LG Lübeck, Az.: 14 S 86/15, Urteil vom 26.11.2015
Das am 19. März 2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Reinbek – Az. 14 C 635/14 – wird einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht Reinbek zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Wegen des dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung, dort Seite 2-4 (Blatt 95-97) Bezug genommen.
Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsrechtszug ergibt sich aus deren Berufungsbegründung vom 26. Mai 2015 (Blatt 123 ff.). Der Kläger hat der Streithelferin mit der Berufungsbegründungsschrift den Streit verkündet. Die Streithelferin ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetreten (Schriftsatz vom 07. Oktober 2015, Blatt 169 ff.). Das Vorbringen der Streithelferin im Berufungsrechtszug folgt aus deren Schriftsatz vom 15. Oktober 2015 (Blatt 174 ff.).
Der Vortrag der Beklagten im Berufungsrechtszug ergibt sich aus deren Berufungserwiderung vom 13. Juli 2015 (Blatt 142 f.) und dem weiteren Schriftsatz vom 28. Oktober 2015 (Blatt 183 f.).
Wegen der Anträge der Parteien und der Streithelferin im Berufungsrechtszug wird auf das Protokoll der Verhandlung vor dem Kammer vom 26. November 2015 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache insoweit Erfolg, als die erstinstanzliche Entscheidung einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht Reinbek zurückzuverweisen ist (§ 538 Abs. 1 Ziffer 4 ZPO).
Streitgegenständliche ist hier ein nach Grund und Betrag streitiger Anspruch, über den das Amtsgericht Reinbek mit der angefochtenen Entscheidung durch Klagabweisung entschieden hat. Das Amtsgericht Reinbek hat dabei die Klagabweisung allein auf das Verneinen des Gebrauchs eines Kraftfahrzeugs im Sinne von § A 1.1 AKB gestützt und sich mit der weiteren Frage des Schadensumfangs und der Schadenskausalität – aus seiner Sicht folgerichtig – nicht weiter auseinandergesetzt.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist die vom Amtsgericht Reinbek insoweit zugrunde gelegte Definition des „Gebrauchs“ eines Kraftfahrzeugs auch und gerade unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu eng. Nach Auffassung des Berufungsgerichts liegt hier – geht man von einer versuchten Starthilfe/Überbrückung seitens des Klägers mit seinem Kraftfahrzeug für das Kraftfahrzeug des Zeugen B. aus – ein Gebrauch des Kraftfahrzeugs des Klägers im Sinne von § A. 1.1 AKB vor (dazu sogleich unter 1.). Die Beantwortung dieser Rechtsfrage ist auch für den Rechtstreit entscheidungsrelevant (dazu sogleich unter 2.).
1.
Das Merkmal des „Gebrauchs des Fahrzeugs“ dient einerseits der Abgrenzung zwischen Kfz-Haftpflichtversicherung und allgemeiner Haftpflichtversicherung, andererseits geht der Begriff des Gebrauchs des Kraftfahrzeugs im Sinne der AKB über den Begriff des Betriebs im Sinne von § 7 Abs. 1 StVG hinaus, wobei jeder Betrieb im Sinne des § 7 StVG auch einen Gebrauch des Fahrzeugs im Sinne der AKB darstellt (Prölss/Martin, AKB 2008, § A 1.1. Rn 7). Entscheidend ist, ob der Schadensfall mit dem für ein Kfz typischen Gefahrenbereich in einem haftpflichtrechtlich relevanten Zusammenhang steht. Es müssen sich typische, vom Gebrauch des Kfz selbst und unmittelbar ausgehende Gefahren verwirklicht haben. Dafür muss das Kfz nicht bewegt worden sein. Es muss sich auch nicht im öffentlichen Verkehrsraum befinden, es reicht aus, wenn typische Funktionen in Tätigkeit gesetzt werden (Prölss/Martin a.a.O.). Danach können Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, welche die Halterhaftung aus Betriebsgefahr betreffen – bei Bejahung der Betriebsgefahr – auch zur Definition des Gebrauchs des Kraftfahrzeugs im Sinne von § A 1.1 AKB herangezogen werden. Zur Auslegung des Merkmals der Betriebsgefahr ist aus jüngerer Zeit insbesondere auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. Januar 2014, Az: VI ZR 253/13, zitiert nach juris, dort insbesondere Rn 5, 6, zu rekurrieren, wonach es auf den nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang des Unfalls mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs ankomme, um eine Betriebsgefahr zurechnen zu können. Maßgeblich für die vorgenannte weite Definition des Bundesgerichtshofs in der genannten Entscheidung ist eine am Schutzzweck orientierte Auslegung des § 7 Abs. 1 StVG. Danach ist es stets erforderlich, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werde soll, d. h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahr fallen, um deren Willen die Rechtsnorm erlassen worden ist.
