LG Landshut – Az.: 14 S 3021/17 – Beschluss vom 15.01.2018
I. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Erding vom 02.11.2017, Az. 5 C 756/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.
III. Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
Gründe
Die zulässige Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts beruht auf keiner Rechtsverletzung im Sinne von §§ 513, 546 ZPO. Die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keinen anderen Urteilsspruch.
I.
Die Kläger stützen ihre Berufung auf folgende Argumente:
Das Amtsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass der streitgegenständliche Flug annulliert wurde. Allerdings sei das Amtsgericht rechtsfehlerhaft zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beklagte ihre Pflicht zur Erbringung von Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 der Fluggastrechteverordnung nicht verletzt habe.
Im Falle der Annullierung ist das Flugunternehmen gehalten, eine zeitnahe Ersatzbeförderung anzubieten. Die Beklagte habe keine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt angeboten.
Den Flug, den die Beklagte erst am Abend angeboten habe, als die Kläger bereits mit A… in München angekommen waren, erfolgte gegen 22.35 Uhr und landete um 01.05 Uhr in Nürnberg, von wo die Passagiere zum Endziel München in Bussen transportiert wurden.
Die Ansicht des Amtsgerichts, die mit der Ersatzbeförderung verbundene Wartezeit sei nicht unangemessen gewesen und die Beförderung auf dem Streckenteil von Nürnberg nach München sei eine noch vergleichbare Reisebedingung, sei falsch.
Ein über 170 km langer Bustransfer falle nicht mehr unter den Begriff der vergleichbaren Reisebedingungen. Die Vergleichbarkeit von Reisebedingungen hänge von diversen Faktoren ab und müsse im Einzelfall entschieden werden. Bei einer Flugreise würden die Umstände vor allem bestimmt durch die Komponenten Abflugort, Ankunftsort, Flugstrecke und den Flugzeiten.
Vorliegend stimme nur der Abflugort überein. Es gebe Abweichungen beim Ankunftsort, der Flugstrecke, den Abflug- und Ankunftszeiten und dem Transportmittel.
Es müsse auch berücksichtigt werden, dass der Flug über 12 Stunden später als geplant erfolgte und es sich damit nicht als frühestmöglicher Transport erwies.
Es sei nicht entscheidend, dass es den Beklagten möglicherweise gar nicht möglich war zu einem früheren Zeitpunkt eine Maschine zu chartern. Wenn es Flüge gäbe, die zu einer annähernd vertragsgemäßen Erfüllung der geschuldeten Leistung führen, dann müssten die Flüge den Kunden auch ermöglicht werden.
Die Beklagte habe keine Bemühungen unternommen, die Kläger bei anderen Gesellschaften unterzubringen. Sie habe sich ausschließlich auf eine Ersatzbeförderung mit eigenen Maschinen beschränkt. Die Tatsache, dass die Kläger bei A… buchen und am selben Tag nach München fliegen konnten, belege doch, dass ein wesentlich früherer Rückflug zu weitaus vergleichbaren Reisebedingungen möglich gewesen wäre.
Erst um 21:40 Uhr seien die Kläger überhaupt auf einen Ersatzflug mit Fluggerät der Beklagten aufmerksam gemacht worden. Zu diesem Zeitpunkt seien die Kläger aber bereits in München gelandet gewesen.
Es sei nicht nachvollziehbar, wie das Erstgericht zu der Einschätzung gelangt, eine Wartezeit von 12 Stunden und 40 Minuten sei angemessen. Bei den Klägern handle es sich um eine Familie mit drei minderjährigen Kindern. Für kleine Kinder ist ein Flug, der mitten in der Nacht durchgeführt wird und ein Umsteigen verlangt, eine unzumutbare Belastung. Hätten die Kläger den von der Beklagten organisierten Ersatzflug angenommen, dann hätten die Kinder den ganzen Tag bis in den späten Abend am Flughafen mit Warten verbringen müssen, ihren Nachtschlaf nicht einhalten können, mitten in der Nacht in Busse umsteigen und in den frühen Morgenstunden vom Flughafen München den Nachhauseweg antreten müssen. Kinder seien im höchsten Grade schutzwürdig und schutzbedürftig. Die Kläger hätten ohnehin eine angemessene Wartezeit abgewartet.
