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geistige Kräfte – Strafbarkeit eines Wunderheilers


Amtsgericht Gießen

Az: 507 Cs 402 Js 6823/11

Urteil vom 12.06.2014


Tenor

1. Der Angeklagte wird freigesprochen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.


Gründe

I.

In der Zeit von März 2010 bis Mai 2011 „behandelte“ der Angeklagte in insgesamt 58 Fällen kranke Personen, welche durch entsprechende von ihm geschaltete Zeitungsanzeigen auf ihn aufmerksam worden waren. In diesen Anzeigen hatte der Angeklagte für seine Fähigkeit geworben, mittels seiner „geistigen Kräfte“ Menschen von Beschwerden wie Krebs, Demenz, Alzheimer, Körpervergiftung, Hepatitis, HIV, etc., heilen zu können.

Bei den daraufhin erfolgten Besuchen bei ihm erstellte der Angeklagte in der Regel mittels eines Pendels eine Analyse des Gesundheitszustandes der einzelnen Organe des jeweiligen Hilfesuchenden und trug die Ergebnisse mit Kennziffern, die den Grad der Gesundheit oder Erkrankung bezeichnen sollten, in von ihm selbst entworfene Formulare ein. Nach dem Pendeln legte der Angeklagte vielfach noch die Hände auf. In weiteren Fällen wurde er auch durch „Fernheilung“ tätig, das heißt telefonisch oder sonst in Abwesenheit der Betroffenen.

Seine Behandlungen ließ sich der Angeklagte von den Patienten jeweils mit 60 € bis 1000 € vergüten.

Über eine Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz (HeilPraktG), welche dazu berechtigt, die Heilkunde auszuüben, verfügt der Angeklagte nicht.

In keinem Fall riet der Angeklagte von der Konsultation von Schulmedizinern ab, in etlichen Fällen forderte er ausdrücklich dazu auf.

Einige der von dem Angeklagten Behandelten wurde ganz oder teilweise geheilt, der größere Teil nicht. Auf Befragen des Gerichts haben alle in der Hauptverhandlung gehörten Zeugen erklärt, sich nicht betrogen gefühlt zu haben.

II.

Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten sowie den damit vollständig übereinstimmenden Angaben der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen.

III.

Die Staatsanwaltschaft hatte in diesem Sachverhalt einen Verstoß gegen § 5 in Verbindung mit § 1 Heilpraktikergesetz (HeilPraktG) in 58 Fällen jeweils in Tateinheit mit Betrug gesehen, wobei es in drei Fällen bei einem versuchten Betrug geblieben sei, und den Erlass eines entsprechenden Strafbefehls gegen den Angeklagten erwirkt, gegen den dieser wirksam Einspruch eingelegt hat.

IV.

Der Angeklagte war freizusprechen. Denn die von ihm vorgenommenen Handlungen stellen keine Ausübung der Heilkunde im Sinne § 1 Absatz 2 HeilPraktG dar. Der Angeklagte hat auch weder die von ihm Behandelten getäuscht, noch ist bei denen ein Irrtum eingetreten.

1. In der Tätigkeit des Angeklagten liegt kein Verstoß gegen § 5 HPraktG. Denn die von dem Angeklagten vorgenommenen Handlungen stellt kein „Ausüben der Heilkunde“ im Sinne § 1 Absatz 2 HeilPraktG dar.

a) Voraussetzung für die Erlaubnispflicht nach dem HeilPraktG ist, dass Behandlungen ausgeübt werden sollen, die nennenswerte gesundheitliche Schädigungen verursachen können (Haage Heilpraktikergesetz 2. Auflage 2013, § 1 HeilPraktG Rn 6 unter Berufung auf BVerwG, NJW 1973, 579). Ebendas ist bei den Behandlungen des Angeklagten nicht der Fall.

(1) Nach BGH NJW 1978, 599 soll Ausübung der Heilkunde zwar in allen Fällen vorliegen, in denen der Behandelnde den Eindruck erweckt, dass die von ihm bewirkte Heilung oder Besserung mit übernatürlichen oder übersinnlichen Kräften herrührt („Eindruckstheorie“). Die Anknüpfung der Tatbestandsmäßigkeit an übernatürliches oder übersinnliches Handeln findet jedoch im Gesetz keine Stütze. In der gleichen Entscheidung führt der BGH aus, dies gelte jedenfalls dann, wenn der Behandelnde sich nicht darauf beschränkt, die Hilfe Gottes für den Kranken zu erbitten, sondern reklamiert, von ihm selbst gingen die dem Kranken helfenden Heilkräfte aus. In dieser Abgrenzung liegt aber eine einem staatlichen Gericht in einem säkularen Staat nicht zustehende Privilegierung von Religion gegenüber außerreligiösem aber gleichwohl die Transzendenz in Anspruch nehmenden Lehren und Tun. Die „Eindruckstheorie“ ist zuletzt vertreten worden in OLG Frankfurt NJW 2000, 1807, die aber nachgehend von BVerfG NJW 2004, 2890 aufgehoben worden ist.

