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Gebäudebeseitigungspflicht bei Verletzung von Abstandsflächen

OLG Nürnberg – Az.: 13 U 2076/17 – Urteil vom 24.03.2022

In dem Rechtsstreit wegen Beseitigung erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg – 13. Zivilsenat – aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2022 folgendes Endurteil

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 24.10.2017, Az. 6 O 1343/16 (1), geändert und neu gefasst wie folgt:

1. Die Beklagten werden verurteilt, das an der südlichen Grenze des Grundstücks mit der Fl.-Nr. 89/39 der Gemarkung O. (A. Straße 3) auf der Bodenplatte aufstehende Nebengebäude insoweit zu beseitigen, als dieses im Süden näher als drei Meter an die Grenze zum Grundstück der Klägerin Fl.-Nr. 89/88 der Gemarkung O. (W-straße 10) heranreicht. Darüber hinaus ist das Nebengebäude – insoweit einschließlich Bodenplatte – in einem Bereich zu entfernen, der südöstlich einer Linie liegt, die sich aus der Verbindung des Punktes, der sich an der Südseite des Gebäudes in einer Entfernung von 0,66 m von der südöstlichen Gebäudeecke in Richtung Westen befindet, mit dem Punkt an der Ostseite des Nebengebäudes ergibt, der sich in Entfernung von 3,16 m von der südöstlichen Gebäudeecke in Richtung Norden befindet.

2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 492,53 € zu bezahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen tragen die Klägerin zwei Drittel und die Beklagten als Gesamtschuldner ein Drittel.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das unter I. genannte Endurteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar, soweit die Berufung zurückgewiesen wird.

Beschluss

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 15.000 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Parteien streiten um Ansprüche auf Beseitigung eines Nebengebäudes und eines Carports, welche von den Beklagten auf ihrem Grundstück errichtet wurden.

Die Beklagten sind Eigentümer des Grundstücks mit der Fl.-Nr. 89/39 der Gemarkung O. das nördlich vom Grundstück der Klägerin mit der Fl.-Nr. 89/88 liegt.

Bereits vor dem Eigentumserwerb der Beklagten war aufgrund Bewilligung vom 30.12.1982, hinsichtlich deren Inhalts auf die notarielle Urkunde vom 30.12.1982 (Anlage K3) Bezug genommen wird, zugunsten des jeweiligen Eigentümers von Fl.-Nr. 89/88 lastend auf dem Grundstück Fl.-Nr. 89/39 eine Grunddienstbarkeit in Form eines Abwasserkanalleitungsrechts und Überbauungsverbots im Grundbuch eingetragen worden.

In dem notariellen Kaufvertrag vom 06.04.2011, mit dem die Beklagten das Grundstück Fl.-Nr. 89/39 erwarben, wurde unter IX. zudem ein Bebauungsverbot vereinbart, hinsichtlich dessen Inhalts auf die notarielle Urkunde (Anlage K4) Bezug genommen wird. Aufgrund der in der notariellen Urkunde enthaltenen Bewilligung wurde zulasten des Grundstücks der Beklagten im Grundbuch ein entsprechendes Bauverbot zugunsten der Klägerin eingetragen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagten hätten Nebengebäude sowie Carport unter Verstoß gegen die Grunddienstbarkeiten errichtet, und meint daher, Anspruch auf Beseitigung zu haben.

Hinsichtlich der weiteren erstinstanzlichen Feststellungen, des erstinstanzlichen Parteivortrags sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 24.10.2017 Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht Regensburg hat die Klage mit Endurteil vom 24.10.2017 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Carport sei zwar über dem Abwasserkanal errichtet worden und unterfalle daher grundsätzlich dem Beseitigungsanspruch. Eine Beseitigung sei jedoch unzumutbar, § 275 Abs. 2 BGB. Hinsichtlich des Nebengebäudes hat das Landgericht offengelassen, ob überhaupt ein Verstoß gegen das Bebauungsverbot vorliege, weil das Beseitigungsverlangen jedenfalls unzumutbar sei. Zudem hat das Landgericht ausgeführt, dass ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 9 BayBO nicht vorliege und die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass das Nebengebäude gegen das Merkmal der Ortsüblichkeit verstoße. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Entscheidung des Erstgerichts vom 24.10.2017 Bezug genommen.

Gegen dieses, den Klägervertretern am 02.11.2017 zugestellte Endurteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 18.11.2017 beim Oberlandesgericht eingegangenen Berufung, die mit Schriftsatz vom 21.12.2017, eingegangen beim Oberlandesgericht am selben Tag, begründet wurde. Die Klägerin verfolgt die erstinstanzlich gestellten Anträge weiter.

Sie vertritt die Auffassung, das Erstgericht habe zu Unrecht die Einrede der Unzumutbarkeit als begründet erachtet. Der Verstoß der Beklagten gegen die bestellten Dienstbarkeiten sei vorsätzlich erfolgt. Die Unterschrift auf der Bauvoranfrage in Bezug auf den Carport beinhalte keinen Verzicht auf Rechte aus der Dienstbarkeit. Das Nebengebäude weise einen Aufenthaltsraum auf, sei nicht ortsüblich und jedenfalls teilweise über dem Abwasserkanal errichtet.

Die Klägerin beantragt in der Berufungsinstanz, zu erkennen wie folgt:

Gebäudebeseitigungspflicht bei Verletzung von Abstandsflächen
(Symbolfoto: Andrii Yalanskyi/Shutterstock.com)

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 24.10.2017 (zugestellt am 02.11.2017) abgeändert.

2. Die Beklagten werden gesamtverbindlich verurteilt, das an der südlichen Grenze des Grundstücks mit der Fl.-Nr. 89/39 der Gemarkung O. (A. Straße 3) errichtete Nebengebäude zu beseitigen.

3. Die Beklagten werden außerdem gesamtverbindlich verurteilt, den an der Ostgrenze des in Ziffer 1 genannten Grundstücks errichteten Carport zu beseitigen.

4. Die Beklagten werden gesamtverbindlich verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € zu zahlen.

Hilfsweise:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 24.10.2017 (zugestellt am 02.11.2017) samt dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben.

2. Das Verfahren wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Regensburg zurückverwiesen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen die angegriffene Entscheidung und meinen weiterhin, einem Beseitigungsanspruch die Einrede des § 275 Abs. 2 BGB entgegenhalten zu können. Die Klägerin habe keinerlei Interesse an einer Beseitigung des Carports und des Nebengebäudes dargetan. Sie habe zunächst auch keine Beseitigung von Carport und Nebengebäude gefordert, sondern die Übernahme von Mehrkosten, die aufgrund des Carports oder Nebengebäudes im Falle einer Kanalöffnung entstehen könnten. Die Beklagten seien bei Errichtung des Carports davon ausgegangen, die Klägerin habe ihre rechtsverbindliche Zustimmung erteilt.

Das Gartenhaus (Nebengebäude), das einen Abstand zur östlichen Grundstücksgrenze von 3,37 m aufweise, sei außerhalb der Grunddienstbarkeit errichtet worden, sodass für die Beklagten keinerlei Veranlassung bestanden habe, von einem pflichtwidrigen Handeln auszugehen. Die Grunddienstbarkeit verlaufe parallel zur Ostgrenze des Grundstücks der Beklagten und höchstens in einem Abstand bis zu 2,9 m. Dieser Höchstabstand ergebe sich, wenn man die rote Einzeichnung im Lageplan heranziehe, die der Bestellung der Grunddienstbarkeit beiliege. Das Gartenhaus sei zudem ortsüblich und beinhalte keinen Aufenthaltsraum, sondern diene dem Einstellen von Pflanzen.

Durch die Beseitigung von Carport und Nebengebäude, welches mit dem Wohngebäude ein gestalterisch stimmiges Ensemble bilde, würden Werte vernichtet und ein ungewöhnlich hoher Schaden verursacht.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Erholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. (FH) W. F. vom 08.10.2021 sowie dessen mündlicher Erläuterung vom 17.02.2022. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten (Blatt 272-292 d. A.) nebst Dokumentation zur Kamerabefahrung vom 29.09.2021 (Blatt 293-303 d. A.) sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 17.02.2022 (Blatt 349-353 d. A.) Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, hat in der Sache aber nur zum Teil Erfolg.

