LG Dresden – Az.: 4 S 586/18 – Urteil vom 08.08.2019
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 07.11.2018, AZ: 105 C 1927/18, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst
1. Die Beklagte zu 1 wird verurteilt, an die Kläger jeweils einen Betrag von 600,00 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.11.2016.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen
II. Die Gerichtskosten beider Instanzen tragen die Kläger gesamtschuldnerisch und die Beklagte zu 1 zu je %. Die außergerichtlichen Kosten der Kläger für beide Instanzen tragen die Kläger und die Beklagte zu 1 je zu %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1 in beiden Instanzen trägt diese selbst Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 in beiden Instanzen tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert: 1200,00 €
Gründe
I.
Die Parteien streiten über Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung.
Das Amtsgericht Dresden hat mit Urteil vom 07.11.2018 (BI. 93 d.A.) die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Kläger jeweils 600,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 22.11.2016 zu zahlen.
Das Urteil ist den Klägern am 13.11.2018 und den Beklagten am 15.11.2018 zugestellt worden.
Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 18.12.2018 Berufung eingelegt (BI. 103 d.A.).
Die Beklagten begründen die Berufung dahingehend, dass das amtsgerichtliche Urteil an falscher Rechtsanwendung und unvollständiger Sachverhaltsauflassung leide. Die Beklagte zu 2 habe weder etwas moderiert, noch eine Umbuchung der Kläger in Zürich vorgenommen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb die Beklagte zu 2 für eine Ankunftsverspätung des Fluges LX147 (ausgeführt durch die Beklagte zu 1) haften solle. Eine doppelte Ausgleichszahlung komme nicht in Betracht, da lediglich eine bestätigte Buchung für eine Flugbeförderung vorgelegen habe. Weiterhin habe das amtsgerichtliche Urteil außer Acht gelassen, dass den Klägern in Zürich eine MCT (Minimum Connection Time) von 48 Minuten zur Verfügung gestanden habe.
Die Beklagten haben beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Kläger haben beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Die Kläger meinen, Rechtsfehler seien in der Entscheidung nicht ersichtlich. Zurecht habe das Amtsgericht Dresden festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch haften. Die Beklagte zu 1 hatte, da sie die Umbuchung mit anschließender Flugirritation moderiert habe. Weiterhin hatte die Beklagte zu 2, da sie als originär rechtlich fliegendes Luftfahrtunternehmen Ansprüche aus der Fluggastrechteverordnung auslöse.
Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien, ihre Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung von 07.11.2018 und das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 07.11.2018 verwiesen.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
Sie hat in der Sache teilweise Erfolg. Soweit die Berufung keinen Erfolg hatte, war sie zurückzuweisen.
1.
Die Berufung hat Erfolg, sofern die Beklagten gesamtschuldnerisch verurteilt wurden.
1.1.
Die Beklagte zu 2 ist nicht passivlegitimiert, da sie nicht als ausführendes Luftfahrtunternehmen i. S. d. FluggastrechteVO anzusehen ist. Für die Qualifikation als ausführendes Luftfahrtunternehmen kommt es nicht entscheidend darauf an, mit wem der Fluggast in einem Vertragsverhältnis steht, sondern wer die Beförderungsleistung tatsächlich erbringt (BeckOK Fluggastrechte-Verordnung, Schmid, 11. Edition, Stand: 01.07.2019, Art. 2, Rn. 7.) Das Betriebsunternehmen der streitgegenständlichen Flüge von Dehli nach Zürich und von Zürich nach Dresden war die Beklagte zu 1. Die Beklagte zu 1 hatte die alleinige Verantwortung für die Abwicklung der Flüge, indem sie hierüber die Flugsteuerung übernommen hat. Sie ist also die alleinige Betreiberin der Flüge.
1.2.
Hierbei vermag die Ausführung der Kläger und des Amtsgerichts zur Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 10.10.2017, Az. X ZR 73/16) nichts zu ändern, da diese insoweit vorliegend nicht herangezogen werden kann. Insbesondere deshalb, weil beiden Fällen ein unterschiedlicher Streitgegenstand zugrunde liegt Der Streitgegenstand wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die von den Klägern geltend gemachte Rechtsfolge konkretisiert, und dem Lebenssachverhalt, aus dem die Kläger die begehrte Rechtsfolge herleiten (BGH, Urteil vom 10.10.2017, Az.: X ZR 73/16).