Die Beklagten seien auch erst um 21.40 Uhr per SMS über den Ersatzflug informiert wurden. Die Kläger hätten nicht davon ausgehen können, dass noch ein Flug stattfinden wird. Als die Kläger die A…-Flüge gegen 18:00 Uhr buchten, sei der Flug auf der Abflugtafel als annulliert geführt worden.
Es sei der klägerischen Familie auch nicht zumutbar gewesen, lediglich einen Erwachsenen mit Kind Economy fliegen zu lassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 03.01.2018.
II.
Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Kammer macht sich die Ausführungen des Erstgerichts voll zu Eigen. Ergänzend sind noch folgende Ausführungen veranlasst:
1. Voraussetzung für einen Zahlungsanspruch der Kläger ist, dass die Beklagte ihre Verpflichtungen aus Art. 8 der Fluggastrechteverordnung schuldhaft nicht erfüllt hat. In diesem Fall hat der Fluggast Anspruch auf Schadensersatz nach dem jeweils anwendbaren nationalen Recht, hier nach §§ 280 ff. BGB, vgl. Keiler in Fluggastrechteverordnung, 1. Auflage 2016, Art.8 Rn. 34.
2. Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung können Fluggäste im Falle der Annullierung wählen zwischen der Erstattung der Flugscheinkosten (lit. a), einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt (lit. b) oder einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes (lit. c). Vorliegend haben die Kläger die Variante b gewählt. Ein Schadensersatzanspruch käme nur dann in Betracht, wenn die Beklagte ihre Pflicht, die Kläger zum frühestmöglichen Zeitpunkt unter vergleichbaren Reisebedingungen nach München zu befördern, verletzt haben.
3. Das Amtsgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte diese Pflicht nicht verletzt hat. Dies hält einer berufungsgerichtlichen Überprüfung stand.
Nach den Feststellungen des Erstgerichts hat die Beklagte den Fluggästen des streitgegenständlichen Fluges unter Einkauf eines Subcharters eine Ersatzbeförderung angeboten. Dieser Ersatzflug startete um 22.35 Uhr und landete um 01:05 Uhr des Folgetages in Nürnberg. Von dort wurden die Passagiere per Bus nach München transportiert. Wann der Subcharter genau zur Verfügung stand und wann genau bei der Beklagten die Entscheidung gefallen ist, nach Nürnberg zu fliegen, konnte in der Beweisaufnahme allerdings nicht geklärt werden.
Unstreitig steht auch fest, dass es auf dem Markt abgesehen von den Flugplätzen, die die Kläger bei der A… eingekauft haben, auch bei anderen Fluggesellschaften keine freien Flugplätze nach München gab. Unstreitig steht auch fest, dass der von den Klägern gekaufte A…-Flug das Endziel München zeitlich früher erreichte als die von der Beklagten organisierte Ersatzbeförderung.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Beklagte verpflichtet war, den Klägern die Flugplätze von A… anzubieten. Da auch verfügbare Plätze bei anderen Fluggesellschaften in Betracht zu ziehen sind, schieden die freien Plätze bei A… nicht automatisch aus.
Allerdings waren die Beklagte nur dann verpflichtet, den Klägern diese freien Plätze anzubieten, wenn es sich hierbei um „vergleichbare Reisebedingungen“ handelte. Was unter „vergleichbaren Reisebedingungen“ zu verstehen ist, ist relativ unklar. Eine gesetzliche Definition fehlt. Ob noch von „vergleichbaren Reisebedingungen“ ausgegangen werden kann, muss anhand der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden.
