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Festsetzungsverjährung durch den Beginn einer Außenprüfung gehemmt?

FG Sachsen-Anhalt

Az: 1 K 1187/03

Urteil vom 27.05.2004


In dem Rechtsstreit wegen einheitlicher und gesonderter Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1996 hat das Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt – 1. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27. Mai 2004 für Recht erkannt:

Der Bescheid über die einheitliche und gesonderte Feststellung vom 06. Juni 2002 und der Einspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 werden aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darum, ob der Ablauf der Festsetzungsverjährung durch den Beginn einer Außenprüfung gehemmt wurde.

Am 21. Dezember 2001 erging gegen die Klägerin eine Prüfungsanordnung (u.a. für die Gewinnfeststellung 1996). Darin wurde als tatsächlicher Beginn der Außenprüfung der 28. Dezember 2001 genannt. Es hieß darin weiter, die Prüfung finde grundsätzlich in den Geschäftsräumen des Steuerpflichtigen statt. Im Dezember 2001 hatte der Steuerberater der Klägerin Unterlagen an den Prüfer gesandt. Dies resultierte offensichtlich daraus, dass diese Unterlagen zuvor im Rahmen einer Außenprüfung bei der B GmbH abgefordert, aber nicht übersandt worden waren. In der Betriebsprüfungs-Arbeitsakte, welche der Beklagte vorgelegt hat, ist vermerkt, dass der Prüfer am 28. Dezember 2001 um 08:00 Uhr an Amtsstelle mit der Prüfung begonnen habe.

Am 06. Juni 2002 erließ der Beklagte einen geänderten Feststellungsbescheid. Hiergegen legte die Klägerin Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 11. Juni 2003 als unbegründet zurückwies, da noch keine Fristsetzungsverjährung eingetreten sei. Durch den Prüfungsbeginn im Amt sei eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) eingetreten. Der Prüfer hat zu dem Einspruch Stellung genommen und geäußert, dass er sich mit dem Steuerberater der Klägerin telefonisch darauf geeinigt habe, die Prüfung am 28. Dezember 2001 im Amt zu beginnen und sich im folgenden Jahr erneut zu verständigen. Aus der Betriebsprüfung-Arbeitsakte ergibt sich darüber hinaus, das am 20. Dezember 2001 ein Telefonat zwischen Steuerberater Giesecke und dem Prüfer Klemm stattfand. Es heißt in einem dazu gefertigten Vermerk zusammenhanglos: „Verschiebung Prüfungsbeginn vom 28.12.01 bei GbR und GmbH auf nächstes Jahr“.

Mit der am 10. Juli 2003 bei Gericht eingegangenen Klage macht die Klägerin weiterhin geltend, dass lediglich Scheinhandlungen vorliegen würden und dass der angebliche Prüfungsbeginn im Amt nicht geeignet sei, den Ablauf der Festsetzungsverjährung zu hemmen. Die Klägerin habe im Jahre 1997 die Steuererklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung abgegeben. Damit sei die vierjährige Festsetzungsfrist am 31. Dezember 2001 abgelaufen. Der Änderungsbescheid habe im Jahre 2002 nicht mehr ergehen dürfen. Im Streitfall habe die Festsetzungsstelle die Sachbearbeitung faktisch auf die Außenprüfung verlagert. Es seien im Jahre 2001 noch keinerlei Prüfungshandlungen erkennbar gewesen.

Die Klägerin beantragt, den geänderten Feststellungsbescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 06. Juni 2002 unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 11. Juni 2003 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er meint, dass ein persönliches Erscheinen des Prüfers beim Steuerpflichtigen nicht erforderlich sei, weil die Vornahme der Prüfungshandlungen für den Betroffenen nicht erkennbar sein müsse. Die Ablaufhemmung sei somit auch durch den Prüfungsbeginn an Amtsstelle eingetreten, so dass der geänderte Feststellungsbescheid habe ergehen dürfen.

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten einen Erörterungstermin durchgeführt. Der Senat hat sodann Beweis erhoben durch Vernehmung des Steueroberinspektors Andreas
Klemm als Zeugen. Auf die Terminsniederschriften vom 20. November 2003 und vom 27. Mai 2004 wird Bezug genommen.