Haage Heilpraktikergesetz 2. Auflage 2013, § 1 HeilPraktG Rn 11, fasst die genannte Entscheidung des BVerfG wie folgt zusammen:

… „nicht Aufgabe <sc.: des HeilPraktG>, Patienten vor falscher Wahrnehmung ihres Selbstbestimmungsrechts zu schützen. Ein sog. Wunderheiler, der spirituell wirke und den religiösen Riten näher stehe als der Medizin, wecke im Allgemeinen die Erwartung auf heilkundlichen Beistand schon gar nicht. Die Gefahr, notwendige ärztliche Hilfe zu versäumen, werde daher eher vergrößert, wenn geistiges Heilen als Teil der Berufsausübung von Heilpraktikern verstanden werde. Wer auf rituelle Handlungen setze, setze sein Vertrauen nicht in die Heilkunde und wähle etwas von einer Heilbehandlung Verschiedenes, wenngleich auch von diesem Weg Genesung erhofft werde. Je weiter sich das Erscheinungsbild des Heilers von einer medizinischen Behandlung entferne, desto geringer werde das Gefährdungspotential, das im vorliegenden Zusammenhang alleine geeignet sei, die Erlaubnispflicht nach dem HeilPraktG auszulösen.“

Diese Auffassung verdient uneingeschränkte Zustimmung.

(2) Richtiger Anknüpfungspunkt für die Definition des „Ausübens der Heilkunde“ ist vielmehr die generelle Gefährlichkeit der Tätigkeit des Heilenden:

„Unter die strafbewehrte Erlaubnispflicht nach § 1 Abs. 1 HeilprG fallen nur solche Behandlungen, die gesundheitliche Schäden verursachen können. Bei dem Straftatbestand des § 5 HeilprG handelt es sich um ein potentielles Gefährdungsdelikt, bei dem nur eine generelle Gefährlichkeit der konkreten Tat, nicht aber der Eintritt einer konkreten Gefahr zum Tatbestand gehört.“ (BGH NJW 2011, 3591)

Bereits das Bundesverwaltungsgericht hat es neben anderen als ein Wesensmerkmal des Begriffs „Ausübung der Heilkunde” angesehen, dass die Behandlung gesundheitliche Schädigungen verursachen kann, BVerwG NJW 1970, 1987. Damit soll dem Gesetzeszweck, der Bevölkerung einen ausreichenden Rechtsschutz gegenüber Gesundheitsgefährdungen durch Unberufene zu geben, Rechnung getragen werden. Demnach fallen heilkundliche Verrichtungen, die keine „nennenswerten“ Gesundheitsgefahren zur Folge haben können, nicht unter die Erlaubnispflicht des HeilPraktG, auch wenn sie zu ordnungsgemäßer Vornahme ärztliche Fachkenntnisse erfordern.

Die von dem Angeklagten vorgenommenen Tätigkeiten, geistliche Prüfung der Organe mittels eines Pendels sowie schlichtes Handauflegen und „Fernheilung“, können jedoch keinesfalls gesundheitliche Schäden verursachen. Zwar besteht gleichwohl eine Erlaubnispflicht im Sinne des HeilPraktG, wenn die vorgenommene Tätigkeit auch mittelbar Gesundheitsgefährdungen hervorrufen kann, etwa dadurch, dass frühzeitiges Erkennen ernster Leiden, das ärztliches Fachwissen voraussetzt, verzögert werden kann und dass die Wahrscheinlichkeit einer solchen Gefährdung nicht nur geringfügig ist . Jedoch ergibt sich sowohl aus der Einlassung des Angeklagten wie auch aus den Zeugenaussagen, dass der Angeklagte jeden seiner Patienten darauf hinwies, dass seine Tätigkeit keine schulmedizinische Behandlung ersetze. Deshalb forderte er seine Patienten stets dazu auf, deren schulmedizinische Behandlung nicht abzubrechen. Demnach liegt hier auch keine mittelbare Gesundheitsgefährdung durch die Tätigkeit des Angeklagten vor.

