Haftungsfragen bei Hundebiss: Wer ist der wahre Tierhalter und wie wird Mitverschulden bewertet?
Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Beschluss vom 19. Dezember 2022 (Az.: 7 U 54/22) einen Fall behandelt, der sich mit der Haftung bei einem Hundebiss beschäftigt. Im Kern ging es um die Frage, wer als Tierhalter gilt, wenn ein Minderjähriger Eigentümer des Hundes ist, aber die Mutter die Kosten trägt. Zudem wurde die Problematik behandelt, wie bei einem Hundebiss das Mitverschulden des Geschädigten zu bewerten ist, wenn unklar ist, welcher der beiden beteiligten Hunde zugebissen hat.
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Übersicht:
Wer ist der wahre Tierhalter?
Das Gericht stellte fest, dass die Tierhaltereigenschaft nicht nur vom Eigentum am Tier abhängt, sondern auch davon, wer die „Unternehmerrolle“ im mit der Tierhaltung verbundenen Gefahrenbereich innehat. In diesemFall war die Mutter der Minderjährigen als Kostenträgerin auch als Tierhalterin anzusehen. Das Gericht folgte damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und betonte, dass die wesentliche Bestimmungsgewalt über das Tier und die Kostenübernahme entscheidende Faktoren sind.
Unklarheit über den Angreifer als Haftungshürde?
Ein weiterer Aspekt des Falles war die Unklarheit darüber, welcher der beiden Hunde – der der Klägerin oder der der Beklagten – tatsächlich zugebissen hatte. Das Gericht entschied, dass diese Unklarheit der Feststellung der Verwirklichung der Tiergefahr nicht entgegensteht. Da der Biss während einer Interaktion zwischen den beiden Hunden erfolgte, haftet die Beklagte als Halterin des Hundes.
Mitverschulden und Haftungsquote
Das Gericht ging auch auf das mögliche Mitverschulden der Klägerin ein. Es wurde festgestellt, dass die Klägerin sich ein Mitverschulden von 20% anrechnen lassen muss, da ihr eigener Hund nicht rein passiv war und den anderen Hund angeknurrt hatte. Die Haftungsquote der Beklagten wurde auf 80% festgelegt.
Schadensersatz und Schmerzensgeld
Die Klägerin erhielt schließlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro und einen materiellen Schadensersatz von 142,19 Euro. Zudem wurde festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 80% sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Vorfall zu ersetzen.
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Das vorliegende Urteil
Oberlandesgericht Hamm – Az.: 7 U 54/22 – Beschluss vom 19.12.2022
Leitsätze:
1. Zur Feststellung der Tierhaltereigenschaft ist darauf abzustellen, wer als „Unternehmer” des mit der Tierhaltung verbundenen Gefahrenbereiches anzusehen ist, so dass im Einzelfall eine Minderjährige als Eigentümerin eines Hundes und/oder – wie hier ausschließlich – deren Mutter als Kostenträgerin Hundehalterin sein kann (im Anschluss an BGH Urt. v. 06.03.1990 – VI ZR 246/89, NJW-RR 1990, 789 = juris Rn. 24).
2. Ist unklar, welcher von zwei Hunden während ihres Streits zugebissen hat, muss dies – so hier – der Feststellung der Verwirklichung der Tiergefahr (BGH Urt. v. 26.04.2022 – VI ZR 1321/20, r+s 2022, 410 Rn. 9) nicht entgegenstehen (im Anschluss an OLG Hamm Urt. v. 10.05.2019 – 9 U 8/18, BeckRS 2019, 33850 Rn. 5; OLG Karlsruhe Urt. v. 1.9.2019 – 7 U 24/19, BeckRS 2019, 21975 Rn. 15; OLG München Urt. v. 12.12.2018 – 20 U 1474/18, BeckRS 2018, 33058 Rn. 13; OLG Hamm Beschl. v. 28.05.2013 – 9 U 13/13, BeckRS 2015, 3395).