Dem Senat haben die vom Beklagten für die Klägerin geführten Einspruchsakten und Betriebsprüfungs-Arbeitsakten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Er hätte nicht ergehen dürfen, weil zum Zeitpunkt seines Erlasses bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war (§ 169 Abs. 1 S. 1 AO). Danach ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Diese beträgt 4 Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Sie begann mit Ablauf des Jahres 1997, denn die Klägerin hat unstreitig im Jahre 1997 die Feststellungserklärung für das Streitjahr abgegeben (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die Festsetzungsfrist ist somit am 31. Dezember 2001 abgelaufen.

Es ist keine Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 4 S. 1 AO eingetreten, denn der Beklagte hat nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung bei der Klägerin begonnen. Auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme konnte der Senat nicht die Überzeugung gewinnen, dass mit der Prüfung – wie vom Beklagten behauptet – am 28. Dezember 2001 an Amtsstelle des Beklagten begonnen wurde. Die Beweisaufnahme hat insoweit zu einem non liquet geführt.

Der Eintritt der Ablaufhemmung setzt den Beginn der Außenprüfung voraus. Die höchstrichterliche Rechtsprechung verlangt für eine Ablaufhemmung durch den Beginn einer Außenprüfung, dass eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde und tatsächlich Prüfungshandlungen für die in der Prüfungsanordnung genannten Steuerarten und Besteuerungszeiträume vorgenommen wurden.

Der Prüfer muss ernsthaft mit der Prüfung begonnen haben. Die pauschale Behauptung des Finanzamts, der Prüfer habe sich an der Amtsstelle mit den im Finanzamt bereits vorhandenen Akten befasst, kann für die Annahme des Beginns einer Außenprüfung nicht genügen. Das Aktenstudium an der Amtsstelle kann den Beginn einer Außenprüfung nur dann darstellen, wenn dessen Gegenstand nachweislich die konkreten Verhältnisse des zu prüfenden Betriebes gewesen sind (BFH-Urteil vom 24. April 2003, VII R 3/02, BFH/NV 2003, 1237; Rüsken in Klein, 7. Auflage, § 171 AO Rz. 45; Kruse in Tipke/Kruse, 16. Auflage, § 171 AO Rz. 37). Der Zeuge Klemm hat bekundet, er könne sich an den Verlauf des 28. Dezember 2001 nicht mehr erinnern. Auch aus dem in Kopie vorgelegten Beschäftigungstagebuch ergibt sich gerade nicht, dass der Kläger sich mit dem Prüfungsfall der Klägerin befasst hat. Vielmehr verzeichnet das Beschäftigungstagebuch, dass der Kläger einen Bericht über eine Prüfung bei der Stadt Thale efertigt hat. Die Zeugenaussage des Prüfers lässt nach Ansicht des Senats offen, ob der Zeuge tatsächlich am 28. Dezember 2001 mit konkreten Prüfungshandlungen begonnen hat. Es mag zwar sein, dass – wie der Zeuge bekundet hat – er an dem bewussten Freitag zur Prüfung herausgefahren wäre, wenn er nicht die Unterlagen erhalten hätte. Entscheidend ist nicht, dass es eine relative Kleinigkeit gewesen sein mag, die vorliegenden Unterlagen zu prüfen, wobei der Zeuge glaubhaft mitgeteilt hat, dass es sich darum handelte, zweifelhafte Buchungen nachzuvollziehen, welche sich tatsächlich als Luftbuchungen erwiesen. Insoweit hat der Zeuge bekundet, es sei nur eine kurze Klärung im Konto von Nöten gewesen. Der Zeuge hat jedoch mehrfach betont, dass er nicht zu sagen vermöge, ob diese Klärung tatsächlich am 28. Dezember vorgenommen worden ist. Dabei verkennt der Senat nicht, dass sich der Zeuge des Verjährungsproblems bewusst gewesen ist, wie er auch eingeräumt hat. Jedoch wertet der Senat dies nicht als ausreichendes Indiz dafür, dass der Zeuge die Unterlagen tatsächlich am 28. Dezember 2001 oder zuvor geprüft hat. Jedenfalls gehen die bestehenden Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht zu Lasten der Finanzbehörde, denn diese trägt deshalb die objektive Feststellungslast für die Frage der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO, weil die Ermächtigung zum Erlass des Änderungsbescheides hiervon abhängt und weil die objektive Feststellungslast für die tatsächlichen Voraussetzungen einer Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist die Finanzbehörde zu tragen hat. Sie ist es schließlich, die sich auf einen steuerbegründenden Ausnahmetatbestand beruft.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruhen auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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