1.2.1.
Der BGH nahm in einem vom Sachverhalt her ähnlich gelagerten Fall an, dass auch das Luftfahrtunternehmen des ursprünglich gebuchten Fluges für dessen Annullierung eine Ausgleichspflicht erbringen müsse. Hierbei komme es auch nicht darauf an, inwieweit Ansprüche gegen das den Ersatzflug ausführende Luftfahrtunternehmen wegen Verspätung bestehen. Denn nicht jede Verspätung begründet automatisch einen Ausgleichsanspruch gegen das den Ersatzflug ausführende Unternehmen. Streitgegenstand des BGH-Urteils vom 10.10.2017, Az.: X ZR 73/16 waren die annullierten Flüge, durch die die Kläger letztlich ursächlich verspätet am Zielort ankamen.
1.2.2.
Insoweit unterscheidet sich der Streitgegenstand vom hiesigen Fall. In der Klageerhebung (BI. 3 d A.) ist von den beiden Flügen die Rede, die die Beklagte zu 1 ausführen sollte. Die Kläger führen in der Klageerweiterung aus (BI. 20 d.A.), dass die Beklagte zu 2 die ursprünglichen Flüge von Dehli nach Frankfurt und Frankfurt nach Dresden ausführen sollte. Dies geschieht unter der Überschrift „zum Vorlauf zu den streitgegenständlichen Flügen“. Die Klägerseite lässt ausführen, dass die ursprünglichen Flüge annulliert wurden und die Kläger dann auf die „streitbefangenen Flüge“ umgebucht wurden. Weiter seien diese nun streitbefangenen Flüge verspätet gewesen. Die Kläger machen Ansprüche allein wegen des verspäteten Fluges von Dehli nach Zürich und der daraus resultierenden Folge, dass der Anschlussflug von Zürich nach Dresden verpasst wurde, geltend (BI. 20 d. A). Die annullierten Flüge sind dem Klägervortrag nach mithin nicht streitgegenständlich.
1.3.
Zwar nimmt der BGH an, dass Ansprüche gegen das ursprüngliche sowie den Ersatzflug ausführende Unternehmen auch nebeneinander bestehen können. Doch diese Ansprüche hat die Klägerseite nicht geltend gemacht. Hierfür hätte sie neben Ansprüchen aufgrund der Verspätung gegen die Beklagte zu 1 Ansprüche wegen der Annullierung gegen die Beklagte zu 2 geltend machen müssen. Vielmehr begehrt sie aber eine gesamtschuldnerische Haftung beider Beklagten für dieselben Flüge.
Da die Beklagte zu 2 für eben diese Flüg nicht ausführendes Luftfahrtunternehmen war, fehlt es an einer gesamtschuldnerischen Inanspruchnahme. Denn eine solche gesamtschuldnerische Haftung setzt gemäß § 421 BGB voraus, dass sich der Anspruch gegen mehrere Schuldner richtet Für die streitbefangenen Flüge kann sich ein solcher jedoch, wie aufgezeigt, nur gegen die Beklagte zu 1 richten. Ebenso geht auch keineswegs aus dem zitierten BGH-Urteil hervor, dass eine gesamtschuldnerische Haftung in solchen Fällen anzunehmen ist
2.
Die Berufung war zurückzuweisen, soweit die Beklagten die Abweisung der Klage insgesamt begehren.
2.1.
Die Beklagte zu 1 haftet entsprechend Art. 711c) FluggastrechteVO.
Ein solcher Anspruch lässt sich allein dem Wortlaut der Verordnung nicht entnehmen. Die Art. 5 bis 7 der FluggastrechteVO sind jedoch dahin auszulegen, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ein Ausgleichsanspruch zusteht, wenn sie auf Grund dieser Flüge einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d.h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der vom Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (EuGH, Ult. v. 23.10.2012 – C-581/10, EuZW2012,906.) Dadurch, dass die Kläger aufgrund des verspäteten Zubringerfluges den Anschlussflug verpassten, steht ihnen ein solcher Anspruch dem Grunde nach zu.
2.2.
Die Beklagte zu 1 ist ausführendes Luftfahrtunternehmen i. S. d. Art. 2 b) Fluggastrechte- VO.
