Kammergericht Berlin
Az: 20 U 186/08
Urteil vom 21.09.2009
Die Berufung der Beklagten gegen das am 7.8.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Tiergarten wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Abfassung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 II, 313 a I 1 ZPO iVm § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die Berufung ist zulässig. Das Kammergericht ist insbesondere gemäß § 119 I Nr. 1.b) GVG aF für das Berufungsverfahren zuständig. Aus dem Rubrum der Klageschrift in Verbindung mit dem Schriftsatz der Kläger vom 30.4.08 und dem Schriftsatz der Beklagten vom 14.5.08 ist ersichtlich, daß die Beklagte ihren Sitz und damit ihren allgemeinen Gerichtsstand in der Türkei hat und daß in F… nur eine „Geschäftsleitung“ der Beklagten besteht. Selbst die Kläger, welche die instanzielle Zuständigkeit des Kammergerichts rügen, haben vorgetragen, keine Hinweise auf eine Hauptniederlassung oder Zweigniederlassung der Beklagten finden zu können.
Sachlich muß die Berufung der Beklagten zurückgewiesen werden. Das Amtsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Ersatzleistung verurteilt, weil der von den Klägern gebuchte und für diese vorgesehene Flug Nr. … annulliert wurde. Das Berufungsvorbringen ändert daran nichts. Unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils gilt ergänzend und zum Berufungsvorbringen folgendes:
Im Hinblick auf das abweichende Parteivorbringen erscheint ein Hinweis darauf angebracht, daß der Senat ebenso wie die Vorinstanz davon ausgeht, daß die Kläger schließlich mit einem Flug … gegen 1910 Uhr gestartet sind, während die ursprünglich für 1135 Uhr vorgesehene Maschine mit der Flugnummer … mit dieser Flugnummer erst nach dem Flug … und mit dessen Fluggästen nach 1910 Uhr startete.
Zu der Frage, wann ein Flug annulliert wird oder zwar nicht annulliert wird, sondern – wenn auch verspätet – erfolgt (vgl. Art. 5 I der Verordnung Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen …), hat der BGH anläßlich eines Einzelfalles in seinem Urteil vom 14.10.08 – X ZR 15/08 – Stellung genommen (NJW 2009, 358 ff.). Soweit ersichtlich, hat der EuGH diese Abgrenzung noch nicht weiter geklärt, so daß für diesen Rechtsstreit auf die Ausführungen des BGH zurückzugreifen ist, denen sich der Senat anschließt.
Danach ist die Annullierung die vollständige Aufgabe der Absicht, den Flug in der vorgesehenen Form durchzuführen. Sie enthält auch ein subjektives Element, für dessen Feststellung es nach Sinn und Zweck der Regelung allerdings nicht auf die tatsächliche subjektive Absicht der für das Luftfahrtunternehmen handelnden Personen ankommen kann. Die Verordnung kann ihrem Anliegen, den mit der Annullierung verbundenen Ärgernissen und Unannehmlichkeiten für die Fluggäste entgegenzuwirken, nur gerecht werden, wenn insoweit auf die aus den erkennbaren äußeren Umständen ersichtliche Absicht des Unternehmens abgestellt wird. Der BGH hat sodann eine Fülle von Merkmalen und Indizien genannt, die für oder gegen eine Annullierung sprechen und zu deren Einzelheiten auf den Inhalt des genannten Urteils Bezug genommen wird.
Diese Gesamtumstände können nur zu der Feststellung führen, daß der Flug … aus der berechtigten Sicht der Kläger annulliert wurde. Er wurde so, wie er geplant wurde, nicht, auch nicht verspätet durchgeführt, und zwar weder mittels des Fluges … , der schließlich die Kläger um 1910 Uhr beförderte, noch durch einen späteren Flug mit der Flugnummer … .
