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Geh- und Fahrtrecht – Auslegung und Umfang – Verweis auf andere Erreichbarkeit

OLG München – Az.: 20 U 602/19 – Urteil vom 26.06.2019

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 18. Januar 2019, Az. 55 O 3260/17, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Darstellung eines Tatbestandes bedarf es nicht, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist, § 313a Abs. 1 Satz 1, § 540 Abs. 2 ZPO, § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Beklagten mit Recht zur Beseitigung der Betonpoller, des Holzpflocks und der Anpflanzungen verurteilt und dazu, dem Kläger und dritten Personen, die auf das Grundstück des Klägers fahren möchten, ungehinderte Zufahrt und ungehinderten Zugang auch über eine näher bezeichnete, neben der geteerten Fahrt liegende Teilfläche im Grenzbereich zu gewähren. Auch der Kostenausspruch und die Streitwertbemessung durch das Landgericht weisen keinen Rechtsfehler auf. Im Einzelnen:

1. Der Anspruch des Klägers auf Beseitigung der Anpflanzungen, des Holzpflocks und der Poller und auf Gewährung der ungehinderten Ausübung des Geh- und Fahrtrechts auch für Dritte ergibt sich aus § 1004 BGB iVm § 1027 BGB und dem zugunsten des klägerischen Grundstücks Fl.Nr. …2/2 und zu Lasten des Grundstücks der Beklagten Fl.Nr. …2/3 eingetragenen Geh- und Fahrtrechts.

a) Der Kläger hat durch die Vorlage der Anlage K 12 seine von den Beklagten mit Nichtwissen bestrittene Stellung als Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …2/2 zur Überzeugung des Senats nachgewiesen.

b) Dass die genannten Pflanzen und Vorrichtungen auf dem neben der geteerten Fahrt liegenden Grundstücksteil, wie der gerichtliche Sachverständige festgestellt hat, die Ausübung der Fahrt behindern, bestreitet auch die Berufung nicht mehr.

c) Soweit sie den erstinstanzlichen Vortrag wiederholt, dass sich das auf dem Grundstück lastende Geh- und Fahrtrecht nicht auf den soeben genannten Bereich erstrecke, teilt der Senat, ebenso wie das Landgericht, diese Ansicht nicht.

aa) Zwar ist richtig, dass im Rahmen des Überlassungsvertrages, der Messungsanerkennung und der Auflassung aus dem Jahr 1978 die räumliche Begrenztheit des Geh- und Fahrtrechtes beschrieben wurde. Jedoch verkennen die Berufungsführer, dass in Ziffer VII des Überlassungsvertrages vom 16. Februar 1978 (K 2) nicht nur festgelegt wurde, dass diejenige Fahrt benützt werden soll, die auch von der R.kasse benützt wird. Vielmehr wurde darüber hinaus geregelt, dass dies dem Zweck dienen soll, von der Straße zum herrschenden Grundstück zu gelangen. Vor diesem Hintergrund ist es widersinnig anzunehmen, dass von der von der R.kasse benutzten Fahrt nicht zum Zwecke der Erreichung des klägerischen Grundstückes abgebogen werden darf.

Soweit die Beklagten auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23. Februar 1973 (V ZR 10/71, NJW 1973, 846) verweisen, wonach Umstände außerhalb der Urkunde nur bei Offenkundigkeit zur Auslegung herangezogen werden dürfen, ist dies hier nicht relevant. Denn vorliegend nimmt die Urkunde ausdrücklich auf die Eintragungsbewilligung Bezug, weshalb ihr Inhalt – wie auch der Bundesgerichtshof in dem soeben zitierten Urteil festgestellt hat – unzweifelhaft für die Auslegung des Inhalts der Dienstbarkeit heranzuziehen ist.

bb) Unbeachtlich ist, dass der Kläger sein Grundstück auch über das Grundstück der R.kasse erreichen kann. Zu Lasten dieses Grundstücks besteht keine dementsprechende Dienstbarkeit. Daher muss sich der Kläger hierauf nicht verweisen lassen.

cc) Soweit die Beklagten mit dem historischen Ablauf der Eigentumsübertragungen argumentieren, kann auch dieser ihre Ansicht nicht stützen. Denn zum Zeitpunkt der Bestellung des Geh- und Fahrtrechts zugunsten des klägerischen Grundstücks Fl.Nr. …2/2 und zu Lasten des Grundstücks Fl.Nr. …2/3 war das Grundstück Fl.Nr. …2/1, aus dem später das Grundstück Fl.Nr. …2/4 herausgemessen wurde, bereits vermessen und anderweitig verkauft. Der Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …2/2, der hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. …2/1 kein Geh- und Fahrtrecht hat, musste deshalb seit jeher an der Grundstücksgrenze zum Grundstück Fl.Nr. …2/1 über einen unbefestigten Streifen des Grundstücks Fl.Nr. …2/3 fahren um zu seinem Grundstück zu gelangen.

dd) Zu keinem anderen Ergebnis führt auch die Berücksichtigung des Textteils der Kartenbeilage zur Messungsanerkennung und Auflassung (K 2), die für die Ausübung des Geh- und Fahrtrechts eine Fläche von ca. 350 qm annimmt. Die auf den vom Landgericht ausgeurteilten Bereich entfallende Fläche von 18,5 qm fällt insoweit ersichtlich nicht ins Gewicht.

d) Dass ein dem Inhalt nach nicht fixiertes Geh- und Fahrtrecht für ein Wohngrundstück die Benutzung durch Hausgenossen, Besucher und Mieter deckt und durch Fahrzeuge aller Art, insbesondere solche der Daseinsvorsorge, ausgeübt werden darf, ist gefestigte Rechtsprechung (Palandt, BGB, § 1018 Rn. 16, 8 ff.).

e) Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt.

aa) Die Verjährungsfrist beträgt vorliegend entsprechend § 197 Nr. 2 BGB 30 Jahre, da nach den Feststellungen des Sachverständigen das Befahren mit größeren Fahrzeugen unter den derzeitigen Verhältnissen gänzlich unmöglich ist. Dem Kläger ist mithin die Ausübung eines Teils der ihm eingeräumten Rechtsmacht verwehrt; der Beseitigungsanspruch zielt auf die Verwirklichung des Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2014, V ZR 151/13, Rn. 11 f.).

bb) Unzutreffend sind die Ausführungen der Beklagten, dass es auf den Errichtungszeitraum des südlich gelegenen Betonpollers nicht ankomme, da sich dieser außerhalb der vom Sachverständigen vorgegebenen Breite von 3,7 m befinde. Hierbei verkennen die Beklagten, dass der Sachverständige entlang der T.straße, an welcher die Betonpoller errichtet wurden, eine behinderungsfreie Öffnung von mindestens 10 m für erforderlich hält (S. 3 des Gutachtens vom 19. September 2018, Bl. 85).

cc) Selbst bei Qualifizierung der Betonpoller als Anlage im Sinne von § 1020 BGB haben die Beklagten jedenfalls den ihnen obliegenden Beweis für den Verjährungseintritt nicht erbringen können. Dass sich die Betonpoller, wie von den Beklagten behauptet, bereits seit ca. 1980 an ihrem jetzigen Aufstellort befinden, hat die Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Senats ergeben. Vielmehr hat auch der von den Beklagten zum Beweis ihres Vortrags benannte Zeuge Karl F. jun. angegeben, dass die Poller bis vor 8 bis 10 Jahren regelmäßig ein- bis zweimal im Jahr vorübergehend entfernt worden seien um anderen Zwecken zu dienen sowie, dass die Poller im Laufe der Zeit „gewandert“ seien. Dies deckt sich mit der Aussage der Zeugin Sandra P., die mitgeteilt hat, dass ihr die Poller zwar seit 2009, als sie den Kläger kennengelernt habe, bekannt seien, der Abstand zwischen den Pollern sei aber im Lauf der Zeit immer enger geworden, seit dem Tod ihres Schwiegervaters vor drei Jahren sei mit größeren Fahrzeugen kein Durchkommen mehr.

2. Die Kostenentscheidung des Landgerichts ist nicht zu beanstanden.

a) Das Landgericht hat die Kostenregelung des § 93 ZPO ohne Rechtsfehler nicht angewendet, denn die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier nicht vor. Die Beklagten haben dadurch Anlass zur Klage gegeben, dass sie der Aufforderung des Klägers nicht nachgekommen sind, die mit Rechnung vom 30. Dezember 2017 (K 9) geltend gemachte Forderung, binnen 10 Tagen € 125.000,00 zzgl. MwSt. zu bezahlen sowie ab dem 25. Dezember 2017 weitere € 200,00/Tag, wobei bei Verzug täglich € 50,00 zzgl. MwSt. fällig würden, schriftlich zurückzunehmen und zu erklären, dass die fragliche Rechnung gegenstandslos sei. Hierfür genügt das Schreiben des Beklagtenvertreters vom 25. Januar 2014 (K 11) ersichtlich nicht. Denn dort wurde lediglich erklärt, dass die Beklagten mit der Rechnung bereits „eine Abrechnung über die durch die Klage entstandenen Kosten“ vorgenommen hätten, dies sei allerdings erst nach Abschluss des Verfahrens möglich, weshalb „derzeit“ keine Fälligkeit bestehe.

b) Die mit der Klage erhobene Forderung nach einer Zufahrt über ein Dreieck mit einer Schenkellänge von 5 m bzw. 10 m ist gegenüber den zugesprochenen Längen 3,7 m und 10 m ersichtlich geringfügig und hat keine Zusatzkosten verursacht, so dass das Landgericht zutreffend § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO angewendet hat (vgl. hierzu auch MünchKom ZPO, § 92 Rn. 20; BeckOK ZPO, § 92 Rn. 32).

c) Das Landgericht hat auch ohne Rechtsfehler ein voraussichtliches Obsiegen des Klägers bezüglich der von ihm begehrten Entfernung des Schildes angenommen. Dass der Kläger – wie von den Beklagten bestritten – Adressat des Schildes war, zeigt sich schon daran, dass die Beklagten von ihm, wie auf dem Schild angekündigt, mit der Rechnung vom 30. Dezember 2017 (K 9) für fünf angeblich widerrechtlich angefertigte Fotos jeweils die Zahlung von € 25.000,00 begehrt haben.

3. Auch die Streitwertfestsetzung des Landgerichts begegnet keinen Bedenken. Dass die von den Beklagten mit der Rechnung vom 30. Dezember 2017 (K 9) erhobene Forderung nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht ernstlich gemeint gewesen sei, trifft nicht zu. Vielmehr sah sich ein objektiver Dritter angesichts der in der Rechnung enthaltenen Verzugsregelung und der sich ab dem 25. Dezember 2017 täglich um € 200,00 erhöhenden Forderung einem ernstlich und nachdrücklich erhobenen Zahlungsbegehren ausgesetzt. Dass überhöhte Beträge verlangt wurden, schließt eine derartige Bewertung ersichtlich nicht aus.

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III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

 

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