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fiktive BAföG-Leistungen mindern den Unterhaltsanspruch des Kindes


OLG Hamm
Az: 2 WF 161/13
Beschluss vom 27.09.2013


Leitsätze:

Es ist Sache des im Studium befindlichen volljährigen Kindes darzutun und zu belegen, dass ihm bei rechtzeitiger Antragstellung keine Ausbildungsförderung gewährt worden wäre. Solange ein Antrag des Kindes auf BAföG-Leistungen nicht von vornherein aussichtslos ist, ist eine solche Antragstellung auch zumutbar.

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 17.07.2013 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bottrop vom 13.06.2013 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner die Zahlung von Kindesunterhalt. Die am 29.01.1992 geborene Antragstellerin ist ein Kind des Antragsgegners und seiner geschiedenen Ehefrau (im Folgenden: Mutter). Die Antragstellerin ist Studentin an der Universität E. Sie lebt im Haushalt ihrer Mutter und deren jetzigen Ehemann. Leistungen nach dem BAföG hat die Antragstellerin nicht beantragt; der Antragsgegner leistete jedenfalls bis März 2013 212,00 € an Kindesunterhalt.

Die Antragstellerin hat beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, für sie laufenden Kindesunterhalt in Höhe von 378,00 € und rückständigen Kindesunterhalt zu zahlen. Zugleich hat sie die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ihren entsprechenden Zahlungsantrag begehrt.

Mit Verfügung vom 16.05.2013 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Bottrop der Antragstellerin aufgegeben, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der ihr ebenfalls unterhaltverpflichteten Mutter darzutun und darzulegen, warum offensichtlich kein BAföG-Antrag gestellt worden sei.

Die Antragstellerin hat vorgetragen, einen BAföG-Antrag habe sie deswegen nicht gestellt, weil sie keine eigene Wohnung habe und sie sich überdies nicht schon zu Beginn ihres Berufslebens habe verschulden wollen.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 13.06.2013 den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, dass sie nicht bedürftig sei und es an der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung fehle. Nach ganz gefestigter Rechtsprechung seien erreichbare Leistungen nach den BAföG dann bedarfsdeckend auf einen Unterhaltsanspruch anzurechnen, auch soweit solche Leistungen nur darlehnsweise gewährt würden. Ob die Antragstellerin gegen den Antragsgegner danach noch einen höheren verbleibenden Anspruch hätte als die von diesem laufend freiwillig gezahlten 212,00 €, könne aber wegen ihrer fehlenden Bedürftigkeit offen bleiben.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie rügt, sie habe deswegen keine BAföG-Leistungen beantragt, weil sie eine Verschuldung zu Beginn ihres Berufslebens habe vermeiden wollen.

Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 19.07.2013 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die nach den §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 2 ZPO, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Zutreffend hat das Amtsgericht die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung verneint.

1.

Voraussetzung eines Unterhaltsanspruchs ist, dass eine Unterhaltsbedürftigkeit nach § 1602 Abs. 1 BGB gegeben ist. Eine solche Unterhaltsbedürftigkeit hat die Antragstellerin nicht dargetan.

a)

Zutreffend hat das Amtsgericht darauf verwiesen, dass die Antragstellerin mit ihrem Vortrag zu der unterlassenen Stellung eines Antrags auf Bewilligung von Leistungen nach dem BAföG ihrer Darlegungspflicht nicht genügt hat.

BAföG-Leistungen sind nach Ziffer 2.4 der Hammer Leitlinien hinsichtlich der Bedürftigkeit unterhaltsrechtliches Einkommen, soweit sie nicht Vorausleistungen nach § 36 BAföG darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1985 – IVb ZR 30/84 – FamRZ 1985, 916; OLG Karlsruhe, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 UF 45/09 – FamRZ 2011, 1303; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 2 WF 6/09 – NJW-RR 2010, 8; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 22. Januar 2008 – 10 UF 95/97; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 10. September 2012 – 4 UF 94/12 – FamRZ 2013, 1050; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2005 – 15 UF 75/05 – FamRZ 2006, 571; OLG Köln, Beschluss vom 10. November 2004 – 27 WF 219/04 – OLGR Köln 2005, 204; OLG Köln, Urteil vom 23. August 1985 – 4 UF 93/85 – FamRZ 1985, 1166; Clausius in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 1577 BGB Rn. 16; OLG Hamm, Urteil vom 07. Dezember 1993 – 9 UF 130/93 – FamRZ 1994, 1343; vgl. zum Stipendium: OLG Bamberg, Beschluss vom 03. Januar 1986 – 7 UF 102/85 – FamRZ 1986, 1028).

Das gilt nach Ziffer 2.4 der Hammer Leitlinien grundsätzlich auch für BAföG-Darlehen nach § 17 Abs. 2 BAföG (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 17. Dezember 1990 – 15 UF 116/90 – FamRZ 1991, 977; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2005 – 15 UF 75/05 – FamRZ 2006, 571; OLG Hamm, Urteil vom 07. Dezember 1993 – 9 UF 130/93 – FamRZ 1994, 1343; OLG Dresden, Urteil vom 30. Oktober 1998 – 22 UF 234/98 – FuR 1999, 479; vgl. aber für Minderjährigen: OLG Hamm, Urteil vom 30. Juli 1986 – 5 UF 41/86 – FamRZ 1987, 91). Ob die Antragstellerin alternativ zur Aufnahme eines Bildungsdarlehens verpflichtet wäre (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 10. September 2012 – 4 UF 94/12 – FamRZ 2013, 1050) kann mithin dahinstehen.

