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beharrliches Fehlverhalten im Straßenverkehr – Wertung durch Tatrichter

BayObLG

Az: 2 ObOWi 484/03

Beschluss vom 29.10.2003


Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 25 km/h zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt. Ferner hat es ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet.

Hiergegen richtete sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der dieser geltend macht, das Amtsgericht sei zu Unrecht von einem beharrlichen Fehlverhalten i.S. des § 25 Abs.1 Satz 1 StVG ausgegangen. Einem im Verkehrszentralregister zu Lasten des Betroffenen vermerkten rechtskräftigen Bußgeldbescheid liege in Wahrheit nicht ein Verkehrsverstoß des Betroffenen, sondern seines Vaters zugrunde. Obwohl dieser als Zeuge im vorliegenden Ordnungswidrigkeitsverfahren seine damalige Täterschaft bestätigt habe, habe das Amtsgericht die Vorahndung zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt.

Die gemäß § 79 Abs.1 Satz 1 Nr.2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hatte mit der Sachrüge Erfolg.

Gründe:

1. Nach den im Verkehrszentralregister vermerkten rechtskräftigen und noch nicht tilgungsreifen Vorahndungen läge zwar ein beharrliches Fehlverhalten i.S. des § 25 Abs.1 Satz 1 StVG vor, da gegen den Betroffenen jeweils in kürzeren Zeitabständen als zwei Jahren (vgl. BayObLG DAR 1992, 468; OLG Hamm VRS 1998, 392/394) wegen Geschwindigkeitsverstößen von 25 und 22 km/h Geldbußen von 80 DM und 100 Euro verhängt werden mussten.

Das Gesamtverhalten des Betroffenen wäre auch ebenso zu gewichten wie der gesetzlich in § 4 Abs.2 Satz 2 BKatV normierte Regelfall (vgl. BayObLG DAR 1995, 300). Daher wäre auch die Verhängung des Fahrverbots nicht unverhältnismäßig: Soweit der Betroffene nunmehr lediglich 25 km/h – jedoch innerorts – zu schnell fuhr, wiegt dies, wie sich aus Anl.11.3.4 zum Bußgeldkatalog ergibt, ebenso schwer wie ein Geschwindigkeitsverstoß außerhalb geschlossener Ortschaft von mehr als 26 km/h (vgl. 11.3.5 der Anlage). Nach den rechtskräftigen Bußgeldbescheiden hat der Betroffene zwar im letzten Jahr vor der Tat nur eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 22 km/h begangen und nicht eine solche von 26 km/h. Dies würde aber dadurch ausgeglichen, dass gegen ihn wegen einer weiteren zusätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung (vom 23.10.2001) von 25 km/h ein Bußgeld verhängt werden musste. Zudem wurde der Verstoß von 22 km/h bereits mit einer erhöhten Geldbuße von 100 Euro geahndet.

2. Soweit das Amtsgericht allerdings trotz der erhobenen Einwendungen zur Täterschaft für die Verhängung eines Fahrverbotes nach § 25 Abs.1 StVG allein darauf abgestellt hat, dass diese Vorahndungen gegen den Betroffenen ergangen sind, hält seine Begründung einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Das Amtsgericht hat dazu ausgeführt:

„Der Betroffene kann sich auch nicht dahingehend einlassen, die Entscheidung vom 24.4.01 sei ihm gegenüber zu Unrecht ergangen, da er damals nicht gefahren sei.

Der Betroffene hat in Kenntnis des Umstandes, dass er hier als Betroffener im Verkehrszentralregister eingetragen wird, weitere Verkehrsordnungswidrigkeiten begangen. Er hat auch die erhöhte Geldbuße der Entscheidung vom 30.1.02, rechtskräftig seit 19.2.02, gegen sich gelten lassen.“

b) Trotz materieller Rechtskraftwirkung des Bußgeldbescheids (Göhler OWiG 13.Aufl. § 84 Rn.1; KK-Steindorf OWiG 2.Aufl. § 84 Rn.2; Meyer-Goßner StPO 46.Aufl. § 410 Rn.12) steht gleichwohl nicht fest, dass der Betroffene tatsächlich die darin bezeichnete Tat begangen hat, sondern nur, dass wegen dieser Tat gegen ihn ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid mit den dort genannten Rechtsfolgen ergangen ist (vgl. Löwe/Rosenberg/Rieß StPO 25.Aufl. Einl. J Rn.103; BGHSt 43,106). Selbst Feststellungen rechtskräftiger Urteile zu einem früheren Tatgeschehen binden den neu entscheidenden Tatrichter nicht (Meyer-Goßner StPO 46.Aufl. Einl. Rn.170). Daher dürfen im Strafverfahren Feststellungen zu Einzelheiten von Vorverurteilungen nur nach erneuter Überprüfung übernommen werden. Dazu kann, sofern keine durchgreifenden Beanstandungen erhoben werden, auch eine Verlesung der Vorverurteilung ausreichen (BGH aaO S.108).