Unter Berücksichtigung dieser wertenden Betrachtungsweise liegt hier – ausgehend von dem vom Amtsgericht Reinbek zu seiner Überzeugung durch die Beweisaufnahme festgestellten Sachverhalt – ein Fall des Gebrauchs der Kraftfahrzeugs in Gestalt der versuchten Starthilfe/Überbrückung seitens des Klägers unter Einsatz seines Kraftfahrzeugs für das Kraftfahrzeug des Zeugen B. vor. Die Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung des Amtsgerichts in tatsächlicher Hinsicht insoweit ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden. Legt man demgemäß den vom Amtsgericht Reinbek festgestellten Sachverhalt zugrunde, so handelt es sich nicht nur um die Benutzung der Batterie des klägerischen Fahrzeuges und eines Überbrückungskabels, das nicht unmittelbar zur Ausstattung des klägerischen Fahrzeugs gehört, sondern auch um die Verwendung der Zündung und des Motors des klägerischen Fahrzeugs. Der Kläger betätigte nämlich – nach den Feststellungen des Amtsgerichts, wie sie sich mittelbar aus den Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung ergeben (dort S. 4) – die Zündung seines Kraftfahrzeugs, um den Motor seines Kraftfahrzeugs zu starten und für die Starthilfe am Motor des Kraftfahrzeugs des Zeugen Busch zu nutzen. Damit setzte der Kläger auch den Motor seines Kraftfahrzeugs – neben der Batterie – bei dem Starthilfe-/Überbrückungsversuch ein. Die von dem Kläger behaupteten Überspannungsschäden, sollten sie denn beim dem Kraftfahrzeug des Zeugen Busch aufgrund des Starthilfe-/Überbrückungsversuchs tatsächlich eingetreten sein, stellen sich dann auch als Realisierung der Gefahr dar, die aus dem Zusammenwirken von Batterie, Zündung und Motor des klägerischen Kraftfahrzeugs und der damit verbundenen Erzeugung elektrischer Energie begründet wird. Bei dem Einsatz eines Kraftfahrzeugs zur Gewährung von Starthilfe/Überbrückung handelt es sich auch um einen bestimmungsgemäßen Gebrauch von Zündung, Motor und Batterie, wie sich allein daraus ergibt, dass Gewährung von Starthilfe durch Überbrückung sowie die Art und Weise des dabei gebotenen Vorgehens gerichtsbekannt regelmäßig in den Betriebsanleitungen der Kraftfahrzeughersteller für die jeweiligen Kraftfahrzeuge ausführlich thematisiert wird. Bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise spielt es dabei keine Rolle, dass das dafür benötigte Überbrückungskabel regelmäßig nicht zur Standardausstattung bzw. zum Lieferumfang von Kraftfahrzeugen gehört, sondern als Zubehörteil zu erwerben ist.