Maßgebend ist hierfür, ob das Luftfahrtunternehmen den Flug durchführt oder die Durchführung beabsichtigt. Hierfür kommt es nicht entscheidend darauf an, mit wem der Fluggast in einem Vertragsverhältnis steht, sondern wer die Beförderungsleistung tatsächlich erbringt (BeckOK Fluggastrechte-Verordnung, Schmid, 11. Edition, Stand: 01.07.2019, Art. 2, Rn. 7). Nur die Beklagte zu 1 hat die streitbefangenen Flüge von Dehli nach Zürich und von Zürich nach Dresden ausgeführt.
2.3.
Die Haftung der Beklagten zu 1 ist nicht durch eigenes Verschulden der Kläger entfallen, denn es steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Kläger den Anschlussflug rechtzeitig erreichen konnten.
2.3.1.
Die Beklagte zu 1 kann die Gedächtnisnotiz der Klägerseite (BI. 43 und 44 d.A.) nicht mit Nichtwissen bestreiten, denn sie hätten diese Angaben ohne weiteres überprüfen können.
In dieser Notiz schildern die Kläger, dass bei dem Zubringerflug um 06.47 Uhr die Räder Stillständen, sie danach noch eine ganze Zeit im Flugzeug warten mussten, ehe sie aussteigen konnten und am Gate A 50 letztlich gegen 07.27 Uhr ankamen, als dieses bereits geschlossen und menschenleer war.
Die Erklärung mit Nichtwissen ist zulässig, wenn es zwar um eigene Handlungen und Wahrnehmungen geht, die Partei aber glaubhaft darlegen kann, sich nicht mehr zu erinnern (Musielak, Voit, ZPO 2019, § 138, Rn. 16.). Die juristische Person trifft die Pflicht, die ihr möglichen Informationen von Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden sind (BGH, Urteil vom 22.04.2016 – V ZR 256/14, BeckRS 2016,12559, Rn. 20.). Ein Verschanzen hinter der arbeitsteiligen Binnenorganisation ist nicht zulässig (BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 33. Edition, Stand: 01.07.2019, § 138, Rn. 26). Die Vorbereitung und Durchführung der Flüge stellt eine eigene Handlung der Beklagten zu 1 als ausführendes Luftfahrtunternehmen beider Flüge dar. Des Weiteren hätte sich die Beklagte zu 1 Informationen zum Ablauf bzw. Geschehen um die streitgegenständlichen Flüge bei ihrem Personal vor Ort einholen müssen. Es ist davon auszugehen, dass die Vorbereitung und Durchführung der Flüge durch Personal der Beklagten zu 1 stattgefunden hat Hier ist es seitens der Beklagten zu 1 unterblieben, sich näher zu erkundigen und auf das substantiierte Vorbringen der Kläger zu reagieren. Demnach gilt der Vortrag der Klägerseite als zugestanden, § 138 Absatz 3 ZPO.
2.3.2.
Selbst unter Annahme des Beklagtenvortrags, dass den Klägern 48 Minuten und damit genug Zeit zur Verfügung stand, um den Anschlussflug zu erreichen (BI. 36 d.A.), lässt dies den Anspruch der Kläger nicht entfallen. Von der Verspätung des Anschlussflugs um 15 Minuten (BI. 36 d.A.) konnten die Kläger nicht ausgehen, da sie mit einer festen Abflugzeit von 7.20 Uhr rechnen mussten. Ein verspätetes Abfliegen kann auf einer Vielzahl von Gründen beruhen und bedeutet nicht automatisch, dass das Gate dadurch ebenso länger geöffnet ist. Es ist durchaus üblich und mangels anderer Angaben auch davon auszugehen, dass das Abfluggate rechtzeitig schließt, die Maschine aber aus witterungsbedingten, technischen, organisatorischen oder anderen Gründen später abhebt als geplant.
Ferner ist nicht vorgetragen, dass die Kläger bei der Ankunft auf den verspäteten Start der Folgemaschine hingewiesen worden wären.
3.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280,286,288 BGG und beginnt mit der endgültigen Ablehnung von Ausgleichszahlungen mit Schreiben der Beklagten zu 1 vom 22.11.2016 (BI. 82. d.A.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung für die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10,711, 713 ZPO.
Der Wert der Berufung richtet sich nach § 47 GKG.
Die Voraussetzungen für die Zulassung einer Revision nach § 543 Absatz 2 ZPO lagen nicht vor, weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch war zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Zulassung der Revision erforderlich.