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Fluggastrechteverordnung: Ausgleichszahlung bei Flügen in die Schweiz

AG Hannover, Az.: 562 C 9420/13

Urteil vom 28.03.2014

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 600 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.06.2013 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt eine Ausgleichszahlung wegen eines nicht planmäßig durchgeführten Fluges.

Fluggastrechteverordnung: Ausgleichszahlung bei Flügen in die Schweiz
Symbolfoto: fintastique/Bigstock

Der Kläger buchte bei der Beklagten, einem Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in Deutschland, für den 18.03.2013 einen Flug von Boa Vista (Kapverden) nach Basel-Mulhouse. Nach planmäßig erfolgtem Abflug aus Boa Vista erfolgte eine Zwischenlandung auf Sal. Beim Start in Sal platzte ein Reifen des Flugzeugs, weshalb die Maschine statt in Basel-Mulhouse in Frankfurt am Main landete. Die planmäßige Ankunftszeit in Basel-Mulhouse war um 21.25 Uhr, die tatsächliche Ankunft des Klägers in Frankfurt am Main um 21.16 Uhr. Der Kläger wurde sodann mit dem Bus von Frankfurt am Main nach Basel befördert und erreichte das Ziel am nächsten Morgen gegen 03.00 Uhr.

Der Kläger macht wegen der nicht planmäßigen Ankunft in Basel eine Ausgleichszahlung in Höhe von 600 EUR geltend

Der Kläger behauptet, dass der Flug … am 18.03.2013 von Boa Vista nach Basel-Mulhouse eine Ankunftsverspätung von fast 6 Stunden gehabt habe. Daher ist er der Ansicht, dass ihm gemäß Art. 7 (1) c) VO (EG) Nr. 261/2004 ein Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von 600 EUR zustehe. Er meint, die Fluggastrechteverordnung sei vorliegend anwendbar, da der streitgegenständliche Flug von einem Drittstaat zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedsstaates, nämlich Frankreich, gegangen sei. Selbst wenn der Flughafen Basel-Mulhouse zum schweizerischen Staatsgebiet gehören sollte, sei die Verordnung aufgrund des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Luftverkehr vom 21.06.1999 in Fassung des Beschlusses Nr. 2/2010 des Luftverkehrsausschusses Gemeinschaft/Schweiz vom 26.11.2010 anwendbar.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 600 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 20.06.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass sie nicht zu Ausgleichzahlungen nach der VO (EG) Nr. 261/2004 verpflichtet sei, da die Verordnung nicht anwendbar sei, weil bei dem streitgegenständlichen Flug weder der Abflug- noch der Ankunftsort in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union liege. Der Zielflughafen sei im konkreten Fall wegen des IATA-Codes „BSL“ unabhängig von dessen geografischen Lage der Schweiz zuzurechnen. Überdies meint die Beklagte, das Luftverkehrsabkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft sei unanwendbar, da es vor dem Inkrafttreten der Fluggastrechteverordnung geschlossen worden sei.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist begründet.

Dem Kläger steht ein Ausgleichanspruch in Höhe von 600 EUR gegen die Beklagte aus Art. 7 (1) c) VO (EG) Nr. 261/2004 zu.

Der Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 261/2004 ist eröffnet. Gemäß Art. 3 (1) b) VO (EG) Nr. 261/2004 ist der Anwendungsbereich dieser Verordnung grundsätzlich eröffnet, wenn Fluggäste einen Flug von einem Flughafen in einem Drittstaat zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, der den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, bei einem Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft antreten. Die Beklagte stellt unstreitig ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft i. S. d. Art. 2 c) VO (EG) Nr. 261/2004 dar. Ferner erfolgte ein Flug des Klägers aus einem Drittstaat (Kapverden) zu dem in Frankreich und damit im Gebiet eines Mitgliedstaats liegenden Flughafen Basel-Mulhouse.