I.

Die Klägerin hat gegenüber den Beklagten Anspruch auf Beseitigung des an der südlichen Grenze des Grundstücks Fl.-Nr. 89/39 der Gemarkung O. (A. Straße 3) errichteten Nebengebäudes im tenorierten Umfang.

1. Der Anspruch ergibt sich aus § 1004 Abs. 1 analog, § 1027 i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 6 BayBO, soweit das Nebengebäude näher als drei Meter an die südliche Grundstücksgrenze heranreicht. Dieser Anspruch bezieht sich nur auf die Beseitigung des aufstehenden Gebäudes, nicht auf die Bodenplatte.

Insoweit werden die Abstandflächen nach Art. 6 BayBO nicht eingehalten. Die Verletzung nachbarschützender Bauvorschriften kann sowohl einen (quasi negatorischen) verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch des Nachbarn (§ 1004 BGB analog) als auch einen Schadensersatzanspruch auf Naturalrestitution (§ 823 Abs. 2 BGB) begründen (BGH, Urteil vom 28.06.1985 – V ZR 43/84). Die Vorschriften über die Einhaltung von Abstandsflächen, wie Art. 6 BayBO, sind nachbarschützend (BGH, Urteil vom 28.06.1985 – V ZR 43/84) und haben den Charakter eines Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 18.12.2000 – 5Z RR 570/99).

a) Nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 BayBO beträgt die Tiefe der Abstandsflächen, die vor Außenwänden von Gebäuden von oberirdischen Gebäuden freizuhalten sind, drei Meter. Das Nebengebäude weist zur südlichen Grundstücksgrenze unstreitig jedoch lediglich einen Abstand von 1,54 m auf.

b) Das Nebengebäude stellt auch kein Gebäude ohne Aufenthaltsräume dar, das nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO in den Abstandsflächen und ohne eigene Abstandsflächen zulässig ist.

aa) Nach Art. 2 Abs. 5 BayBO sind Aufenthaltsräume Räume, die nicht nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind.

Zu den begriffsbestimmenden Merkmalen des Aufenthaltsraums gehören die allgemeinen für Gebäude und Gebäudeteile anzuwendenden Bestimmungskriterien (selbständige Benutzbarkeit, Überdeckung, Betretbarkeit und Schutzeignung).

Das Vorliegen eines Daueraufenthalts ist nicht gefordert. Mehr als nur vorübergehend ist ein Aufenthalt vielmehr schon dann, wenn er sich in Abständen immer wieder wiederholt, auch wenn er nur stundenweise in größeren zeitlichen Abständen erfolgt. Dazu gehören Wohn-, Arbeits- und Schlafräume, Versammlungsräume, dagegen insbesondere nicht Abstell- und Maschinenräume (BeckOK BauordnungsR Bayern/Spannowsky, 20. Ed. 1.11.2019, BayBO Art. 2 Rn. 63-65), Lagerräume und Gartenhäuser (BeckOK BauordnungsR Bayern/Schönfeld, 20. Ed. 1.4.2021, BayBO Art. 6 Rn. 210).

bb) Gemessen hieran handelt es sich bei dem Nebengebäude (Kubus mit Außenabmessungen von ca. 2,78 m Höhe, ca. 5,12 m Länge und ca. 4,12 m Breite) um ein solches mit einem Aufenthaltsraum.

Die begriffsbestimmenden Merkmale der selbständigen Benutzbarkeit, Überdeckung, Betretbarkeit und Schutzeignung sind gegeben.

Zudem stellt das Nebengebäude nicht bloß ein Gartenhaus oder einen Abstell- oder Lagerraum dar, sondern ist zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen geeignet. Dies ergibt sich neben der räumlichen Dimensionierung (Innenabmessungen: 4,76 m x 3,76 m, also 17,9 m² Innenfläche), die einen auch längerfristigen Aufenthalt von Personen ohne weiteres ermöglicht, auch daraus, dass das auf einer betonierten Bodenplatte mit Gründung auf Streifenfundamenten errichtete Gebäude über einen Stromanschluss, eine Dämmung des Bodens, der Wände und der Decke und – nach Feststellung des Landgerichts beim Ortstermin hochwertige – Isolierglasfenster in zwei Himmelsrichtungen mit insgesamt etwa 4 m² Fensterfläche verfügt. Nach den Feststellungen bei dem in erster Instanz durchgeführten Ortstermin ist darüber hinaus Elektroinstallation (Licht und Strom) vorhanden, wobei die Leuchten zum Zeitpunkt des Ortstermins allerdings nicht angeschlossen waren. Insgesamt damit ist eine Eignung zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen gegeben, auch wenn das Gebäude nicht an Versorgungsleitungen für Wasser oder Abwasser angeschlossen ist, nicht beheizbar ist und über keine eigenen sanitären Anlagen verfügt. Für den Begriff des Aufenthaltsraumes ist nämlich unerheblich, ob ein Übernachten möglich ist und ob sanitäre Einrichtungen vorhanden sind (Busse/Kraus/Nolte, 144. EL September 2021, BayBO Art. 45 Rn. 15). Es genügt vielmehr, wenn der Raum objektiv für einen nicht nur ganz kurzen Aufenthalt, sei es auch nur tagsüber oder in der warmen Jahreszeit, geeignet ist (BayVGH, Urteil vom 05.07.1982 – Nr. 72 XV 77).

Dem Vorliegen eines Aufenthaltsraums steht auch nicht entgegen, dass die Beklagten das Nebengebäude nach ihrem Vortrag tatsächlich nicht zum Aufenthalt nutzen, sondern ausschließlich zur Verwahrung von Gartengeräten und -materialien und zum Überwintern frostempfindlicher Topfpflanzen. Die tatsächliche Zweckbestimmung ist nämlich nicht entscheidend, wenn der Raum – wie vorliegend – die objektive Eignung als Aufenthaltsraum besitzt (Busse/Kraus/Nolte, 144. EL September 2021, BayBO Art. 45 Rn. 14).

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Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass sich nach der E-Mail der Zeugin Ch., Sachgebietsleiterin der Bauabteilung im Landratsamt Regensburg, vom 31.05.2017 (Anlage zum Protokoll vom 26.09.2017, nach Blatt 140 d. A.) keine Beanstandungen hinsichtlich der Abstandsflächen ergeben haben. Zum einen beziehen sich die E-Mail sowie die vom Baukontrolleur getroffenen Feststellungen nur auf die Wandhöhe des „Gartenhäuschens“ und die Gesamtlänge der die Abstandsflächen nicht einhaltenden Gebäude. Feststellungen zur Eignung des Nebengebäudes zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen wurden hingegen nicht getroffen. Solche lassen sich weder dem Bericht des Baukontrolleurs noch der E-Mail vom 31.05.2017 noch der Aussage der Zeugin Ch. in der mündlichen Verhandlung erster Instanz vom 26.09.2017 (Bl. 136 f. d. A.) entnehmen. Vielmehr hat die Zeugin dort lediglich Angaben zur tatsächlichen Nutzung als Gartenhaus gemacht, nicht jedoch zur objektiven Eignung als Aufenthaltsraum. Zum anderen wäre eine von Mitarbeitern einer Baubehörde geäußerte rechtliche Bewertung ohnehin für die zivilgerichtliche Entscheidung nicht präjudiziell.

cc) Es kann für die Frage der Erforderlichkeit der Einhaltung von Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO auch dahinstehen, ob das Nebengebäude die Voraussetzungen des Art. 45 BayBO erfüllt. So muss die Nutzung als Aufenthaltsraum baurechtlich nicht zulässig sein. Räume, die zum Aufenthalt von Menschen geeignet sind, sind Aufenthaltsräume unabhängig davon, ob sie auch allen an Aufenthaltsräume nach der BayBO gestellten Anforderungen entsprechen, wie hinsichtlich lichter Höhe, Größe, Belichtung, Wärmeschutz, Schallschutz, Brandschutz etc. (Busse/Kraus/Nolte, 144. EL September 2021, BayBO Art. 45 Rn. 12, 16).

c) Die Klägerin ist auch nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB analog zur Duldung verpflichtet. Eine entsprechende Duldungspflicht ergibt sich nicht aus den Nachbarunterschriften, welche die Klägerin auf die Bauvoranfrage (B2) und dem Eingabeplan (B3) der Beklagten geleistet hat.