b)

Im Unterhaltsrecht obliegt es unter Umständen dem Verpflichteten, zur Erhaltung seiner Leistungsfähigkeit einen Kredit aufzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1985 – IVb ZR 30/84 – FamRZ 1985, 916; BGH, Urteil vom 20. Januar 1982 – IVb ZR 651/80 – FamRZ 1982, 365). Für den Unterhaltsberechtigten gilt Entsprechendes (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1985 – IVb ZR 30/84 – FamRZ 1985, 916). Er hat die Möglichkeit zur Kreditaufnahme auszunutzen, um nicht unterhaltsbedürftig zu werden. Diese Obliegenheit zur Selbsthilfe besteht freilich nur im Rahmen des Zumutbaren (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 1985 – IVb ZR 30/84 – FamRZ 1985, 916).

c)

Vorliegend ist die Inanspruchnahme von BAföG-Leistungen zumutbar (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 2 WF 6/09 – NJW-RR 2010, 8). Soweit die Darlehensbedingungen betroffen sind, gestalten sich diese als günstig und begründen daher die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2005 – 15 UF 75/05 – FamRZ 2006, 571; OLG Karlsruhe, Urteil vom 24. Februar 2011 – 2 UF 45/09 – FamRZ 2011, 1303; Viefhues in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 1602 BGB Rn. 56). Im vorliegenden Fall würde der Antragstellerin die Ausbildungsförderung zur Hälfte als Zuschuss, zur anderen Hälfte als Darlehen gewährt. Das Darlehen ist unverzinslich; es ist in monatlichen Raten von mindestens 105,00 €, beginnend mit dem 5. Jahr nach dem Ende der Förderung zu tilgen, § 18 Abs. 3 BAföG. Auf Antrag kann der Schuldner von der Rückzahlung ganz oder teilweise freigestellt werden; auch besteht bei guten Leistungen in der Abschlussprüfung die Möglichkeit des Teilerlasses, §§ 18 a, 18 b BAföG. Letztlich ist das Darlehen auch nur bis zu einem Höchstbetrag von 10.000,00 € zurückzuzahlen.

Wegen dieser günstigen Darlehensbedingungen ist einem Studierenden in der Regel die Inanspruchnahme von BAföG zumutbar. Bei dieser Zumutbarkeitsprüfung sind die beiderseitigen Interessen zu berücksichtigen. Hierbei gelten die Eltern nach dem System der Einkommens- und Vermögensanrechnung (§§ 21 ff. und 26 ff. BAföG) in Höhe der als Ausbildungsförderung in Betracht kommenden Darlehensbeträge als nicht leistungsverpflichtet, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass ihnen die Unterhaltsgewährung leicht fällt (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2005 – 15 UF 75/05 – FamRZ 2006, 571). Außerdem haben sie im Allgemeinen ihre Kinder bereits über die übliche Ausbildungszeit hinaus bis zur Erlangung der Hochschulreife unterhalten (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2005 – 15 UF 75/05 – FamRZ 2006, 571).

Das Vorliegen besonderer Umstände müsste – als Abweichung vom Regelfall – der Studierende behaupten und nachweisen. Hierzu ist nichts mit Substanz vorgetragen. Dass die Antragstellerin zu Beginn ihres Berufslebens nicht mit einem Darlehen – von maximal 10.000,00 € – belastet sein will, begründet nicht die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme entsprechender Leistungen nach dem BAföG. Die Inanspruchnahme von BAföG ist für den Studierenden immer mit dem Nachteil verbunden, dass dieser das Darlehen bis zu einem Höchstbetrag von 10.000,00 € zurückzuzahlen hat, es sei denn, dass die besonderen Voraussetzung für eine Stundung oder einen Teilerlass vorliegen.

2.

Da die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme von Leistungen nach dem BAföG im vorliegenden Fall zu bejahen ist, ist der Antragstellerin, da sie es bewusst unterlassen hat, einen BAföG-Antrag zu stellen, in Höhe der BAföG-Leistungen ein fiktives Einkommen zu unterstellen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 2 WF 6/09 – NJW-RR 2010, 8).

Insofern ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin, wenn sie BAföG beantragt hätte, in Zusammenschau mit den seitens des Antragsgegners gewährten 212,00 € nicht ihren Mindestbedarf selbst decken kann.

Die Antragstellerin ist aber für ihre Bedürftigkeit und nicht umgekehrt der Antragsgegner für das Fehlen der Bedürftigkeit darlegungs- und beweisbelastet (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 2 WF 6/09 – NJW-RR 2010, 8). Es ist deshalb Sache der Antragstellerin darzutun und zu belegen, dass ihr bei rechtzeitiger Antragstellung keine Ausbildungsförderung gewährt worden wäre. Solange ein Antrag der Antragstellerin auf BAföG-Leistungen nicht von vornherein aussichtslos ist, ist eine solche Antragstellung auch zumutbar. Dass die Leistungen nach dem BAföG nicht ausreichend gewesen wären, um ihren Mindestbedarf zu decken, wird von der Antragstellerin selbst nicht behauptet (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 2 WF 6/09 – NJW-RR 2010, 8). Hierbei ist zu ergänzend zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin auch einen Anspruch auf Kindergeld hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24. August 2005 – 15 UF 75/05 – FamRZ 2006, 571).

III.

Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nach den §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO nicht veranlasst.

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