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Gaslieferungsvertrag – unzulässige Verbrauchsschätzung

LG Kleve – Az.: 2 O 300/15 – Urteil vom 18.05.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Mehrfamilienhauses G-Straße He. Die Beklagte belieferte das Objekt seit über 40 Jahren als Energieversorgerin mit Gas.

Zum Ende des Jahres 2007 und zum Ende des Jahres 2011 las die Beklagte den Gaszähler der Klägerin im streitgegenständlichen Objekt ab. Zum 20.12.2011 betrug der Stand des Gaszählers 379.204 m³, nach der unstreitigen Hochrechnung der Beklagten mithin 382.413 m³ zum 31.12.2011.

Die Jahresabrechnungen für die Jahre 2008, 2009 und 2010 erstellte die Beklagte anhand von Schätzungen. Aus der Jahresabrechnung für das Jahr 2008 gibt sich – anders als bei der Jahresabrechnung für das Jahr 2009 – nicht, dass der Gasverbrauch für das Jahr 2008 geschätzt wurde. Deshalb wurde der Klägerin erst im Verlauf des Vorprozesses bekannt, dass die Gas-Jahresabrechnung 2008 auf einer Verbrauchsschätzung beruht.

Die Jahresabrechnung für Gas im Jahre 2011 war doppelt so hoch wie die Jahresabrechnung für Gas im Jahr 2010.

In einem Vorprozess des Landgerichts Kleve – Az. 6 O 117/13 -, in welchem die hiesige Beklagte die Jahresabrechnung für das Jahr 2011 geltend machte, wurde die hiesige Klägerin mit Urteil vom 29.04.2015 zur Zahlung von 17.195,46 EUR zuzüglich Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 02.02.2012 verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig, da das OLG Düsseldorf die Berufung der Klägerin mit Beschluss vom 21.09.2015 zurückgewiesen hat.

Am 20.11.2015 zahlte die Klägerin an die Beklagte 22.606,66 EUR. Dieser Betrag setzte sich aus der Hauptforderung von 17.190,64 EUR sowie Verzugszinsen i.H.v. 5.411,02 EUR zusammen. Im hiesigen Verfahren begehrt die Klägerin (Rück-)Zahlung von 6.239,05 EUR sowie bezahlten Zinsen in Höhe von 1.796,62. EUR

Die Klägerin behauptet, dass sich alle Verbrauchszähler im selben Raum des Mehrfamilienhauses befinden würden und Strom und Wasser in den Jahren 2008 bis 2010 abgelesen worden seien, Gas jedoch nicht.

Die Klägerin behauptet weiter, dass der Betrag von 6.239,05 EUR, welcher im Rahmen der Jahresabrechnung 2011 abgerechnet wurde, einen zusätzlichen Gasverbrauch des Jahres 2008 darstelle und deshalb nicht in der Jahresabrechnung 2011 hätte abgerechnet werden dürfen. Diesen Betrag habe sie anhand der Hilfsberechnung der Beklagten im Vorprozess angenommen. Die diesbezügliche Abrechnung anhand von Gradtagszahlen akzeptiere sie und stelle diese unstreitig. Den zusätzlichen Gasverbrauch könne sie nicht mehr ihren Mietern des Objektes weitergeben, da die Frist für die Abrechnung der Nebenkosten des Jahres 2008 verstrichen sei. Ihr sei daher ein Schaden i.H.v. 8.035,67 EUR entstanden.

Die Klägerin trägt vor, dass die Abrechnung der Beklagten sittenwidrig sei und auf einem Machtmissbrauch der Beklagten beruhe.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag i.H.v. 8.035,67 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.11.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass die Abrechnungen für die Jahre 2008, 2009 und 2010 anhand von Schätzungen hätten erstellt werden müssen, da den jeweiligen Ablesern kein Zutritt zum Gaszähler gewährt worden sei. Die Ableser hätten jeweils eine Ablesekarte mit der Bitte um Selbstablesung und Übermittlung der Zählerstände hinterlegt. Die von ihr ermittelten Jahresabrechnungen für die Jahre 2008 bis 2010 seien anhand von Gradtagszahlen berechnet worden. Der Wasser- und der Gaszähler würden sich im Hausanschlussraum, der grundsätzlich abgeschlossen sei und zu den Ablesezeiten verschlossen gewesen sei, befinden. Deshalb seien in den Jahren 2008 bis 2010 auch die Wasserlieferungen geschätzt worden. Die Stromzähler würden sich auf jedem Stockwerk des Hauses befinden.

