BUNDESFINANZHOF
Az.: II R 62/07
Urteil vom 09.04.2008
Leitsätze:
1. Nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO gilt ab 1. Mai 2005 auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t der von der Rechtsprechung des BFH entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Kfz zu beurteilen ist, ob ein PKW oder ein LKW vorliegt. Soweit danach § 2 Abs. 2a KraftStG die Rechtslage lediglich rückwirkend klarstellt, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes.
2. Ergibt sich in Folge der Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO eine Änderung der Bemessungsgrundlage, ist die Kraftfahrzeugsteuer gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG neu festzusetzen.
Tatbestand:
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Eigentümer eines Toyota Landcruiser (Typ J8). Das Fahrzeug hat einen Dieselmotor mit einem Hubraum von 4 164 ccm, ein zulässiges Gesamtgewicht von 2 960 kg und einschließlich des Führerplatzes fünf Sitzplätze. Es ist seit dem 30. November 1990 mit der Fahrzeug- und Aufbauart „Personenkraftwagen geschlossen“ auf den Kläger zugelassen. Umbauten an dem Fahrzeug hat der Kläger nicht vorgenommen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) stufte das Fahrzeug des Klägers mit Bescheid vom 14. Februar 2000 als „anderes Fahrzeug“ i.S. § 8 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (KraftStG) ein, unterwarf es der Gewichtsbesteuerung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG und setzte die Steuer ab dem 30. November 1997 auf jährlich 337 DM (= 172,31 EUR) fest.
Mit dem auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG gestützten Änderungsbescheid vom 21. Oktober 2005 setzte das FA die Steuer für die Zeit vom 1. Mai 2005 bis 29. November 2005 auf 921 EUR und für die Zeit ab 30. November 2005 auf jährlich 1 578 EUR neu fest. Dabei ging das FA aufgrund der durch die Siebenundzwanzigste Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 2. November 2004 (BGBl I 2004, 2772) mit Wirkung ab 1. Mai 2005 vorgenommenen Aufhebung des § 23 Abs. 6a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) davon aus, dass das Fahrzeug des Klägers ab diesem Zeitpunkt als PKW gemäß § 8 Nr. 1 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG zu besteuern sei.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) sah in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1368 veröffentlichten Urteil nicht die Änderungsvoraussetzungen des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG, sondern diejenigen des § 12 Abs. 2 Nr. 4 KraftStG als erfüllt an und vertrat die Auffassung, das Kfz sei ab 1. Mai 2005 aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit nach Bauart und Einrichtung unabhängig von der durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 21. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 3344) rückwirkend zum 1. Mai 2005 eingefügten Vorschrift des § 2 Abs. 2a KraftStG gemäß § 8 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 2 KraftStG als PKW zu besteuern.
Mit der Revision wendet sich der Kläger gegen die Beurteilung des Fahrzeugs als PKW. Die Aufhebung des früheren § 23 Abs. 6a StVZO könne diese Beurteilung nicht rechtfertigen. Die rückwirkende Einführung des § 2 Abs. 2a KraftStG sei nicht zulässig gewesen.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung und den Steuerbescheid vom 21. Oktober 2005 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
II.
Die Revision ist unbegründet. Zwar ergeben die Entscheidungsgründe eine Verletzung des bestehenden Rechts, doch stellt sich die Entscheidung selbst aus anderen Gründen als richtig dar. Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung –FGO–).
1.
Das FG hat zu Unrecht angenommen, die Rechtsgrundlage für die Neufestsetzung der Kraftfahrzeugsteuer durch Bescheid vom 21. Oktober 2005 ergebe sich aus § 12 Abs. 2 Nr. 4 KraftStG. Diese Vorschrift ist nicht anwendbar, weil die ursprüngliche Steuerfestsetzung nicht von Anfang an fehlerhaft war. Vielmehr sind ab 1. Mai 2005 in Folge der Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO Kfz (sog. Kombinationskraftwagen) mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t –wie im Streitfall– nicht mehr ohne Rücksicht auf Typ und Erscheinungsbild als LKW zu besteuern, sondern es ist neu zu entscheiden, ob ein PKW oder ein LKW vorliegt (s. unten 2.b); ergibt sich danach eine Änderung der Bemessungsgrundlage, folgt die Änderungsbefugnis aus § 12 Abs. 2 Nr. 1 KraftStG (Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 18. März 2008 II B 102/07, juris; ebenso zur Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts BFH-Urteil vom 31. März 1998 VII R 116/97, BFHE 185, 511, BStBl II 1998, 487).
2.
Die Vorentscheidung ist gleichwohl nicht aufzuheben, weil sie sich im Ergebnis als richtig erweist. Das FG ist nämlich in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, beim streitgegenständlichen Kfz handele es sich um einen PKW i.S. des § 8 Nr. 1 KraftStG.
a) PKW sind solche Kfz, die nach ihrer Bauart und Ausstattung zur Beförderung von nicht mehr als neun Personen (einschließlich Fahrer) geeignet und bestimmt sind (§ 4 Abs. 4 Nr. 1 des Personenbeförderungsgesetzes). Diese Definition ist maßgebend für die Einordnung eines Kfz als PKW (BFH-Urteil vom 1. August 2000 VII R 26/99, BFHE 194, 257, BStBl II 2001, 72; BFH-Beschluss vom 21. August 2006 VII B 333/05, BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721). Auf die Einwände des FG gegen diese Rechtsprechung braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht eingegangen zu werden. Denn das FG folgt für die im Streitfall entscheidungserhebliche Rechtsfrage, wie PKW gegen LKW abzugrenzen sind, der Rechtsprechung des BFH.