3. Ein Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB kann angenommen werden, wenn ein Hundehalter bei einem aktiven – hier nicht festgestellten – Versuch verletzt wird, sich streitende bzw. beißende Hunde zu trennen (im Anschluss an OLG Hamm Urt. v. 10.05.2019 – 9 U 8/18, BeckRS 2019, 33850 Rn. 10; OLG Celle Urt. v. 17.03.2014 – 20 U 60/13, r+s 2014, 524; OLG Karlsruhe Urt. v. 18.09.2019 – 7 U 24/19, BeckRS 2019, 21975 Rn. 24).
Der Antrag der Beklagten vom 10.5.2022 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz aufgrund eines Hundebisses in Anspruch.
Die Klägerin ist Halterin eines Golden Retrievers, mit welchem sie am 0.0.2021 gegen 16:00 Uhr spazieren ging. Auf Höhe eines Parkplatzes auf der A-Straße in C begegnete sie der zum damaligen Zeitpunkt 12 Jahre alten Tochter der Beklagten, der Zeugin D. Diese ging mit ihrer damals sieben Jahre alten Französischen Bulldogge, die sie von ihrem in B lebenden Vater als Welpe geschenkt erhalten hat, spazieren. Um den Hund der Zeugin D kümmert sich vornehmlich diese selbst, wobei sie von der Beklagten unterstützt wird, indem diese beispielsweise ab und zu mit dem Hund spazieren geht. Der Hund der Zeugin D war zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls aus unter den Parteien streitigen Umständen nicht angeleint und rannte auf den Hund der Klägerin, den diese an einem Hundegeschirr führte, zu. Das weitere Geschehen, in dessen Rahmen die Klägerin eine Bissverletzung an der rechten Hand erlitt, ist unter den Parteien im Einzelnen streitig.
Die Klägerin erlitt eine blutende Wunde an der rechten Hand und wurde mittels Rettungswagen ins Krankenhaus verbracht, wo die Wunde erstversorgt wurde. Aufgrund einer Wundinfektion wurde die Klägerin am 22.2.2021 stationär aufgenommen, in der Folge an der Hand operiert und befand sich bis zum 2.3.2021 in stationärer Behandlung. Sie war bis zum 17.6.2021 arbeitsunfähig und musste sich in krankengymnastische Behandlung begeben. Die Verletzung ist bis heute nicht vollständig ausgeheilt, insbesondere kann die Klägerin, trotz der Krankengymnastik, die Hand aufgrund der Beeinträchtigung der Strecksehne nicht mehr richtig öffnen und schließen. Eine weitere Operation der Strecksehne ist nicht ausgeschlossen. Zudem erlitt die Klägerin durch die Bissverletzung eine deutlich sichtbare Narbe an der rechten Hand. Bei Beanspruchung der Hand schwillt diese nach wie vor an.
Die Klägerin hat mit ihrer Klage den Ersatz materieller Schäden in Höhe von 177,74 EUR (vgl. Aufstellung Bl. 6 der erstinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA I-6) sowie die Zahlung eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 6.000,00 EUR geltend gemacht und zudem die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 540,50 EUR und die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Schadensereignis vom 0.0.2021, zu ersetzen, sowie diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen werden oder übergegangen sind.
Mit dem angefochtenen Urteil (eGA I-204 – 218), auf dessen Feststellungen wegen der in erster Instanz gestellten Anträge sowie der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Beklagte unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin von 20 % verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 EUR und auf materielle Schäden 142,19 EUR zu zahlen. Weiter hat es die Beklagte verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 540,50 EUR freizustellen und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin zu 80 % sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden aus dem Schadensereignis vom 0.0.2021 zu ersetzen, sowie diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen werden oder übergegangen sind. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass der Klägerin gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld aus § 833 Satz 1 BGB zustehe. Die Beklagte sei zumindest auch Halterin des im Eigentum der Zeugin D stehenden Hundes. Dieser lebe in ihrem Haushalt. Zudem stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Kosten für das Tier sowohl von dem Vater der Zeugin D, als auch von der Beklagten getragen würden. Auch liege die wesentliche Bestimmungsgewalt über das Tier nach der Verkehrsanschauung bei der Beklagten.
