LG Frankfurt am Main
Az: 2/17 S 90/11
Urteil vom 18.01.2012
In dem Rechtsstreit hat das Landgericht Frankfurt am Main – 17. Zivilkammer – aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2012 für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 31.08.2011 aufgehoben.
Die Sache wird an das Amtsgericht Frankfurt am Main – 33 C 2021/11 (51) zur weiteren Verhandlung und zur Entscheidung auch über die Kosten der Berufung zurückverwiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die Kläger sind Vermieter einer im ……… in ……… gelegenen Wohnung, die die Beklagten durch Mietvertrag vom 28.10.2004 angemietet hatten. Ursprünglicher Vermieter war die Firma ……….
Durch schriftliche Erklärung vom 18.04.2011 haben die Kläger das Mietverhältnis ordentlich und auch fristlos gekündigt, mit der Begründung, dass in der Wohnung ein beißender Geruch, dessen Ursache möglicherweise im Urin besteht, vorhanden war, der Kunststoffbodenbelag im Eingangs- WC nur lose aufgelegt war, und auch nicht passend zugeschnitten gewesen war, im WC und im Flur ein Geruch nach Chlorchemie und Urin vorhanden war und in mehreren Räumen, u.a. im Schlafzimmer die Decke weiß gestrichen war und viele Bereiche in Wandnähe nachträglich überstrichen gewesen waren.
Die Beklagten bewohnen diese Wohnung zusammen mit vier gemeinsamen Kindern und haben die Wohnung untervermietet. Die Wohnung hat eine Größe von 86 m², in der zur Zeit sieben Personen leben, wobei sich drei im Erwachsenenalter befinden.
Die Kläger haben behauptet, von den Kindern der Beklagten gehe tagtäglich Ruhestörung aus, die teilweise bis in die Nacht andauere. Türen würden grundlos zugeknallt und die Kinder hätten auch mutwillig eine Tür beschädigt. Seit Monaten lagere auf der Terrasse sperriges Gerümpel und die Beklagten hätten trotz Aufforderung, dieses zu beseitigen, dem nicht Folge geleistet. Die Nebenkosten seien nicht bezahlt worden, und eine Abmahnung sei mehrfach mündlich ausgesprochen worden. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses sei daher den Klägern nicht zuzumuten gewesen.
Insgesamt bestünden Nachzahlungen der Beklagten für Nebenkosten in Höhe von 3.000,00 Euro.
Die Kläger haben beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die Erdgeschoß links der Liegenschaft ……… gelegene Wohnung, bestehend aus einem Wohnzimmer und drei Schlafzimmern, Flur, Küche, Badezimmer, Gäste- WC sowie Terrasse, Loggia – Abstellraum und Kellerabstellraum zu räumen und an die Kläger herauszugeben und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger die rückständigen Nebenkosten in Höhe von 3.000,00 Euro zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie haben erwidert, bei der Untermieterin handele es sich um die Mutter des Erstbeklagten, die nur vorübergehend in der Wohnung gewohnt habe und sie sei bereits am 03.08.2010 wieder ausgezogen. Darüber hinaus hätten die Beklagten nur kurzzeitig, während sie auf einen Sperrmülltermin warteten, Sperrmüll im Garten gelagert. Die Nebenkostenabrechnung sei nicht regelgerecht erstellt worden.