Nach Ansicht der Europäischen Kommission ist hierbei insbesondere der Flugplan zu berücksichtigen und auf Grundlage der gebuchten Beförderungs- oder Serviceklasse zu bestimmen. Der dafür bezahlte Preis des Flugscheins ist allerdings nicht relevant. Die Vergleichbarkeit der Reisebedingungen scheitert auch nicht an der Beförderung durch ein anderes Flugunternehmen oder mittels eines anderen Transportmittels, vgl. Keiler in Fluggastrechteverordnung, 1. Auflage 2016, Art. 8 Rn. 28 f.
Stellt man allein auf das Transportmittel und den Ankunftsort ab, fand der Flug mit A… mit Sicherheit unter vergleichbaren Reisebedingungen statt, denn das Endziel München wurde wie der annullierte Flug direkt angeflogen. Bei dem von der Beklagten organisierten Ersatzflug wurde stattdessen Nürnberg angeflogen und das Endziel konnte nur durch einen sich anschließenden Bustransfer erreicht werden.
Allerdings erscheint es der Kammer nicht sachgerecht auszublenden, dass die Kläger allesamt bei der Beklagten Economyclass gebucht hatten und es sich bei dreien der von ihnen bei der A… ersatzweise gekauften Plätze um Businessclassplätze handelte. Insofern stimmt die Beförderungs-bzw. Serviceklasse nicht überein.
Ein Businessclassflug ist im Kern nicht mehr vergleichbar mit einem Economyclassflug.
Wären sämtliche gekauften Ersatzplätze bei A… Economyclass gewesen, hätte wohl von vergleichbaren Reisebedingungen ausgegangen werden müssen. In einem vergleichbaren Fall (Az: 14 S 463/17), in dem die Klägerinnen ebenfalls bei einem Low-Cost-Carrier einen Economyplatz gebucht hatte und sich nach der Annullierung des Fluges selbst einen Ersatzflug bei der Lufthansa gebucht hatten (ebenfalls Economy), hat die Kammer die Meinung vertreten, dass im Kern immer noch vergleichbare Reisebedingungen vorliegen, auch wenn die Klägerinnen auf dem Flug in den Genuss einer Verpflegung und anderer Serviceleistungen gekommen sind, also auch innerhalb der Flugkategorie „Economy“ hinsichtlich der Serviceleistungen Unterschiede bestanden.
4. Dies soll gleichwohl nicht bedeuten, dass ein Businessflug generell nicht in Betracht zu ziehen ist. Aber jedenfalls im Normalfall besteht für die Fluggesellschaft keine Verpflichtung solche Flüge einzubeziehen, die im Verhältnis zum gebuchten Flug ein „upgrading“ bedeuten würden.
Wie das Amtsgericht richtig ausgeführt hat, mag sich unter Berücksichtigung, dass ein hohes Schutzniveau der Fluggäste erreicht werden soll, im Einzelfall die Pflicht ergeben, auch solche Plätze anzubieten. Jedenfalls, wenn über einen langen Zeitraum jegliche andere Beförderung ausscheidet, dürften solche Plätze anzubieten sein.
Wenn allerdings von der Fluggesellschaft tatsächlich eine andere Beförderungsmöglichkeit angeboten wird, die zumutbar erscheint, dürfte ein Rückgriff auf solche Plätze ausscheiden. Dies gilt erst recht, wenn die andere Beförderungsmöglichkeit sogar unter vergleichbaren Reisebedingungen angeboten wird.
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der von der Beklagten organisierte Ersatzflug mit einem gecharterten Flugzeug, auch wenn er statt nach München nach Nürnberg ging und München nur durch einen von der Beklagten organisierten Bustransfer erreicht werden konnte, noch unter vergleichbaren Reisebedingungen stattfand. Zu berücksichtigen ist, dass nach dem Wortlaut des Art. 8 der Fluggastrechteverordnung nur eine „anderweitige Beförderung“ verlangt werden kann, was schon nach dem Wortlaut auch Beförderungsmöglichkeiten mit anderen Verkehrsträgern ermöglicht, vgl. Keiler in Fluggastrechteverordnung, 1. Auflage 2016, Art. 8 Rn. 28. Vor diesem Hintergrund kann der Umstand, dass (auch) ein anderweitiges Verkehrsmittel eingesetzt wird, nicht per se zur Ablehnung von vergleichbaren Reisebedingungen führen. Wird wie hier lediglich das allerletzte kleine Teilstück mittels Bustransfer zurückgelegt, steht dies der Annahme von im Kern vergleichbaren Reisebedingungen nicht entgegen, vgl. hierzu auch Degott, BeckOK Fluggastrechte-Verordnung, Schmid, 4. Edition Stand: 01.10.2017, Art. 8 Rn.8.
