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Fluggastrechte bei großer Verspätung bzw. Flugannulierung

AG Hannover, Az.: 511 C 11581/15, Urteil vom 20.05.2016

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1.) 400 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.10.2015 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 2.) 400 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.10.2015 zu zahlen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Tatbestand

Die Kläger machen Ausgleichsleistungen aus der Fluggastrechteverordnung geltend.

Fluggastrechte bei großer Verspätung bzw. Flugannulierung
Symbolfoto: Von Alex Brylov /Shutterstock.com

Die Kläger buchten bei der Beklagten einen Flug Nr. … von Hannover nach Palma de Mallorca. Der Flug sollte am 01.09.2015 planmäßig um 09:25 Uhr (Ortszeit) in Palma de Mallorca landen. Die Kläger erreichten Palma de Mallorca tatsächlich erst mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden um 12:39 Uhr (Ortszeit). Der von den Klägern gebuchte Flug wurde mit einem Flugzeug der D. als Subcharter durchgeführt.

Vom 31.08.2015 bis zum 01.09.2015 waren die Kapverdischen Inseln durch den Hurrikan „Fred“ betroffen.

Die Kläger haben die Beklagte mit Schreiben vom 18.09.2015 erfolglos zur Zahlung bis zum 09.10.2015 aufgefordert.

Die Kläger sind der Auffassung, dass sich die Beklagte nicht auf außergewöhnliche Umstände wegen der Flugverspätung berufen könne.

Die Kläger beantragen:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1.) 400 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.10.2015 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 2.) 400 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.10.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass der gebuchte Flug ursprünglich mit der Maschine … durchgeführt werden sollte. Aufgrund des Hurrikans „Fred“ seien die Flughäfen Boa Vista und Sal auf den Kapverdischen Inseln am 31.08.2015 bis zum 01.09.2015 geschlossen worden, sodass es zu erheblichen Verzögerungen im Betriebsablauf der Beklagten gekommen sei. Das Flugzeug … habe in Las Palmas de Gran Canaria übernachten müssen und sei nach Wiederöffnung der Flughäfen am Nachmittag des 01.09.2015 weitergeflogen zu den Kapverdischen Inseln. Daher habe das Flugzeug für die weiteren für den 01.09.2015 geplanten Flugumläufe nicht zur Verfügung gestanden. Die Beklagte habe daraufhin ihren Flugumlauf umgeplant und das Flugzeug … für den Umlauf eingesetzt, der eigentlich durch die … vorgesehen gewesen sei. Die deshalb für den streitgegenständlichen Flug eingesetzte Subcharter-Maschine der D. habe erst von Billund, Dänemark nach Hannover geflogen werden müssen, deshalb sei es zur Verzögerung gekommen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.04.2016 (Bl. 70-72 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Den Klägern steht der geltend gemachte Ausgleichsanspruch in entsprechender Anwendung von Art. 7 Abs. 1 b) in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.02.2004 (Fluggastrechteverordnung) zu.

Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 19.11.2009 in der Rechtssache C-402/07 Sturgeon u. a.) sind die Fluggäste verspäteter Flüge denjenigen annullierter Flüge in entsprechender Anwendung der Art. 5, 6 und 7 der Fluggastrechteverordnung gleichzustellen, so dass sie den in Art. 7 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden.

Dies ist vorliegend der Fall.

Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, von ihrer Pflicht zur Ausgleichszahlung gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung befreit zu sein. Gemäß Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung ist ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 der Verordnung zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Außergewöhnlich im Sinne der Verordnung sind Umstände dann, wenn sie nicht dem gewöhnlichen Lauf der Dinge entsprechen, sondern außerhalb dessen liegen, was üblicherweise mit dem Ablauf der Personenbeförderung im Luftverkehr verbunden ist oder verbunden sein kann und aufgrund ihrer Natur oder Ursache von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind (EuGH, NJW 2009, 347, 349 „Wallentin-Hermann ./. Alitalia“, Rn. 23; BGH, Urt. v. 21.08.2012, X ZR 146/11, Rn. 12). Ein witterungsbedingter Umstand und eine daraus resultierende Flugverzögerung auch der nachfolgenden Flüge des betroffenen Umlaufs kann einen die Ausgleichszahlungsverpflichtung aufhebenden außergewöhnlicher Umstand darstellen (BGH, Urt. v. 12.06.2014, X ZR 121/13, Rn. 15).

Dies ist vorliegend indes nicht der Fall. Zwar kann ein Hurrikan einen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Vorliegend war die nach dem Vortrag der Beklagten für den Flug eingeplante Maschine mit der Bezeichnung … von den Witterungsumständen des Hurrikans Fred nicht unmittelbar betroffen, sondern lediglich mittelbar aufgrund einer Umplanung der Beklagten. Dies genügt zur Begründung eines außergewöhnlichen Umstands nicht. Bereits aus dem Erwägungsgrund Nr. 15 der Fluggastrechteverordnung ergibt sich, dass vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände dann ausgegangen werden sollte, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer Verspätung kommt.

Insoweit hat auch der EuGH in seinem Urteil vom 04.10.2012, Rs. C 22/11 entschieden, dass sich die „außergewöhnlichen Umstände“ nur auf „ein einzelnes Flugzeug an einem bestimmten Tag“ beziehen dürfen. In Anbetracht des Erfordernisses, Ausnahmen von Bestimmungen, die Fluggästen Rechte gewähren, eng auszulegen, kann daher nicht zugelassen werden, dass sich das Luftfahrtunternehmen von seiner Ausgleichsverpflichtung im Fall der „Nichtbeförderung“ mit der Begründung befreien kann, dass die Nichtbeförderung darauf beruhe, dass die Flüge dieses Unternehmens infolge „außergewöhnlicher Umstände“ umorganisiert worden seien.

Das Eintreten „außergewöhnlicher Umstände“, die ein Luftfahrtunternehmen dazu veranlassen, Flüge umzuorganisieren, nachdem diese Umstände vorgelegen haben, vermag daher weder die „Nichtbeförderung“ auf einem dieser nachfolgenden Flüge rechtfertigen noch das betreffende Luftfahrtunternehmen von seiner Ausgleichsverpflichtung gegenüber dem Fluggast befreien kann, dem es die Beförderung auf einem dieser Flüge verweigert, die durchgeführt werden, nachdem die genannten Umstände vorgelegen haben (EuGH, Urteil vom 04. Oktober 2012 – C-22/11 -, Rz. 37ff.). Für eine die große Verspätung gelten die Ausführungen entsprechend.

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 12.06.2014, X ZR 121/13. Zwar hat der BGH die Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen in einem Fall verneint, in dem das beklagte Luftfahrtunternehmen aufgrund der Ankündigung eines Streiks der Piloten seine geplanten Flüge weitgehend umorganisierte. Der dem Urteil zugrunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich jedoch maßgeblich von dem vorliegend zu entscheidenden Sachverhalt, denn dort war das den verzögerten Flug durchführende Flugzeug von den außergewöhnlichen Umständen (Pilotenstreik) in dessen Vorumlauf tatsächlich betroffen.

Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 Abs. 1 BGB. Der Anspruch auf Ausgleichsleistung ist sofort fällig, daher trat mit Ablauf der gesetzten Frist Verzug ein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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