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Fahrverbot – Existenzgefährdung

Thüringer Oberlandesgericht

Az.: 1 Ss 157/07

Beschluss vom 21.09.2007


Auf die Rechtsbeschwerde wird das Urteil des Amtsgerichts Suhl vom 13.03.2007 im Ausspruch über die Rechtsfolgen mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zur neuen Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Suhl zurückverwiesen.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.

Gründe

I.

Mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle des Thüringer Polizeiverwaltungsamtes vom 17.10.2006 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h eine Geldbuße i.H.v. 80,00 € festgesetzt sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.

Auf den rechtzeitigen Einspruch des Betroffenen beraumte das Amtsgericht Suhl Termin zur Hauptverhandlung an und verurteilte den Betroffenen durch Urteil vom 13.03.2007 wegen der im Bußgeldbescheid vorgeworfenen Tat zu einer Geldbuße von 120,00 € sowie einem Fahrverbot von einem Monat.

Die hiergegen am 16.03.2007 eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen wurde – nach Urteilszustellung am 10.04.2007 – mit am 09.05.2007 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers begründet und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 02.07.2007 beantragt, das angefochtene Urteil – unter Verwerfung der Rechtsbeschwerde im Übrigen – im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Suhl zurückzuverweisen.

Mit Beschluss vom 14.09.2007 ist die Sache gem. § 80a Abs. 3 StPO dem Senat in der Besetzung mit 3 Richtern zur Entscheidung übertragen worden.

II.

Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen vorläufigen Teilerfolg.

a) Das Rechtsbeschwerdevorbringen stellt sich inhaltlich weitgehend als nähere Begründung der allgemeinen Sachrüge dar. Soweit gerügt wird, dass ein Formfehler vorliege, falls das Sitzungsprotokoll nicht unterschrieben sei, ist diese Rüge schon nicht gem. § 344 Abs. 2 StPO in der zulässigen Form erhoben. Im Übrigen können Mängel des Protokolls ohnehin die Rechtsbeschwerde nicht begründen.

Die erhobene Sachrüge zeigt hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf. Die Rechtsbeschwerde war insoweit auf Antrag der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG zu verwerfen.

b) Der Rechtsfolgenausspruch kann hingegen keinen Bestand haben.

Allerdings stellt es keinen Mangel dar, dass das Amtsgericht auf Grund der erheblichen, insbesondere einschlägigen verkehrsrechtlichen Vorbelastungen sowohl die Geldbuße erhöht als auch die Voraussetzungen für den Ausspruch eines Fahrverbots bejaht hat. Hierin liegt keine verbotene Doppelverwertung. Entgegen dem Rechtsbeschwerdevorbringen kommt vorliegend unter Berücksichtigung von Art und Schwere der vom Betroffenen in der Vergangenheit begangenen Verkehrsverstöße auch der Ausspruch eines Fahrverbotes wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs. 1 S. 1 StVG in Betracht. Dem stehen die vom Verteidiger zitierten Entscheidungen des OLG Bamberg vom 23.10.2006 (ZfS 2007, 229) und des BayObLG vom 21.10.1999 (DAR 2000, 39) gerade nicht entgegen. Jenen Entscheidungen lagen verkehrsrechtliche Vorbelastungen zugrunde, bei denen vor allem Bußgelder im unteren Rahmen ausgesprochen worden waren und die überwiegend auch längere Zeit zurücklagen. Dies ist beim Betroffenen aber gerade nicht der Fall. Die letzte, zudem einschlägige Vorbelastung mit dem Ausspruch eines nicht unerheblichen Bußgeldes hatte knapp 2 Monate vor dem verfahrensgegenständlichen Verkehrsverstoß Rechtskraft erlangt.

Jedoch weist das Urteil hinsichtlich des Ausspruchs des Fahrverbotes Rechtsfehler auf, die zur Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch und insoweit zur Zurückverweisung führen.

