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Fristlose und fristgerechte Mieterkündigung kann gleichzeitig und unbedingt erklärt werden

LG Berlin, Az.: 64 S 191/17, Beschluss vom 01.03.2018

In dem Rechtsstreit hat die Zivilkammer 64 am 1. März 2018 beschlossen:

1. Die Parteien erhalten Gelegenheit, binnen drei Wochen zu nachfolgenden Hinweisen Stellung zu nehmen:

Die Berufung ist zulässig; ihre Erfolgsaussichten erscheinen nach derzeitigen Sach- und Streitstand offen.

a) Das Kündigungsschreiben vom 19. April 2016 ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Sowohl die offen gebliebenen Mietforderungen, wie sie sich nach der Zahlungsverrechnung der Klägerin ergaben, als auch die von dem Beklagten erbrachten Zahlungen wurden dargestellt und die Kündigung nachvollziehbar auf einen aktuellen Zahlungsrückstand in Höhe dreier Monatsmieten gestützt. Der Beklagte war nach Empfang des Kündigungsschreibens in der Lage, die Höhe des behaupteten Rückstandes und die Begründetheit der Kündigung zu überprüfen. Weiter gehende Informationen muss ein Kündigungsschreiben nicht enthalten.

Fristlose und fristgerechte Mieterkündigung kann gleichzeitig und unbedingt erklärt werden
Symbolfoto: 88studio/Bigstock

Die Kündigungserklärung wäre unter diesen Umständen selbst dann nicht unwirksam gewesen, wenn der Rückstand tatsächlich auf andere Mietmonate entfallen wäre als von der Klägerin angegeben. Das ist jedoch nicht der Fall, denn die Zahlungen des Beklagten vom 12. Februar 2016 und vom 14. März 2016 über insgesamt 836,60 Euro bezogen sich nach der Tilgungsbestimmung des Beklagten ausdrücklich nicht auf die laufende Miete, sondern auf Rückstände aus dem Jahr 2015, wegen derer die Klägerin mit Schreiben vom 25. Januar 2016 eine Abmahnung ausgesprochen hatte. Da der Beklagte im Zeitraum Februar bis April 2016 weitere Zahlungen nicht erbracht hatte, war die Miete für diesen Zeitraum am 19. April 2016 offen.

b) Die mit dem Schreiben vom 19. April 2016 hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil das Mietverhältnis im Zeitpunkt des Zugangs des Schreibens bereits durch die gleichzeitig erklärte fristlose Kündigung beendet gewesen wäre. Die Kammer mag den Überlegungen der Zivilkammer 66 (vgl. Urteil vom 13. Oktober 2017 – 66 S 90/17), die der Beklagte sich zu eigen macht, nicht beitreten.

Es ist zwar auch im vorliegenden Fall richtig, dass die Vermieterin in erster Linie die sofortige Beendung des Mietverhältnisses anstrebte und es nur hilfsweise zum Ablauf der Kündigungsfrist beenden wollte. Der daraus gezogene Schluss, die Wirkungen der fristlosen Kündigung seien vorrangig zu betrachten und zu beachten, sodass die ordentliche Kündigung nicht mehr zum Zuge kommen könne, wird jedoch den offensichtlichen Interessen der Vermieterin nicht gerecht (a. A. Beyer, GE 2018, 174 ff., 175 und 177, der jedoch mit anderer Begründung zum gleichen Ergebnis gelangt). Bei der Auslegung rechtsgeschäftlicher Erklärungen ist nach §§ 133, 157 BGB im Zweifel davon auszugehen, dass der Erklärende seinem erkennbaren Willen Geltung verschaffen und Nichtigkeitsfolgen vermeiden will. Da fristlose und ordentliche Kündigung gleichzeitig und unbedingt erklärt wurden, liegt es nahe, beiden Kündigungserklärungen gleichzeitig und nebeneinander Wirkung zu verschaffen, sodass die Vermieterin den angestrebten Räumungsanspruch – in erster Linie und mit sofortiger Fälligkeit – auf die fristlose sowie – hilfsweise und erst mit Ablauf der Kündigungsfrist – auch auf die ordentliche Kündigung stützen kann.

