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Flugverspätung: Ausgleichsanspruch bei zwei selbständigen Flügen

LG Berlin, Az.: 54 S 22/13, Urteil vom 15.10.2013

1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 16.04.2013 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wedding – 16 C 617/12 – wie folgt geändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 605,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 600 € seit dem 19.10.2012 und aus 5,50 € seit dem 07.03.2012 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe vom 83,54 € nebst Zinsen In Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.11.2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000 ,00 € abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Flugverspätung: Ausgleichsanspruch bei zwei selbständigen Flügen
Symbolfoto: beauphoto/Bigstock

Der Kläger verlangt von der beklagten Fluggesellschaft eine Ausgleichszahlung nach Art 4 Abs. 3, Art 7 EG-VO 261/04 in Höhe von 600 € sowie Schadensersatz wegen Vertragsverletzung in Höhe von 18,80 €.

Der Kläger buchte bei der Beklagten am 10.09.2012 für den 14.09.2012 die Flüge

Berlin/Tegel – Frankfurt / Main ( Abflug 12:20 Uhr, Ankunft 13:20 Uhr) und

Frankfurt/ Main – Havanna ( Kuba) ( Abflug 15:00 Uhr, Ankunft 19:55 Uhr ) .

Er erhielt einen Flugschein, auf dem Havanna als Endziel angegeben war.

Der erste Flug, der von der Beklagten durchgeführt wurde, startete am 14.09.2012 erst gegen 13:15 Uhr in Berlin und landete um 14.27 Uhr in Frankfurt. Dadurch erreichte der Kläger den Anschlussflug nach Havanna., der von der Fluggesellschaft … durchgeführt wurde und Pünktlich um 15.00 Uhr startete, nicht mehr.

Dem Kläger wurden durch die Beklagte zunächst nach Art 9 der EG- VO 261/04 Übernachtungs- und Verpflegungsleistungen in Frankfurt gewährt. Dabei erhielt er einen Verpflegungsgutschein über 30,00 €. In dem Hotel, in dem der Kläger untergebracht wurde, kostete das günstigste Hauptgericht 26,00 €. Der Kläger verzehrte Speisen und Getränke im wert von 48,80 €, von denen er 18,80 € ersetzt verlangt.

Mit Schreiben vom 04.10 2012 verlangte er von der Beklagten eine Entschädigung in Höhe von 600 €, die er durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 09.11.2012 nochmals anmahnen ließ. Hierfür begehrt er den Ersatz der außergerichtlich angefallenen Kosten von 83,54 €.

Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen.

Mit dem am 16.04.2012 verkündeten und dem Kläger am 22.04.2012 zugestellten Urteil gab das Amtsgericht der Klage in Höhe von 5,50 € weitere Verpflegungskosten statt und wies die Klage im Übrigen ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, dass Ansprüche nach Art 7 der EG-VO 261/04 nicht bestehen, da der von der Beklagten durchgeführte Flug nach Frankfurt nicht mehr als drei stunden verspätet gewesen sei . Es sei insoweit auf die Ankunft in Frankfurt und nicht auf die Ankunft in Havanna abzustellen, da für den Flug von Frankfurt nach Havanna nicht die Beklagte sondern die Fluggesellschaft … verantwortlich sei und daher für etwaige Ansprüche, die auf der verspäteten Ankunft dieses Ziels beruhen, diese passiv legitimiert sei.

Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 22.04. 2013 bei Gericht eingegangenen Berufung, die mit Schriftsatz vom 21.06.2013, eingegangen bei Gericht am gleichen Tage gewendet. Er verfolgt die abgewiesenen Ansprüche weiter und führt u. a. aus, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Flug von Frankfurt/ Main nach Havanna um einen direkten Anschlussflug i. S. d. EG-VO 261/04 handele , da dieses Ziel auf dem Flugschein als Endziel nach angegeben worden sei und der Kläger zudem nur über einen Flugschein Berlin/Tegel – Havanna verfügt habe.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Wedding ( Geschäftsnummer 16 C 617/12) zu verurteilen, an den Kläger weitere 613,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 600 ,00 € seit dem 19.10.2012 und aus 13,30 € seit dem 07.03.2012 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 83,54 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 10.11.2012 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil u.a. unter Hinweis darauf, dass die Anwendung der EG-VO 261/04 für jeden Flug gesondert zu prüfen sei. Im vorliegenden Flug handele es sich – anders als bei den Entscheidungen des EuGH vom 26.02.2013 und des BGH vom 17.05.2013 ( X ZR 127/11) nicht um direkte Anschlussflüge, denn in den genannten Entscheidungen seien die weiterführenden Flüge jeweils von der gleichen Fluggesellschaft durchgeführt worden. Bloße Kooperationsmaßnahmen zwischen einzelnen Luftfahrtsunternehmen seien für die Frage des Endziels eines Fluges und die Bewertung der Verspätung außer Ansatz zu bleiben.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.09.2013 Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist in der Sache überwiegend erfolgreich.

Der Kläger kann von der Beklagten auf der Grundlage des Art Abs. 3, Art 7 Abs. 1 lit c der EG-VO 261/04 die Zahlung von 600,00 € verlangen.

Die Beklagte ist passiv legitimiert. Unstreitig trat die Verspätung auf dem ersten Flug von Berlin nach Frankfurt/ Main auf und führte sowohl zur verspäteten Ankunft in Frankfurt als auch , weil der Anschlussflug verpasst wurde, zur verspäteten Ankunft in Havanna, während auf dem von der Fluggesellschaft … planmäßig durchgeführten Flug von Frankfurt nach Havanna keine Störungen auftraten. Daher ist die Beklagte für Ersatzansprüche wegen Störungen , die auf dem von ihr durchgeführten Flug aufgetreten sind, passiv legitimiert.