Das Amtsgericht hat ohne Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen, denn die Kläger hätten keinen Anspruch gemäß § 546 BGB auf Räumung und Herausgabe der Mietsache. Die fristlose Kündigung vom 18.04.2011 sei unwirksam, denn es habe kein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund vorgelegen. Umstände, die das Setzen einer Abhilfefrist ausnahmsweise entbehrlich machten, seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die Verletzung von Reinigungspflichten berechtige erst nach vorheriger Abmahnung gemäß § 543 Abs. 3 BGB zum Ausspruch einer Kündigung. Soweit die Kläger die fristlose Kündigung mit der Lärmbelästigung durch die Beklagten und ihre Kinder begründen, sei dies unsubstantiiert. Schließlich könne die fristlose Kündigung auch nicht auf die Verwahrlosung des Gartens gestützt werden. Soweit die Kläger die fristlose Kündigung darüber hinaus auf die Nichtzahlung von Nebenkosten stützten, vermag die Kündigung vom 18.04.2011 bereits dem Begründungserfordernis des § 569 Abs. 4 BGB nicht zu genügen. Soweit die fristlose Kündigung am Fehlen einer zuvor gesetzten Abhilfefrist bzw. einer Abmahnung gescheitert sei, gelte dies gleichfalls für die ordentliche Kündigung vom 18.04.2011.
Dagegen wendet sich die Berufung der Kläger, mit der sie weiterhin geltend machen, das Urteil halte einer Prüfung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht nicht stand.
Die Kläger beantragen, das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 31.8.2011 – 33 C 2021/11 (51) – abzuändern und der Klage „stattzugeben“.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholen ihr erstinstanzliches Vorbringen und sind weiterhin der Ansicht, dass ein Kündigungsgrund nicht vorliege.
II.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden. und hat auch in der Sache Erfolg.
1.
Die diesbezügliche Zurückverweisung an die I. Instanz beruht auf § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, wonach das Verfahren an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückzuweisen ist, wenn es an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Nach der dazu ergangenen Rechtsprechung liegt eine umfangreiche oder aufwendige Beweisaufnahme im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dann vor, wenn neben der Einholung eines Sachverständigengutachtens auch noch die persönliche Anhörung mehrerer Parteien und gegebenenfalls noch die Vernehmung eines Zeugen notwendig sind (so zuletzt OLG Hamm OLG Report NRW 43/2011). Eine umfängliche Beweisaufnahme wird auch schon angenommen, wenn mehrere Zeugen zu vernehmen sind (so zuletzt OLG Frankfurt am Main NJW-RR 2011, 1001 = MDR 2011, 880). Auch eine mangelhafte Beweiserhebung oder eine mangelhafte Beweiswürdigung und damit erst recht eine nicht erfolgte Beweiserhebung stellen einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar (OLG Bremen OLGR Bremen 2009, 352 ff.).
2.
a. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts haben die Kläger bereits in der Klageschrift substantiiert vorgetragen, auf welche Kündigungsgründe sie die begehrte Aufhebung des Mietverhältnisses stützen. Den diesbezüglichen Sachvortrag haben sie unter Beweis gestellt durch die Benennung des Sachverständigen ……… sowie die Vernehmung der Zeugen ………. Da die Kläger mit der Anlage zur Klageschrift (Anlage 2, Blatt 17 GA) das außergerichtliche Gutachten des Sachverständigen ……… vorgelegt hatten, wurde dies bereits in der I. Instanz zum Gegenstand des Sachvortrages gemacht. Die Beklagten ihrerseits haben bereits erstinstanzlich unter Beweis gestellt, dass die von den Klägern behaupteten Ruhestörungen sowie der ruinöse Zustand der Wohnung nicht vorlagen, was sich bereits aus der Klageerwiderung vom 20.06.2011 (Bl. 76 GA) ergibt. Schließlich haben die Kläger durch ihren Sachvortrag im Schriftsatz vom 08.08.2011 bereits in der I. Instanz und dabei unter Beifügung einer schriftlichen Aussage des Zeugen ……… vom 04.08.2011 sehr substantiiert vorgetragen, was sich im Einzelnen an Unzuträglichkeiten in dem Haus zugetragen hat. Da es sich nicht um einen von Gesetzes wegen angeordneten Anwaltsprozess handelt, genügt insoweit auch eine Partei ihrer Substantiierungspflicht, wenn sie entsprechende Dokumente vorlegt, aus denen sich zwangsweise ergibt, dass sie zum Inhalt des Vortrags gemacht werden und dass gerade darauf die fristlose Kündigung gestützt wird.
