AG Königs Wusterhausen, Az.: 4 C 1304/13, Urteil vom 08.04.2014
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger zu 1. bis 3. jeweils 250,– € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen jährlich über dem Basiszinssatz seit dem 06. Dezember 2013 zu zahlen sowie die Kläger von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 € freizustellen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 115 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche nach Art. 5, 7 EGV 261/2004 (Fluggastverordnung).
Die Kläger verfügten über eine bestätigte Buchung für den durch die Beklagte ausgeführten Flug zur Flug-Nr. …, der am 22. März 2013 um 19:15 am EuroAirport Swiss (Basel) abfliegen und Berlin-Schönefeld um 20:45 Uhr erreichen sollte. Der Flug fand nicht statt. Am 23. März 2013 wurde durch die Beklagte ein Flug auf der entsprechenden Strecke zur Flug-Nr. … durchgeführt, der um 09:30 Uhr in Basel startete und um 11:00 Uhr Berlin-Schönefeld erreichte. Die Kläger hatten diesen Flug nicht angetreten.
Die Kläger machten vorgerichtlich gegenüber der Beklagten vergeblich Ausgleichsleistung von 250,– € je Person unter Berücksichtigung der nach der Großkreismethode berechneten Flugstrecke wegen der Annullierung des Fluges geltend. Die Beträge sind Streitgegenstand.
Die Kläger sind mit näheren Ausführungen der Auffassung, dass eine Annullierung vorgelegen habe. Aber auch im Falle einer großen Verspätung im Sinne der Rechtsprechung des EuGH stünde Ihnen der Anspruch auf Ausgleichsleistung zu, obgleich sie den Flug nicht angetreten hätten. Aus der Systematik der Fluggastverordnung folge, dass der Flugreisende einen verspäteten Flug nicht antreten müsse, um in die Vergünstigung der Ausgleichsleistung zu gelangen. Nach Art. 6 Abs. 1 c) lit. iii) i. V. m. Art. 8 Abs. 1 a) stehe dem Flugreisenden im Falle einer Verspätung von mehr als fünf Stunden ein Rücktrittsrecht zu. Selbst im Falle einer Umbuchung und Nutzung eines Ersatzfluges verbliebe dem Flugreisenden die Ausgleichsleistung, wenn auch auf die Hälfte reduziert. Darüber hinaus wolle der Verordnungsgeber einen einmal entstandenen Entschädigungsanspruch (mithin nach Eintritt der Verspätung von mehr als drei Stunden) nur dann ändern oder gar entfallen lassen, wenn der Flugreisende hierzu sein schriftliches Einverständnis erteile, Art. 7 Abs. 3 Fluggastverordnung. Zwar sei dies dort nur für die Leistung in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen vorgesehen, müsse aber umso mehr für anderweitige Vereinbarungen wie z. B. eine Umbuchung gelten. Aus dem Umstand, dass solche Vereinbarungen schriftlich geschlossen werden müssten, folge, dass der Verordnungsgeber bewusst hohe Hürden gesetzt habe, eine Ausgleichsleistung zu vermeiden. Schließlich gebiete der europarechtliche verankerte Gleichbehandlungsgrundsatz, dem Flugreisenden auch bei Nichtantritt eines um mehr als fünf Stunden verspäteten Fluges die Ausgleichsleistung zu gewähren, nachdem die Verordnung ein Rücktrittsrecht des Flugreisenden ausdrücklich sowohl bei der Annullierung als auch der Verspätung eines Fluges vorsehe. Die Nutzung dieses Rechts könne nicht einerseits zum Verlust der Ausgleichsleistung führen, andererseits nicht. Im Übrigen hätten die Kläger dieselben Unannehmlichkeiten erlitten wie sie Grundlage für die in der Fluggastverordnung geregelten Fälle seien.
Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger zu 1. bis 3. jeweils 250,– € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen sowie die Kläger von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 120,67 € freizustellen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet mit näheren Ausführungen, der Flug sei nicht annulliert worden, sondern am nächsten Tag und daher verspätet durchgeführt worden. Zwar müsse für einen solchen Flug stets eine neue Flugnummer vergeben werden. Dies führe allerdings nicht zur Behandlung des Fluges als annulliert. War der Flug aber nur verspätet, stehe den Klägern eine Ausgleichsleistung nicht zu, nachdem sie den Flug nicht angetreten hätten.
Ein Anspruch auf Ausgleichsleistung nach Art. 7 Fluggastverordnung setze sachnotwendigerweise voraus, dass der Flugreisende, wenn auch verspätet, am Zielort ankomme.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf deren gewechselte Schriftsätze, jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Kläger verfolgen allein einen Anspruch auf Ausgleichsleistung gemäß Art. 5, 7 EGV Nr. 261/2004, sodass sich die Prüfung des Anspruchs nach diesen Regelungen beschränkt. Ein Anspruch auf Ausgleichsleistung steht den Klägern aber nicht zu. Zwar hatte das erkennende Gericht einmalig entschieden, dass es auf den Antritt der Flugreise für den Anspruch auf Ausgleichsleistung nicht ankommen, hält an dieser Rechtsprechung aber nicht weiter fest.
Soweit die Kläger eine Annullierung des Fluges behaupten, haben sie als insoweit darlegungs- und beweisführungsbelastet zu einer Annullierung schon nicht hinreichend vorgetragen, erst Recht diese auf das Bestreiten der Beklagten nicht bewiesen. Es entspricht der Rechtsprechung von EuGH und BGH, wonach ein Flug nicht als annulliert gilt, wenn er später nach der ursprünglichen Planung des Luftfahrtunternehmens durchgeführt worden ist. Weder kommt es auf die Dauer der Verspätung des Fluges an, noch kommt es auf eine Änderung der Flugnummer an.
Zwar ist nach Auffassung des Gerichts entgegen der Auffassung der Kläger die Rechtsfolge nicht aus der Regelung des Art. 6 Abs. 1 c) lit. iii) i. V. m. Art. 8 Abs. 1 a) der Verordnung herzuleiten, folgt hieraus zwar das Recht, von der Flugreise zurückzutreten. Rechtsfolge ist aber nicht der Anspruch auf Ausgleichsleistung nach Art. 7 EGV Nr. 261/2004, sondern allein der Anspruch auf Rückerstattung des Flugpreises. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung wiederum sieht einen Anspruch auf Ausgleichsleistung, bei verschiedenen Verspätungszeiten unter Berücksichtigung der jeweiligen Flugstrecke gemindert um 50 %, wiederum nur vor, wenn der Flugreisende nicht von der Flugreise Abstand genommen, sondern den angebotenen Ersatzflug auch tatsächlich angenommen hat, und zwar beim ausführenden Luftfahrtunternehmen. Daher kommt es hier auch nicht darauf an, ob die Kläger eventuell selbständig anderweitig gebucht haben und mit dem Ersatzflug mehr als drei Stunden am Zielort eingetroffen sind.
Auch aus Art. 7 Abs. 3 der Verordnung können die Kläger für sich Günstiges nicht herleiten, setzt die Vorschrift voraus, dass der Anspruch auf Ausgleichsleistung überhaupt entstanden ist, was vorliegend eben nicht der Fall ist.