c) Für Zwecke der Strafzumessung kann es vielfach zwar ausreichen, allein auf die Warnwirkung der als solcher rechtskräftig feststehenden Verurteilung abzustellen, deren Missachtung bei der Begehung der neuen Tat einen Strafschärfungsgrund bildet (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51.Aufl. § 46 Rn.38; BGH aaO). Für die Annahme der beharrlichen Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers nach § 25 Abs.1 StVG ist jedoch nicht allein die rechtskräftige Vorahndung, deren Warnwirkung der Betroffene missachtet, von rechtlicher Bedeutung. Hinzu kommen muss vielmehr, dass eine erneute Pflichtverletzung vorliegt, obwohl der Betroffene bereits früher in zeit- und sachnaher Weise gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hat (Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 17.Aufl. § 25 StVG Rn.11; Hentschel Straßenverkehrsrecht 37.Aufl. § 25 StVG Rn.15). Die mehrfachen Pflichtverletzungen müssen also vom Betroffenen tatsächlich begangen worden sein.

d) Auch aus § 3 Abs.4 Satz 2 2.Halbsatz StVG ergibt sich nichts anderes. Diese Vorschrift ist ersichtlich auf die besonderen Gegebenheiten des Verwaltungsverfahrens zum Entzug der Fahrerlaubnis zugeschnitten und enthält ebenso wie die gesetzliche Fiktion der Nichteignung in § 4 Abs.3 Ziff.3 StVG (die gleichfalls formal allein auf das Vorliegen einer bestimmten Anzahl von Punkten abstellt) eine Sonderregelung, welche auf § 25 Abs.1 StVG nicht übertragbar ist, auch wenn diese Vorschrift nur zu einem Eingriff von geringerem Gewicht führt.

Selbst wenn man aber eine Übertragbarkeit annehmen wollte, könnte diese jedenfalls nicht zum Nachteil des Betroffenen erfolgen, da es auch im Bußgeldverfahren wegen des Analogieverbotes nicht zulässig ist, eine Nebenfolge zu verhängen, die nur unter anderen Voraussetzungen vom Gesetz vorgesehen ist (vgl. Göhler OWiG 13.Aufl. § 3 Rn.9).

Unabhängig von diesen Erwägungen ist selbst für den Anwendungsbereich des § 3 Abs.4 StVG anerkannt, dass gleichwohl gewichtige Anhaltspunkte gegen die Richtigkeit der den dort genannten Strafurteilen ect. entnehmbaren Sachverhalte zu berücksichtigen sind (Janiszewski aaO § 3 StVG Rn.12; Hentschel Straßenverkehrsrecht aaO § 3 StVG Rn.26; BVerwG VRS 84, 79).

e) Daher kann, solange der Gesetzgeber zur Annahme einer beharrlichen Tat die Begehung mehrerer Verstöße gegen Verkehrsvorschriften und nicht lediglich die Missachtung früherer Vorahndungen fordert, nicht allein deren Warnwirkung ausreichen, mag dies auch unter den Bedingungen des Verkehrsbußgeldverfahrens als Massenverfahren (vgl. BGHSt 39, 291/299) dem Bestreben auf Vereinfachung des Verfahrensganges zuwiderlaufen.

In der Regel wird es jedoch auch zur Feststellung der Täterschaft früherer Verkehrsverstöße genügen, diese den Eintragungen des Verkehrszentralregisters zu entnehmen. Nur falls der Betroffene mit näherer Begründung in Abrede stellt, diese Taten begangen zu haben, wird der Tatrichter dazu erneut eine Überzeugung gewinnen müssen. Diese kann er regelmäßig bereits aus den vorliegenden Gründen der Vorverurteilung oder aus der Tatsache, dass der Bußgeldbescheid ohne Einspruch hingenommen wurde, entnehmen. Bringt der Betroffene allerdings Einwände, die geeignet sind, diese Überzeugung in Zweifel zu ziehen, kann es erforderlich sein, gegebenenfalls aufgrund einer Beweisaufnahme, diese Zweifel näher zu überprüfen. Dabei unterliegt es der freien Beweiswürdigung des nunmehrigen Richters, ob er sich trotz der vorgebrachten Einwendungen bzw. der nunmehr erhobenen Beweise angesichts der für die Täterschaft sprechenden Umstände (Hinnahme des Bußgeldbescheides, Geständnis in früherer Verhandlung, Feststellungen und Beweiswürdigung des früheren Urteils zur Täterschaft z.B. Lichtbild aus der Verkehrsüberwachung) von dieser zu versichern vermag.

Die bloße Behauptung des Betroffenen, nicht der Täter gewesen zu sein, wird allerdings für hinreichende Zweifel nicht ausreichen. Bei der Wertung der Glaubwürdigkeit von Zeugen, die nunmehr aussagen, die seinerzeitige Tat begangen zu haben, wird auch zu würdigen sein, ob diese Zeugen durch ihr Eingeständnis noch wegen dieser Tat verfolgt werden können oder Gefahr laufen insoweit einer möglicherweise unrichtigen Aussage überführt zu werden.

3. Da die angefochtene Entscheidung eine Würdigung der für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände nicht enthält, vermag der Senat über die Rechtsbeschwerde nicht abschließend zu entscheiden. Die Sache wird daher zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen.

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