LG Frankfurt – Az.: 2/24 O 523/20 – Urteil vom 25.11.2021
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.1.2021 zu zahlen,
Zug um Zug gegen Übergabe der Abtretungsurkunde im Original.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin klagt aus abgetretenem Recht von insgesamt neun Fluggästen.
Die Zedenten buchten bei der Beklagten jeweils einen Flug von Frankfurt am Main nach Hanoi am 21.9.2018. Der Flug sollte um 13.55 Uhr starten und um 5.45 Uhr am Zielort ankommen. Tatsächlich startete der Flug um 17.48 Uhr und kam in Hanoi um 10.00 Uhr an.
Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 29.10.2019 und vom 27.12.2019 von der Beklagten Zahlung von insgesamt 5.400 €.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 16.1.2020 ließ die Klägerin ihre Forderung wiederholen (Bl. 13 d.A.).
Die Klägerin behauptet, die Zedenten hätten ihre Ansprüche auf Zahlung einer Ausgleichsleistung an sie abgetreten. Wegen der schriftlichen Abtretungserklärung wird auf Bl. 43 d.A. verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 480,20 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin.
Das Gericht hat durch Beschluss vom 28.9.2021 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … . und … ….. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 28.9.2021 (Bl. 81 – 83 d.A. verwiesen.
Die Klage ist der Beklagten am 20.1.2021 zugestellt worden.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist überwiegend begründet.
Die Klägerin kann von der Beklagten aus abgetretenem Recht von neun Fluggästen die Zahlung einer Ausgleichsleistung von jeweils 600 € verlangen.
Die Zedenten waren gebucht auf einem Flug der Beklagten am 21.9.2018 von Frankfurt am Main nach Hanoi. Dass die Zedenten mit diesem Flug nach Hanoi befördert wurden, hat die Beklagte nicht bestritten.
Unstreitig hatte der Flug eine Verspätung von über 4 Stunden. Statt wie geplant um 5.45 Uhr kamen die Zedenten erst um 10.00 Uhr am Endziel in Hanoi an.
Wegen dieser Verspätung steht der Klägerin für jeden Zedenten eine Ausgleichsleistung in Höhe von 600 € zu.
Die Art. 5, 6 und 7 der FluggastrechteVO sind dahingehend auszulegen, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und somit den in Art. 7 der Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von 3 Stunden oder mehr erleiden, d.h. wenn sie ihr Ziel nicht früher als 3 Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunft erreichen (EuGH, Urt. 19.11.2009, Az. C-402/07).
Diese Voraussetzungen liegen unstreitig vor. Zu außergewöhnlichen Umständen, die zu dieser Verspätung geführt haben, trägt die Beklagte nichts vor.
Die Klägerin ist aktivlegitimiert.
Das Gericht geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass alle neun Zedenten ihre Ansprüche auf Ausgleichsleistung an die Klägerin abgetreten haben.
Die hierzu vernommenen Zeugen haben bestätigt, dass sie das Formular, mit denen die Ansprüche auf Ausgleichsleistung abgetreten wurden, unterschrieben haben. Sowohl der Zeuge … … als auch die Zeugin … ….. haben ihre Unterschriften auf dem Formular als ihre identifiziert.
Das Gericht geht davon aus, dass auch die übrigen Zedenten das Abtretungsformular unterschrieben haben. Das bestätigt der Zeuge … … Er gibt an, dass bei einem Treffen in Vietnam alle übrigen Personen bis auf die Zeugin … …… das Formular unterschrieben haben.
Aus der Diskrepanz der Aussagen der Zeugen, wonach die Zeugin … . das Dokument unterschrieben haben will, als außer dem Zeugen … …… noch kein weiterer Zedent das Dokument unterschrieben hatte, während der Zeuge … ……. angegeben hat, dass die Zeugin … …. als letzte unterschrieben habe, ist nicht der Schluss zu ziehen, dass die Aktivlegitimation der Klägerin nicht bewiesen sei. Denn der Zeuge … …… hat gleichwohl bestätigt, dass die anderen Fluggäste das Dokument unterschrieben haben. Auf den Umstand, ob die Zeugin … …als zweite oder als letzte unterschrieben hat, kommt es entscheidend nicht an. Insofern können durchaus Erinnerungslücken vorliegen.
Jedenfalls hat der Zeuge … ….. die Unterschrift aller anderen Zedenten bestätigt. Dies erscheint deshalb als glaubhaft, weil es sich um eine Reisegruppe untereinander bekannten Personen handelte und es beabsichtigt war, dass alle Personen dieser Gruppe die Erklärung unterschreiben sollten. Auch die Zeugin … … hat angegeben, dass sie die übrigen Zedenten kennen würde und dass sie auf dem Dokument unterschrieben hat, in dem bereits alle neun Zedenten aufgeführt waren.