In dem unstreitig seitens der Klägerin erlittenen Hundebiss habe sich die Tiergefahr des Hundes der Zeugin D verwirklicht. Es könne insoweit offen bleiben, welcher der beiden Hunde die Klägerin gebissen habe, da der Biss jedenfalls während einer Interaktion zwischen den beiden Hunden erfolgt sei, so dass auch die Beklagte als Halterin des Hundes hierfür hafte.
Die Klägerin müsse sich allerdings die Tiergefahr ihres eigenen Hundes in Höhe von 20 % mindernd auf ihren Anspruch anrechnen lassen. Dieser habe auch nach den eigenen Angaben der Klägerin sich nicht rein passiv verhalten, sondern den anderen Hund angeknurrt, so dass seine Tiergefahr zu berücksichtigen sei.
Welcher der beiden Hunde die Klägerin gebissen habe, habe das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen können. Es sei allerdings aufgrund der Angaben der Zeugen E und F davon überzeugt, dass die Aggressionen im Wesentlichen von dem Hund der Beklagten ausgegangen seien. Diese Überzeugung werde auch nicht durch die Angaben der Zeugin D erschüttert, welche insgesamt nicht glaubhaft seien.
Es erscheine hiernach als sachgerecht, die Tiergefahr des Hundes der Klägerin zwar nicht gänzlich, aber überwiegend zurücktreten zu lassen, so dass eine Haftungsquote der Beklagten von 80 % angemessen sei. Ein eigenes Mitverschulden im Sinne des § 254 Abs. 1 BGB müsse sich die Klägerin nicht anrechnen lassen. Ein solches habe die Beklagte nicht bewiesen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass die Klägerin versucht hätte, ihren Hund am Bauch bzw. am Maul zurückzuziehen. Ein anrechenbares Mitverschulden der Klägerin liege auch nicht darin, dass sie nicht sofort die Leine ihres Hundes habe fallen lassen und sich von den Hunden entfernt habe. Mit einem Verschuldensvorwurf des aktiven Eingreifens in eine brenzlige Auseinandersetzung zwischen Hunden sei es nicht vergleichbar, wenn sich der Geschädigte passiv verhalte.
Hiergegen möchte sich die Beklagte mit ihrer beabsichtigten Berufung wenden.
Sie macht geltend, das Landgericht habe nur offen lassen dürfen, welcher der beiden Hunde die Klägerin gebissen habe, sofern die Vorträge der Parteien im Wesentlichen gleich gewesen seien. Dies sei vorliegend aber nicht der Fall. Die Klägerin verneine das Vorliegen einer Hunderauferei und behaupte, von dem Hund der Beklagten angesprungen und gebissen worden zu sein. Ihr obliege insofern der Beweis, dass es zu dem von ihr vorgetragenen Sachverhalt gekommen sei, welchen sie auch nach Ansicht des Landgerichts nicht geführt habe. Zudem würden die ärztlichen Atteste und die unstreitigen Angaben zur Größe der Hunde widerlegen, dass die Verletzung vom Hund der Beklagten stamme.
Auch die Frage des Mitverschuldens sei maßgeblich danach zu beantworten, was geschehen sei. Insofern werte das Landgericht in keiner Weise die objektiven Befunde aus und würdige nicht, dass sich der Vortrag der Klägerin immer wieder geändert habe.
II.
Der Antrag der Beklagten vom 10.5.2022 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, da die beabsichtigte Berufung in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hat.
1.
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte der Klägerin dem Grunde nach gem. §§ 833, 253 Abs. 2, 249 BGB – unabhängig davon, welcher Hund die Klägerin in die Hand gebissen hat – zum Ersatz von 80 % des unfallbedingten materiellen und immateriellen Schadens verpflichtet ist.
Nach § 833 Satz 1 BGB ist, wenn durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Diese Voraussetzungen liegen hier, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, vor.
a)
Rechtlich nicht zu beanstanden ist es, dass das Landgericht davon ausgegangen ist, dass die Beklagte (auch) Halterin der Französischen Bulldogge ist.