Die Beklagte bestreitet, dass in der Jahresabrechnung 2011 ein Betrag i.H.v. 6.239,05 EUR für Gaslieferungen aus dem Jahr 2008 enthalten gewesen sei und die Klägerin einen solchen Betrag zuzüglich Zinsen bezahlt habe. Sie habe lediglich hilfsweise und vorsorglich ohne Anerkennung einer Fehlerhaftigkeit ihrer Abrechnung im Vorprozess anhand der Gradtagszahlen den unstreitigen Gasverbrauch auf die Jahre 2008 bis 2011 verteilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Die Akten des Vorprozesses des Landgerichts Kleve – Az. 6 O 117/13 – waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gemäß §§ 433, 453, 280 Abs. 1 BGB i.H.v. 8.035,67 EUR gegen die Beklagte.

Zwar liegt ein Schuldverhältnis zwischen den Parteien aufgrund des Gasbelieferungsvertrages vor, da es sich um einen Kauf sonstiger Gegenstände handelt (vgl. Berger, Jauernig, Kommentar zum BGB, 16. Auflage 2015, § 453, Rn. 11).

Es fehlt jedoch bereits an einer Pflichtverletzung der Beklagten. Als Pflichtverletzung der Beklagten kommt lediglich in Betracht, dass die Beklagte die Jahresabrechnung des Jahres 2008 anhand von Schätzungen ermittelte und der Beklagten nicht mitteilte, dass es sich bei der Gasabrechnung um eine Schätzung handelte.

Gaslieferungsvertrag - unzulässige Verbrauchsschätzung
(Symbolfoto: Yevhen Prozhyrko/Shutterstock.com)

Darauf, ob die Beklagte zulässigerweise gemäß § 11 Abs. 3 GasGVV zur Schätzung berechtigt war, kommt es nicht an. Wenn die Voraussetzungen für eine Schätzung nicht vorgelegen haben, ist der Kunde zwar berechtigt, die Unzulässigkeit der Schätzung geltend zu machen; ein eventueller Verstoß des Energieversorgers hat dabei jedoch keine Sanktionswirkungen zur Folge (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 12.01.2007 – Az. 19 U 98/06, zitiert nach juris, Rn. 5; OLG Düsseldorf, Urteil vom 21.01.2009 – Az. 3 U 28/08, zitiert nach juris, Rn. 48). Das Energieunternehmen muss in Fällen, in denen es mangels Ablesung den Jahresverbrauch nicht belegen kann, den seinen Schlussrechnungen zugrunde gelegten Verbrauch der Kunden gemäß §§ 286, 287 ZPO zur Überzeugung des Gerichts nachweisen (vgl. Verweis auf BGH, Urteil vom 16.10.2013, Az. VIII ZR 243/12, zitiert nach juris, Rn. 13). Die Klägerin bestreitet im vorliegenden Fall jedoch nicht, dass sie in den Jahren 2008 bis 2011 die abgerechnete Gasmenge verbraucht hat, so dass die Beklagte den ihren Schlussrechnungen zugrundegelegten Verbrauch der Klägerin nicht nachweisen muss.

Es stellt auch keine Pflichtverletzung der Beklagten dar, dass sie in ihrer Jahresabrechnung 2008 nicht angegeben hat, dass diese auf einer Schätzung beruhe, da die Angabe auf einer Verbrauchsabrechnung, dass es sich um einen geschätzten Zählerstand handelt, weder in § 11 GasGVV noch in § 16 GasGVV vorgeschrieben wird.