Dass eine solche geltungserhaltende Auslegung möglich ist, belegt folgende Überlegung: Ein Vermieter kann wegen eines der Höhe und des Verschuldens nach hinreichend gravierenden Zahlungsrückstandes ohne weiteres die ordentliche Kündigung und – sei es auch nur um eine „juristische Sekunde“ – nachfolgend, während der laufenden Kündigungsfrist, die fristlose Kündigung erklären. Der Kündigungsgrund liegt vor, so lange der Rückstand nicht bezahlt ist; er wird insbesondere durch die zeitlich erste Kündigungserklärung nicht „verbraucht“. Kann ein Vermieter auf diesem Weg sicherstellen, dass das Mietverhältnis unbeschadet der Schonfristregelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB spätestens mit Ablauf der Frist für die ordentliche Kündigung endet, so spricht nichts dagegen, der „fristlos und hilfsweise ordentlich“ erklärten Kündigung im Wege interessengerechter Auslegung die gleiche Wirkung zu verschaffen.

c) Stehen der ordentlichen Kündigung vom 19. April 2016 mithin keine formellen Bedenken entgegen, so führte sie mit Ablauf der Kündigungsfrist zur Beendung des Mietverhältnisses. Ein berechtigtes Interesse der Kläger an der Beendung des Mietverhältnisses lag im Zeitpunkt der Kündigung vor, denn der Beklagte hatte seine vertraglichen Pflichten im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB schuldhaft nicht unerheblich verletzt, indem er im Zeitraum seit Februar 2016 keine Zahlungen auf die laufende Miete erbracht hatte. Ein Verschulden des Beklagten an der Entstehung des Rückstandes von drei Monatsmieten ist tatsächlich zu vermuten. Unverschuldete tatsächliche Umstände, etwa unerwartet ausbleibende Gehaltszahlungen oder unvermeidbare und außergewöhnliche Aufwände, die den Beklagten von der vollständigen und pünktlichen Erfüllung der Mietforderungen hätten abhalten können, trägt der Beklagte nicht vor.

Das Verschulden des Beklagten an der Entstehung der Rückstände ist auch nicht deswegen in einem „milderen Licht“ zu sehen und die Berufung der Klägerin auf den Räumungsanspruch als treuwidrig einzuordnen, weil der Beklagte den Rückstand unverzüglich nach Zugang der Kündigungserklärung ausglich. Einer solchen Würdigung des Verhaltens des Beklagten steht vorliegend entgegen, dass er schon im Verlaufe des Jahres 2015 wiederholt in Zahlungsverzug geraten und mit Schreiben vom 25. Januar 2016 wegen eines Rückstandes in Höhe zweier Monatsmieten abgemahnt worden war.

d) Die Kammer sieht sich gleichwohl daran gehindert, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet durch Beschluss zurückzuweisen, da der Beklagte schon mit der Klageerwiderung geltend gemacht hat, angesichts seiner Einkommensverhältnisse keinen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen erlangen zu können. Ein solches nach § 574 Abs. 2 BGB grundsätzlich als Härteeinwand berücksichtigungsfähiges Vorbringen kann als Widerspruch gegen die Kündigung des Mietverhältnisses auszulegen sein und gemäß §§ 574a BGB, 308a ZPO zur Anordnung der Fortsetzung des Mietverhältnisses führen; dabei könnten dem Beklagten sogar Beweiserleichterungen zu Gute kommen, da die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in Berlin ausweislich der Mietenbegrenzungsverordnung des Senats vom 28. April 2015 besonders gefährdet ist (vgl. LG Berlin – 67 S 272/17 – , Urt. v. 25.01.2018). Darauf ist das Amtsgericht nicht eingegangen.