Alleine aus dem Umstand, dass der Hund unstreitig im Eigentum ihrer minderjährigen Tochter, der zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Vorfalls 12 Jahre alten Zeugin D, steht, ergibt sich nicht deren Haltereigenschaft. Das Eigentum mag zwar ein gewichtiges Indiz für die Haltereigenschaft sein. Auch können Minderjährige Tierhalter sein. Entscheidend ist jedoch darauf abzustellen, wer als „Unternehmer” des mit der Tierhaltung verbundenen Gefahrenbereiches anzusehen ist (vgl. BGH Urt. v. 6.3.1990 – VII ZR 246/89, NJW-RR 1990, 789 [unter II. 2. a) aa]). Soweit das Landgericht diesbezüglich auf Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Kosten für den unstreitig im Haushalt der Beklagten lebenden Hund sowohl von der Beklagten als auch von dem in B lebenden Vater der Zeugin D getragen werden, ist der Senat an diese Feststellungen des Landgerichts gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Fehler in der Beweiswürdigung des Landgerichts werden weder durch die Beklagte aufgezeigt noch sind sie sonst ersichtlich. Dass das Landgericht auf dieser Grundlage unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die wesentliche Bestimmungsgewalt über den Hund nach der Verkehrsanschauung bei der Beklagten liegt, insgesamt davon ausgegangen ist, die Beklagte sei zumindest auch Halterin des Hundes, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
b)
Unstreitig ist die Klägerin im Rahmen des streitgegenständlichen Vorfalls durch einen der beiden Hunde in die rechte Hand gebissen und damit an Körper und Gesundheit, mithin an durch § 833 Satz 1 BGB geschützten Rechtsgütern, verletzt worden.
c)
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich in dem streitgegenständlichen Vorfall die Tiergefahr des Hundes der Beklagten unfallursächlich ausgewirkt hat, unabhängig davon, welcher der beiden Hunde die Klägerin letztlich gebissen hat (ebenso: OLG Hamm Urt. v. 10.5.2019 – 9 U 8/18, BeckRS 2019, 33850 Rn. 5; OLG Karlsruhe Urt. v. 1.9.2019 – 7 U 24/19, BeckRS 2019, 21975 Rn. 15; OLG München Endurt. v. 12.12.2018 – 20 U 1474/18, BeckRS 2018, 33058 Rn. 13; vgl. auch OLG Hamm Beschl. v. 28.5.2013 – 9 U 13/13, BeckRS 2015, 3395 [unter 1.] zu der vergleichbaren Fallgestaltung, dass nicht aufklärbar ist, ob der Geschädigte durch seinen eigenen oder einen fremden Hund während spielerischer Jagd der beiden Hunde umgerannt wurde).
Die Gefährdungshaftung nach § 833 Satz 1 BGB setzt voraus, dass sich im Unfall eine „spezifische“ oder „typische“ Tiergefahr desjenigen Tieres verwirklicht hat, dessen Halter in Anspruch genommen werden soll. Dies ist dann der Fall, wenn ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbstständiges Verhalten des betreffenden Tieres für die Entstehung des Schadens adäquat ursächlich geworden ist, wobei Mitursächlichkeit – wie sonst auch – ausreicht (std. Rspr., vgl. zuletzt etwa BGH Urt. v. 26.4.2022 – VI ZR 1321/20, r+s 2022, 410 Rn. 9 m. w. N.).
Es können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine für einen Schaden mitursächliche Tiergefahr darstellen (vgl. BGH Urt. v. 31.5.2016 – VI ZR 465/15 NJW 2016, 2737 Rn. 9).
Eine solche Tiergefahr hat sich hier auch nach dem unstreitigen Parteivortrag verwirklicht.
