Oberlandesgericht Hamm
Az: 4 Ss OWi 690/06
Beschluss vom 30.10.2006
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Coesfeld vom 7. Juli 2006 hat der 4. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 10. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen mit der Maßgabe verworfen, dass die Geldbuße auf 375,- EUR festgesetzt wird.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 79 km/h eine Geldbuße von 525,- EUR sowie ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten unter Zubilligung der Möglichkeit des § 25 Abs. 2 a S. 1 StVG festgesetzt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die ausschließlich die Verhängung des Fahrverbotes als unverhältnismäßig rügt. Als Produzent des Chinesischen Nationalzirkus sei er im Jahr ca. 100.000 km unterwegs, wobei er einen Laptop, Plakate, Flyer und Veranstaltungsprogramme transportieren müsse, was mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht möglich sei. Da es sich bei ihm mehr oder weniger um eine „Ein-Mann-Firma“ handele, sei ein Delegieren von Aufgaben nicht möglich. Ein dreimonatiges Fahrverbot sei daher geeignet, ihn existenziell zu vernichten.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Coesfeld zurückzuverweisen.
Die höchst zulässige Geldbuße im Falle fahrlässiger Begehung betrage 500,- EUR. Im Übrigen lasse das Urteil eine Erörterung der wirtschaftlichen Verhältnisse und eine hinreichende Auseinandersetzung mit der Möglichkeit, im Hinblick auf eine drohende Existenzvernichtung von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen, vermissen.
II.
Das zulässige, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsmittel bleibt weitgehend erfolglos.
Soweit die vom Amtsgericht festgesetzte Geldbuße – gestützt auf mehrere Vorbelastungen des Betroffenen – das zulässige Höchstmaß im Falle fahrlässigen Handelns überschreitet, hat der Senat unter Berücksichtigung der an sich zwischenzeitlich eingetretenen Tilgungsreife auf die Regelbuße von 375,- EUR erkannt. Anzumerken bleibt in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Annahme lediglich fahrlässigen Handelns bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von nahezu 100 % erheblichen Bedenken unterliegt. Insoweit handelt es sich aber um einen Rechtsfehler zugunsten des Betroffenen, der hier unbeachtlich ist.
Soweit nähere Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen fehlen, liegt zwar ein Rechtsfehler vor, der jedoch nicht zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht nötigt. Anhaltspunkte dafür, dass dem Betroffenen, der es sich nach eigenen Angaben leisten kann, 100.000 km pro Jahr mit seinem Fahrzeug zurückzulegen, und der mit dem Chinesischen Nationalzirkus eine Attraktion für ein Großpublikum mit entsprechendem Umsatz produziert, die sofortige Zahlung einer Geldbuße von jetzt nur noch 375,- EUR nicht zuzumuten ist (§ 18 OWiG), lassen sich weder dem Urteil noch dem Rechtsbeschwerdevorbringen entnehmen, das gegen die Höhe der vom Amtsgericht verhängten ursprünglichen Geldbuße in Höhe von 525,- EUR keine Einwendungen erhebt.
Gegen die Verhängung des dreimonatigen Fahrverbots ist im Ergebnis ebenfalls nichts zu erinnern.
Zwar sind die Ausführungen des Amtsgerichts dazu äußerst knapp und formelhaft. Der Senat kann jedoch auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen und des Beschwerdevorbringens selbst entscheiden, § 79 Abs. 6 OWiG.
Die BKatV sieht als Regelsanktion bei einem derart groben Verstoß wie dem vorliegenden ein Fahrverbot von drei Monaten vor. Davon kann – aus Gleichbehandlungsgründen – nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der verfassungsgerichtlichen Vorgaben nur in Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normalfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist und die Verhängung des Fahrverbots trotz des groben bzw. beharrlichen Pflichtverstoßes unangemessen wäre (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 25 StVG Randnummern 24 f m.w.N.). Einen solchen Ausnahmefall können z.B. der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder der sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage begründen (vgl. OLG Hamm, VRS 92, 369). Eine derartige Existenzgefährdung lässt sich hier jedoch weder den knappen Urteilsgründen noch der Rechtsbeschwerdebegründung entnehmen. Der Chinesische Nationalzirkus gastiert üblicherweise in größeren Städten, die von Münster aus problemlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind. Der Transport der von dem Betroffenen genannten Gegenstände ist, falls Umfang und Gewicht eine Mitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln ausschließen sollten, mit Unternehmen wie UPS und DHL auch kurzfristig zu bewerkstelligen. Im Übrigen lässt die vage Behauptung des Betroffenen, es handele sich „mehr oder weniger“ um einen „Ein-Mann-Betrieb“, die Möglichkeit offen, dass sich der Betroffene zumindest zeitweise der Hilfe eines Mitarbeiters bedienen kann, der evtl. auch als Fahrer zur Verfügung steht. Schließlich kann sich der Betroffene auf die diversen modernen Kommunikationstechniken stützen, die in dem von ihm betriebenen Gewerbe des Veranstaltungsmanagements die ständige jeweilige Anwesenheit vor Ort entbehrlich machen. Letztlich sind auch die Anmietung eines Aushilfsfahrers, die Inanspruchnahme von Urlaub oder der Regelung des § 25 Abs. 2 a S. 1 StVG geeignet, die nachteiligen Folgen des Fahrverbots für den Betroffenen jedenfalls zeitweise abzumildern. Der ggf. zeitlich und finanziell anfallende Mehraufwand für die Dauer des Fahrverbots ist als selbstverschuldete Folge des groben Verkehrsverstoßes von dem Betroffenen hinzunehmen und kann ein Absehen von der hier als Denkzettel gebotenen fühlbaren Sanktion nicht rechtfertigen.
III.
Die Rechtsbeschwerde war daher auf Kosten des Betroffenen (§§ 473 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG), der sein mit der Rechtsbeschwerde verfolgtes Ziel nicht erreicht hat, zu verwerfen.