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Freistellungsvereinbarung – Vergütungsansprüche

Bundesarbeitsgericht

Az: 5 AZR 393/07

Urteil vom 23.01.2008


In Sachen hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2008 für Recht erkannt:

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 31. Januar 2007 – 2 Sa 271/06 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:
Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche.

Die 1963 geborene Klägerin war seit November 1993 bei der Beklagten als Sachbearbeiterin zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 3.050,28 Euro beschäftigt. Ab dem 8. Oktober 2003 war sie arbeitsunfähig krank. Mit Schreiben vom 24. Oktober 2003 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 2004. Im Rahmen des folgenden Kündigungsschutzprozesses schlossen die Parteien am 16. Dezember 2003 folgenden Vergleich:

„1. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wird aufgrund fristgemäßer, arbeitgeberseitiger Kündigung aus betriebsbedingten Gründen mit dem 31.03.2004 sein Ende finden.

Bis zu diesem Zeitpunkt wird das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgerechnet, wobei die Klägerin ab 15.12.2003 unwiderruflich unter Fortzahlung der Bezüge und unter Anrechnung auf bestehende Urlaubsansprüche von der Arbeitsleistung freigestellt wird.

…“

Ende Januar 2004 legte die Klägerin der Beklagten eine am 26. Januar 2004 ausgestellte Bescheinigung ihres Arztes vor, nach der sie ab dem 15. Dezember 2003 wieder arbeitsfähig sei. Die Beklagte leistete an die Klägerin für den Zeitraum vom 15. bis zum 31. Dezember 2003 keine sowie für Januar 2004 lediglich eine anteilige Vergütung.

Mit der Klage verlangt die Klägerin Vergütung für die Zeit vom 15. Dezember 2003 bis zum 31. Januar 2004. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei bereits auf Grund des gerichtlichen Vergleichs, unabhängig von ihrer Arbeitsfähigkeit, zur Zahlung verpflichtet.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.985,29 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. März 2004 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Der Vergleich enthalte keine Regelung, wonach der Klägerin auch bei Arbeitsunfähigkeit über den gesetzlichen Anspruch hinaus Vergütung zustehe. Die Klägerin sei über den 15. Dezember 2003 hinaus arbeitsunfähig krank gewesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte den Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 563 Abs. 1 ZPO). Ob die Klägerin für die Zeit vom 15. Dezember 2003 bis zum 31. Januar 2004 Entgelt zu beanspruchen hat, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.

I. Der geltend gemachte Vergütungsanspruch ergibt sich nicht bereits aus § 611 Abs. 1 BGB iVm. Ziffer 1 Abs. 2 des Prozessvergleichs vom 16. Dezember 2003.

1. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils angenommen, aus der unwiderruflichen Freistellung bei Fortzahlung der Bezüge folge, dass die Beklagte der Klägerin die Entgeltzahlung unabhängig von deren Leistungsfähigkeit zugesagt habe.

2. Dem vermag der Senat nicht zu folgen.

a) Es kann dahinstehen, ob Prozessvergleiche stets als typische Erklärungen revisionsrechtlich voll überprüfbar sind (dafür Senat 9. Oktober 1996 – 5 AZR 246/95 – AP SGB X § 115 Nr. 9 = EzA AFG § 117 Nr. 11, zu 4 der Gründe; dagegen BAG 8. März 2006 – 10 AZR 349/05 – BAGE 117, 218, 226 f.; offen gelassen Senat 29. September 2004 – 5 AZR 99/04 – BAGE 112, 120, 122), denn in jedem Fall sind dies darin enthaltene typische Klauseln, die zur Beilegung einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten verwendet werden (vgl. Senat 29. September 2004 – 5 AZR 99/04 – aaO; offen BAG 8. März 2006 – 10 AZR 349/05 – aaO).