Dies scheidet schon deshalb von vorneherein aus, weil in der Bauvoranfrage und dem Eingabeplan bezüglich des Neubaus des Wohnhauses und des Carports das streitgegenständliche Nebengebäude gar nicht vorgesehen ist und damit ein auf dieses Nebengebäude gerichteter Erklärungsgehalt von Unterschriften der Klägerin in keiner Weise gegeben ist, weder öffentlich- noch zivilrechtlich.

Nur am Rande sei daher angemerkt, dass die Unterschrift des Nachbarn auf Bauvoranfragen und Eingabeplänen eine dem öffentlichen Recht angehörende empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber der Bauaufsichtsbehörde darstellt und als solche keine zivilrechtlichen Wirkungen hat (BayObLG, Urteil vom 02.07.1990 – RReg. 1 Z 285/89 – NJW-RR 1991, 19, 20, beck-online). Die Unterschrift enthält lediglich die Erklärung, dass von dem Vorhaben Kenntnis genommen worden sei und Einverständnis mit ihm bestehe. Die – durch vorbehaltlose Unterschriftsleistung unter die Bauvorlagen erklärte – Zustimmung des Nachbarn zum Vorhaben beinhaltet daher lediglich einen Verzicht auf materiell-rechtliche subjektiv-öffentliche Rechte oder öffentlich-rechtlich geschützte Interessen des Nachbarn (Busse/Kraus/Dirnberger, 144. EL September 2021, BayBO Art. 66, Rn. 151 m.w.N.). Auf bürgerlich-rechtliche Ansprüche verzichtet der Nachbar mit der genannten Unterschriftsleistung nicht. Dem entspricht, dass auch die Baugenehmigung gemäß Art. 68 Abs. 5 BayBO unbeschadet der Rechte Dritter erteilt wird.

Ein Verzicht auch auf zivilrechtliche Ansprüche ist mit der Unterschrift auf Bauvoranfragen und Eingabeplänen nur verbunden, wenn ein solcher im konkreten Einzelfall zum Inhalt der als Nachbar abgegebenen öffentlich-rechtlichen Erklärung zu den Bauvorlagen gemacht worden ist (BayObLG, Urteil vom 02.07.1990 – RReg. 1 Z 285/89 – NJW-RR 1991, 19, 20, beck-online). Hierzu ist aber vorliegend nichts vorgetragen.

d) Eine Duldungspflicht ergibt sich auch nicht aus § 912 BGB, der entsprechend anzuwenden ist, wenn ein Überbau zwar nicht das Eigentum, aber ein anderes Recht des Nachbarn (wie hier aus Art. 6 BayBO) beeinträchtigt (BGH, Urteil vom 18.07.2008 – V ZR 171/07 -, Rn. 14).

Die Klägerin hat rechtzeitig widersprochen. Der Widerspruch im Sinne von § 912 Abs. 1 BGB muss vor oder nach objektiver Erkennbarkeit so rechtzeitig erhoben werden, dass die Beseitigung ohne erhebliche Zerstörung möglich ist (Grüneberg/Herrler, BGB, 81. Aufl., § 912 Rn. 10). Dies ist vorliegend der Fall, weil selbst nach dem Vortrag der Beklagten zu 2 im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung erster Instanz am 06.06.2017 (Blatt 100 d. A.) „die Nachbarn“ (bereits) beim Abstecken für die Bodenplatte des „Gartenhäuschens“ das erste Mal „protestiert“ haben. Zudem ergibt sich ein Widerspruch aus der E-Mail vom 01.07.2015 (K9).

Dem steht auch nicht entgegen, dass sich die Beanstandung der Klägerin nicht explizit auf die Einhaltung der Abstandsflächen bezog und in der E-Mail vom 01.07.2015 (K9) die Ortsüblichkeit des Nebengebäudes als Gartenhaus in Zweifel gezogen wurde. Dem Widerspruch muss nämlich keine Begründung beigefügt werden. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr die vorliegend unstreitig erfolgte Kundgabe des Willens, das beanstandete Bauwerk nicht zu dulden (BGH, Urteil vom 14.07.1972 – V ZR 147/70). Eine solche Willenskundgabe ist vorliegend durch das „Protestieren“ der Klägerin gegeben.

Darüber hinaus ist bei einer direkten Anwendung des § 912 BGB anerkannt, dass dann, wenn der Nachbar erst nachträglich von dem wirklichen Grenzverlauf erfährt, sein rechtzeitiges Widersprechen zur Folge hat, dass er das gegen seinen erklärten Willen errichtete Gebäude, soweit es auf seinem eigenen Grund und Boden steht, nicht hinnehmen muss (BGH a.a.O.). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall der Nichteinhaltung von Abstandsflächen, dass der rechtzeitige Widerspruch der Klägerin dazu führt, dass sie das Nebengebäude nicht dulden muss, auch wenn sie von der Eignung des Nebengebäudes zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen und der damit einhergehenden Erforderlichkeit der Einhaltung von Abstandsflächen erst nachträglich erfahren hat. Um die Duldungspflicht aus § 912 BGB auszuschließen, genügt es, dass überhaupt widersprochen wurde. Anders wäre die Rechtslage nur dann, wenn der Widersprechende eine Erklärung abgibt, die gar nichts mit einer etwaigen Grenzüberschreitung zu tun haben kann, sondern sich eindeutig auf einen ganz anderen, dem beanstandeten Bau vermeintlich entgegenstehenden Hinderungsgrund beschränkt (BGH, Urteil vom 14.07.1972 – V ZR 147/70). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall, weil die Beanstandungen der Klägerin in Bezug auf die Ortsüblichkeit des Gebäudes auf dessen Dimensionierung und Ausstattung gestützt wurden und deshalb die Frage der Eignung zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen und die damit verbundene Erforderlichkeit der Einhaltung von Abstandsflächen eingeschlossen haben.

e) Entgegen dem Vorbringen der Beklagten ist zwischen den Parteien auch außergerichtlich keine Einigung über einen Verzicht auf die Beseitigung des Gartenhauses zustande gekommen.

Ein solcher lässt sich insbesondere nicht dem Schreiben der vormaligen Klägervertreter vom 21.07.2015 (B5) entnehmen. Das hierin unterbreitete Angebot wurde mit Schreiben der Beklagtenvertreter vom 12.08.2015 (B12) gerade nicht angenommen, sondern ein abweichender Vergleichsvorschlag unterbreitet. Dieser wiederum wurde durch Schreiben der vormaligen Klägervertreter vom 20.08.2015 (B7) ausdrücklich abgelehnt. Auch dem übrigen vorgelegten Schriftwechsel der Parteien kann eine Einigung nicht entnommen werden. Der als Anlage B 12 vorgelegte Entwurf eines notariellen Vertrages zur „Inhaltsänderung einer Dienstbarkeit und weitere Vereinbarungen hierzu“ wurde vielmehr unstreitig gerade nicht beurkundet.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Beklagten im Rahmen der Klageerwiderung (Blatt 24 d. A.). Aus dem Vortrag, der Beklagtenvertreter habe sich mit dem vormaligen Klägervertreter, Rechtsanwalt Ederer, in Verbindung gesetzt und ihm mitgeteilt, dass der Vergleich so zustande komme und auch notariell beurkundet werden könne, eine entsprechende Urkunde möge vor dem Beurkundungstermin nochmals zur Durchsicht übermittelt werden, lässt sich gerade nicht entnehmen, dass eine entsprechende Einigung bereits zustande gekommen ist. Insbesondere der Hinweis darauf, dass der Vergleich notariell beurkundet werden könne und die entsprechende Urkunde nochmals zur Durchsicht übermittelt werden solle, macht deutlich, dass eine verbindliche Erklärung erst im Rahmen der notariellen Beurkundung und nach nochmaliger Überprüfung abgegeben werden sollte. Hierzu ist es indes unstreitig nicht gekommen. Dass eine außergerichtliche Einigung zwischen den Parteien tatsächlich nicht zustande gekommen ist, ergibt sich zudem aus den Angaben der Beklagten zu 2 im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung erster Instanz (Blatt 101 d. A.), wonach der notarielle Entwurf für sie nicht akzeptabel gewesen sei. Aus ihrer Sicht habe keine Einigung erzielt werden können. Es sei dann noch einige Zeit über Detailfragen verhandelt worden und letztlich von Rechtsanwalt Ederer ein Schreiben übersandt worden, dass die Verhandlungen gescheitert seien.

f) Die Beklagten können sich auch nicht mit Erfolg auf die Einrede des § 275 Abs. 2 BGB berufen.