Die vom Amtsgericht dazu bislang getroffenen Feststellungen sind nämlich lückenhaft und rechtfertigen (noch) nicht die Anordnung des verhängten Fahrverbots.

Das Amtsgericht stellt zu den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen im Urteil fest, dass er sich vor 2 Jahren selbständig gemacht hat und beruflich mit dem Fahrzeug unterwegs ist. Es gibt dann die Einlassung des Betroffenen wieder, dass eine Verhängung eines Fahrverbots für ihn existenzgefährdend sei. In den Ausführungen zu den Rechtsfolgen wird auf die beruflichen Verhältnisse des Betroffenen nicht eingegangen.

Diese Feststellungen des angefochtenen Urteils zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen des Betroffenen sind unzureichend und ermöglichen dem Senat nicht die Prüfung, ob der Ausspruch des Fahrverbotes rechtsfehlerfrei erfolgte.

In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist zwar allgemein anerkannt, dass berufliches Angewiesensein auf den Führerschein grundsätzlich keine Ausnahme vom Ausspruch eines an sich verwirkten Fahrverbotes rechtfertigt. Im Falle wirtschaftlicher Existenzbedrohung kann aber etwas anderes gelten.

Werden von einem Betroffenen Umstände geltend gemacht, aufgrund derer die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen gefährdet bzw. ernsthaft bedroht ist, trifft das Gericht eine Aufklärungspflicht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 31.01.1996, 2 ObOWi 14/96 bei Juris; OLG Köln VRS 99, 288, 290; OLG Koblenz ZfS 2001, 476).

Ebenso wenig wie der Tatrichter entlastende Angaben eines Betroffenen, der sich auf das Vorliegen einer persönlichen Ausnahmesituation beruft, ohne weiteres – und ohne jegliche Begründung im Urteil – einfach als glaubhaft hinnehmen darf (vgl. OLG Stuttgart, NZV 1994, 371), darf er eine solche Einlassung ohne eine für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbare Begründung als widerlegt ansehen (BayObLG, Beschluss vom 31.01.1996, 2 ObOWi 14/96 bei Juris.) bzw. völlig übergehen. Derartige Feststellungen fehlen vorliegend. Das Amtsgericht war aber gehalten, im Rahmen seiner Aufklärungspflicht nach § 77 Abs. 1 OWiG das Vorbringen des Betroffenen auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Es hatte weiterhin bei der Rechtsfolgenbemessung zu erörtern, ob wegen einer ggf. vorliegenden „erheblichen Härte“ ein Absehen von einem Fahrverbot in Betracht kommen konnte.

Der vorliegende Aufklärungsmangel war, da er sich bereits aus dem Urteil selbst ergibt, nicht erst im Rahmen einer ordnungsgemäß erhobenen Aufklärungsrüge zu berücksichtigen, sondern bereits auf die erhobene allgemeine Sachrüge, da dieser Aufklärungsmangel zugleich einen sachlich-rechtlichen Mangel begründet.

Im Übrigen stellt die Verfahrensweise des Gerichts sich mit dem Vorbringen des Betroffenen, der Ausspruch eines Fahrverbotes sei für ihn existenzgefährdend, in keiner Weise im Urteil auseinander zu setzen, eine Verletzung des Anspruchs des Betroffenen auf rechtliches Gehör dar.

Aus den genannten Gründen kann die Verhängung des Fahrverbotes keinen Bestand haben. Wegen der bestehenden Wechselwirkung zwischen dem Fahrverbot und der Bemessung der Geldbuße war der Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung an die Vorinstanz zurückverwiesen, der auch die Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde vorbehalten bleibt.

Für die neue Hauptverhandlung wird auf Folgendes hingewiesen:

Bei Feststellung der verkehrsrechtlichen Vorbelastungen sollten, um eine umfassende Prüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, auch die Tatzeiten mitgeteilt werden. Sollte sich der Betroffene auf ein Augenblicksversagen berufen, so wird auch dies im Rahmen der Prüfung eines Fahrverbotes zu erörtern sein.

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