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Flüsterasphalt – Verkehrsunfall und Griffigkeit nach SCRIM-Verfahren

Oberlandesgericht Karlsruhe

Az.: 10 U 150/04

Urteil vom 23.06.2006

Vorinstanz: Landgericht Karlsruhe, Az.: 5 O 253/02


In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatzes hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 2006 für Recht erkannt:

Die Berufung der Klägerin und der Drittwiderbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 12. Oktober 2004 – 5 O 253/02 – wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Streithilfe tragen die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner 35 % und die Klägerin allein 65 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert: 4.741,87€.

Gründe:

I.

Die Klägerin und widerklagend das beklagte Land verlangen Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls.

Der Drittwiderbeklagte zu 2 wollte am 07.07.2001 um 13.10 Uhr mit dem bei der Drittwiderbeklagten zu 3 haftpflichtversicherten Ford Escort der Klägerin die BAB 8 – Richtung Stuttgart – an der Anschlussstelle Karlsbad mit ca. 80 km/h verlassen.

Auf der Verzögerungsspur geriet er auf nasser Fahrbahn ins Schleudern und prallte gegen mehrere Verkehrsleiteinrichtungen, die dadurch beschädigt wurden. Der der Klägerin durch den Unfall entstandene Schaden beträgt 6.211,44 €, von dem sie die Hälfte, 3.105,72 €, mit der Klage geltend macht.

Dem beklagten Land entstand ein Schaden von 1.636,15 €, der Gegenstand der Widerklage ist.

Die Klägerin hat behauptet, der Drittwiderbeklagte zu 2 habe wegen eines sehr langsam vor ihm von der rechten Fahr- auf die Verzögerungsspur wechselnden Fahrzeugs eine Vollbremsung einleiten müssen. Daraufhin sei er aufgrund des an der Unfallstelle vorhandenen „Flüsterasphalts“ geschleudert, der durch die vorhandene Nässe äußerst glatt geworden sei und deshalb nicht die gebotenen Griffigkeitswerte aufgewiesen habe. Die Gefährlichkeit des Fahrbahnbelags sei dem beklagten Land aufgrund mehrerer darauf zurückzuführender Verkehrsunfälle bekannt gewesen.

Das beklagte Land hat eingewandt, der Fahrbahnbelag habe die – nach dem offiziellen SCRIM-Verfahren – erforderliche Griffigkeit aufgewiesen. Der Unfall sei auf nicht angepasste Geschwindigkeit zurückzuführen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme mit dem angefochtenen Urteil vom 12.10.2004, auf das Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen und auf die Widerklage hin die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.636,15 € nebst Verzugszinsen verurteilt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin und der Drittwiderbeklagten, mit der sie ihre erstinstanzlichen Begehren weiterverfolgen.

Zur Begründung tragen sie vor, dass das vom Landgericht eingeholte Sachverständigengutachten unzutreffend zu einer ausreichenden Griffigkeit des Fahrbahnbelags gekommen sei. Es sei spätestens seit dem 15.10.2004 allgemein bekannt, dass sich der verwendete „Flüsterasphalt“ insbesondere bei Nässe in eine gefährliche Rutschbahn verwandele. Deshalb sei der Fahrbahnbelag ab November 2004 aufgerauht worden. Die Messungen, die Anlass der Maßnahme gewesen seien, seien zwischen 1999 und 2002 durchgeführt worden. Das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen sei ein falsches Gefälligkeitsgutachten.

Die Klägerin beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an sie 3.105,72 € nebst 12 % Zinsen seit dem 08.11.2001 zu zahlen.

Desweiteren beantragt sie, zusammen mit den Drittwiderbeklagten, die Widerklage abzuweisen.

Das beklagte Land und die im Berufungsverfahren diesem beigetretene Streithelferin beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das landgerichtliche Urteil.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die erst- und zweitinstanzlichen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig, hat aber keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen und auf die Widerklage hin die Klägerin und die Drittwiderbeklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.636,15 € nebst Verzugszinsen verurteilt.

1.

Die Klägerin kann vom beklagten Land keinen Schadensersatz gem. Art. 34 GG, §§ 839 BGB, 59 StrG verlangen. Sie hat nicht nachgewiesen, dass der Fahrbahnbelag auf dem Verzögerungsstreifen der BAB 8 an der Anschlussstelle Karlsbad am 07.07.2001 nicht die erforderliche Griffigkeit aufwies, was aber Voraussetzung für die Haftung des beklagten Landes wäre.