Die Geltendmachung von Ansprüchen auf Beseitigung ist zwar – unabhängig von ihrer Rechtsgrundlage – gemäß § 275 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit begrenzt (BGH, Urteil vom 18.07.2008 – V ZR 171/07 -, Rn. 18; BGH, Urteil vom 30.05.2008 – V ZR 184/07 -, Rn. 17). Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist eine Unzumutbarkeit vorliegend jedoch nicht gegeben.

Bei § 275 Abs. 2 BGB handelt es sich um eine eng auszulegende, nur selten anwendbare Ausnahmevorschrift, die ein grobes Missverhältnis zwischen dem für die Leistung erforderlichen Aufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers erfordert (BGH, Beschluss vom 14.01.2009 – VIII ZR 70/08 -, Rn. 18).

Die Einrede scheitert vorliegend schon an dem in § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB zum Ausdruck kommenden Grundsatz, wonach das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB auch davon abhängt, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (BGH, Urteil vom 30.05.2008 – V ZR 184/07 -, Rn. 18 – 19). Ein Verschulden der Beklagten ist vorliegend schon deshalb gegeben, weil die Nichteinhaltung der Abstandsflächen für diese erkennbar und vermeidbar gewesen wäre. Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Klägerin und ihr Ehemann – wie auch die Beklagte zu 2 im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung in erster Instanz (Blatt 100 d. A.) ausgeführt hat – bereits beim Abstecken für die Bodenplatte des „Gartenhäuschens“ das erste Mal „protestierten“. Daher hätte für die Beklagten besonderer Anlass bestanden, nicht nur die Ortsüblichkeit des Nebengebäudes, sondern auch die Einhaltung der einschlägigen Vorschriften über die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO konkret zu überprüfen. Dadurch hätten die Beklagten noch vor Errichtung des Nebengebäudes erkennen können und müssen, dass dieses in der geplanten Art und Weise bauordnungsrechtlich nicht zulässig ist und den nunmehr mit einem Teilabriss verbundenen Schaden vermeiden können.

g) Dem Anspruch der Klägerin steht auch § 242 BGB nicht entgegen.

aa) Das Beseitigungsverlangen ist nicht aufgrund der von den Beklagten vorgetragenen Vernichtung erheblicher Vermögenswerte treuwidrig. Wie bereits dargelegt, hat die Klägerin bereits bei Beginn der Baumaßnahme Einwendungen erhoben, die Beklagten haben jedoch gleichwohl das Nebengebäude unter Verletzung der sich aus der BayBO ergebenden Abstandsflächen errichtet. Daher steht – anders als die Beklagten meinen – auch die Pflicht zur nachbarlichen Rücksichtnahme der Durchsetzbarkeit des Anspruchs nicht entgegen. Wer trotz erhobener (berechtigter) Einwände des Nachbarn seine Bautätigkeit fortsetzt, kann nicht erwarten, nach Fertigstellung den nun mit der Baubeseitigung verbundenen Aufwand der Rechtsdurchsetzung des Nachbarn entgegenhalten zu können. Würde man diesen Einwand zulassen, würde man es ermöglichen, durch das bewusste Schaffen „vollendeter Tatsachen“ fremde Rechte zu beseitigen.

bb) Das Beseitigungsverlangen ist auch nicht wegen der Nachbarunterschrift auf der Bauvoranfrage (B2) und dem Eingabeplan (B3) treuwidrig. Dies scheidet bezogen auf das Nebengebäude schon deshalb aus, weil das Nebengebäude gar nicht Gegenstand von Bauvoranfrage und Eingabeplanung war.

h) Der Durchsetzbarkeit des Anspruchs der Klägerin steht auch nicht die von den Beklagten erhobene Einrede der Verjährung gemäß § 214 Abs. 1 BGB entgegen.

Die Verjährung beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Das Nebengebäude ist unstreitig im Jahr 2015 errichtet worden. Die Klage ist am 04.08.2016 beim Landgericht Regensburg eingegangen. Hierdurch wurde gemäß § 204 Abs. 1 Satz 1 BGB die Verjährung gehemmt.

2. Darüber hinaus hat die Klägerin wegen Überbaus ihrer Kanalleitung durch das Nebengebäude der Beklagten einen Beseitigungsanspruch bezogen auf den östlichen Teil des Gebäudes im tenorierten Umfang aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1027 BGB, wobei insoweit neben dem aufstehenden Gebäude als solchem auch die Bodenplatte zu beseitigen ist.

a) Die zugunsten der Klägerin im Grundbuch des Amtsgerichts Regensburg für den jeweiligen Eigentümer des klägerischen Grundstücks eingetragene Grunddienstbarkeit in Form eines Abwasserkanalleitungsrechts und Überbauungsverbots gemäß Bewilligung vom 30.12.1982 wird durch das Nebengebäude der Beklagten beeinträchtigt.

aa) Das Nebengebäude ist im Bereich der südöstlichen Gebäudeecke teilweise über dem Abwasserkanal der Klägerin errichtet worden. Ein solcher Überbau liegt gemessen von der südöstlichen Gebäudeecke in einem Bereich von ca. 40 cm nach Westen hin sowie von ca. 1,96 m nach Norden hin vor.

Dies ergibt sich aus dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme, insbesondere den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. (FH) W. F. Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das Nebengebäude an der südöstlichen Ecke teilweise über dem Kanal der Beklagten errichtet ist.

Dies hat der Sachverständige überzeugend im Rahmen der Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vom 17.02.2022 dargelegt. So hat der Sachverständige nachvollziehbar geschildert, dass die Position des Rohres relativ zum streitgegenständlichen Gebäude, so wie mit den im Gutachten geschilderten Messungen ermittelt, auf dem Bild Seite 16 seines Gutachtens vom 08.10.2021 wiedergegeben sei. Bereits im Rahmen seines schriftlichen Gutachtens vom 08.10.2021 hatte der Sachverständige ausgeführt, dass die horizontale Lage des Rohres im Schacht der Beklagten sehr genau habe bestimmt werden können, da der Kanal dort von der Oberfläche sichtbar in den Schacht einmünde. Durch eine Kanalbefahrung und den Einsatz einer abbiegefähigen Kamera habe auch der Zulauf von der Dachentwässerung des Hauses der Klägerin in den Kanal horizontal in seiner Lage lokalisiert werden können.

Im Rahmen der Erläuterung seines Gutachtens hat der Sachverständige zur Darlegung der Genauigkeit der Bestimmung des Leitungsverlaufs auf die Lichtbilder Seite 13 und 14 seines Gutachtens Bezug genommen und diese dahingehend erläutert, dass die dort aufgestellten Spraydosen jeweils auf Punkten aufgestellt worden seien, an denen vorher die Leitung geortet worden war. Dort habe es keine Störfaktoren gegeben, sodass die Messung sehr genau, d. h. quasi zentimetergenau gewesen sei. Sämtliche Messpunkte seien in einer Flucht verlaufen und es habe keine nennenswerten Abweichungen gegeben. Jenseits des Gebäudes, im Bereich zwischen Revisionsschacht und Gebäude, seien weitere sichere Messungen möglich gewesen. Aus beiden Richtungen sei eine Fluchtung auf das Gebäude hin möglich gewesen, die Messpunkte seien beiderseits in einer Fluchtlinie verlaufen und hätten mit den früheren Messungen der Firma K. übereingestimmt.