Der Kläger steht ein Anspruch auf Entschädigung nach Art 7 Abs. 1 lit c der EG-VO 261/04 zu.

Nach mittlerweile gefestigter herrschender Rechtsprechung ( EuGH Urteil vom 19.11.2009 – C 402/07 … , EuGH Urteil vom 23.10.2012 – C 581/10 … ) haben nicht nur Fluggäste annullierter Flüge, sondern auch Fluggäste verspäteter Flüge den in Art 7 EG-VO 261/04 geregelten Entschädigungsanspruch, wenn sie infolge der Verspätung einen Zeitverlust von drei Stunden und mehr erleiden, d.h. ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der vom Luftverkehrsunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen, der Anspruch nicht voraussetzt, dass sich der Abflug um die in Art 6 Abs. 1 lit. a – c genannten Zeiten verzögert ( vgl EuGH Urteil vom 23.2.2013 C- 11/11 … ). Maßgeblich ist allein, dass der verspätete Abflug in Berlin ursächlich war, dass der Kläger den Anschlussflug von Frankfurt nach Havanna nicht mehr erreichen konnte und deshalb sein Endziel erst mit einer Verspätung von mehr als 19 Stunden erreichte ( vgl BGH Urteil vom 07.05.2013 – X ZR 127/11, Rz 9 )

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass es sich bei den Flügen von Berlin nach Frankfurt und von Frankfurt nach Havanna grundsätzlich um zwei Flüge handelt. Die Selbständigkeit der Flüge ändert jedoch nichts daran, dass nach Art 7 Abs. 1 S.2 der EG-VO 162/04 für die Beurteilung der Frage, ob die Verspätung den für eine Ausgleichszahlung vorausgesetzten Umfang erreicht hat und in welcher Höhe hier für ein Ausgleich zu erbringen, nicht das Ziel des einzelnen Fluges sondern , sondern der letzte Zielort oder ( gleichbedeutend ) das Endziel i. S. v. Art 2 lit h EG-VO 261/04 maßgeblich ist, an dem der Fluggast infolge der Verspätung später als zur geplanten Ankunftszeit ankommt. Hiermit trägt die Verordnung dem Umstand Rechnung , dass die Annullierung oder Verspätung eines Fluges die einzelnen Fluggäste unterschiedlich stark beeinträchtigen kann, je nachdem, wie sie sich auf die Erreichung des individuellen Endziels ihrer Flugreise auswirkt ( vgl BGH Urteil vom 07.05.2013 – X ZR 127/11, Rz 11).

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der vom Kläger gebuchte Flug von Frankfurt nach Havanna ein direkter Anschlussflug i. S. v. Art 2 Buchstabe h der EG-VO 261/04 vor. Allein die Tatsache, dass der Flug von Frankfurt nach Havanna von dem Luftfahrtsunternehmen … ausgeführt wurde , bedeutet nicht, dass kein direkter Anschlussflug i. S. der EG-VO 261/04 vorliegt. Entscheidende ist insoweit vielmehr, dass die Flüge als Einheit gebucht wurden und der Fluggast auch entsprechend vor Beginn der Reise abgefertigt wurde ( vgl Blankenburg, Störungen bei segmentierten Luftbeförderungen im rahmen der Verordnung ( EG) Nr 261/2004 unter Betrachtung der neuesten Rechtsprechung des EuGH und BGH, RRa 2013, S. 61 ff). So liegt der Fall hier. Der Kläger buchte beide Flüge in einem Buchungsvorgang bei der Beklagte. Für diese war daher bereits erkennbar, dass der von ihr durchgeführte Flug von Berlin nach Frankfurt nur ein Teilstück der gesamten Flugstrecke darstellte. Entsprechend erhielt der Kläger auch nur einen Flugschein, auf dem beide Teilflugstrecken gültig war. Beide Flüge sind auch nicht durch einen längeren Aufenthalt in Frankfurt getrennt, der ein Auschecken des Klägers nach dem ersten Flugabschnitterfordert hätte.

Da die Entfernung zwischen Berlin und Havanna über 1.500 km beträgt, war die Entschädigung in Höhe von 600 € zuzusprechen.

Ohne Erfolg ist die Berufung dagegen, soweit der Kläger den Ersatz weiterer Verpflegungskosten für das eingenommene Essen im Hotelrestaurant begehrt. Zutreffen hat das Amtsgericht darauf abgestellt, dass das Flugunternehmen im Rahmen der Gewährung der Verpflegungsleistungen lediglich verpflichtete ist, dem Fluggast eine angemessene Speise zur Verfügung zu stellen hat. Ausgehend von der Speisekarte des Hotels, in der neben vegetarischen und Pastagerichten noch weitere Hauptgerichte zu einem Preis von 26 – 29 Euro angeboten werden, sind die vom Amtsgericht zuerkannten 29 € für das Essen als ausreichend und angemessen anzusehen. Der Verzehr teurerer Spezialitäten geht jedenfalls über die geschuldete Verpflegung hinaus; der Unterschiedbetrag zum durchschnittlichen Hauptgericht ist daher vom Kläger selbst zu zahlen.

Der Anspruch auf vorgerichtlich entstandene Anwaltskosten beruht auf § 280,286 BGB.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 280,286,247 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 10 ZPO, 711 ZPO.

Die Revision ist unter dem Gesichtspunkt der Weiterbildung des Rechts zuzulassen, da die Frage, ob ein Ausgleichsanspruch nach Art 7 der EG-VO 261/04 auch dann besteht, wenn eine Ankunftsverspätung eines Zubringerfluges, die unter drei Stunden liegt, auch besteht, wenn der Anschlussflug von einer anderen Fluggesellschaft durchgeführt wird.

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