Das Landgericht hat aufgrund des von ihm eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. G. festgestellt, es sei nicht bewiesen, dass die Unfallstelle mit einem unzureichend griffigen Straßenbelag versehen war und der Verkehrsunfall des Drittwiderbeklagten zu 2 deshalb auf mangelhaften Straßenbau (mit)zurückzuführen ist. Diese Feststellung hat der Senat seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

a) Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), sind nicht ersichtlich. Die von der Berufung vorgebrachten Angriffe reichen dafür nicht aus.

Der Sachverständige Dipl.-Ing. G. hat ausgeführt, dass bei seiner Untersuchung nach dem SCRIM-Verfahren am 27.07.2004 die Verzögerungsspur über ein hohes Griffigkeitsniveau – 0,475 µSCRIM, 80 im Mittel – verfügt habe und dass es aufgrund dessen und aufgrund von Plausibilitätsbetrachtungen, die erforderlich seien, da die zeitliche Änderung der Griffigkeit weder exakt prognostizierbar noch rückwirkend bestimmbar sei, unvorstellbar erscheine, dass der Belag zum Zeitpunkt des Unfalls am 07.07.2001 keine ausreichende Griffigkeit aufgewiesen hat (Gutachten vom 12.08.2004, S. 3, 4). Diese Ausführungen des Sachverständigen sind mit Hilfe der dem Gutachten angefügten Anlage 1.5 und der darin enthaltenen G. iken und Tabellen nachvollziehbar und überzeugend.

Darauf, dass der Sachverständige Dipl.-Ing. G. ein Gefälligkeitsgutachten erstattet hat, wie die Klägerin behauptet (II 31), gibt es keinerlei Hinweise.

Die Klägerin hat ihren Vorwurf auch nicht näher begründet.

Der Sachverständige hat auch dem Umstand, dass es zum Unfallzeitpunkt geregnet hat, Rechnung getragen. Das beklagte Land hat unwidersprochen vorgetragen, dass bei dem vom Sachverständigen angewandten SCRIM-Meßverfahren ein künstliches Nässeverhältnis durch Besprühen der Fahrbahn hergestellt wird, wie der Sachverständige auch anlässlich des Ortstermins – bei dem die Klägerseite nicht vertreten war – dargestellt habe (II 87/89; II 121; vgl. auch Merkblatt zur Bewertung der Straßengriffigkeit bei Nässe, 5.2.1., Anlagenheft OLG, S. 18).

Zweifel an der Feststellung des Landgerichts wecken auch nicht die nach dem streitgegenständlichen Unfall und der SCRIM-Untersuchung des Sachverständigen Dipl.-Ing. G. getroffenen Maßnahmen des beklagten Landes (Geschwindigkeitsbeschränkungen, Aufrauhen der Fahrbahnoberfläche, Auswechslung des Belags; vgl. Zeitungsausschnitte I 69; Anlagenheft LG Klägerin, letzte Seite; I 271; II 117). Denn das beklagte Land hat vorgetragen, dass die Maßnahmen nur vorsichtshalber aufgrund problematischer Griffigkeitswerte auf einzelnen Durchgangsfahrbahnen der A 8 getroffen wurden (II 83); aus technischen und wirtschaftlichen Gründen sei der gesamte Abschnitt einschließlich des Verzögerungsstreifens erneuert worden, obwohl dies auf dem Verzögerungsstreifen nicht erforderlich gewesen wäre (II 85). Dieser Vortrag, dass problematische Griffigkeitswerte auf einzelnen Durchgangsfahrbahnen, nicht auf dem Verzögerungsstreifen, gemessen worden seien, deckt sich mit dem Ergebnis des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. G. , der nur auf den Fahrstreifen teilweise eine Unterschreitung des Warnwerts von 0,39 µSCRIM,80 – allerdings auch dort noch keine Unterschreitung des zum Eingreifen zwingenden Schwellenwerts von 0,32 µSCRIM,80 – gemessen hat (vgl. Gutachten vom 12.08.2004, S. 3 mit Anlagen 1.1 – 2.4).

b) Im Berufungsverfahren von der Klägerin erstmals angetretene Beweise sind nicht zu erheben (§§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).