Zwar ist der nähere Hergang des Vorfalls unter den Parteien streitig. Hierauf kommt es indes schon nicht an. Entscheidend ist allein, dass sich in der Verletzung der Klägerin die typische Tiergefahr des von der Beklagten gehaltenen Hundes verwirklicht hat. Die Einzelheiten des Schadenshergangs könnten lediglich bei der Frage Bedeutung erlangen, ob die Tierhalterhaftung wegen Mitverschuldens – oder ganz ausnahmsweise wegen rechtsmissbräuchlicher Geltendmachung – beschränkt oder ausgeschlossen ist (std. Rspr., vgl. zuletzt etwa BGH Urt. v. 26.4.2022 – VI ZR 1321/20, r+s 2022, 410 Rn. 11 m. w. N.).
Zudem haben die Parteien entgegen der seitens der Beklagten mit ihrem Prozesskostenhilfegesuch (dort auf S. 2 = Bl. 26 der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-26) vertretenen Ansicht vorliegend auch keine sich grundlegend voneinander unterscheidenden Sachverhalte vorgetragen. Insbesondere hat die Klägerin keineswegs, wie es die Beklagte ausführt, behauptet, „von einem Hund angefallen“ worden zu sein. Vielmehr lief unstreitig der – aus streitigen Gründen – nicht angeleinte Hund der Zeugin D auf den angeleinten Hund der Klägerin zu, und es fand eine Interaktion zwischen den beiden Tieren statt, in deren Verlauf der Hund der Klägerin den anderen Hund zumindest anknurrte, während dieser – was die Beklagte, die ein Gerangel der Hunde behauptet, nicht bestreitet – um den Hund der Klägerin herumsprang. Streitig ist unter den Parteien insoweit, ob der Hund der Klägerin während dieses Geschehens über ein Anknurren hinaus ein aggressives Verhalten zeigte und welcher der beiden Hunde die Klägerin letztlich in die Hand biss.
Das vorstehend wiedergegebene unstreitige Kerngeschehen stellt bereits eine Interaktion zwischen den beiden Tieren dar, die ihrer tierischen Natur entsprechend aufeinander eingewirkt haben, bis es zur Schädigung der Klägerin kam. Damit hat sich in der Bissverletzung die von beiden Hunden ausgehende Tiergefahr adäquat mitursächlich verwirklicht. Für die Begründung der Mithaftung der Beklagten als solcher ist nicht von Bedeutung, was Auslöser der Interaktion der Hunde war und welcher der beiden Hunde in dem Geschehen eine über- oder untergeordnete Rolle einnahm.
d)
Jedoch muss sich die Klägerin die Tiergefahr ihres eigenen Hundes, die den Schaden ebenfalls mitverursacht hat, entsprechend § 254 Abs. 1, 833 Satz 1 BGB anrechnen lassen.
aa)
Voraussetzung ist, dass die typische Tiergefahr des Tieres des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist. An der Verwirklichung der Tiergefahr fehlt es insbesondere dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist. Demgegenüber können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine für einen Schaden mitursächliche Tiergefahr darstellen (BGH Urt. v. 31.5.2016 – VI ZR 465/15, NJW 2016, 2737 Rn. 9). Vorliegend hat der Hund der Klägerin auch nach ihrem eigenen Vortrag den von der Beklagten gehaltenen Hund jedenfalls angeknurrt und damit seine Präsenz bekundet. Hierdurch hat er zu der Auseinandersetzung der Hunde beigetragen, so dass seine Tiergefahr zu berücksichtigen ist.
bb)
Für die entsprechend § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge der beiden Tierhalter kommt es sodann darauf an, mit welchem Gewicht konkret sich das in den Tieren jeweils verkörperte Gefahrenpotenzial in der Schädigung manifestiert hat (vgl. BGH Urt. v. 31.5.2016 – VI ZR 465/15, NJW 2016, 2737 Rn. 10 mwN).
Soweit das Landgericht diesbezüglich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Aggressionen im Wesentlichen von dem seitens der Beklagten gehaltenen Hund ausgingen, es hingegen nicht festzustellen vermochte, dass auch der Hund der Klägerin über ein Anknurren hinaus ein aggressives Verhalten gezeigt habe und welcher der beiden Hunde die Klägerin letztlich in die Hand gebissen hat, ist der Senat an diese Feststellungen des Landgerichts gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Die seitens der Beklagten hiergegen vorgebrachten Einwände verfangen nicht.