Dem steht nicht entgegen, dass sich der Flughafen in einen französischen und einen schweizerischen Sektor teilt und der Flug über den schweizerischen Sektor verlaufen sollte. Selbst der schweizerische Sektor des Flughafens Basel-Mulhouse liegt nicht im schweizerischen, sondern im französischen Staatsgebiet, so dass dort grundsätzlich das französische und damit, da Frankreich Mitglied der Europäischen Union ist, europäisches Recht Anwendung findet (so auch ZG Basel, Urteil vom 20.06.2011, V-2011 35, RRa 2011, 286.). Bestätigung erfährt diese Feststellung durch Art. 6 des Schweizerisch-Französischen Staatsvertrages über den Bau und den Betrieb des Flughafens Basel-Mulhouse vom 04.07.1949, wonach für das ganze Gebiet des Flughafens Basel-Mulhouse französisches Recht gilt.

Dagegen wendet sich die Beklagte ohne Erfolg mit der Ansicht, dass für die korrekte Zuordnung eines Zielflughafens zu einem bestimmten Hoheitsgebiet nicht die tatsächliche Lage des Flughafens, sondern die Kürzel der IATA-Codes (hier BSL) maßgeblich seien. Der Wortlaut des Art. 3 (1) b) der VO (EG) Nr. 261/2004 spricht ausdrücklich von einem Flughafen „im Gebiet“ eines Mitgliedsstaates. Das lässt darauf schließen, dass der europäische Gesetzgeber die Bestimmung des Zielflughafens nach der tatsächlichen, geografischen Lage bemessen wollte. Für die Gegenbehauptung, die Kürzel der IATA-Codes seien diesbezüglich maßgeblich, findet sich weder eine sachliche Rechtfertigung noch eine Stütze im Gesetz. Diese dienen lediglich der Identifizierbarkeit von Flughäfen, sollen aber nicht das Staatsgebiet der betroffenen Zielflughäfen feststellen.

Aber selbst wenn sich der streitgegenständliche Flughafen nicht im Gebiet eines Mitgliedstaats befinden sollte, dürfte die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 anwendbar sein, weil gemäß dem Luftverkehrsabkommen und dem Beschluss Nr. 1/2006 des gemäß Art. 23 Abs. 4 dieses Abkommens bestimmten Luftverkehrsausschusses Gemeinschaft/Schweiz (ABl. EU 2006, L298/23) sowie dem Folgebeschluss Nr. 2/2010 (ABl. EU 2010, L347/54; Schweizer AS 2011, 205) die Fluggastrechteverordnung seit dem 01. Dezember 2006 auch für das Gebiet der Schweiz anzuwenden ist. Mit der Erstreckung der Fluggastrechteverordnung auf das Gebiet der Schweiz dürften auch solche Flüge in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, die von einem Drittstaat ausgehen ihr Ziel aber in der Schweiz haben (vgl. BGH RRA 2013, 183ff).

Die Voraussetzungen eines Ausgleichsanspruches nach Art. 5 (1) c) i. V. m. Art. 7 (1) c) VO (EG) Nr. 261/2004 sind gegeben. Nach aktueller Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (RRa 2012, 272 f) stehen Fluggästen, deren Flug sich verspätet hat, Ausgleichszahlungen – auch wenn dieser Anspruch von der Verordnung nur im Fall der Annullierung von Flügen ausdrücklich gewährt wird – zu, sofern sie ihr Endziel drei Stunden oder mehr nach der planmäßigen Ankunft erreichen.

Die Verspätung überschritt mit über 5,5 Std. diese Grenze.

Die Ausgleichzahlung besteht nach Art. 7 (1) c) VO (EG) Nr. 261/2004 in der Höhe von 600 EUR. Die Entfernung zwischen Boa Vista und Basel-Mulhouse übersteigt mit 4,465 Km die 3500 km-Grenze des Art. 7 (1) b) VO (EG) Nr. 261/2004.

Mit Mahnschreiben vom 10.05.2013 hat der Kläger die Beklagte gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 BGB in Verzug gesetzt. Der Anspruch auf die beantragten Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.06.2013 ergibt sich folglich aus §§ 288 Abs. 1 BGB, 286 BGB.

Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 I 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre gesetzliche Grundlage in § 713 ZPO.

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