Geht man von den Feststellungen des Amtsgerichts aus, so unterscheidet sich die folgende Fallkonstellation auch deutlich von dem Fall, dass die Stromquelle für die Starthilfe nicht durch ein anderes Kraftfahrzeug gestellt wird, sondern durch eine Stromquelle in einer Wohnung, von der dann ein Kabel zu dem Kraftfahrzeug mit Motorstartproblemen geführt wird. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation unterscheidet sich auch deutlich von dem Fall, dass ein in ein Kraftfahrzeug gestellter Heizlüfter mit externer Stromquelle über das gewünschte Erwärmen und Abtauen der Scheiben hinaus zu einem Brand in dem Kraftfahrzeug führt. Auch die Berücksichtigung der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 24.03.2015 (Az. VI ZR 265/14), zitiert nach juris, führt – schon aufgrund der erheblichen Unterschiede der jeweils zu beurteilenden Sachverhalte – nicht zu einer anderen Beurteilung: Dort hatte sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein von einem Kreiselschwader abgefallener Metallzinken zu einer Bejahung der Betriebsgefahr des den Kreiselschwader ziehenden Traktors führen solle, wenn durch das abgefallene Bauteil (Metallzinken) später ein des weiteren gezogener Grashäcksler beschädigt wird.
Die Ausführungen des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck in seinem Urteil vom 17.03.2011 zum Az. 5 C 1779/10 (vgl. Ausdruck der juris-Veröffentlichung des Urteils als Anlage 1 zur Klagerwiderung, Blatt 47 ff.) überzeugen die Kammer nicht. Gerade das Erfordernis, dass neben der Batterie auch Zündung und Motor des Starthilfe leistenden Kfz eingesetzt werden müssen und die Starthilfefunktion in den Betriebsanleitungen der Fahrzeughersteller beschrieben und erläutert wird, spricht dafür, dass es sich um einen kraftfahrzeugtypischen Nutzungszweck handelt. Hinzu kommt, dass das Kraftfahrzeug, das Starthilfe leistet, regelmäßig zuvor unter Einsatz seines Motors in die Nähe des die Starthilfe benötigenden Kraftfahrzeugs bewegt wird, um dann mit dem Überbrückungskabel Starthilfe leisten zu können. So war es nach dem Klägervortrag ausweislich der persönlichen Anhörung des Klägers auch hier (vgl. Protokoll des Amtsgerichts Reinbek vom 26. Januar 2015, S. 2, Bl. 72). Damit ist auch ein innerer Zusammenhang zwischen versuchter Starthilfe und der Fortbewegungsfunktion des Starthilfe gebenden Kraftfahrzeugs ersichtlich.
2.
Die Frage der Definition des Gebrauchs des Fahrzeugs im Sinne des § A 1.1 AKB ist hier auch entscheidungserheblich. Zwar hat der Kläger den Versicherungsfall der Beklagten erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung angezeigt und – so das Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers vor dem Amtsgericht Reinbek – auch bereits vor der Anzeige die Werkstattkosten für den Zeugen B. direkt gegenüber der Werkstatt bezahlt. Dies führt jedoch unter Berücksichtigung der AKB, dort insbesondere § E.6.1 i.V.m. § 28 VVG nicht automatisch zu einem Haftungsausschluss der Beklagten. Es könnte hier allenfalls, bei Annahme grober Fahrlässigkeit des Klägers – zu einer Haftungsbeschränkung der Beklagten kommen. Angesichts der strikten Ablehnung einer eigenen Haftung aufgrund der Verneinung eines Fahrzeuggebrauchs im Sinne des § A 1.1 AKB seitens der Beklagten spricht hier im Übrigen sehr viel gegen eine Kausalität einer möglichen Obliegenheitsverletzung des Klägers (vgl. dazu § E.6.2 AKB).
Mangels Entscheidungsreife und des Erfordernisses weiterer tatsächlicher Feststellungen ist – unter Berücksichtigung des Hilfsantrags des Klägers – die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache geboten.
Derzeit ist eine Kostenentscheidung nicht möglich, sie ist dem Schlussurteil vorzubehalten.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.