(1)Ihre Behauptung, wonach die Klägerin von ihrem eigenen Hund gebissen worden sei, hat die Beklagte nicht bewiesen.
Das Landgericht hat es ausdrücklich offen gelassen, ob die Klägerin ihren Hund mit der verletzten rechten Hand am Geschirr hielt und von welchem der beiden Hunde sie gebissen worden ist. Dies ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es stehen sich insoweit die wechselseitigen Parteivorträge gegenüber. Die durch das Landgericht vernommenen Zeugen E, G und F haben nicht beobachtet, welcher der Hunde die Klägerin in die Hand gebissen hat; ihre Angaben waren damit insoweit unergiebig. Auch die von der Beklagten benannte Zeugin D hat nicht etwa bekundet, dass die Klägerin durch ihren eigenen Hund gebissen worden sei, sondern lediglich, dass sie „von einem der Hunde“ gebissen worden sei.
Etwas anderes ergibt sich entgegen der seitens der Beklagten mit ihrem Prozesskostenhilfegesuch (dort auf S. 3 = eGA II-27) vertretenen Ansicht auch weder aus den ärztlichen Attesten, noch aus den unstreitigen Angaben zur Größe der beiden Hunde. Soweit die Beklagte diesbezüglich mit Schriftsatz vom 4.4.2022 geltend gemacht hat, die Bissverletzung habe nach dem durch die Klägerin vorgelegten Attest an der Mitte des Handrückens bestanden, die geballte Faust der Klägerin passe allerdings nicht in das Maul einer Französischen Bulldogge, verfängt dies nicht. In welcher Position die Klägerin im Zeitpunkt des Bisses die später verletzte Hand konkret hielt – namentlich ob sie mit dieser Hand im Zeitpunkt des Bisses das Hundegeschirr hielt und die Hand damit möglicherweise zu einer „Faust“ geballt hatte oder nicht – vermochte das Landgericht in rechtlich nicht zu beanstandender Weise gerade nicht festzustellen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten hat sich der Vortrag der Klägerin zu dem streitigen Vorfall auch nicht immer wieder geändert. Vielmehr hat diese konstant vorgetragen, der nicht angeleinte Hund der Zeugin D sei auf sie und ihren Hund zugelaufen, habe sich aggressiv verhalten und sie zweimal gebissen. Soweit sie mit der Klageschrift (dort auf S. 2 = eGA I-2) vorgetragen hat, der Hund sei an ihr hochgesprungen, während sie in ihrer persönlichen Anhörung durch das Landgericht angegeben hat, der Hund sei rechts und links gegen ihren Hund gesprungen (Protokoll vom 2.3.2022 S. 2 = eGA I-148), stellt dies lediglich eine Änderung des Vortrags in Nuancen dar, die zudem weder einzeln noch in einer Gesamtschau mit den vorstehend wiedergegebenen Beweismitteln geeignet ist, die Überzeugungsbildung des Landgerichts in Frage zu stellen.
(2)
Soweit das Landgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu der Überzeugung gelangt ist, dass die Aggressionen im Wesentlichen von dem Hund der Beklagten ausgegangen seien, während ein über ein „Anknurren“ hinausgehendes aggressives Verhalten des Hundes der Klägerin nicht feststellbar sei, sind Rechtsfehler in der Würdigung der erhobenen Beweise nicht ersichtlich und werden auch durch die Beklagte nicht aufgezeigt.
(3)
Unter Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge erscheint dem Senat die vom Landgericht angenommene Haftungsquote von 80 % jedenfalls nicht als zu Lasten der Beklagten zu hoch angesetzt.