b) Bei der Freistellungsklausel nach Ziffer 1 Abs. 2 des Vergleichs vom 16. Dezember 2003 handelt es sich um einen typischen Vertrag. Durch eine solche Freistellungsvereinbarung wird allein die Arbeitspflicht des Arbeitnehmers aufgehoben. Weitere Rechtsfolgen regelt sie nicht. Der Vertragsinhalt bleibt im Übrigen unberührt. Soll die Freistellungsvereinbarung einen Entgeltanspruch unabhängig von den gesetzlichen, tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Voraussetzungen begründen, bedarf dies einer besonderen Regelung. Die Entgeltfortzahlung während der Freistellungsphase setzt daher voraus, dass der Arbeitnehmer die gesetzlichen, tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Voraussetzungen eines Entgeltanspruchs ohne Arbeitsleistung erfüllt. Die Aufhebung der Arbeitspflicht bedeutet freilich einen Verzicht auf das Angebot der Arbeitsleistung. Regelmäßig werden deshalb durch eine Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht die Voraussetzungen des Annahmeverzugs des Arbeitgebers erfüllt, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Arbeitnehmers bedarf. Jedoch muss der Arbeitnehmer zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung fähig sein (§ 297 BGB). Von einem Fortbestehen des Anspruchs auf Arbeitsvergütung, unabhängig von der Arbeitsfähigkeit und über sechs Wochen hinaus, ist auch bei dauernder unwiderruflicher Freistellung von der Arbeitspflicht nur dann auszugehen, wenn dies von den Parteien ausdrücklich vereinbart worden ist (Senat 29. September 2004 – 5 AZR 99/04 – BAGE 112, 120). Die Annahme einer weitergehenden Zahlungspflicht des Arbeitgebers widerspräche den Interessen der Vertragsparteien, denn durch eine von Rechtsvorschriften unabhängige Vergütungspflicht des Arbeitgebers würden allein die Sozialversicherungsträger entlastet (vgl. Senat 29. September 2004 – 5 AZR 99/04 – BAGE 112, 120, 123; Geyer/Knorr/Krasney Entgeltfortzahlung Krankengeld Mutterschaftsgeld Stand August 2007 § 3 EFZG Rn. 45). Nach Ablauf des gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraums von sechs Wochen Dauer (§ 3 Abs. 1 EFZG) kann der Arbeitnehmer grundsätzlich gemäß §§ 44 ff. SGB V Krankengeld beziehen. Besteht die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers über das Ende des Entgeltfortzahlungszeitraums hinaus fort, schuldet der Arbeitgeber keine Vergütung wegen Annahmeverzugs (§ 297 BGB). Die Beweislast für die Arbeitsunfähigkeit hat der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung zu tragen (Senat 5. November 2003 – 5 AZR 562/02 – AP BGB § 615 Nr. 106 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 2).

c) Anhaltspunkte für eine von der gesetzlichen Regelung abweichende Vereinbarung lassen sich weder dem Wortlaut des Prozessvergleichs noch seinem Sinn und Zweck entnehmen.

aa) Nach Ziffer 1 Abs. 2 des Vergleichs hat sich die Beklagte verpflichtet, das Arbeitsverhältnis bis zum Ausscheidenszeitpunkt „ordnungsgemäß abzurechnen“, wobei die Klägerin ab dem 15. Dezember 2003 unwiderruflich unter Fortzahlung der Bezüge und unter Anrechnung bestehender Urlaubsansprüche von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt sein sollte. Damit haben die Parteien – auch in Anbetracht des langen Zeitraums bis zum endgültigen Ausscheiden der Klägerin – gerade keinen Rechtsgrund für eine Zahlungspflicht geschaffen, die über die gesetzlich geregelten Fälle der Entgeltfortzahlung hinausgeht. Denn die im Vergleich ausgesprochene Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung weist lediglich auf die bestehende Rechtslage hin. Auch die ausdrücklich geregelte Anrechnung bestehender Urlaubsansprüche spricht gegen eine Pflicht, die Vergütung unabhängig von der Frage der Leistungsfähigkeit fortzuzahlen. Der Urlaubsanspruch kann nur erfüllt werden, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbringen kann (BAG 20. Januar 1998 – 9 AZR 812/96 – AP BUrlG § 13 Nr. 45 = EzA BUrlG § 13 Nr. 57, zu III 3 b aa der Gründe).