Dem beklagten Land ist nicht auf ihren Antrag hin aufzugeben, 13 Gutachten der Baustoff- und Bodenprüfstelle Karlsruhe aus den Jahren 1999 bis 2002 vorzulegen. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die erstmalige Stellung des Antrags in der Berufung nicht auf ihrer Nachlässigkeit beruht (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO). Außerdem hat die Klägerin nicht dargelegt, aus welchem Grund das beklagte Land zur Vorlegung der Gutachten verpflichtet sein soll. Das beklagte Land bräuchte die Urkunden gem. § 422 ZPO nur vorzulegen, wenn die Klägerin nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Herausgabe und die Vorlegung der Gutachten verlangen könnte.

Eine solche Herausgabe- oder Vorlegungspflicht ist jedoch nicht erkennbar.

Eine Vorlegungspflicht nach § 423 ZPO kommt nicht in Betracht, da das beklagte Land auf die Gutachten nicht zur Beweisführung Bezug genommen hat.

Im übrigen ist aus dem dem Beweisantrag der Klägerin zugrunde liegenden Vortrag der Klägerin nicht erkennbar, dass die Vorlage der Gutachten das Ergebnis des Sachverständigengutachtens von Dipl.-Ing. G. in Zweifel ziehen könnte. Die 13 Gutachten sollen belegen, dass sich der im Unfallbereich aufgetragene „Flüsterasphalt“ insbesondere bei Nässe in eine gefährliche Rutschbahn verwandelt (II 31). Hierzu hat der Zeuge P., Mitarbeiter der Baustoff- und Bodenprüfstelle in K., ausgesagt, dass vor dem Unfallzeitpunkt keine Griffigkeitsmessungen auf der Ausfahrtspur (=Verzögerungsspur) der Anschlussstelle Karlsbad in Fahrtrichtung Stuttgart durchgeführt worden sind. Dass diese Aussage falsch ist, hat die Klägerin nicht behauptet. Damit wäre die Vorlage der 13 Gutachten – die nach der Behauptung der Klägerin nur allgemein den „Flüsterasphalt“ der BAB 8 betreffen – nicht geeignet, Zweifel an der Feststellung des Landgerichts zu begründen oder gar den Beweis zu führen, dass der Fahrbahnbelag der Verzögerungsspur, auf der der Drittwiderbeklagte zu 2 am 07.07.2001 ins Schleudern geriet, keine ausreichende Griffigkeit aufwies. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin selbst lediglich vorträgt, dass eine Unterschreitung des Warnwertes vorliege (I 95). Auch deshalb könnte die Vorlage der 13 Gutachten ihr nicht zum Prozeßerfolg verhelfen. Denn eine Unterschreitung des Warnwertes hat nur zur Folge, dass der Baulastträger die weitere Entwicklung der Griffigkeit zu klären hat, während Erhaltungsmaßnahmen oder eventuelle Verkehrsbeschränkungen erst bei Erreichen des Schwellenwertes geboten sind (vgl. Gutachten Dipl.-Ing. G. vom 12.08.2004, S. 3).

Ein weiteres Gutachten, das die Klägerin beantragt, ist nicht einzuholen.

Es liegen keine Hinweise vor, dass das Gutachten von Dipl.-Ing. G. unrichtig oder unvollständig sein oder dass der Sachverständige nicht die erforderliche Sachkunde besitzen könnte.

Schließlich ist der in der Berufung erneut benannte Zeuge POM D. bzw. G. nicht zu vernehmen. Die Klägerin hatte ihn schon in erster Instanz benannt, auf ihn aber mit Schriftsatz vom 14.01.2003 verzichtet (I 99). Dass die erneute Benennung des Zeugen in der Berufung nicht auf Nachlässigkeit der Klägerin beruht, ist nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich.

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2.

Das beklagte Land hat gegen die Klägerin und die Drittwiderbeklagten gem. §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG (in der bis zum 31.07.2002 geltenden Fassung, Art. 229 § 8 BGB), 3 Nr. 1 und 2 PflVG, 288 Abs. 1 BGB Anspruch auf Ersatz des ihm durch den Unfall entstandenen Schadens in Höhe von 1.636,15 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 06.04.2002.

Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (Urteil S. 6) wird verwiesen.

Eine Mitverantwortung des beklagten Landes ist nach den Ausführungen unter 1. – Weiteres ist hierzu auch von den Drittwiderbeklagten nicht vorgetragen – nicht feststellbar.

III.

Da die Berufung keinen Erfolg hat, haben die Klägerin und die Drittwiderbeklagten gem. §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 2, 4 ZPO die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist gem. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

 

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