Die von dem seitens der Beklagten gehaltenen Hund ausgehende Tiergefahr war im konkreten Einzelfall deutlich höher als die des Hundes der Klägerin. Die Bulldogge war unstreitig – unabhängig davon, aus welchem Grund – nicht angeleint und ist auf den angeleinten Hund der Klägerin zugestürmt. Auch wenn der Hund der Klägerin durch ein Anknurren darauf reagiert hat, war der durch die Beklagte gehaltene Hund nach der nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung des Landgerichts zweifelsfrei der Aggressor.
cc)
Dass die Klägerin ein eigenes Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB an ihrer Verletzung träfe, weil sie die Sorgfalt außer Acht gelassen hätte, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (std. Rspr., vgl. BGH Urt. v. 17.6.2014 – VI ZR 281/13, NZV 2014, 399 Rn. 9 mwN), hat die insoweit beweisbelastete Beklagte nicht bewiesen.
Zwar darf man sich nicht ohne besonderen Grund in die gefahrbringende Nähe eines Tieres begeben oder sonst besondere Risiken im Zusammenhang mit dem Umgang mit Tieren heraufbeschwören; dies würde ein eigenes Mitverschulden begründen (vgl. OLG Jena Urt. v.16.7.2015 – 1 U 652/14, BeckRS 2015, 15803 Rn. 20).
Ein solches wird in der Regel angenommen, wenn ein Hundehalter bei dem Versuch verletzt wird, sich streitende bzw. beißende Hunde zu trennen (vgl. OLG Hamm Urt. v. 10.5.2019 – 9 U 8/18, BeckRS 2019, 33850 Rn. 10; OLG Celle Urt. v. 17.3.2014 – 20 U 60/13, r + s 2014, 524 [unter 1. a]; OLG Karlsruhe Urt. v. 18.9.2019 – 7 U 24/19, BeckRS 2019, 21975 Rn. 24).
Eine solche Situation war allerdings vorliegend nach der nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung des Landgerichts unter zwei Gesichtspunkten nicht gegeben:
Anders als in den durch die Beklagte mit Schriftsatz vom 4.4.2022 in Bezug genommenen Entscheidungen des Landgerichts Köln vom 24.1.2008 (Az.: 37 O 610/07, BeckRS 2009, 11166) und des Landgerichts Stade vom 6.4.2004 (Az.: 4 O 90/03, BeckRS 2004, 18183), in welchen die dortigen Geschädigten jeweils aktiv mit der Hand in den Kampfbereich zweier Hunde eingegriffen haben, hat das Landgericht vorliegend in nicht zu beanstandender Weise gerade nicht festgestellt, dass der Hund der Klägerin ein über ein Anknurren hinausgehendes aggressives Verhalten gezeigt hätte und dass es zu einem Kampf der beiden Hunde gekommen wäre. Auf die obigen Ausführungen wird insoweit Bezug genommen.
Zudem vermochte das Landgericht auch nicht festzustellen, dass die Klägerin versucht hätte, ihren Hund am Bauch oder am Maul zurückzuziehen und dass sie damit aktiv in das Geschehen eingegriffen hätte. An die diesbezügliche Beweiswürdigung des Landgerichts sieht sich der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Fehler in der Beweiswürdigung sind nicht ersichtlich und werden auch durch die Beklagte nicht aufgezeigt.
Auch wäre die Klägerin entgegen der Ansicht der Beklagten nicht gehalten gewesen, die Leine ihres Hundes fallen zu lassen und sich von den beiden Hunden zu entfernen. Einen gegenseitigen Kampf der Hunde, welcher zu einem solchen Verhalten möglicherweise Anlass hätte geben können, hat das Landgericht – wie ausgeführt – in nicht zu beanstandender Weise nicht festgestellt. Dass die Klägerin im Rahmen des im Wesentlichen von dem seitens der Beklagten gehaltenen Hund ausgehenden aggressiven Verhaltens die Leine ihres eigenen Hundes nicht losließ, stellt aus Sicht des Senats keinen Sorgfaltspflichtverstoß dar. Vielmehr hätte ein solches Verhalten der Klägerin möglicherweise zu einer weiteren Eskalation der Situation in Form des Entstehens eines gegenseitigen Kampfes der beiden dann unangeleinten Hunde geführt. Auch ist – angesichts dessen, dass der Biss zeitnah nach dem Zusammentreffen der Hunde und noch vor Eingreifen des Zeugen E geschehen sein muss – weder von der Beklagten dargetan noch sonst ersichtlich, dass durch ein Loslassen der Biss verhindert worden wäre.