Darüber hinaus wird die Gefahr, notwendige ärztliche Hilfe zu versäumen, eher vergrößert, wenn geistiges Heilen als Teil der Berufsausübung von Heilpraktikern verstanden wird, BVerfG NJW-RR 2004, 705. Vorliegend beschränkt sich die Tätigkeit des Angeklagten, unabhängig von etwaigen Diagnosen, überwiegend auf das Pendeln sowie in wenigen Fällen das Handauflegen und auf „Fernheilung“, wozu ärztliche Fachkenntnisse gerade nicht erforderlich sind. Da der Angeklagte gegenüber seinen Patienten gerade nicht den Eindruck erweckt, ein geprüfter Heilpraktiker zu sein, dessen Tätigkeit eine schulmedizinische Behandlung entbehrlich machen würde, besteht demnach seitens seiner Patienten keine Erwartung auf heilkundlichen Beistand. Die Patienten erwarten vielmehr, dass er mittels seiner „geistigen Kräfte“ und somit spirituell versuche, ihnen zu helfen. Wenn auch der Angeklagte, wie sich aus seiner Einlassung ergibt, hierbei nicht aus religiösen Motiven handelt, ist seine „Behandlung“ jedoch eher vergleichbar mit einem Wunderheiler, welcher versucht, seine Patienten gesundzubeten, als mit einer schulmedizinischen Behandlung.

(3) In der Entscheidung bereits erwähnten Entscheidung NJW 2000, 1807, hat das OLG Frankfurt postuliert, Scharlatanerie und Kurpfuscherei müsse entgegengewirkt werden. Tatbestandsmäßig im Sinne § 5, § 1 HeilPraktG ist aber das (unerlaubte) Ausüben der Heilkunde, nicht aber Scharlatanerie und Kurpfuscherei.

2. Darüber hinaus ist in der Tätigkeit des Angeklagten auch kein Betrug gem. § 263 StGB zu sehen.

Bereits der objektive Tatbestand des § 263 StGB ist vorliegend nicht verwirklicht.

Hierfür fehlt es bereits an der erforderlichen Täuschungshandlung über Tatsachen.

Vorliegend gab der Angeklagte gegenüber seinen Patienten gerade nicht an, Arzt oder geprüfter und zugelassener Heilpraktiker zu sein, sodass diesbezüglich bereits eine Täuschung über Tatsachen ausscheidet.

Eine Täuschung könnte lediglich darin liegen, dass der Angeklagte damit warb und gegenüber seinen Patienten angab, Krankheiten mittels seiner „geistigen Kräfte“ heilen zu können.

Insoweit fehlt es am Täuschungsvorsatz: Der Angeklagte glaubte und glaubt an seine entsprechenden übersinnlichen Fähigkeiten.

Hinsichtlich der Inaussichtstellung von Heilung hat sich der Angeklagte nicht anders verhalten, als ein Schulmediziner, der zu Beginn der Behandlung Zuversicht verbreitet mit den Worten: „Wir bekommen das ganz leicht hin“ – und dann geht es schief. Hier handelt es sich ebenso wenig um Betrug wie beim Vorgehen des Angeklagten.

Anders gelagert sind demgegenüber Konstellationen, in denen ein „Wunderheiler“ seine Ausführungen über das Heilungsprozedere mit Tatsachen ausschmückt, die zumindest den Anschein der Wissenschaftlichkeit haben. So hatte der BGH im Jahre 2010 über einen Betrug durch den Vertrieb von unwirksamen Krebsmitteln zu entscheiden, NJW 2010/88. In jenem Fall stellten die Angeklagten ihren Patienten eine Verbesserung der Lebensqualität und Verlängerung der Überlebensdauer dadurch in Aussicht, dass sie eine wissenschaftlich hinreichend erwiesene Wirksamkeit eines Medikaments vortäuschten, obwohl ihnen bekannt war, dass wissenschaftliche Nachweise für die behaupteten positiven Wirkungen von diesem Medikament bei Krebserkrankungen nicht existierten. Als Anknüpfungspunkt für die Täuschungshandlung wurde dementsprechend die wahrheitswidrige Behauptung der Angeklagten herangezogen, es lägen wissenschaftliche Belege für den von ihnen behaupteten Wirkmechanismus des Medikaments vor. Eine vergleichbare wahrheitswidrige Behauptung seitens des Angeklagten liegt hier jedoch gerade nicht vor.

V.

Die Kosten des Verfahrens waren der Staatskasse aufzuerlegen, § 467 Absatz 1 StPO.


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