Der letztgenannte Flug mit derselben Flugnummer wie der für 1135 Uhr vorgesehene ist keine Fortsetzung des geplanten Fluges, sondern ein anderer Flug. Daß die Flugnummer … für den späteren Flug beibehalten wurde (so jedenfalls die Beklagte), hat keine entscheidende Bedeutung. Dieser Flug diente nicht dazu, die für den ursprünglich geplanten Flug … gebuchten Fluggäste zu befördern, sondern bediente die Fluggäste, die zunächst für den Flug … gebucht hatten und die auf den später erfolgten Flug … umgebucht wurden. Es handelte sich hierbei um einen anderen Flug, der mit den ursprünglichen Fluggästen, welche … gebucht hatten, nichts mehr zu tun hatte. Nach seinem äußeren Erscheinungsbild und infolge der inzwischen vergangenen erheblichen Zeitspanne zwischen geplantem Abflug (1135 Uhr) und tatsächlichem Start (nach 1910 Uhr) läßt sich eine Identität zwischen Planung und Durchführung beider Flüge, des geplanten und des durchgeführten Fluges … nicht mehr feststellen. Unter diesem Blickwinkel erscheint die Identität der Flugnummer als Formalie ohne inneren verbindenden Bezug zu Planung und Gestaltung beider Flüge.
Ob anders zu entscheiden wäre, wenn sich ein zeitnahes Ende der erforderlichen Reparaturarbeiten im Bremsbereich abgezeichnet hätte und dadurch ein alsbaldiger Start vorauszusehen gewesen wäre, kann dahinstehen. Denn während der Reparaturarbeiten stellte sich, was unstreitig ist, heraus, daß ein Ersatzteil für die Reparaturdurchführung aus München auf dem Luftweg herbeigeschafft werden mußte. Bereits deshalb war nicht hinreichend ersichtlich, daß und wann die Beklagte mit einer alsbaldigen erfolgreichen Durchführung der Reparatur rechnen durfte. Daß es hingegen bereits um ca. 1500 Uhr hieß, die Wartung sei abgeschlossen und daß die Fluggäste dann erneut zur Maschine gebracht wurden, führt zu keiner anderen Betrachtung, weil diese Fluggäste nach weiteren 15 Minuten erneut zum Terminal gebracht wurden und es dann hieß, der Fehler sei nach wie vor nicht behoben und man würde auf ein Ersatzteil warten.
Aufgrund dieser durch Zeitablauf und die Umstände des erwarteten Reparaturergebnisses kann auch der Flug … nicht als Fortsetzung eines verspäteten Fluges … angesehen werden. Hier tritt hinzu, daß es sich darüber hinaus um eine andere Flugnummer handelt. Im übrigen war dieser Flug ursprünglich für die Fluggäste des geplanten Fluges … nicht vorsehen, sondern sollte die für den Flug … gebuchten Passagiere befördern. Auch insoweit läßt sich eine Inhaltsgleichheit des geplanten Fluges … mit dem Flug … nicht ansatzweise feststellen. Auch hier handelte es sich um einen anderen Flug, nicht um die Fortsetzung eines verspäteten ursprünglich geplanten Fluges.
Hinzu tritt, daß der Flug … weder aus der Sicht der Kläger noch aufgrund der Linienflugplanung der Beklagten einen zusätzlichen Flug bedeutete, der als Fortsetzung oder Ersatz des ursprünglich geplanten Fluges … angesehen werden konnte. Wie die Beklagte hat vortragen lassen, bediente sie die Strecke I… -B… -I… täglich zweimal, nämlich mit den Flugnummern … (I… -T… ) und … (T… -I… ) sowie … (I… -T… ) und … (T… -I… ) Der letztgenannte Flug war ein geplanter Linienflug und auch deshalb ein weiterer Flug im Verhältnis zu Flug … .