Den Klägern ist zwar darin zuzustimmen, dass der Wechsel des Transportmittels und eine weitere Fahrzeit mit dem Bus zu erheblichen Verzögerungen führt und dies subjektiv als Verschlechterung der Reisebedingungen empfunden werden mag. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass die Reisebedingungen nur vergleichbar sein müssen, nicht aber identisch, so dass Abweichungen also durchaus möglich sind.
Insgesamt teilt die Kammer also die Einschätzung des Amtsgerichts, dass es sich bei der von der Beklagten angebotenen Ersatzbeförderung noch um vergleichbare Reisebedingungen handelte, nicht dagegen bei den von den Klägern gebuchten Flügen der A…, weil es sich jedenfalls bei drei von fünf Plätzen um eine völlig andere Buchungs- bzw. Serviceklasse handelte. Der Kammer ist bewusst, dass dieses Ergebnis nicht zwingend ist und man dies auch anders sehen könnte.
5. Auch der Umstand, dass der von der Beklagten angebotene Ersatzflug mit einer über 12stündigen Verspätung einhergegangen ist, rechtfertigt es aus Sicht der Kammer nicht davon auszugehen, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, den Klägern die früheren zum Großteil nicht vergleichbaren Plätze bei der A… anzubieten.
Wäre der Ersatzflug, den die Beklagte organisieren konnte, Tage später gegangen, dann mag die Kammer nicht ausschließen, dass in einem solchen Fall die A…-Plätze anzubieten gewesen wären. Vorliegend ging der von der Beklagten organisierte Ersatzflug aber gerade mal 3 1/2 Stunden später als der A…-Flug. Vor diesem Hintergrund kann die Kammer nicht erkennen, dass diese doch überschaubare „Mehrwartezeit“ unzumutbar gewesen wäre. Die Kammer will den Klägern gar nicht abstreiten, dass die Wartezeit für die Kinder eine erhebliche Belastung waren und Kinder um diese Zeit üblicherweise bereits schlafen. Die Kammer hat auch durchaus Verständnis dafür, dass die Kläger nach einer Möglichkeit suchten, früher nach München zurückzukehren. Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die A…-Plätze anzubieten.
6. Zusammenfassend scheitert ein Anspruch der Kläger, weil die Beklagte auch nach Auffassung der Kammer nicht gegen ihre Verpflichtung aus Art. 8 Abs. 1 lit. b der Fluggastrechteverordnung verstoßen hat. Die Beklagte hat den Klägern die Ersatzbeförderung zu vergleichbaren Reisebedingungen angeboten, die frühestmöglich zu organisieren war. Die etwa dreieinhalb Stunden früher gehenden A…-Plätze waren den Klägern nicht anzubieten, da es insofern jedenfalls bei den Businessclassplätzen an „vergleichbaren Reisebedingungen“ fehlte und die Kläger an nur zwei Economyplätzen ersichtlich ohnehin kein Interesse hatten, wie auch in der Berufungsbegründung nochmal ausgeführt wurde.
Auch der Umstand, dass die Kläger viele Stunden gewartet haben, bis sie die Plätze bei der A… gebucht haben und zu diesem Zeitpunkt unter Umständen für die Kläger nicht klar gewesen sein mag, ob überhaupt noch ein Flug stattfinden wird, ändert nichts daran, dass die Kläger Plätze gebucht haben, die mit den geschuldeten Reisebedingungen nicht mehr vergleichbar waren und deshalb von der Beklagten nicht angeboten werden mussten.