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Flugverspätung – Vermeidbarkeit einer Verspätung

AG Hannover, Az.: 506 C 6346/15, Urteil vom 13.11.2015

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils einen Betrag in Höhe von 400,- EUR, insgesamt 800,- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2014 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des durch das Urteil zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

Die Kläger hatten den bestätigten Flug … gebucht, der von der Beklagten als ausführendes Luftfahrtunternehmen durchgeführt wurde.

Der Flug sollte am 20.10.2014 von Hannover nach Antalya erfolgen. Planmäßige Abflugzeit war 03:05 Uhr (UTC), planmäßige Ankunft sollte 06:30 Uhr (UTC) sein.

Die Beklagte setzte die Maschine … vorher für folgende Flüge ein:

… 19:00 Uhr MAH 21:35 Uhr

… 22:25 Uhr HAJ 00:50 Uhr

… 03:05 Uhr AYT 06:30 Uhr

Die Maschine starte jedoch erst um 12:31 Uhr UTC in Hannover und landete in Antalya um 15:32 UTC, mithin mit über neunstündiger Verspätung.

Die Entfernung zwischen Hannover und Antalya beträgt 2.374 km.

Mit Schreiben vom 20.11.2014 forderten die Kläger die Beklagte zur Zahlung von jeweils 400,- EUR unter Fristsetzung bis zum 04.12.2014 auf.

Mit Schreiben vom 08.12.2014 lehnte die Beklagte entsprechende Ansprüche ab.

Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger 800,- EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2014 zu zahlen

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass auf dem Flug von Hamburg nach Menorca ein Vogelschlag erfolgt sei, so dass der sog. „alpha vane“ beschädigt worden sei. Aufgrund dieser Beschädigung habe das Flugzeug repariert werden müssen. Es sei ein Techniker von Hannover nach Menorca eingeflogen worden, da auf Menorca weder die Technik noch Ersatzteile für eine Reparatur vorhanden gewesen seien. Die Reparatur habe bis 8:00 Uhr UTC gedauert. Sodann sei der Umlauf wie folgt fortgesetzt worden:

… 09:26 Uhr HAJ 11:29 Uhr

… 12:31 Uhr AYT 15:32 Uhr

Die Beklagte habe sich nach dem Vogelschlag sofort um ein Ersatzflugzeug bemüht. Sämtliche Flugzeuge der Flotte seinen im Umlauf gewesen. Sie habe zudem bei sämtlichen europäischen Airlines nach Subcharter-Flugzeugen nachgefragt. Ein Subcharter habe lediglich für den Mittagsumlauf eingekauft werden können.

Entscheidungsgründe

Flugverspätung – Vermeidbarkeit einer Verspätung
Symbolfoto: Chinnapong/Bigstock

I. Die zulässige Klage ist begründet.

1. Die Kläger haben jeweils einen Anspruch in Höhe von 400,00 EUR gegen die Beklagte gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c), 7 Abs. 1 lit. b) VO (EG) Nr. 261/2004.

a) Nach Art. 7 Abs. 1 lit. b) VO (EG) Nr. 261/2004 ist das ausführende Luftfahrtunternehmen im Falle einer Flugannullierung verpflichtet, dem Fluggast eine Ausgleichzahlung i.H.v. 400,00 EUR zu gewähren, wenn – wie hier- die Flugentfernung 1.500 km übersteigt und unterhalb von 3.500 km liegt. Bei einer großen Verspätung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 VO (EG) Nr. 261/2004 steht dem Fluggast, ebenso wie bei einer Annullierung des Flugs, ein Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 zu, sofern er sein Endziel – wie hier – nicht früher als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit erreicht (EuGH RRa 2009, 282 – „Sturgeon“; RRa 2011, 125 – „Eglitis/Air Baltic“; RRa 2012, 272 – „Nelson/Lufthansa“; RRa 2013, 78 – „Folkerts/Air France“). Maßgeblich für die Beurteilung der Verspätung ist die laut Flugplan von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplante Ankunftszeit am Ankunftsort.

b) Die Ausgleichspflicht ist auch nicht gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 ausgeschlossen. Danach ist das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht zur Ausgleichszahlung verpflichtet, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnlichen Umständen zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Dabei kommt es nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht darauf an, ob sich allein der außergewöhnliche Umstand hätte vermeiden lassen, sondern ob die Verspätung bzw. Annullierung vermeidbar war (BGH RRa 2014, 78, 80 Rn. 13; ZLW 2014, 638, 639 Rn. 10; ähnlich bereits BGH RRa 2012, 288, 292 Rn. 33; vgl. dazu ausführlich Blankenburg, RRa 2015, 162, 171).

Die Beklagte hat sich auf einen Vogelschlag im Vorflug berufen. Zwar handelt es sich bei dem Vogelschlag um einen außergewöhnlichen Umstand (so BGH RRa 2014, 25, 26 Rn. 15; Urt. v. 24.9.2013 – X ZR 129/12 Rn. 13; ebenso BGH RRa 2015, 19, 20 Rn. 7). Ob ein Vogelschlag vorliegend erfolgt ist und ob ein solcher beim Vorflug einen außergewöhnlichen Umstand beim Nachfolgeflug darstellt, kann dahingestellt bleiben, da die Beklagte nicht ausreichend vorgetragen, dass sie vorliegend alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die Verspätung zu verhindern.

