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Fristlose Mitmieterkündigung nur nach vorheriger Abmahnung?

LG Köln – Az.: 6 S 203/21 – Urteil vom 30.06.2022

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 23.09.2021 – 221 C 298/20 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 S. 1, § 544 Abs. 2 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitbefangenen Wohnung gemäß § 546 Abs. 1 BGB.

Das Mietverhältnis ist nicht durch die von der Klägerin mit Schreiben vom 17.08.2020 (Anl. K1, Bl. 21 ff. GA) erklärte außerordentliche Kündigung beendet worden, da die Kündigung jedenfalls erst nach einer entsprechenden Abmahnung zulässig gewesen wäre, § 543 Abs. 1 und 3 BGB. Ein Ausnahmefall der Entbehrlichkeit einer solchen Abmahnung ist vorliegend nicht gegeben.

a) Vorliegend hat die Klägerin die außerordentliche Kündigung gestützt auf den Vorwurf der Bedrohung gegenüber von ihr beauftragten Handwerkern mit einem Messer und damit einhergehender Nötigung zum Abbruch von lärmintensiven Bauarbeiten in einer Nachbarwohnung. Offenbleiben kann an dieser Stelle, ob die vom Amtsgericht nach Durchführung der Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen für die Kammer als Berufungsgericht nach Maßgabe des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindend sind, wobei anzumerken ist, dass sich hier durchaus Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ergeben (zum Begriff des „Zweifels“ im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vgl. BGH, Beschluss vom 04.09.2019, VII ZR 69/17; BGH, Urteil vom 09.03.2005, VIII ZR 266/03). So hat das Amtsgericht zwar den Zeugen R### vernommen, indes aus – für die Kammer nicht nachvollziehbaren – Gründen es unterlassen, zu diesem tatsächlichen Geschehen auch den Beklagten zu 1 selbst persönlich anzuhören und sich mit dessen Schilderungen auseinanderzusetzen. Die Grundlagen der richterlichen Tatsachenfeststellung sind in § 286 ZPO geregelt, wonach das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden hat, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Unter den „gesamten Inhalt der Verhandlungen“ im Sinne von § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO fallen das Vorbringen der Parteien in der mündlichen Verhandlung sowie der Inhalt der von ihnen eingereichten und in Bezug genommenen Schriftsätze und Unterlagen, damit vor allem auch das Ergebnis einer Parteianhörung im Sinne des § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO. Darüber hinaus hat das Amtsgericht auch den Zeugen B### nicht vernommen, sondern lediglich den von ihm angefertigten Vermerk vom 13.08.2020 (Bl. 107 a GA) zugrunde gelegt, wobei indes nach Auffassung der Kammer umfassender Nachfragebedarf in Hinblick auf die unterschiedlichen Darstellungen der Zeugen R### und B### bestanden hätte. So hat der Zeuge B### in dem Vermerk niedergelegt, dass der Beklagte zu 1 mit dem Messer in der Hand mehrmals heftig gegen die Wohnungstür geschlagen habe, was der Zeuge R###, der dem Beklagten zu 1 unmittelbar gegenüber stand, in dieser Form hingegen nicht bekundet hat. Nach dessen Schilderung habe der Beklagte zu 1 zwar mehrfach gegen das Türblatt geschlagen. Dass der Beklagte zu 1 mit dem Messer gegen die Tür geschlagen habe, hat er indes nicht wahrgenommen. Dazu hat er weiter ausgeführt, dass ihm erst später aufgefallen sei, dass der Beklagte zu 1 ein Messer mit einer Klinge von ca. 20-30 cm in der Hand gehabt habe. Vor diesem Hintergrund stellt sich zumindest die Frage, wie ihm dieses Messer dann nicht auffallen konnte, wenn der Beklagte zu 1, der ihm unmittelbar gegenüber stand, damit gegen die Tür geschlagen haben solle. Überdies hat das Amtsgericht auch nicht weiter aufgeklärt, inwieweit der Zeuge B### der sich nach eigener Darstellung auf einer Leiter befand und deren Standort auch nicht weiter beschrieben worden ist, das Geschehen überhaupt konkret beobachten konnte.

b) Dies kann hier letztendlich indes dahinstehen, da der ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung keine Abmahnung vorangegangen ist.

Fristlose Mitmieterkündigung nur nach vorheriger Abmahnung?
(Symbolfoto: Bartolomiej Pietrzyk/Shutterstock.com)

Bei – wie hier – einer außerordentlichen Kündigung gem. § 543 Abs. 1 BGB ist eine Abmahnung gem. § 543 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BGB entbehrlich, wenn die Pflichtverletzung (etwa eine Tätlichkeit oder Beleidigung), wegen derer gekündigt wird, so schwerwiegend ist, dass die Vertrauensgrundlage auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte (sog. Zerrüttungskündigung); ansonsten ist die Abmahnung gem. § 543 Abs. 3 S. 2 BGB entbehrlich, wenn sie offensichtlich keinen Erfolg verspricht oder wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist (vgl. Schmidt-Futterer/Streyl, 15. Aufl. 2021, BGB § 543 Rn. 227 mwN). Dies ist hier nicht anzunehmen.

Straftaten sind zwar grundsätzlich besonders geeignet, das Vertrauensverhältnis nachhaltig zu zerstören, sodass sich dieses Vertrauensverhältnis ggf. auch nicht durch eine Abmahnung wiederherstellen ließe. Notwendig ist aber wie bei jeder Kündigung gem. § 543 Abs. 1 BGB eine sorgfältige Abwägung der Einzelfallumstände.