e)
Die Schadenshöhe ist vom Landgericht zutreffend bemessen worden.
aa)
Die durch die Klägerin geltend gemachten materiellen Schäden in Höhe von insgesamt 177,74 EUR, von welchen die Beklagte 80 % – mithin 142,19 EUR – zu ersetzen hat, sind unter den Parteien unstreitig.
bb)
Das vom Landgericht gemäß § 253 Abs. 2 BGB zuerkannte Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 EUR ist nach Auffassung des Senats zum Ausgleich der erlittenen Verletzungen und Beeinträchtigungen angemessen, aber auch ausreichend. Der Senat, dem bei der Bemessung des Schmerzensgelds ein eigenes Ermessen zusteht (vgl. BGH, Urt. v. 28.3.2006 – VI ZR 46/05, NJW 2006, 1589 Rn. 30), sieht keinen Anlass für eine Herabsetzung des Betrages. Maßgeblich ins Gewicht fällt hierbei, dass die Klägerin aufgrund der Bissverletzung und der sich daraus entwickelnden Wundinfektion an der Hand operiert werden musste, sie sich zwei Wochen lang in stationärer Behandlung befand, fast vier Monate lang arbeitsunfähig war, eine deutlich sichtbare Narbe an der Hand verblieben ist, die Klägerin die Hand bis heute aufgrund der Beeinträchtigung der Strecksehne nicht richtig öffnen und schließen kann und zudem eine weiter erforderlich werdende Operation der Strecksehne nicht ausgeschlossen ist. Insgesamt hält der Senat in Würdigung und Wägung der vorstehend aufgezeigten erlittenen Verletzungen und daraus folgenden Beeinträchtigungen sowie der auf Seiten der Klägerin zu berücksichtigenden Tiergefahr von 20 % ebenso wie das Landgericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000,00 für angemessen. Dieses Schmerzensgeld steht auch im Einklang mit anderweitiger fallähnlicher obergerichtlicher Rechtsprechung und fügt sich in den Rahmen, der bei vergleichbaren Verletzungen zugesprochen wird. Insoweit wird auf die Ausführungen des Landgerichts Bezug genommen.
cc)
Der Klägerin steht zudem gegen die Beklagte ein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 540,50 EUR nach einem vorgerichtlichen Streitwert von bis zu 5.000,00 EUR zu, welcher sich aus einer 1,3 Geschäftsgebühr i.H.v. 434,20 EUR, der Post- und Telekommunikationspauschale i.H.v. 20,00 EUR sowie 86,30 EUR Mehrwertsteuer zusammensetzt.
dd)
Die Zinsforderung auf den Schmerzensgeldbetrag ab dem 30.7.2021 ergibt sich aus § 291 BGB.
2.
Das Landgericht ist schließlich zutreffend davon ausgegangen, dass die Klage im Hinblick auf den Feststellungsantrag nach der Haftungsquote von 80 % zu Lasten der Beklagten zulässig und begründet ist.
Das erforderliche Feststellungsinteresse ergibt sich – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – aus dem Umstand, dass die Handverletzung unstreitig bislang nicht ausgeheilt ist und eine weitere Operation an der Strecksehne zu erwarten ist. Hieraus resultiert die Möglichkeit weiterer unfallbedingter materieller und immaterieller Schäden, was für die Zulässigkeit des Feststellungsantrags ausreicht (vgl. etwa BGH Beschl. v. 8.6.2021 – VI ZR 1272/20, BeckRS 2021, 18009 Rn. 8). Aufgrund der Haftung des Beklagten für die Folgen des Unfalls nach einer Haftungsquote von 80 % ist der Feststellungsantrag zudem auch in diesem Umfang begründet.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 1 GKG, 118 Abs. 1 S. 4 ZPO.