Entgegen der im Kündigungsschreiben zum Ausdruck gekommenen Ansicht der Klägerin ist ein Widerspruch des Mieters in der vorliegenden Konstellation nicht deswegen nach § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB ausgeschlossen, weil die ordentliche Kündigung auf Gründen beruhte, die den Vermieter auch zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigten. Sind dem Mieter verhaltensbedingte Vertragsverletzungen vorzuwerfen, die eine fristlose Beendung des Mietverhältnisses tragen können, soll der Widerspruch des Mieters nach der Ratio des Gesetzes deshalb ausgeschlossen sein, weil er in solchen Fällen keinen Schutz verdient (vgl. Schmidt/Futterer, Mietrecht, 13. Auflage 2017, § 574 Rn. 10 f.). Diese Erwägung trifft aber Fälle wie den vorliegenden nicht, da die fristlose Kündigung in Folge der Schonfristzahlung unwirksam wurde, weil die ursprünglich hinreichenden Kündigungsgründe nach Anordnung des diesen Ausnahmefall regelnden § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB eine fristlose Kündigung – rückwirkend – nicht (mehr) tragen können. Schon das OLG Stuttgart, dass sich erstmals im Rahmen eines Rechtsentscheids mit der Frage auseinanderzusetzen hatte, ob eine Schonfristzahlung nur die Wirkungen einer fristlosen oder auch diejenigen einer ordentlichen Kündigung beseitigt, hat deswegen ohne weitere Diskussion vorausgesetzt, dass die damals schon gleich lautende Ausschlussregelung in § 556a Abs. 4 Nr. 2 BGB a. F. einer Berücksichtigung der Schonfristzahlung bei „Abwägung der Vermieter – und Mieterinteressen im Rahmen der Sozialklausel“ nicht entgegen stehe (vgl. OLG Stuttgart – 8 ReMiet 2/91 – , Rechtsentscheid vom 28.08.1991, GE 1991, 927 ff.).

Der Bundesgerichtshof hat sich zwar in seinem diesen Rechtsentscheid im Übrigen bestätigenden Urteil vom 16. Februar 2005 auf den Standpunkt gestellt, dass § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB auch nach einer wirksamen Schonfristzahlung einem Widerspruch des Mieters und einer Fortsetzung des Mietverhältnisses entgegenstehe (vgl. BGH – VIII ZR 6/04 – , Urt. v. 16.02.2005, JR 2006, 28 ff). Schon im Anschluss an diese Entscheidung wurde jedoch vorgeschlagen, den Anwendungsbereich des § 574 Abs. 1 Satz 2 BGB im Wege der teleologischen Reduktion dahin einzuschränken, dass das Widerspruchsrecht mit einer wirksamen Schonfristzahlung entsteht oder wieder auflebt (vgl. Hinz, Anmerkung zu BGH – VIII ZR 6/04 – , JR 2006, 28 ff., 31). Das hält die Kammer für sachgerecht, zumal sich die von der heutigen Vorsitzenden des VIII. Zivilsenats später geäußerte Befürchtung, Vermieter könnten angesichts sich verengender Mietmärkte und erhöhter Ertragschancen bei Neuvermietung vermehrt dazu übergehen, die Schonfrist durch eine „kombinierte Kündigung“ zu unterlaufen (vgl. Milger, NZM 2013, 553 ff., 558) nach Beobachtungen der Kammer jedenfalls für ihren Zuständigkeitsbereich bestätigt hat.

Gelingt es dem Mieter, Härtegründe zur Überzeugung der Kammer darzutun, können im Rahmen einer nach §§ 574, 574a BGB vorzunehmenden Abwägung sowohl d as gemäß § 573 Abs. 1 Nr. 1 BGB beachtliche Interesse des Vermieters an der Beendung des Mietverhältnisses als auch der nachfolgende Ausgleich des Rückstandes, das weitere Verhalten des Mieters und seine durch den angespannten Berliner Wohnungsmarkt geprägten Interessen am Fortbestand des Mietverhältnisses berücksichtigt und in angemessenen Ausgleich gebracht werden.

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