Darüber hinaus tragen weitere Indizien die Feststellung, daß der Flug … annulliert wurde. Der BGH hat ausgeführt, eine formulierte und begründete Aufforderung zur Umbuchung stelle ein Indiz für eine vollständige Aufgabe der Absicht dar, den Flug durchzuführen (aaO Seite 359). Weitgehend ähnlich liegt der Fall hier. Es kann aus der Sicht der Kläger nicht von entscheidender Bedeutung sein, ob die Beklagte die Kläger zur Umbuchung aufforderte, oder, wie hier, die Kläger selbst auf den Flug … umbuchte, wie sie vorgetragen hat (Schriftsatz vom 6.6.08 Seite 2 aE). Sie hat den Klägern damit keine Umbuchungsmöglichkeit lediglich angeboten, was der Annahme einer Annullierung entgegenstehen könnte, sondern hat damit zu erkennen gegeben, daß den Klägern praktisch keine andere Wahl blieb als die Beförderung mit dem zweiten Tageslinienflug … zu akzeptieren. Auch danach verbietet sich die Annahme, die Beklagte habe den Klägern nur eine Serviceleistung angeboten, um die Folgen einer gegebenen Verspätung zu vermindern. Wenn die Beklagte nunmehr in ihrer Berufungsbegründung vortragen läßt, sie habe den Klägern lediglich angeboten, mit einer anderen ihrer flugplanmäßigen Maschinen nach I… zu fliegen, widerspricht dies einerseits ihrem anderslautenden erstinstanzlichen Vorbringen. Andererseits ist nicht ersichtlich, daß dann eine andere Entscheidung geboten wäre, denn den Klägern blieb auch dann keine andere Wahl als die zweite planmäßige Maschine der Beklagten zu benutzen, wollten sie nicht bis zum nächsten Tag warten mit der ungewissen Aussicht, dort einen Platz zu erhalten, denn die noch später abfliegende weitere Maschine … war bereits mit den Fluggästen des Fluges … besetzt worden.
Soweit hiernach an dem Ergebnis noch Zweifel bestehen, werden diese durch weitere Umstände ausgeräumt. Die Fluggäste hatten nicht nur die ursprünglich vorgesehene Maschine zu verlassen , sondern wurden auch, nachdem einige von ihnen gegen 1500 Uhr mit dem Bus zur Maschine gefahren wurden, nach 15 Minuten erneut zum Terminal zurückgebracht. Letztlich kann auch nicht außer Betracht bleiben, daß der ganz erhebliche Zeitraum der Verzögerung von 7 Stunden und 35 Minuten dazu führte, daß die Kläger auf die zweite Tageslinienmaschine … angewiesen waren. Bei einer solchen Verzögerung kann es auf den Willen der Beklagten nicht mehr ankommen, ob sie die Verzögerung als Verspätung gewertet wissen will oder ob eine Annullierung vorliegt (vgl. BGH aaO). Mithin handelt es sich nicht um eine zur Kürzung der Ausgleichszahlung um 50 % führende Ersatzbeförderung nach Art. 7 I der Verordnung, wie die Beklagte meint.
Soweit die Beklagte sich darauf stützt, daß es sich bei der Reparatur im Bremsbereich um einen außergewöhnlichen Umstand handelt, der gemäß Art. 5 III der Verordnung einer Haftung entgegensteht, hilft ihr dies nicht weiter. Insoweit wird auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Seite 4 Absatz 2) Bezug genommen. Die Beklagte hat bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht einmal nachvollziehbar dargelegt, daß und aus welchen einzelnen Gründen die Reparatur im Bremsbereich auf außergewöhnlichen Umständen beruht habe. Ihre Erläuterungen in der Berufungsbegründung zu II.4 sind unerheblich. Es kommt nicht darauf an, daß die Beklagte Beweis für ihre Behauptung antritt, solange die Beklagte nicht einmal darlegt, um welchen technischen Fehler es sich gehandelt habe und weshalb dieser nicht vorhersehbar gewesen sei. Hierzu hätte sie aufgrund der Ausführungen des Amtsgerichts hinreichenden Anlaß gehabt.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 I, 708 Nr. 10, 713, 543 ZPO.