OLG Bamberg
Az.: 3 Ss OWi 1576/12
Beschluss vom 23.11.2012
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 23. August 2012 dahin abgeändert, dass die Anordnung des Fahrverbots entfällt.
II. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sowie die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 23.08.2012 wegen einer als Führer eines Pkw mit Anhänger am 22.05.2012 fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit des unzulässigen Überholens (§§ 5 Abs. 3 Nr. 2, 49 Abs. 1 Nr. 5 StVO i.V.m. Zeichen 276 mit Zusatzzeichen) zu einer Geldbuße von 140 Euro verurteilt sowie gegen den Betroffenen – in Übereinstimmung mit dem Bußgeldbescheid – ein mit der Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG verbundenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats verhängt. Mit seiner aufgrund der wirksamen, nämlich schon mit Einlegung erklärten Einspruchsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch nur noch diesen betreffenden Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde erweist sich als erfolgreich, weil das Amtsgericht zum Nachteil des Betroffenen zu Unrecht einen wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne der §§ 24, 25 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., 26 a StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV gleichzusetzenden beharrlichen Pflichtenverstoß angenommen hat.
1. Von Beharrlichkeit im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG ist auszugehen bei Verkehrsverstößen, die zwar objektiv (noch) nicht zu den groben Zuwiderhandlungen zählen (Erfolgsunwert), die aber durch ihre zeit- und sachnahe wiederholte Begehung erkennen lassen, dass es dem Täter subjektiv an der für die Straßenverkehrsteilnahme notwendigen rechtstreuen Gesinnung und Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt, so dass er Verkehrsvorschriften unter Missachtung einer oder mehrerer Vorwarnungen wiederholt verletzt (Handlungsunwert). Auch eine Häufung nur leicht fahrlässiger Verstöße kann unter diesen Umständen mangelnde Rechtstreue offenbaren (BGHSt 38, 231/234 f; BayObLGSt 2003, 132/133 sowie st.Rspr. des Senats; zu den Voraussetzungen im Einzelnen rechtsgrundsätzlich OLG Bamberg NJW 2007 3655 f. = zfs 2007, 707 f. sowie OLGSt StVG § 25 Nr. 36 = VRR 2007, 318 f. [Deutscher]; vgl. auch OLG Bamberg DAR 2010, 98 f. = OLGSt StVG § 25 Nr. 47; DAR 2011, 399 f. und zuletzt DAR 2012, 152 ff., jeweils m.w.N.).
a) Die Anordnung eines Fahrverbots wegen eines hier allein in Betracht kommenden beharrlichen Pflichtenverstoßes außerhalb eines Regelfalls im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ist wegen der Vorahndungslage des Betroffenen angezeigt, wenn der (neuerliche) Verkehrsverstoß zwar die Voraussetzungen des Regelfalls nicht erfüllt, jedoch wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV gleichzusetzen ist. Ungeachtet der schon angesichts des vom Betroffenen (allein) verfolgten Einspruchsziels denkbar knappen Ausführungen scheint auch das Amtsgericht von diesem Maßstab jedenfalls zutreffend ausgegangen zu sein.
b) Insbesondere kommt dem Zeitmoment, wie sich § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV entnehmen lässt, Bedeutung für das Vorliegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes insoweit zu, als der Zeitablauf zwischen den jeweiligen Tatzeiten (Rückfallgeschwindigkeit) und des jeweiligen Eintritts der Rechtskraft zu berücksichtigen ist. Daneben sind insbesondere Anzahl, Tatschwere und Rechtsfolgen früherer und noch verwertbarer Verkehrsverstöße im Einzelfall zu gewichten (OLG Bamberg a.a.O.).
c) Der Begriff der Beharrlichkeit ist prinzipiell nicht nur losgelöst von der konkreten Schuldform zu bestimmen. Das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzung eines Fahrverbots, darunter die Wertung eines Pflichtenverstoßes als beharrlich im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, ist auch unabhängig von dem gegebenenfalls auf einer späteren Stufe zu erörternden Eingreifen des Übermaßverbotes mit der Folge eines ausnahmsweisen Wegfalls des Fahrverbots zu beurteilen (OLG Bamberg a.a.O.).