Zum konkreten Umfang der Überbauung befragt hat der Sachverständige angegeben, dass der gemessene Abstand zwischen der roten Markierung an der Südseite des streitgegenständlichen Gebäudes auf Lichtbild Seite 16 und der Gebäudeecke etwa 40 cm (geschätzt) und der Abstand von der Gebäudeecke zur Markierung an der Ostseite ungefähr 1,5 m betrage. Während der Sachverständige den Wert von 40 cm an der Südseite des Nebengebäudes zwar als Schätzung bezeichnet hat, die er aber anhand der von ihm erläuterten Bezugspunkte sehr zuverlässig angeben konnte, hatte er den Wert an der Ostseite bei seiner Anhörung zunächst überschlägig nur auf etwa 1,5 m taxiert. Auf nochmalige Nachfrage hatte er sich aber dahingehend korrigiert, dass er die Länge von 2,0 m, auf der die Leitung unter dem Nebengebäude verläuft, konkret festgestellt habe, und er daher gestützt auf die beiden Werte, die sicher bekannt bzw. zuverlässig geschätzt sind, nun rechnerisch nachvollziehen könne, dass der Wert an der Ostseite etwas unter zwei Metern liegen müsste. Tatsächlich beträgt unter Anwendung des Satzes von Pythagoras (a² + b² = c², d. h. die Summe der Quadrate der beiden Katheten entspricht dem Quadrat der Hypotenuse) der Wert an der Ostseite des Hauses somit rechnerisch knapp 196 cm, ausgehend von 200 cm Länge der Hypotenuse und 40 cm der weiteren Kathete.

Danach steht für den Senat fest, dass der Sachverständige den tatsächlichen Verlauf der Kanalleitung und aufbauend darauf auch den Umfang der Überbauung mit der erforderlichen Sicherheit feststellen konnte. Die entsprechenden Maßangaben durch den Sachverständigen im Rahmen der Gutachtenserläuterung vom 17.02.2022 sind ausgehend von den vom Sachverständigen gefertigten Lichtbildern ohne weiteres nachvollziehbar und überzeugend. Dies ergibt sich insbesondere aus dem Lichtbild Seite 16 des Sachverständigengutachtens vom 08.10.2021, das in roter Markierung die Stellen zeigt, an denen das Kanalrohr das Nebengebäude schneidet sowie den weiteren Lichtbildern mit den in einer Flucht markierten Messpunkten.

bb) Durch diese Überbauung der Kanalleitung wird die sich zugunsten der Klägerin aus dem Grundbuch ergebende Grunddienstbarkeit beeinträchtigt.

Dem steht nicht entgegen, dass die Kanalleitung der Klägerin von dem im Lageplan zur Bewilligungsurkunde vom 30.12.1982 rot eingezeichneten Verlauf leicht abweicht, nämlich in der Weise, dass der Kanal ab dem Revisionsschacht, welcher sich auf der Wiese zwischen dem Carport und der Grenze zum Grundstück der Klägerin befindet, nicht mehr genau parallel zur Ostgrenze des Grundstücks der Beklagten, sondern mit einer Winkelabweichung von etwa 12 Grad weiterverläuft, in Richtung des rückwärtigen Eingangs des Hauses der Klägerin.

Anders als die Beklagten meinen, ist die Grunddienstbarkeit nämlich nicht auf den im Lageplan zur Bewilligungsurkunde rot eingezeichneten Verlauf der Kanalleitung beschränkt. Vielmehr erstreckt sich die Grunddienstbarkeit ausgehend von der Eintragung, die Bezug auf die Bewilligung vom 30.12.1982 nimmt, auf den Bereich, in dem der zu diesem Zeitpunkt bereits verlegte Kanal verläuft.

(1) Zur Ermittlung des Inhalts und Umfangs einer Grunddienstbarkeit ist streng vom Wortlaut und Sinn der Eintragung auszugehen (BGH, Urteil vom 27.01.1960 – V ZR 148/58) einschließlich der in Bezug genommenen Eintragungsbewilligung (BGH, Urteil vom 28.11.1975 – V ZR 9/74). Zur Auslegung der Eintragungsbewilligung dürfen nur Umstände herangezogen werden, die aus der Bewilligung selbst hervorgehen oder nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalles für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (BGH, Beschluss vom 16.02.1984 – V ZB 8/83).

(2) Vorliegend ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Bewilligungsurkunde, dass der tatsächliche Verlauf des zu diesem Zeitpunkt bereits verlegten Kanals maßgeblich für den Umfang der Grunddienstbarkeit sein sollte. So wird unter II. der Urkunde ausgeführt, dass der bereits verlegte Kanal entlang der Ostgrenze zu Flurnummer 89/39 verläuft.

Im Folgenden wird zwar festgehalten, dass die Lage und der Verlauf der Kanalleitung im beiliegenden Lageplan rot eingezeichnet seien. In diesem ist der Verlauf der Rohrleitung – abweichend vom tatsächlichen Verlauf – geradlinig und im Wesentlichen parallel zur östlichen Grundstücksgrenze eingezeichnet (K3). Dadurch sollte jedoch keine Einschränkung des Ausübungsbereichs der Grunddienstbarkeit auf den Bereich des rot eingezeichneten Kanalverlaufs erfolgen. Dies ergibt sich daraus, dass unter III. 1. ausdrücklich ausgeführt wird, dass der jeweilige Eigentümer von Fl.-Nr. 89/88 der Gemarkung O. den im Grundstück Fl.-Nr. 89/39 eingelegten Abwasserkanal dauernd belassen kann. Hiermit wird zum Ausdruck gebracht, dass der bereits verlegte Abwasserkanal in seinem tatsächlichen Verlauf durch die Grunddienstbarkeit gesichert werden sollte. Hierfür spricht im Weiteren auch, dass unter III. 3. eine Verpflichtung des jeweiligen Eigentümers von Fl.-Nr. 89/39 vereinbart ist, die Leitung nicht mit Bauwerken irgendwelcher Art zu überbauen. Auch in diesem Zusammenhang wird also auf die (bereits verlegte) Leitung abgestellt und nicht etwa auf deren im Lageplan (nur vermeintlich zutreffend) eingezeichneten Verlauf.

Im Übrigen wäre dann, wenn der im Lageplan eingezeichnete Verlauf maßgeblich hätte sein sollen, zu erwarten gewesen, dass dieser eingemessen oder aber im Textteil der Grunddienstbarkeit mit Maßangaben versehen worden wäre. Tatsächlich wurde die angesprochene rote Einzeichnung in dem der Bestellung der Grunddienstbarkeit beigefügten Lageplan von Hand ohne Maßangaben vorgenommen, mit unregelmäßiger Breite.

Schließlich ist auch unschädlich, dass sich der tatsächliche Verlauf der Kanalleitung sich nicht aus der Eintragung im Grundbuch ergibt. So ist anerkannt, dass für die Ausübungsstelle einer Grunddienstbarkeit deren tatsächliche Ausübung maßgeblich sein kann und diese auch keiner Festlegung in der Eintragungsbewilligung bedarf (BGH, Beschluss vom 16.02.1984 – V ZB 8/83).

(3) Nichts anderes ergibt sich aus der von den Beklagten angeführten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 09.05.1972 (V ZB 19/71). Dieser ist lediglich zu entnehmen, dass es zur Eintragung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit im Grundbuch genügt, wenn der Grundstücksteil, auf dem die Dienstbarkeit ausgeübt wird, in eine in der Eintragungsbewilligung in Bezug genommene allgemein zugängliche Urkunde eingezeichnet ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Eintragungsbewilligung (stets) so auszulegen wäre, dass der in einem solchen Plan eingezeichnete Verlauf den Ausübungsbereichs der Grunddienstbarkeit festlegt.