Das Luftfahrtunternehmen ist verpflichtet darzulegen, dass sämtliche personellen, sachlichen und finanziellen Mittel eingesetzt wurden (EuGH RRa 2009, 35 Rn. 41 – Wallentin-Hermann,; BGH RRa 2011, 33, 37 Rn. 39). Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht nachgekommen.

Es erscheint schon zweifelhaft, ob die Beklagte ihre Bemühungen ausreichend dargelegt hat. Sie hat angegeben, dass sämtliche Flugzeuge im Umlauf gewesen seien und dass sie bei sämtlichen europäischen Fluggesellschaften nachgefragt habe. Bereits dieser Vortrag dürfte nicht ausreichen, um den Einsatz sämtlicher personeller, sachlicher und finanzieller Mittel darzulegen. Der Vortrag muss es dem Kläger ermöglichen nachzuvollziehen, welche Maßnahmen genau getroffen wurden. Erst dann ist es ihm möglich, substantiiert zu bestreiten, welche Mittel vorlagen bzw. welche Maßnahmen durchgeführt wurden. Ein pauschaler Vortrag wie von der Beklagten kann indes weder durch das Gericht noch die Kläger validiert werden. Nur wenn die Beklagte vorträgt, bei welchen anderen Anbietern genau nachgefragt wurde, ist es den Fluggästen möglich darzulegen, dass es noch andere Möglichkeiten gegeben hätte.

Es kann indes dahingestellt bleiben, ob der Vortrag ausreichend war, da die Beklagte nicht dargelegt hat, dass sie während der Reparaturphase alle Mittel eingesetzt hat, um die Verspätung zu vermeiden. Die Beklagte hat auf den gerichtlichen Hinweis mitgeteilt, dass sie nach den Erstanfragen bei Drittanbietern keine weiteren Anfragen vorgenommen hat. Es sei nicht Aufgabe des Luftfahrtunternehmens ständig zu prüfen, ob eine eingetretene Verspätung durch andere Maßnahme als die Reparatur beendet werden könnte. Eine solche Anforderung wäre gänzlich unüblich und unpraktikabel. Es sei für die Airlines aufgrund der personellen Kapazitäten nicht machbar und wirtschaftlich nicht darstellbar.

Nach Ansicht des Gerichts ist das Luftfahrtunternehmen grundsätzlich verpflichtet, jederzeit Maßnahmen zu ergreifen, um die Verspätung möglichst gering zu halten.

Eine zeitliche Eingrenzung ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004. Dort ist lediglich normiert, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen verpflichtet ist, alle zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen. Eine Maßnahme ist dann zumutbar, wenn sie in persönlicher, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht für das Luftfahrunternehmen tragbar ist (BGH RRa 2014, 25, 27 Rn. 20; Urt. v. 24.9.2013 – X ZR 129/12 Rn. 2). Die Beklagte hat zwar behauptet, dass ihr dies wirtschaftlich unzumutbar wäre. Jedoch hat sie diese Behauptung nicht begründet. Es erscheint keine außergewöhnliche Belastung zu sein, wenn Mitarbeiter eingestellt werden, die zu organisieren haben, dass ausgefallene Maschinen zeitnah ersetzt werden.

Insbesondere systematische Erwägungen sprechen für die vorliegende Auslegung. Die VO (EG) Nr. 261/2004 soll gerade einen möglichst hohen Schutz der Fluggäste gewähren und diesen sollen nicht die betriebswirtschaftlichen Risiken der Luftfahrtunternehmen ausgebürdet werden. Dies würde jedoch geschehen, wenn das Luftfahrtunternehmen sämtliche Veränderungen während der Verspätung nicht zu beachten hätte. Es wäre auch nicht nachvollziehbar, wenn das Luftfahrtunternehmen zwar zunächst Subcharter in Anspruch nehmen müsste, wenn diese sofort verfügbar sind, jedoch auf die weitere Entwicklung des Subchartermarktes nicht reagieren müsste.

Entgegen der Auffassung der Beklagten endet die Pflicht des Luftfahrtunternehmens nicht mit dem Eintritt einer dreistündigen Verspätung. Soweit für eine Verspätung der Ausschluss gemäß Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 eingreift, ist diese nicht mehr im Rahmen des Art. 7 VO (EG) Nr. 261/2004 beachtlich. Könnte die Verspätung indes durch entsprechende Maßnahmen des Luftfahrtunternehmens beendet werden, greift Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ein. Beginnend ab diesem Zeitpunkt läuft dann wieder der dreistündige Zeitraum, der für die Begründung von Ausgleichsansprüchen erforderlich ist. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 innerhalb dieses Zeitraums nicht erneut vor, kann der Fluggast einen Ausgleichsanspruch verlangen, auch wenn zunächst ein Teil der Verspätung hinzunehmen war.

Da die Beklagte nach dem eigenen Vorbringen im weiteren Verlauf nicht geprüft hat, ob die Störung vorzeitig beseitigt werden kann, greift zu ihren Gunsten Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 261/2004 nicht mehr ein. Sie hat nicht ausreichend dargelegt, dass sie sämtliche Mittel unternommen hat, um die Verspätung zu verhindern. Es kann dahingestellt bleiben, ob entsprechende Nachfragen tatsächlich zu einer Verkürzung der Verspätung geführt hätten, da insoweit die Beweisfälligkeit zulasten der Beklagten geht. Ergreift sie mögliche Maßnahmen nicht, trägt sie das Risiko, dass sich im Nachhinein nicht mehr aufklären lässt, ob diese Maßnahmen erfolgreich gewesen wären.

2. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Die Beklagte war mit Ablauf der Frist in Verzug geraten.

II. Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

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