2. Nach diesen Maßstäben kann hier anhand der seitens des Amtsgerichts seiner Rechtsfolgenbemessung zugrunde gelegten Vorahndungen des Betroffenen noch nicht von einem wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV gleichzusetzenden Pflichtenverstoß ausgegangen werden:
a) Gegen den Betroffenen wurde zuletzt wegen einer am 15.09.2010 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h eine Geldbuße von 160 Euro verhängt; Rechtskraft trat am 15.10.2010 ein. Jeweils wegen unerlaubter Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons (Tatzeiten: 13.09.2010, 16.04.2009 und 16.12.2008) waren gegen den Betroffenen ferner jeweils Geldbußen von 40 Euro verhängt worden; Rechtskraft trat insoweit am 14.10.2010, 23.05.2009 bzw. am 20.01.2009 ein. Wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h (Tatzeit: 29.12.2008), eines (einfachen) Rotlichtverstoßes (Tatzeit: 17.03.2008) sowie weiteren außerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 21 km/h (Tatzeit: 07.12.2007) wurden überdies gegen den Betroffenen weitere Geldbußen über 150 Euro, 50 Euro und 40 Euro festgesetzt; Rechtskraft trat wegen dieser Taten am 13.02.2009, 12.04.2008 bzw. 26.02.2008 ein.
b) Zwar ergibt sich hieraus, dass der Betroffene in einem Zeitraum von knapp 4 % Jahren in 7 Fällen verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist und deshalb jeweils mit Geldbußen geahndet wurde. Andererseits war im verfahrensgegenständlichen Tatzeitpunkt am 22.05.2012 seit Rechtskraft der letzten Vorahndung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h immerhin schon ein Zeitraum von gut 1 Jahr und 7 Monaten vergangen, wobei der ‚Richtwert‘ von 26 km/h (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV) bislang nur in einem Fall überschritten wurde und zwischen dem Rechtskrafteintritt dieser Vorahndung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h und dem verfahrensgegenständlichen Tatzeitpunkt ein Zeitraum von schon deutlich über 3 Jahren liegt. Für den ersten Geschwindigkeitsverstoß und den Rotlichtverstoß beträgt dieser Zeitraum sogar jeweils mehr als 4 Jahre.
c) Diese Vorahndungssituation des Betroffenen rechtfertigt bei der gebotenen Gesamtbetrachtung noch nicht den Schluss, das Gewicht des verfahrensgegenständlichen Überholverstoßes entspreche wertungsmäßig demjenigen eines Regelfalls im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV. Da sonstige Feststellungen für einen beharrlichen Pflichtenverstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, etwa für die Annahme eines auch subjektiv auf Gleichgültigkeit beruhenden besonders verantwortungslosen Verkehrsverhaltens des Betroffenen, nicht getroffen wurden, kann die Fahrverbotsanordnung keinen Bestand haben.
d) Hieran vermögen schließlich auch die 1 Jahr und 8 Monate, gut 3 Jahre und fast 3 % Jahre zurückliegenden und vom Amtsgericht für die Anordnung des Fahrverbots als ausschlaggebend gewerteten („insbesondere“) verbotswidrigen vorsätzlichen Benutzungen eines Mobil- oder Autotelefons und ihre jeweilige Regelahndung mit einem Bußgeld über 40 Euro nichts zu ändern, zumal insoweit regelmäßig von vorsätzlicher Tatbestandsverwirklichung auszugehen ist (treffend: OLG Hamm, Beschluss vom 20.04.2007 – 2 Ss OWi 227/07 [bei juris] = VRS 113, 75 ff. = VerkMitt 2007, Nr. 98; vgl. auch Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 3. Aufl., Rn. 1988 m.w.N.). Zwar kann ein wiederholter Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO im Einzelfall die Anordnung eines Fahrverbots wegen einer beharrlichen Pflichtenverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 StVG rechtfertigen (OLG Thüringen DAR 2007, 157/158 = VRS 111, 205 ff. sowie eingehend OLG Bamberg NJW 2007, 3655 f. = NZV 2008, 48 f. = zfs 2007, 707 f. = VRR 2008, 36 f. [Gieg]; Burhoff Rn. 1991), jedoch darf hierbei – wie auch sonst – das schon oben angesprochene Zeitmoment nicht aus den Augen verloren werden.
3. Demgegenüber besteht für den Senat keine Veranlassung, die festgesetzte Geldbuße zu reduzieren. Das Amtsgericht durfte aufgrund der Vorahndungen des Betroffenen die Verhängung lediglich der Regelbuße als offensichtlich unzureichende Rechtsfolge ansehen und deshalb die Regelgeldbuße verdoppeln.
III.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 3 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG. Wegen der Wechselwirkung von Fahrverbot und Geldbuße kam eine weitergehende Einspruchsbeschränkung nur auf die Frage der Fahrverbotsanordnung aus Rechtsgründen nicht in Betracht (vgl. hierzu eingehend Burhoff/G/eg Rn. 694 m.w.N.). Da der Betroffene sein von vornherein ausdrücklich erklärtes Rechtsschutzziel, nämlich den Wegfall des Fahrverbots, erreicht hat, erweist sich die Rechtsbeschwerde als in vollem Umfang erfolgreich, so dass der Staatskasse die Kosten und notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen waren (KK/G/eg StPO 6. Aufl. § 473 Rn. 6 m.w.N.).
Gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.