Ob alle Personen der Reisegruppe am 3.1.2020 die Abtretungsurkunde unterschrieben haben, bleibt unerheblich. Insoweit hat der Zeuge … bestätigt, dass er die Datums- und Ortsangabe auf das Dokument geschrieben hat. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Zeuge das Dokument mit Orts- und Datumsangabe vorbereitet und die übrigen Zedenten zu einem anderen Zeitpunkt unterschrieben haben. Dies steht in Einklang mit der Angabe des Zeugen … …., der bestätigt hat, dass die Ortsangabe jedenfalls bei den anderen sieben Zedenten nicht zutreffend ist, weil sie nicht in Thale, sondern in Vietnam unterschrieben haben. Insofern ist auch denkbar, dass die Aussage der Zeugin … … zutrifft und sie als zweites unterschrieben hat und der Zeuge … …. das Dokument danach nach Vietnam mitgenommen hat. Entscheidend allerdings nicht, wann und wo die Zedenten unterschrieben haben, sondern dass sie unterschrieben haben. Daran hat das Gericht anhand der Aussage des Zeugen … . keine Zweifel.
Soweit die Beklagte darauf verweist, dass auch Minderjährige das Dokument unterschrieben haben, so hat die Zeugin .., die am 3.1.2020 noch nicht volljährig war, ihre Erklärung als Minderjährige durch ihre Aussage nachträglich genehmigt. Im Übrigen folgt aus ihrer Aussage, dass alle übrigen Personen älter als sie seien, weshalb sich in Bezug auf die anderen Zedenten Zweifel an der Wirksamkeit ihrer Erklärungen nicht ergeben. Welche weiteren Personen der Personengruppe noch nicht geschäftsfähig gewesen sein sollten, ergibt sich auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten.
Der Anspruch auf Aushändigung der Originalurkunde der Abtretung folgt aus § 410 Abs. 1 S. 1 BGB. Dieser Anspruch ist Zug um Zug zu erfüllen und hindert eine Geltendmachung der abgetretenen Forderung im Rechtsweg nicht.
Der Zinsanspruch beruht auf §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1 BGB.
Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB steht der Klägerin hingegen nicht zu. Zwar erfolgte die Beauftragung eines Rechtsanwalts nach Ablauf der im eigenen Schreiben der Klägerin gesetzten Frist. Allerdings war die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit einer vorgerichtlichen Tätigkeit nicht erforderlich und zweckmäßig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Schädiger nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus Sicht des Geschädigten zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren. Maßgeblich ist die ex-ante-Sicht einer vernünftigen, wirtschaftlich denkenden Person. Dabei sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es kommt darauf an, wie sich die voraussichtliche Abwicklung des Schadensfalls aus der Sicht des Geschädigten darstellt (BGH, Urteil vom 17. September 2015 – IX ZR 280/14, NJW 2015, 3793 Rn. 8). In einfach gelagerten Fällen, bei denen mit rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten nicht zu rechnen ist, obliegt es dem Geschädigten grundsätzlich, seine Rechte zunächst selbst geltend zu machen (BGH, Urteil vom 01. September 2020 – X ZR 97/19 –, Rn. 36, juris). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung war es nicht erforderlich und zweckmäßig, einen Rechtsanwalt mit einer vorgerichtlichen Tätigkeit zu beauftragen. Denn die Klägerin ist als Rechtsdienstleisterin selbst in der Lage, ihre Ansprüche gegenüber der Beklagten zu artikulieren. Dass sie hierzu imstande ist, zeigt ihr eigenes Anspruchsschreiben vom 29.10.2019. Sie war auch in der Lage, ein eigenes Erinnerungsschreiben zu fertigen. Das anwaltliche Schreiben vom 16.1.2020 enthält demgegenüber keine weitere Auseinandersetzung mit dem geltend gemachten Anspruch. Vielmehr war die Klägerin nach Ablauf der bis 10.1.2020 gesetzten Frist gehalten, nunmehr den Rechtsweg zu beschreiten, nachdem es offensichtlich war, dass die Beklagte auf vorgerichtliche Schreiben nicht reagiert. Greifbare Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Beklagte nunmehr auf das Schreiben des Rechtsanwalts reagieren wird, bestanden nicht.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte insgesamt als unterlegene Partei zu tragen, weil die Zuvielforderung der Klägerin verhältnismäßig gering ist und wegen § 43 Abs. 2 GKG keine gesonderten Kosten verursacht hat. (§ 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO.