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Früherscheinentzug aufgrund des Alters

VERWALTUNGSGERICHT DES SAARLANDES

Az.: 3 F 82/98

Beschluß vom 13.01.1999


BESCHLUSS

In dem Verfahren

w e g e n Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Entziehung einer Fahrerlaubnis

hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts des Saarlandes in Saarlouis am 13. Januar 1999 b e s c h l o s s e n:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 14.12.1998 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27.11.1998 wird wiederhergestellt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

Der Streitwert wird auf 4.000,– DM festgesetzt.

G r ü n d e

Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung des Antragsgegners vom 27.11.1998, durch welche ihm die Fahrerlaubnis entzogen und er zugleich unter Androhung der zwangsweisen Einziehung des Führerscheins aufgefordert wurde, seinen Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheides beim Antragsgegner abzuliefern, ist gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwG0 sowie § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 20 Satz 1 SAGVwG0 statthaft und auch im übrigen zulässig.

Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg.

Die vom Gericht zu treffende Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwG0 richtet sich danach, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung schriftlich hinreichend begründet wurde (§ 80 Abs. 3 VwG0) und ob das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung gegenüber dem Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des von ihm eingelegten Rechtsbehelfs schwerer wiegt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwG0). Im Rahmen der vom Gericht zu treffenden Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Widerspruchs zu berücksichtigen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach derzeitigem Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird; umgekehrt überwiegt bei einer offensichtlichen Erfolgsaussicht des Widerspruchs das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Vgl. Kopp, VwGO, 10. Auflage, § 80 Rdnr. 82

Im Rahmen der im vorliegenden Verfahren nur möglichen summarischen Überprüfung der Rechtslage sowie nach Maßgabe der derzeit vorliegenden Erkenntnisse begegnet die angegriffene Verfügung durchgreifenden Zweifeln hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit, so daß der Widerspruch des Antragstellers aller Voraussicht nach Erfolg haben wird.

Rechtsgrundlage für die angefochtene Verfügung ist § 4 Abs. 1 StVG i.V.m. § 15 b Abs. 1 StVZO. Danach ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Diese Voraussetzungen sind nach derzeitigem Erkenntnisstand vorliegend jedoch nicht erfüllt.

Zwar kann sich die Ungeeignetheit eines Kraftfahrers zum Führen eines Kraftfahrzeuges daraus ergeben, daß er der Anordnung der Straßenverkehrsbehörde auf Beibringung eines der in § 15 b Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 – 3 StVZO genannten Gutachten ohne ausreichenden Grund nicht nachkommt. Dieser Schluß hat seine Grundlage in der Verletzung der dem Verkehrsteilnehmer nach § 15 b Abs. 2 StVZO obliegenden Mitwirkungspflicht; dieser hat zur Klärung der Zweifel beizutragen, die an seiner Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestehen. Daher darf die Verwaltungsbehörde grundsätzlich aus der Nichtvorlage eines wegen berechtigter Zweifel an der Kraftfahreignung angeforderten Eignungsgutachtens auf die fehlende Kraftfahreignung schließen. Vgl. BVerwG, Urteile vom 12.03.1985 -7C 26.83-, NJW 1985, 2490, sowie vom 13.11.1997 -3 C 1.97-, zfs 1998, 236.

Dies setzt allerdings voraus, daß die Anordnung der Untersuchung nach § 15 b Abs. 2 StVZO rechtmäßig erfolgt ist. Dies ist insbesondere jedoch nur dann der Fall, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des betroffenen Kraftfahrers bestehen und die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären. Vgl. BVerwG, Beschluß vom 23.08.1996 -11B 48.96-, NJW 1997, 269

An solchen konkreten Tatsachen, die Eignungszweifel hinsichtlich der Fahreignung des Antragstellers begründen und die angeordnete amtsärztliche Untersuchung zu deren Aufklärung rechtfertigen könnten, fehlt es indes vorliegend.

Zunächst ergeben sich -entgegen der Auffassung des Antragsgegners- allein aus dem hohen Alter des Antragstellers keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte, begründete Zweifel an seiner uneingeschränkten Kraftfahreignung zu hegen.

Vgl. OVG Saarlouis, Beschluß vom 08.06.1994 -3 W 15/94-, zfs 1994, 350 sowie VGH Mannheim, Beschluß vom 27.07.1990 -10 S 1428/90-, NJW 1991, 315

Soweit der Antragsgegner diese grundsätzliche Einschätzung im angefochtenen Bescheid mit der Behauptung zu relativieren sucht, es stelle innerhalb der Gruppe der älteren Kraftfahrer jedoch einen erheblichen Unterschied dar, ob der Fahrerlaubnisinhaber 70 oder -wie vorliegend der Antragsteller- bereits 90 Jahre alt sei, da nach seinen Erfahrungen zumindest bei 80jährigen Kraftfahrern eine generelle Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr unterstellt werden könne, vielmehr diesen die Fahrerlaubnis allenfalls unter Auflagen zu belassen sei, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Sowohl die vom Antragsgegner vorgenommene Differenzierung innerhalb der Gruppe der älteren Kraftfahrer wie auch die von ihm gezogene Altersgrenze von 80 Jahren, ab der er eine generelle Fahreignung verneinen zu müssen meint, entbehren nämlich -jedenfalls nach derzeitigem Recht- jeglicher gesetzlicher Grundlage. Zudem hat der Antragsgegner auch nicht dargetan, auf welche tatsächlichen Feststellungen und/oder wissenschaftliche Untersuchungen er seine Einschätzung stützt, so daß insbesondere die von ihm gezogene Altersgrenze sich angesichts ihrer Verallgemeinerung als geradezu willkürlich erweist.

Vielmehr bedarf es auch bei älteren Verkehrsteilnehmern als Voraussetzung für eine Anordnung nach § 15 b Abs. 2 StVZO stets eines durch Tatsachen begründeten Verdachts mangelnder Kraftfahreignung. vgl. VGH Mannheim, Beschluß vom27.07.1990, a.a.O.

Solche tatsächlichen Feststellungen liegen indes ebenfalls bislang nicht vor. Bei der im Bericht der Polizeiinspektion vom 08.08.1998 festgehaltenen telefonischen Mitteilung eines Nachbarn des Antragstellers über dessen Fahrweise und die hieraus von diesem Nachbarn gezogenen Schlußfolgerungen handelt es sich nicht um eine tatsächliche Feststellung, sondern um eine bloße, mit einer Wertung versehene Behauptung einer Privatperson, die vom Antragsgegner und/oder der zuständigen Polizeibehörde nicht einmal in Ansätzen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft worden ist. Hierzu bestand aber um so mehr Anlaß, als die insoweit beschriebene verkehrsgefährdende Fahrweise des Antragstellers von diesem von Anfang an als unrichtig zurückgewiesen worden ist.

Zwar ist dem Antragsgegner zuzugeben, daß er im Rahmen der Gefahrenabwehr berechtigt und sogar verpflichtet ist, Hinweisen auf eine mögliche Nichteignung von Kraftfahrzeugführern sofort nachzugehen, und sich nicht auf ein Zuwarten bis zu einer möglichen Verletzung vier Rechtsgüter Dritter durch den betroffenen Kraftfahrer verweisen lassen muß. Dies entbindet den Antragsgegner jedoch nicht von der Verpflichtung, sich vor Anordnung einer Untersuchung nach § 15 b Abs. 2 StVZO durch eigene, im vorliegenden Verfahren gebotene und auch ohne weiteres zumutbare Ermittlungen zunächst einmal eine auch unter Berücksichtigung der in Rede stehenden Schutzgüter hinreichende tatsächliche Grundlage hinsichtlich des im Raum stehenden Gefahrenverdachts zu verschaffen.

Diese sind indes hier unterblieben. Weder der Antragsgegner noch die zuständige Polizeiinspektion ins haben erkennbare Anstrengungen unternommen, die bislang behördlicherseits nicht festgestellten, sondern allein auf den Angaben eines Dritten beruhenden angeblichen Fahrauffälligkeiten des Antragstellers, die bei ihrem Vorliegen tatsächlich Zweifel an seiner Kraftfahreignung begründen könnten, zu verifizieren. Wie unkritisch der Antragsgegner die Schilderungen des Fahrverhaltens des Antragstellers durch einen Nachbarn übernommen hat, zeigen seine Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid, wonach die Beobachtungen benachbarter Anwohner den eindeutigen (!?) Schluß zuließen, daß die Fahrweise des Antragstellers die Sicherheitsinteressen anderer Verkehrsteilnehmer und auch der Fußgänger beeinträchtige. In diesem Zusammenhang hat der Antragsgegner offensichtlich nicht zu differenzieren vermocht, daß vorliegend gerade nicht mehrere Nachbarn des Antragstellers in der Sache gleichlautende Beobachtungen über dessen Fahrweise den zuständigen Behörden zur Kenntnis gebracht haben, sondern nur ein Nachbar, der lediglich für sich in Anspruch genommen hat, im Namen anderer Anwohner zu sprechen, eine entsprechende Mitteilung gemacht hat.

Die weitere Einlassung des Antragsgegners im gerichtlichen Verfahren, für ihn habe keine Veranlassung bestanden, davon auszugehen, daß die gegenüber der Polizeiinspektion gemachte Mitteilung auf einer Nachbarschaftsauseinandersetzung beruhen könnte, da in diesem Fall der Bericht der Polizeiinspektion nicht an ihn weitergeleitet oder mit einem entsprechenden Vermerk versehen worden sei, belegt in diesem Zusammenhang ebenfalls exemplarisch, auf welch ungesicherter und damit unzureichender Tatsachengrundlage die Entscheidung über die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung betreffend den Antragsteller getroffen worden ist.

Bestanden und bestehen somit auch nach der derzeitigen Erkenntnislage keine hinreichend konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte, die berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers zu begründen vermochten, lagen die Voraussetzungen für die Anforderung einer amtsärztlichen Untersuchung nach § 15 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVZO nicht vor. Es verbietet sich daher gegenwärtig, die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens im Rahmen der Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 4 Abs. 1 StVG zum Nachteil des Antragstellers zu werten und hieraus den Schluß auf seine fehlende Kraftfahreignung zu ziehen.

Überwiegt nach alledem das Aussetzungsinteresse des Antragstellers deutlich das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen rechtswidrigen Verfügung, ist die aufschiebende Wirkung des vom Antragsteller hiergegen eingelegten Widerspruchs wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 25 Abs. 2 Satz 1, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. den Teilziffern I Nr. 7 und II Nr. 45.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von Januar 1996. Vgl. DVB1. 1996, 606, 610

Daß dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen 3, 4 und 5 entzogen worden ist, führt nicht zu einer Erhöhung des Streitwertes. Bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis für mehrere Fahrerlaubnisklassen kommt eine Addierung der Streitwerte dann nicht in Betracht, wenn sich die Fahrerlaubnisklassen einschließen. vgl. OVG Saarlouis, Beschluß vom 08.04.1998 -9 Y 2/98-.

Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 5 StVZO berechtigt die Fahrerlaubnis der Klasse 3 zum Führen von Fahrzeugen der Klassen 4 und 5, so daß lediglich der insoweit angesetzte -vorliegend halbierte Auffangstreitwert in Höhe von 4.000,– DM festzusetzen ist.

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