlich bleibt offen, ob und wie der Inhalt des vom Betr. vorgelegten Schreibens vom 25.07.2007 zum Gegenstand der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung gemacht worden ist.

3. Nach alledem ist nicht auszuschließen, dass das AG seinen Feststellungen zwar nicht ausschließlich die Angaben des Betr., diese im Ergebnis jedoch ohne hinreichende Ausschöpfung sonstiger Beweismittel nur einer an der Oberfläche verbleibenden Plausibilitätsprüfung unterzogen hat. Dies genügt den aus § 267 III StPO in Verbindung mit § 71 I OWiG resultierenden sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Abfassung der Urteilsgründe regelmäßig nicht. Zur kritischen Überprüfung der Einlassung des Betr., namentlich zu Abklärung aller sein Arbeitnehmerverhältnis für den Fall eines Fahrverbots betreffender Fragen, u.a. nach Möglichkeiten der Urlaubsgewährung bzw. teilweisen Freistellung, Vermittlung und Einsatz eines gegebenenfalls von dem Betr. auf den Auslieferungsfahrten als Beifahrer begleiteten und hierbei zugleich einzuarbeitenden Ersatzfahrers oder in Fällen einer auch sonst jederzeit möglichen Erkrankung des Betr., lag vorliegend insbesondere die persönliche Einvernahme des Inhabers bzw. Geschäftsführers des Bäckereibetriebs bzw. eines für diese verantwortlich handelnden Mitarbeiters nahe. Keinesfalls durfte sich das AG insoweit mit der schlichten Kenntnisnahme eines – inhaltlich in den Urteilsgründen wiederum nur unzureichend wiedergegebenen – Schreibens zufrieden geben.

4. Aufgrund des aufgezeigten sachlich-rechtlichen Mangels ist auf die Rechtsbeschwerde der StA das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch sowie in der Kostenentscheidung aufzuheben. Wegen der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Geldbuße betrifft die Aufhebung nicht nur die Fahrverbotsanordnung, sondern den gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen (§ 79 III 1 OWiG, § 353 StPO). Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückverwiesen (§ 79 VI OWiG).

5. Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 V 1 OWiG. Gemäß § 80 a I OWiG entscheidet der Einzelrichter.

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