Die weiter angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.11.1995 (V ZR 9/74) betrifft den hier nicht einschlägigen Fall des Gutglaubensschutzes nach § 892 BGB in Bezug auf den Erwerber des herrschenden Grundstücks. Im Übrigen scheitert ein guter Glaube der Beklagten an den Inhalt des Grundbuchs im Sinne von § 892 BGB schon daran, dass nach der für die Auslegung der Grunddienstbarkeit maßgeblichen Eintragungsbewilligung – wie dargelegt – nicht der im Lageplan eingezeichnete, sondern der tatsächliche Verlauf maßgeblich ist. Davon abgesehen handelt es sich bei dem südlich des Revisionsschachts nicht mehr ganz parallelen Verlauf des tatsächlich liegenden Kanals nur um eine relativ geringfügige Abweichung von der roten Einzeichnung im Lageplan, der Versatz des Kanals beträgt auf Höhe des streitgegenständlichen Nebengebäudes gegenüber dem, was nach Auffassung der Beklagten aufgrund der (unregelmäßigen) roten Einzeichnung anzunehmen wäre (Höchstabstand von der östlichen Grundstücksgrenze von 2,9 m), weniger als einen Meter.

cc) Der Umfang des Beseitigungsanspruchs ist auf den Bereich beschränkt, in dem das Nebengebäude über der Kanalleitung errichtet wurde, sowie einen daneben liegenden Bereich von 25 cm, der für Arbeiten zur Instandhaltung zumindest benötigt wird.

(1) Die Klägerin hat einen Anspruch auf Beseitigung des Gebäudes, soweit dieses sich über der Rohrleitung befindet. Insoweit ergibt sich aus der Bewilligung der Grunddienstbarkeit gemäß notarieller Urkunde vom 30.12.1982, dass sich der jeweilige Eigentümer des Grundstücks der Beklagten dazu verpflichtet, die Leitung nicht mit Bauwerken irgendwelcher Art zu überbauen und alles zu unterlassen, was den Bestand oder den Betrieb der Leitung gefährden könnte. Daher besteht ein Beseitigungsanspruch in dem Bereich, in dem die Leitung überbaut wurde, also von der südöstlichen Gebäudeecke gemessen 40 cm nach Westen und 1,96 m nach Norden.

(2) Ein darüber hinausgehender Beseitigungsanspruch in einem Bereich von 25 cm neben der Rohrleitung folgt aus der Grunddienstbarkeit in Verbindung mit III. 1. d) bis d) der Bestellungsurkunde vom 30.12.1982.

Danach kann der jeweilige Eigentümer des klägerischen Grundstücks die zum dauernden Betrieb der Anlage notwendigen Kontrollen durchführen und die erforderlichen Erhaltungs- und Auswechslungsarbeiten auf dem Grundstück vornehmen, die Leitungsstraße begehen sowie kontrollieren lassen und den Leitungsgraben öffnen lassen, um Reparaturen und Auswechslungen vorzunehmen, Tieferlegungen durchzuführen oder die Anlage entfernen zu lassen.

Da es zur Durchführung solcher Maßnahmen nach der Überzeugung des Senats einer weitergehenden Beseitigung des Nebengebäudes bedarf, liegt auch insoweit eine Beeinträchtigung der Grunddienstbarkeit im Sinne von § 1027 BGB vor. Der Sachverständige hat im Rahmen seiner mündlichen Gutachtenserläuterung vom 17.02.2022 zwar angegeben, dass eine Absicherung der Baugrube dann hinreichend gewährleistet wäre, wenn die Rohrleitung tatsächlich nur exakt an der Gebäudekante vorbeilaufen würde. Beispielhaft hat er ausgeführt, dass es möglicherweise noch denkbar wäre, die Rohrleitung für Revisionsarbeiten auf die Art zur erreichen, dass man an der Gebäudekante eine Spundwand einbringt, die vielleicht 30 cm oberhalb des Rohres endet. Jedoch sei das Rohr nicht mehr sicher zu erreichen oder gar auszutauschen, wenn das Rohr entsprechend den vom Sachverständigen getroffenen Feststellungen deutlich unterhalb des Fundaments des Gebäudes verläuft.

Auf diese somit ungewisse Möglichkeit der Absicherung muss sich die Klägerin jedoch nicht verweisen lassen. Vielmehr umfassen ihre Rechte aus der Grunddienstbarkeit die Möglichkeit zur Errichtung einer Spundwand zur Absicherung erforderlicher Arbeiten am Kanal. Hierzu bedarf es indes eines Arbeitsraumes, der in beiden Richtungen über die Kanalleitung hinausgeht. So hat der Sachverständige ausgeführt, dass eine Absicherung des Arbeitsraumes mittels Schachtung (z. B. Spundwänden) voraussetze, dass die Platten senkrecht von oben eingebracht werden können. Daher sei es nicht möglich, in dem Bereich, in dem das Gebäude über dem Rohr steht, einen geeigneten Aushub zu schaffen. Den erforderlichen Arbeitsbereich hat der Sachverständige mit insgesamt etwa einem halben Meter angegeben. Ausgehend hiervon ist auch nordöstlich der Kanalleitung ein Bereich von 25 cm von Bebauung freizuhalten. Um dies zu erreichen, bedarf es aufgrund der Winkelgeometrie eines Zuschlags von 26 cm auf die an der Südseite des Nebengebäudes festgestellte Position der Leitung und von 120 cm auf die an der Ostseite ermittelte Position.

dd) Der Beseitigungsanspruch der Klägerin setzt auch kein Verschulden der Beklagten voraus. Daher ist es für die rechtliche Bewertung nicht entscheidend, ob die Beklagten – so wie von ihnen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 17.02.2022 geschildert – auf den im Lageplan zur Bewilligungsurkunde eingezeichneten vermeintlichen Verlauf der Abwasserleitung bei Beginn der Errichtung des Nebengebäudes zunächst vertraut haben.

b) Die Klägerin ist auch nicht nach § 1004 Abs. 2 BGB zur Duldung des Überbaus verpflichtet.

Eine entsprechende Duldungspflicht ergibt sich nicht aus den Nachbarunterschriften auf Bauvoranfrage (B2) und Eingabeplan (B3) der Beklagten. Wie bereits ausgeführt beziehen sich diese Schriftstücke schon inhaltlich gar nicht auf das Nebengebäude, abgesehen davon, dass die vorbehaltlose Unterschriftsleistung des Nachbarn zum Vorhaben auch generell lediglich einen Verzicht auf materiell-rechtliche subjektiv-öffentliche Rechte oder öffentlich-rechtlich geschützte Interessen des Nachbarn beinhaltet, aber keinen Verzicht auf zivilrechtliche Ansprüche.

c) Eine Duldungspflicht ergibt sich auch nicht aus § 912 BGB, der entsprechend anzuwenden ist, wenn ein Überbau zwar nicht das Eigentum, aber ein anderes Recht des Nachbarn (wie eine Grunddienstbarkeit) beeinträchtigt (BGH, Urteil vom 18.07.2008 – V ZR 171/07 -, Rn. 14). Ob den Beklagten Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit in Bezug auf den Überbau zur Last fällt, kann dahinstehen, weil die Klägerin – wie bereits dargelegt – rechtzeitig Widerspruch erhoben hat. Dass dieser Widerspruch auch die Verletzung der Grunddienstbarkeit durch Überbauen der Kanalleitung miteinschloss, steht zur Überzeugung des Senats fest und ist für dessen Wirksamkeit ausreichend (BGH, Urteil vom 14.07.1972 – V ZR 147/70 zur Frage der Überbauung).