Maßgeblich allerdings sind nach Auffassung des Gerichts die Regelungen in Art. 5 Abs. 1 a) und c) i. V. m. Art. 8 Abs. 1 der Fluggastverordnung. Art. 5 Abs. 1 a) gewährt im Falle der Annullierung dem Flugreisenden Unterstützungsleistungen nach Art. 8 der Verordnung. Der Flugreisende kann daher nach Annullierung eines Fluges zwischen Rückerstattung des Flugpreises nach Art. 8 Abs. 1 a) und damit unter Abstandnahme von der Beförderung oder aber der anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt gemäß Art. 8 Abs. 1 b) der Verordnung (gegebenenfalls auch nach Art. 8 Abs. 1 c)) wählen. In jedem Falle bleibt dem Flugreisenden der Anspruch auf die Ausgleichsleistung nach Art. 5 Abs. 1 c) erhalten, auch, soweit er die anderweitige Beförderung nach Art. 8 Abs. 1 b) (oder c)) wählt, soweit nicht die dort aufgeführten Ausnahmen ausnahmsweise entgegenstehen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des BGH ist eine so genannte große Verspätung, also eine Verspätung von mehr als drei Stunden, nur dann einer Annullierung im Sinne des Art. 5 EGV Nr. 261/2004 gleich zu behandeln, wenn die Verspätung bei der Ankunft, also am Reiseziel eintritt. Soweit Gerichte hieraus herleiten, dass der Anspruch auf Ausgleichsleistung im Falle der großen Verspätung nur dann entstehen kann, wenn der Flugreisende den verspäteten Flug auch tatsächlich antritt, vermag dem das erkennende Gericht nicht zu folgen.
Art. 5 der Verordnung gewährt dem Flugreisenden in jedem Falle die Ausgleichsleistung nach Art. 7. Darüber hinaus verweist die Vorschrift auf Art. 8 der Verordnung. Damit hat der Flugreisende nach eigenem Ermessen das Recht, neben der Ausgleichsleistung zu wählen, ob er die Flugreise später noch antritt oder vom Flug – unter Erstattung des Flugpreises – endgültig Abstand nimmt. Die Ausgleichsleistung bleibt ihm in jedem Falle erhalten.
Die entsprechende Anwendung der Vorschrift über die Annullierung mit der Rechtsfolge des Anspruchs auf die Ausgleichsleistung im Falle der großen Ankunftsverspätung folgt dem Grundsatz größtmöglichen Verbraucherschutzes, wie es insgesamt Intention der europarechtlichen Verbraucherschutzvorschriften ist. Der Flugreisende soll mit der Ausgleichsleistung für die „Unannehmlichkeiten“ entschädigt werden, die sich aus einer durch das Luftfahrtunternehmen zu verantwortenden nachteiligen Veränderung des geschlossenen Beförderungsvertrages ergeben. Grundlage der Gleichbehandlung von Annullierung und großer Ankunftsverspätung ist nach der Rechtsprechung des EuGH im Ergebnis die gleiche Interessenlage des Flugreisenden.
Zwar hat die Entscheidung, den verspäteten Flug nicht anzutreten und also nicht am Zielort anzukommen, im Falle des Nichtantritts der Flugreisende selbst getroffen. Diese Entscheidung aber ist Folge der durch das Luftfahrtunternehmen zu verantwortenden großen Verspätung. Damit entspricht die Situation der im Falle des Vorliegens einer Annullierung. Würde das Luftfahrtunternehmen im Falle der Annullierung nach Art. 5 Abs. 1 a) i. V. m. Art. 8 Abs. 1 b) der Verordnung dem Flugreisenden einen späteren Flug anbieten, der gegebenenfalls nur wenige Stunden nach dem annullierten Flug stattfindet, könnte der Flugreisende gleichwohl den Nichtantritt der Reise wählen, behielte aber den Anspruch auf die Ausgleichsleistung nach Art. 7 der Verordnung.
Gründe, weshalb dann im Falle einer erkennbaren großen Ankunftsverspätung der Flugreisende unter Erhalt des Anspruchs auf Ausgleichsleistung nicht ebenfalls Abstand von der Beförderungsleistung nehmen können sollte, sind nicht ersichtlich. Die Interessenlage ist in beiden Fällen vergleichbar.
Der Anspruch auf die Nebenforderungen folgt aus Verzug, §§ 280Abs. 2, 286,288 BGB.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91Abs. 1 Satz 1, 708 Nr. 11,711 ZPO.
Streitwert: 750,– €.