Gemessen hieran kann bei dem streitgegenständlichen Vorfall gezeigten Verhalten des Beklagten zu 1 auch bei Annahme, dass sich der Vorfall so ereignet haben soll wie erstinstanzlich von dem Zeugen R### in der mündlichen Verhandlung vom 02.09.2021 geschildert (Bl. 105 ff. GA) bzw. in dem von dem Zeugen B### angefertigten Vermerk vom 13.08.2020 niedergelegt (Bl. 107a GA), eine solche Zerstörung des Vertrauens der Klägerin zu den Beklagten zu 1 und zu 2 nicht angenommen werden, welches nicht durch eine Abmahnung hätte wiederhergestellt werden können.

In Hinblick auf die auch der Beklagten zu 2 gegenüber ausgesprochenen fristlosen Kündigung ist zu berücksichtigen, dass sie selber an dem Vorfall überhaupt nicht beteiligt gewesen ist. An einem Fehlverhalten der Beklagten zu 2 fehlt es insgesamt. Es werden von der Klägerin keinerlei Anhaltspunkte aufgezeigt, warum sie, die Klägerin, zumindest davon ausgegangen wäre, dass die Beklagte zu 2 das dem Beklagten zu 1 vorgeworfene Verhalten gekannt und gebilligt oder etwa unterstützt hätte. Ihr kann das Verhalten des Beklagten zu 1 auch nicht ohne weiteres zugerechnet werden. Vielmehr könnte nur dann ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorliegen, wenn sie es unterließe, nachhaltig auf den Beklagten zu 1 einzuwirken, damit dieser künftig weiteres vertragswidriges Verhalten unterlasse. Dies wiederum erfordert indes eine vorherige ausdrückliche Aufforderung und Abmahnung (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, MietR, 14. Aufl. 2019, § 543, Rn. 191 a.E.).

Auch gegenüber dem Beklagten zu 1 war eine Abmahnung nicht entbehrlich.

Die Kammer verkennt nicht, dass ein Vermieter auch eine allgemeine Schutzpflicht gegenüber anderen Mietern bzw. im Haus tätigen Handwerkern hat. Anknüpfungspunkte, warum die Klägerin ex ante mit einer Wiederholung eines solchen oder gleichwertigen Fehlverhaltens, auf das sie die außerordentliche Kündigung in ihrem Kündigungsschreiben gestützt hatte, gerechnet hat oder zumindest hätte rechnen dürfen, hat sie allerdings nicht näher dargetan. Solche besonderen Umstände wären im hiesigen konkreten Einzelfall indes erforderlich. Denn es ist hier zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis zwischen den Parteien bereits seit mehr als 10 Jahren andauert, wobei es überdies zuvor bereits ebenfalls über 10 Jahre mit dem Voreigentümer bestand. Zu keinem Zeitpunkt kam es zu irgendwelchen Schwierigkeiten, Vorfällen oder Auseinandersetzungen. Von dem Beklagten zu 1 ist mit Ausnahme des streitgegenständlichen Vorfalls während der gesamten Vertragslaufzeit offensichtlich keinerlei aggressives Verhalten ausgegangen. Auch im Nachgang zu dem streitgegenständlichen Vorfall ist es zu keinerlei weiteren Vorfällen oder Auffälligkeiten des Beklagten zu 1 oder Beschwerden über diesen gekommen. Wie sich aus den Ausführungen der Klägerin in ihrem Kündigungsschreiben vom 17.08.2020 ergibt, war der Klägerin bei Ausspruch der Kündigung durchaus bewusst, dass der Beklagte zu 1 sich durch die ab 7:30 Uhr durchgeführten Bohrarbeiten massiv gestört fühlte und dazu angegeben hatte, dass er von der Arbeit komme und schlafen müsse. Auch wenn die Kammer selbstverständlich nicht verkennt, dass eine solche Situation es keinesfalls rechtfertigen würde, – sollte es tatsächlich so geschehen sein – einer Bitte nach Ruhe durch das Mitsichführen eines Messers und den Worten, dass „ansonsten gleich Schlimmeres passiere“, besonderen Nachdruck zu verleihen, so hätte die Klägerin aber auch in Erwägung ziehen müssen, dass sich der Beklagte zu 1 möglicherweise in einem durch sein Schlafdefizit und – nach einer Arbeitsschicht bis nachts um 3 Uhr auch in gewisser Weise nachvollziehbaren – Ruhebedürfnis bedingten Erregungszustand befand, der in dieser Ausnahmesituation nicht zwingend Rückschlüsse auf das allgemeine, sonstige Verhalten des Beklagten zu 1 zulassen kann. Letzteres wird vorliegend gerade dadurch belegt, dass es schließlich während des bereits langjährigen Mietverhältnisses zu keinerlei Vorkommnissen gekommen ist. Überdies ist die Situation auch nicht weiter eskaliert. Nach den Bekundungen des Zeugen R### gegenüber dem Amtsgericht endete die Situation damit, dass der Zeuge, der zu diesem Zeitpunkt ein Messer überhaupt nicht bemerkt hatte, schlichtweg die Wohnungstür schloss. Bereits während der Zeuge die Tür zumachte, wandte sich nach den Bekundungen des Zeugen der Beklagte zu 1 ab und ging zum Treppenaufgang.

Vor diesem Hintergrund kann ein derart zerrüttete Vertrauensverhältnis, welches nicht durch eine Abmahnung wiederhergestellt werden können, nicht angenommen werden und auch die Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt die sofortige, ohne vorangehende Abmahnung erfolgte Kündigung nicht.

2. Damit einhergehend hat die Klägerin gegen die Beklagten auch keinen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten, die diese für den Ausspruch der Kündigung aufgewandt hat.

3. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

III.

Die Revision gegen dieses Urteil ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Es handelt sich um eine von den Umständen des konkreten Falles abhängige Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.

 

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