So haben selbst nach dem Vortrag der Beklagten zu 2 im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung erster Instanz am 06.06.2017 (Blatt 100 d. A.) „die Nachbarn“ (bereits) beim Abstecken für die Bodenplatte des „Gartenhäuschens“ das erste Mal „protestiert“. Entsprechend ist auch aus vorgelegten Lichtbildern ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Fundamentierung der Bodenplatte von der Firma K. der Verlauf der Kanalleitung ermittelt und mit einem blauen Band dokumentiert wurde, das über dem Fundament des Nebengebäudes gezogen worden war (vgl. etwa Lichtbilder auf Anlagen K 5 und K19). Angesichts dessen können sich die Beklagten nicht mit Erfolg darauf berufen, dass in der E-Mail vom 01.07.2015 (K9) der Eheleute P. ausdrücklich lediglich die Ortsüblichkeit des Nebengebäudes angezweifelt wurde, ohne dort explizit auch den zwei Wochen vorher festgestellten Leitungsverlauf und damit die Verletzung der Grunddienstbarkeit nochmals anzusprechen. Angesichts der aufgrund der auf den Lichtbildern ohne Weiteres erkennbaren Überbauung der Kanalleitung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sich der von der Beklagten zu 2 beschriebene „Protest“ der Klägerin und damit Widerspruch im Sinne von § 912 BGB der Klägerin zugleich jedenfalls auch auf die Überbauung der Kanalleitung bezog. Da eine bestimmte Form für den Widerspruch nicht vorgeschrieben ist, konnte dieser auch stillschweigend, insbesondere durch schlüssiges Handeln, erklärt werden (BGH, Urteil vom 14.07.1972 – V ZR 147/70). Der bereits vor Errichtung des Nebengebäudes erhobene Widerspruch wurde auch so rechtzeitig erhoben, dass die Beseitigung noch ohne erhebliche Zerstörung möglich war.

d) Anders als vom Landgericht angenommen, steht dem Anspruch der Klägerin auch nicht eine Unzumutbarkeit i. S. v. § 275 Abs. 2 BGB entgegen.

Bei § 275 Abs. 2 BGB handelt es sich – wie bereits dargelegt – um eine eng auszulegende, nur selten anwendbare Ausnahmevorschrift, die ein grobes Missverhältnis zwischen dem für die Leistung erforderlichen Aufwand des Schuldners und dem Leistungsinteresse des Gläubigers erfordert (BGH, Beschluss vom 14.01.2009 – VIII ZR 70/08 -, Rn. 18).

Das Leistungsverweigerungsrecht aus § 275 Abs. 2 Satz 1 BGB hängt auch davon ab, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat (BGH, Urteil vom 30.05.2008 – V ZR 184/07 -, Rn. 19). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass es die Beklagten bei Beginn der Baumaßnahme als jedenfalls möglich erkannten, dass ihr Nebengebäude zumindest teilweise über der Kanalleitung der Klägerin errichtet wird und damit deren Grunddienstbarkeit beeinträchtigt. Der tatsächliche Verlauf der Leitung war bei Baubeginn hinreichend bekannt. Der von der Firma K. ermittelte Verlauf der Kanalleitung war aus dem auf Lichtbildanlage K5 und K19 ersichtlichen blauen Band erkennbar, das am 15.06.2015 über dem Fundament des Nebengebäudes gezogen worden war, um im Zuge der Inspektion der Abwasserleitungsrohre den Leitungsverlauf zu dokumentieren. Daher greift auch der Einwand der Beklagten nicht, sie und ihre Architektin seien „ohne Not“ davon ausgegangen, dass der gesamte Abwasserkanal parallel zur östlichen Grundstücksgrenze in einem Abstand von ca. 2 m zu dieser verlaufe. Vielmehr mussten die Beklagten bereits zu diesem Zeitpunkt davon ausgehen, dass ihr Gebäude teilweise über der Kanalleitung liegen würde.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin an der Beseitigung des Nebengebäudes in dem Bereich besteht, in dem sich dieses über der Kanalleitung befindet. Nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen, von deren Richtigkeit der Senat überzeugt ist, ist nämlich damit zu rechnen, dass Arbeiten am Kanal der Klägerin in absehbaren Zeiträumen erforderlich werden. So sind nach den Erläuterungen des Sachverständigen am Kanal Wurzeleinwachsungen festgestellt worden, die ein Anhaltspunkt dafür sind, dass der Kanal undicht ist, auch wenn er derzeit den normalen technischen Anforderungen für die Ableitung von Abwasser noch genügt. Unabhängig von letzterem besteht aber jedenfalls, wie der Sachverständige dargelegt hat, grundsätzlich die Gefahr, dass behördlicherseits ein Abdrücken der Leitungen verlangt werde, das angesichts der durch die Wurzeleinwachsungen indizierten Undichtigkeiten scheitern würde. Eine Sanierung dieser Undichtigkeiten bei einwachsenden Wurzeln werde mit einem bloßen „Inlinerverfahren“ nicht erfolgreich sein. Vielmehr müsse gegebenenfalls aufgegraben werden, um entweder die Abdichtungen um die Rohre zu erneuern oder die Rohrleitung insgesamt auszutauschen. Es wird dann, wie sich ebenfalls aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt, auch nicht ohne Nachteile eine abweichende Neuverlegung um das Nebengebäude herum möglich sein, weil durch jeden Bogen oder Knick die Fließgeschwindigkeit gebremst wird und dadurch Ablagerungen begünstigt werden, die auf Dauer zu einer Verstopfung des Rohres führen könnten.

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der wechselseitigen Interessen der Parteien und des Grundsatzes von Treu und Glauben, ist somit das für die Einrede nach § 275 Abs. 2 BGB erforderliche grobe Missverhältnis zwischen Aufwand der Beklagten und Leistungsinteresse der Klägerin nicht gegeben.

e) Die Geltendmachung des streitgegenständlichen Beseitigungsanspruchs ist weder verwirkt noch rechtsmissbräuchlich und stellt sich auch nicht als Verstoß gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB dar.

aa) Ein Verstoß gegen § 242 BGB ergibt sich nicht aus der Nachbarunterschrift. Abgesehen davon, dass auf den unten Vorlagen das Nebengebäude gar nicht verzeichnet war, wird – wie bereits mehrfach angesprochen – nach der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts nicht bereits mit der Unterschrift auf den Bauvorlagen zum Ausdruck gebracht, auch zivilrechtlich keine Einwendungen zu erheben. Daher setzt sich die Klägerin als Nachbarin vorliegend nicht in Widerspruch zu einer damit begründeten nachbarrechtlichen Sonderbeziehung, wenn sie sich trotz der Unterschrift gegen das genehmigte Bauvorhaben wendet (BayObLG, Urteil vom 02.07.1990 – RReg. 1 Z 285/89 – NJW-RR 1991, 19, 20, beck-online).

bb) Die Ausübung der sich aus der Grunddienstbarkeit ergebenden Rechte ist insbesondere deshalb nicht rechtsmissbräuchlich, weil – wie bereits dargelegt – aufgrund der drohenden Sanierungsbedürftigkeit des Kanals ein schützenswertes Interesse der Klägerin besteht.

f) Auch der Anspruch der Klägerin aus § 1004 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 1027 BGB ist aus den vorgenannten Gründen nicht verjährt.

3. Ein darüber hinaus gehender Beseitigungsanspruch der Klägerin in Bezug auf das Nebengebäude besteht nicht. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht aus dem Bebauungsverbot gemäß XI. 1. der notariellen Urkunde vom 06.04.2011 (K4).

Danach darf die südliche Baugrenze der bestehenden Wohngebäude an der A. Straße nicht in der Weise überschritten werden, dass die Bebauung näher an das Grundstück Fl.-Nr. 89/88 der Gemarkung O. heranrückt; jedoch kann ein ortsübliches Gartenhaus oder Treibhaus sowie ein Wintergarten jederzeit in dem südlichen Bereich errichtet werden.

Bei dem nach der teilweisen Beseitigung verbleibenden Nebengebäude handelt es sich um ein ortsübliches Gartenhaus, das nicht vom Bebauungsverbot erfasst und daher zulässig ist.

Das Nebengebäude wird nach seiner teilweisen Beseitigung bereits von der räumlichen Dimensionierung her nunmehr ein ortsübliches Gartenhaus darstellen. Wesentliche Abweichungen im Vergleich zu den von der Klägerin vorgetragenen Gartenhäusern in der Umgebung (insbesondere Lichtbilder K 16-18) sind dann nicht ersichtlich. Für den Aspekt der Ortsüblichkeit ist insoweit insbesondere zu berücksichtigen, welche Auswirkungen das Gebäude auf die Umgebung und insbesondere auf das Grundstück der Klägerin hat, das durch das Überbauungsverbot gemäß XI 1. der notariellen Urkunde vom 06.04.2011 geschützt werden sollte. Im Hinblick auf die in diesem Zusammenhang relevante Gebäudegröße wird das nach der teilweisen Beseitigung verbleibende Nebengebäude jedenfalls im Rahmen dessen bewegen, was vor Ort üblich ist.