Die Kammer geht zudem davon aus, dass die Klägerin auch bei der Angabe, dass es sich bei der Jahresabrechnung 2008 um eine Schätzung handelte, diese nicht überprüft hätte, obwohl ihr eine Überprüfung möglich gewesen wäre. Denn die Klägerin hat auch die späteren Jahresabrechnungen, aus denen die Schätzung hervorgeht, nicht zum Anlass genommen hat, den tatsächlichen Verbrauch zu überprüfen.

Es liegt auch keine Pflichtverletzung der Beklagten aus dem Grund vor, dass sich im Jahr 2011 herausgestellt hat, dass die Schätzungen für die Jahre 2008 bis 2010 möglicherweise zu gering waren. Die Beklagte hätte sogar rückwirkend eine Nachberechnung für die Jahre 2008 bis 2010 vornehmen können. Wenn der Verbrauch für einen oder mehrere Abrechnungszeiträume geschätzt wird, kann der Grundversorger eine Nachberechnung vornehmen, wenn sich bei einer späteren Ablesung herausstellt, dass die Schätzung zu niedrig war; dabei kommt es nicht darauf an, ob die Schätzung zulässig oder unzulässig war (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 12.01.2007 – Az. 19 U 98/06, zitiert nach juris, Rn. 5 zur alten AVBEltV; Morell, NADV/GasGVV, 2. Auflage, 2009, § 11 GasGVV Rn. 10). In jedem Fall hat der Grundversorgung einen Anspruch auf Bezahlung des tatsächlichen Verbrauchs, so dass dem Kunden die Differenz zwischen einem geschätzten Verbrauch in Rechnung gestellt werden kann (vgl. LG Duisburg, BeckRS 2004, 11192; vgl. Morell, a.a.O., § 11 GasGVV Rn. 11). Eine zunächst (z.B. aufgrund von Schätzung) fehlerhafte Abrechnung entfaltet keine Bindungswirkung und lässt die Forderung dem Grunde und der Höhe nach unberührt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 12.01.2007 – Az. 19 U 98/06, zitiert nach juris, Rn. 4). Auch wenn die Jahresabschlussrechnungen auf einer Verbrauchsschätzung, zu der der Energieversorger nicht berechtigt war, beruhen, besteht die Forderung des Energieversorgers (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.2013, Az. VIII ZR 243/12, zitiert nach juris, Rn. 13).

Gegenüber diesem Nachberechnungsanspruch kann sich ein Kunde nicht auf die Ausschlussfrist des § 18 Abs. 2 GasGVV berufen, da es sich bei einer zu niedrig angesetzten Schätzung nicht um einen Berechnungsfehler i.S.d. Vorschrift handelt (vgl. zur entsprechenden Regelung des § 21 Abs. 2 AVBEltV, welcher bis zum 07.11.2006 in Kraft war: OLG Hamm, Urteil vom 12.01.2007 – Az. 19 U 98/06, zitiert nach juris, Rn. 5 f.; Morell, a.a.O., § 11 GasGVV Rn. 10).

Da die Beklagte zu Nachberechnungen selbst bei unzulässiger Schätzung berechtigt gewesen wäre, kann keine Pflichtverletzung der Beklagten aufgrund dessen vorliegen, dass sie den Verbrauch des Jahres 2008 möglicherweise zu gering geschätzt hat.

Zudem hat die Klägerin ihren Schaden nicht ausreichend nachgewiesen. Sie hat schon nicht dargetan, dass sie die Jahresabrechnung 2011 nicht im Rahmen der Nebenkostenabrechnung des Jahres 2011 mit den Mietern des Jahres 2011 abgerechnet hat. Zudem hat sie nicht dargetan, dass sie den nach ihrer Auffassung für das Jahr 2008 angefallenen Verbrauch nicht ihren Mietern des Jahres 2008 gem. § 556 Abs. 3 S. 3 2. Halbsatz BGB auferlegen konnte.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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