b. Dessen ungeachtet hat das Amtsgericht am 10.08.2011 (Bl. 160 GA) verhandelt, und dabei die überreichten Lichtbilder (Bl. 28 GA) in Augenschein genommen, und auch zur Akte genommen. Spätestens in jenem Zeitpunkt hätte sich die Notwendigkeit einer Beweisaufnahme ergeben, was jedoch nicht erfolgt ist. Jedenfalls nach dem bisherigen Vortrag der Kläger sind genügend Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass ein Grund für eine fristlose Kündigung nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB vorliegt, denn die Beklagten haben in ihrer Eigenschaft als Mieter nicht unerheblich in die Rechte des Vermieters eingegriffen. Bereits die amtsgerichtliche Judikatur (vgl. dazu AG Hamburg -Haarburg ZMR 2011, 644 ff.) geht dahin, dass ein fristloser Kündigungsgrund vorliegt, wenn eine Person beratungs- und hilferesistent die Mietwohnung vermüllt und trotz qualifizierter Abmahnung sein Mieterverhalten nicht ändert. Ein Kündigungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 2 BGB liegt bereits dann u.a. vor, wenn der Mieter die Rechte des Vermieters dadurch in erheblichem Maße verletzt, dass er die Mietsache durch Vernachlässigung der ihm obliegenden Sorgfalt erheblich gefährdet, was voraussetzt, dass – neben einer vorherigen Abmahnung – die Mietsache durch die Sorgfaltspflichtverletzung bereits geschädigt worden ist, und durch sein Verhalten sich die Gefahr der Schädigung signifikant erhöht. Es kommt nicht darauf an, ob die Mietsache beschädigt worden ist, oder ob das Verhalten des Mieters zu einer konkreten Gefährdung geführt hat; es genügt, dass die Vertragsverletzung potentiell eine solche Gefährdung zur Folge haben kann (so Schmidt – Futterer, Mietrecht, 10. Auflage, § 543 BGB Rz 59).
c. Die Kammer will dabei nicht verkennen, dass das Ablagern von Sperrmüll in der Wohnung nicht zur fristlosen Kündigung berechtigt, wenn die Mietsache hierdurch nicht gefährdet wird (LG Berlin GE 1981, 33), jedoch haben die Kläger ausweislich der Klageschrift die Kündigung nicht allein auf diesen Umstand gegründet. Deshalb kommt es auch nicht mehr darauf an, ob der Sperrmüll inzwischen beseitigt ist oder nicht, denn das beigefügte Foto kann nur eine Momentaufnahme dokumentieren und trifft keine Aussage, ob auch jetzt der Zustand noch anhält. Auch die im Grunde nicht mehr ganz nachvollziehbare Rechtsprechung, dass ein Grund zur fristlosen Kündigung selbst dann nicht vorliege, wenn aus der Wohnung einer unter Inkontinenz leidenden Mieterin unangenehme Gerüche dringen (so AG München, WuM 2006, 621), ist auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn die vom Sachverständigen festgestellten Uringerüche können nur allesamt von Personen stammen, die nicht an einer solchen Krankheit leiden. Darüber hinaus geht es auch nicht nur um die Geruchsbildung, sondern auch das ständige Urinieren an die Wände führt letztendlich zu einer Gefährdung der Bausubstanz.
d. Selbst wenn dieser mieterfreundlichen Rechtsprechung gefolgt werden sollte, was die Kammer nicht anzunehmen gedenkt, sind jedoch die bereits im Übrigen vorgetragenen Umstände Anlass genug dafür, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Die Angaben des Zeugen ……… in seiner schriftlichen Erklärung vom 04.08.2011 genügen jedoch für die Annahme einer fristlosen Kündigung. Darin wird dezidiert vorgetragen, dass ein Sohn der Beklagten regelmäßig nachts zwischen 1.00 Uhr – 1.30 Uhr die Wohnungstür mit lautem Knall zuschlug, und dass die Kinder um 23.00 Uhr im Garten noch Fußball spielten und dieselben auch Löcher in den Zaun eintraten. Der Zeuge hat auch angegeben, dass der Erstbeklagte am 21.03.2009 den Klägern „mit der Faust drohte“ und ihnen noch nachrief, sie sollten sich entfernen, weil sie ansonsten noch ihn zu spüren bekämen. Auch die Erstbeklagte hat sich in diesem Sinne gegenüber dem Zeugen ……… benommen, in dem dieser nämlich angab, dass sie auf ihn zukam und die Fäuste gegen ihn erhob. Die Kammer will sich im Übrigen ersparen, die weiterhin vorgetragenen Gründe im Einzelnen darzulegen, denn die Summe der bereits vorgetragenen Zustände rechtfertigt zumindest die Annahme einer fristlosen Kündigung.
e. Eine fristlose Kündigung ist auch nicht dadurch entfallen, wie das Amtsgericht anzunehmen scheint, dass eine sogenannte Abmahnung nicht vorgelegen habe. Nach § 543 Abs. 3 Satz 2 BGB ist die Abhilfefrist entbehrlich, wenn dies offensichtlich keinen Erfolg verspricht oder wenn die sofortige Kündigung aus besonderen Gründen unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt ist. Ein solcher Fall liegt vor, wenn innerhalb eines für den Mieter zumutbaren Zeitraums keine Abhilfe möglich ist (so ausdrücklich Schmidt – Futterer, § 543 BGB Rz 34). Außerdem ist eine Kündigung ohne Fristsetzung möglich, wenn dem Mieter aufgrund besonderer Umstände kein weiteres Zuwarten möglich oder zumutbar ist. Hiervon kann beispielsweise dann ausgegangen werden, wenn ein Mieter bereits aufgefordert worden ist, dem unzumutbaren Zustand Abhilfe zu schaffen (LG Landshut NJW – RR 1986, 640), Spätestens durch die Klageerhebung am 23.05.2011 war auch den Beklagten bewusst geworden, dass die Kläger in ihrer Eigenschaft als Mieter diesen Zustand nicht mehr hinzunehmen gedenken. Deshalb kann in der Klageerhebung auf eine Abmahnung erkannt werden, denn das Prozessverhalten der Beklagten lässt eher darauf schließen, dass sie auf ihrem Standpunkt beharren, und keinerlei Einsicht zeigen. Die vom Amtsgericht geforderte Abmahnung wäre ansonsten reine Förmelei, was vom Gesetzgeber mit Sicherheit nicht beabsichtigt war. Das gesamte Verhalten der Beklagten lässt den geradezu zwingenden Schluss zu, dass sie auch auf eine Abmahnung nicht reagieren, sondern dies sie im Gegenteil noch aggressiver werden lässt. Davon geht auch das Gesetz aus, denn nach § 543 Abs.3 Nr. 1 ist eine Abmahnung dann entbehrlich, wenn sie offensichtlich keinen Erfolg verspricht. Das gesamte Verhalten der Beklagten ist von dieser Ausnahme erfasst und das Amtsgericht hat sich im Übrigen nicht damit auseinandergesetzt, weshalb trotz dieser eher extensiv auszulegenden Ausnahme eine Abmahnung noch erforderlich ist. Der Kammer drängt sich der Verdacht auf, dass mit dieser Begründung sich eine Beweisaufnahme erübrigen sollte. Das Amtsgericht wird deshalb im Rahmen der neuen Verhandlung auch über die geltend gemachten Nebenkosten zu befinden haben, die im Übrigen durch die Anlage 6 zur Klageschrift (Bl. 30 GA) sehr substantiiert geltend gemacht worden waren.
III.
Die Kostenentscheidung war dem Amtsgericht vorzubehalten.
Die Revision war nach § 543 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.