II.

Ein Anspruch der Klägerin auf Beseitigung des an der Ostgrenze des Grundstücks der Beklagten errichteten Carports aus § 1004 BGB i.V. m. § 1027 BGB ist aufgrund des sich aus § 275 Abs. 2 BGB ergebenden und von den Beklagten geltend gemachten Leistungsverweigerungsrechts nicht durchsetzbar.

1. Zwar befindet sich der Carport in dem Bereich des Grundstücks der Beklagten, auf den sich die Grunddienstbarkeit erstreckt. So wurde der Carport unstreitig auch über der Kanalleitung, die in diesem Bereich im Lageplan zutreffend rot skizziert wurde, errichtet.

2. Jedoch steht der Durchsetzbarkeit des Anspruchs die von den Beklagten erhobene Einrede der Unzumutbarkeit gemäß § 275 Abs. 2 BGB entgegen.

§ 275 BGB ist auch auf den Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 BGB anzuwenden (BGH, Urteil vom 30.05.2008 – V ZR 184/07 -, Rn. 16 f.) und wird nicht durch die Regelung in § 912 Abs. 1 BGB verdrängt (BGH, Urteil vom 18.07.2008 – V ZR 171/07 – Rn. 20).

Bezüglich des Carports hat das Landgericht im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Beklagten die Beseitigung verweigern können, weil diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse der Klägerin steht.

a) Zulasten der Beklagten spricht zwar, dass ihnen das Leitungsrecht und der Verlauf der Leitung unter dem vorgesehenen Carport bekannt waren, sie also insoweit schuldhaft (vorsätzlich) gehandelt haben, § 275 Abs. 2 Satz 2 BGB.

b) Demgegenüber wäre die Beseitigung des Carports jedoch mit Kosten verbunden, die unter der im Hinblick auf Treu und Glauben gebotenen Berücksichtigung sämtlicher Gesamtumstände in einem groben Missverhältnis zum Interesse der Klägerin an dessen Beseitigung stehen.

Hierbei ist zunächst maßgeblich zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Carport – anders als bei dem Nebengebäude – nicht um ein massives Bauwerk handelt, das ohne erhebliche Abrissmaßnahmen jeglichen Zugang zur Kanalleitung ausschließen würde. Vielmehr ist im Bereich des Carports jederzeit ohne größeren Aufwand ein Zugang zur Kanalleitung herstellbar. So handelt es sich bei dem Untergrund um lose auf einem Kiesbett verlegte Pflastersteine, die gerichtsbekannt ohne größeren Zeitaufwand entfernt werden können, um einen Zugriff auf die darunter verlaufende Kanalleitung zu ermöglichen. Auch die Rückwand des Carports kann mit geringem Zeitaufwand beseitigt werden, weil dessen tragende Balken ausweislich der Lichtbildanlage K 11 nicht auf der Kanalleitung stehen und die Rückwand des Carports aus Brettern besteht und entfernbar ist. Daher kann aufgrund der baulichen Gestaltung des Carports jederzeit vergleichsweise kurzfristig und mit noch vergleichsweise überschaubarem Aufwand ein Zustand erreicht werden, der dem einer „Nichtbebauung“ entspricht und so den von der Grunddienstbarkeit umfassten Zugang zur Kanalleitung ermöglicht. Der sich aus III. der Bestellungsurkunde vom 30.12.1982 ergebende Sinn und Zweck der Grunddienstbarkeit, notwendige Kontrollen und Erhaltungs- und Auswechslungsarbeiten vornehmen zu können, die Leitungsstraße begehen und kontrollieren lassen zu können und den Leitungsgraben öffnen zu lassen, um Reparaturen und Auswechslungen vorzunehmen, Tieferlegungen durchzuführen oder die Anlage entfernen zu lassen, wird daher durch den Carport nicht grundlegend infrage gestellt. Auch werden Betrieb und Bestand der Leitung nicht gefährdet.

Ein darüber hinaus gehendes schutzwürdiges Interesse der Klägerin an der Ausübung der Grunddienstbarkeit, die eine Beseitigung des Carports erfordern würde, besteht nicht. Auch haben die Beklagten stets akzeptiert, dass sie bei Arbeiten am Kanal die Mehrkosten der Freilegung der Leitung zu tragen haben, welche durch den Mehraufwand bei der notwendigen Beseitigung der Überdeckung und Überbauung entstehen. Entsprechende Regelungen waren auch in den mehrfachen vorgerichtlichen und gerichtlichen Vergleichsversuchen vorgesehen und von den Beklagten nicht infrage gestellt worden.

Darüber hinaus ist in die Abwägung nach § 275 Abs. 2 BGB einzustellen, dass der Klägerin die Absicht der Beklagten zur Errichtung des Carports bekannt war und sie eine diesbezügliche Bauvoranfrage vorbehaltlos unterschrieben hat. Auch wenn die Klägerin hierdurch nicht auf zivilrechtliche Ansprüche verzichtet hat, hat sie doch ein gewisses zurechenbares Vertrauen dahingehend geschaffen, dass sie die Überbauung in der beabsichtigten Form akzeptiert würde. Dem steht auch die Aussage des Zeugen P. bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung vom 06.06.2017 (Bl. 102 ff. d. A.) nicht entgegen. Dieser hat zwar ausgesagt, es sei bei der Unterschrift unter die Bauvoranfrage „klar gesagt (worden), dass der Kanal nicht überbaut werden“ dürfe, allerdings eingeräumt, dass nicht ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass der Kanal nicht überpflastert oder mit einem Dach überbaut werden dürfe. Angesichts der ohne Anbringung irgendeines Vorbehalts geleisteten Unterschrift auf der konkreten Bauvoranfrage durften die Beklagten, selbst wenn man den Zeugen P. – anders als das Landgericht – trotz seines hohen Eigeninteresses am Rechtsstreit für glaubwürdig halten würde, das Verhalten der Klägerin und ihres Ehemanns insgesamt so verstehen, dass gegen eine einfach aufzunehmende Pflasterung in losem Kiesbett und den Überbau mit einem bloßen Dach, bei einfach zu entfernender Rückwand aus Brettern – entsprechend den der Bauvoranfrage beigefügten Plänen -, keine Einwände erhoben werden und der Vorbehalt, der Kanal dürfe nicht „überbaut“ werden, nur im Hinblick auf mögliche Änderungsüberlegungen der Beklagten in Richtung auf eine massive bauliche Ausführung mit betonierter Bodenplatte oder aufstehenden gemauerten Wänden über dem Kanal erfolgte.

Bei der Gesamtwürdigung aller Umstände teilt der Senat daher im Ergebnis die Auffassung des Landgerichts, dass gegenüber dem Anspruch auf Beseitigung des Carports den Beklagten – anders als bei dem Nebengebäude – unter Beachtung der Gebote von Treu und Glauben aufgrund eines groben Missverhältnisses zwischen Aufwand der Beklagten und Interesse der Klägerin ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 BGB zusteht.

III.

Zusammengefasst skizzenhaft (nicht maßstabsgerecht) dargestellt sind nach Nr. I. des Tenors der Entscheidung damit folgende Teile des Nebengebäudes zu beseitigen:

IV.

Die Klägerin hat im tenorierten Umfang gegenüber den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren aus § 1004 BGB i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB (i.V.m. Art. 6 BayBO), § 249 BGB.

Da die Klage nur teilweise Erfolg hat, war für die Berechnung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ein Gegenstandswert lediglich in Höhe des zu Recht geltend gemachten Beseitigungsumfangs (teilweise Beseitigung des Nebengebäudes) zugrunde zu legen. Dieser beträgt 5.000 €.

Ausgehend von einer 1,3 Geschäftsgebühr nach §§ 13, 14 RVG, Nr. 2300 VV RVG sowie Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG zzgl. 19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG ergibt sich ein Anspruch der Klägerin in Höhe von 492,53 €.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.

D.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Streitentscheidend waren vorwiegend tatrichterliche Fragen. Soweit Rechtsfragen von Bedeutung sind, folgt der Senat der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung.

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