bb) Der Zweck der Freistellungsklausel, die Klägerin im Hinblick auf die unstreitig bestehende betriebliche Konfliktsituation von der Pflicht zur tatsächlichen Erbringung der Arbeitsleistung zu befreien, wurde schon durch die Freistellung erreicht.

cc) Dass die Krankenkasse der Klägerin nachträglich die Zahlung des Krankengelds wegen der Verletzung von Mitwirkungspflichten verweigert hat, kann bei der Auslegung nicht berücksichtigt werden, weil dieser Umstand zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht vorhersehbar war. Ebenso wurde die Auffassung der Sozialversicherungsträger, das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis ende bei einer unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung mit dem letzten Arbeitstag („Ergebnis der Besprechung der Spitzenverbände der Krankenkassen, des VDR und der BA über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 05./06.07.2005“), erst nach dem Vergleichsabschluss bekannt und ist ohnehin vom Bundessozialgericht noch nicht bestätigt worden (vgl. Schlegel NZA 2005, 972 ff.; Bauer/Krieger DB 2005, 2242 ff.).

II. Ob die Klägerin für die Zeit vom 15. Dezember 2003 bis zum 31. Januar 2004 einen Anspruch auf Arbeitsvergütung aus § 615 oder § 326 Abs. 2 BGB hat, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Es fehlen Feststellungen zur Frage, ob die Klägerin leistungsfähig war.

1. Die Arbeitsfähigkeit beurteilt sich nach der vom Arbeitnehmer auf Grund des Arbeitsvertrags geschuldeten Leistung, die der Arbeitgeber als vertragsgemäß hätte annehmen müssen (BAG 20. Januar 1998 – 9 AZR 812/96 – AP BUrlG § 13 Nr. 45 = EzA BUrlG § 13 Nr. 57, zu III 3 c der Gründe). Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen Krankheit nicht mehr ausüben kann oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung einer vorhandenen Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert wird (vgl. Senat 7. August 1991 – 5 AZR 410/90 – BAGE 68, 196, 198; ErfK/Dörner 8. Aufl. § 3 EFZG Rn. 9).

2. Es steht nicht fest, ob die Klägerin über den 14. Dezember 2003 hinaus arbeitsunfähig krank war. Das Landesarbeitsgericht hat zur Frage der Arbeitsfähigkeit durch Einholung einer schriftlichen Auskunft des behandelnden Arztes Beweis erhoben (§ 377 Abs. 3 ZPO). Es hat die Arbeitsfähigkeit bejaht, weil laut Auskunft des Arztes die Klägerin bei jedem anderen Arbeitgeber hätte arbeiten können. Hierauf kommt es aber nicht an, denn es entscheidet die Arbeitsfähigkeit im Betrieb der Beklagten. Keine ausreichenden Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht dazu getroffen, ob die Klägerin überhaupt krank war. Es ist offen, ob noch ab dem 15. Dezember 2003 eine Krankheit vorlag, die aber nicht zur Arbeitsunfähigkeit der Klägerin geführt haben soll, weil der Klägerin die belastende Situation im Betrieb der Beklagten erspart blieb, oder die Krankheit, die bis zum 14. Dezember 2003 zur Arbeitsunfähigkeit der Klägerin führte, ausgeheilt war. Die Aussage des Arztes, wonach die Klägerin ab Mitte Dezember „soweit stabilisiert“ war, dass sie in jeder anderen Firma sofort ihre Tätigkeit hätte aufnehmen können, ist mehrdeutig, denn sie könnte sowohl besagen, die Klägerin sei genesen und es habe die Gefahr einer neuen Erkrankung gedroht, als auch, dass der Krankheitszustand sich zwar gebessert, aber einer Weiterarbeit der Klägerin im Betrieb der Beklagten entgegen gestanden hätte.

3. Ausgehend vom Inhalt der einzuholenden ärztlichen Stellungnahme und dem Sachvortrag der Parteien wird das Landesarbeitsgericht bei Verneinung der Leistungsfähigkeit der Klägerin der Frage nachzugehen haben, ob sich der Vergütungsanspruch der Klägerin aus § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB ergibt.

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