b) Nach Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO gilt auch für Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 2,8 t der von der Rechtsprechung des BFH entwickelte Grundsatz, dass anhand von Bauart und Einrichtung des Kfz zu beurteilen ist, ob ein PKW oder ein LKW vorliegt (vgl. m.w.N. BFH-Beschluss vom 13. April 2007 IX B 14/07, BFH/NV 2007, 1352). Hierzu obliegt es dem FG als Tatsacheninstanz, unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Merkmale die objektive Beschaffenheit des jeweiligen Fahrzeugs zu bewerten. Als für die Einstufung relevante Merkmale zu berücksichtigen sind z.B. die Zahl der Sitzplätze, die verkehrsrechtlich zulässige Zuladung, die Größe der Ladefläche, die Ausstattung mit Sitzbefestigungspunkten und Sicherheitsgurten, die Verblechung der Seitenfenster, die Beschaffenheit der Karosserie und des Fahrgestells, die Motorisierung und die damit erreichbare Höchstgeschwindigkeit, das äußere Erscheinungsbild und bei Serienfahrzeugen die Konzeption des Herstellers. Kein Merkmal von Bauart und Einrichtung des Kfz kann dabei als von vornherein alleinentscheidend angesehen werden, mag auch einzelnen Merkmalen ein besonderes Gewicht zukommen und eine Zuordnung als PKW oder LKW nahelegen (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 1352; vom 22. Februar 2007 IX B 221/06, BFH/NV 2007, 1714; vom 30. November 2006 VII B 209/06, nicht veröffentlicht; vom 7. November 2006 VII B 96/06, BFH/NV 2007, 783; vom 25. Oktober 2006 VII B 263/06, BFH/NV 2007, 766; vom 26. Oktober 2006 VII B 136/06, BFH/NV 2007, 773; in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721). Die Einstufung des Kfz durch die Verkehrsbehörde hat dagegen kraftfahrzeugsteuerrechtlich keine Bindungswirkung (BFH-Beschlüsse in BFHE 213, 281, BStBl II 2006, 721; in BFH/NV 2007, 773, und in BFH/NV 2007, 783).
c) Das FG hat seiner Würdigung, dass es sich beim streitgegenständlichen Kfz um einen PKW handele, das Gesamtbild der Verhältnisse zu Grunde gelegt. An diese Tatsachenwürdigung ist der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden; sie lässt im Revisionsverfahren beachtliche Rechtsfehler, insbesondere Verstöße gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, nicht erkennen.
aa) Der Einwand des Klägers, das FG habe zu Unrecht nicht darauf abgestellt, dass durch bloßes Umklappen der Rücksitzbank die Ladefläche vergrößert werden könne, geht fehl. Das Erscheinungsbild eines Kfz wird durch die Möglichkeit, die Rücksitzbank umzuklappen, nicht entscheidend geprägt (BFH-Beschluss vom 22. Dezember 2003 VII B 65/03, BFH/NV 2004, 536). Der Kläger verkennt zudem die Rechtslage, wenn er meint, ein Ausbau der Sitzbank sei nicht erforderlich und es genüge, die Sitzbank dauerhaft umgeklappt zu halten. Für die Umrüstung und Umwidmung eines PKW in einen LKW ist es vielmehr erforderlich, die Sitze auszubauen und Sitzbefestigungspunkte und Gurthalterungen auf Dauer unbrauchbar zu machen (vgl. m.w.N. BFH-Urteil vom 1. August 2000 VII R 37/99, BFH/NV 2001, 345; BFH-Beschluss vom 26. Oktober 2006 VII B 120/06, BFH/NV 2007, 503). Soweit der Kläger schließlich einwendet, das streitgegenständliche Fahrzeug werde als Zugfahrzeug eingesetzt und könne große Lasten ziehen und transportieren, verkennt er, dass es auf die Eignung und Bestimmung des Fahrzeugs ankommt, nicht jedoch auf dessen tatsächliche Verwendung (BFH-Urteil vom 5. Mai 1998 VII R 104/97, BFHE 185, 515, BStBl II 1998, 489).
bb) Soweit der Kläger sich dagegen wendet, das FG habe die Auskleidung des Gepäckraums mit Teppich als Merkmal gewürdigt, das für die Bestimmung und Eignung des Fahrzeugs zur Personenbeförderung spreche, so ist diese Schlussfolgerung nicht nur möglich, sondern sogar nahe liegend.
3.
Der angefochtene Änderungsbescheid verstößt auch nicht gegen die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Vertrauensschutzes.
a) Der Bescheid beruht, wie dargelegt, nicht auf der durch das Gesetz vom 21. Dezember 2006 rückwirkend zum 1. Mai 2005 in Kraft gesetzten Regelung des § 2 Abs. 2a KraftStG, nach der bestimmte Fahrzeuge als PKW gelten. Dieser Vorschrift kommt im Streitfall keine konstitutive, sondern allenfalls eine klarstellende Bedeutung zu (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2007, 1352). Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine bloße rückwirkende Klarstellung der Rechtslage bestehen nicht (vgl. Urteile des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 24. Juli 1968 1 BvR 537/65, BVerfGE 24, 75, 92, und des BFH vom 14. April 1986 IV R 260/84, BFHE 146, 411, BStBl II 1986, 518).
Wie die Rückwirkung des § 2 Abs. 2a KraftStG verfassungsrechtlich zu beurteilen ist, wenn sich im Einzelfall die Eigenschaft eines Fahrzeugs als PKW anders als im Streitfall nicht schon aus den bereits am 1. Mai 2005 bestehenden Bestimmungen, sondern erst aus dieser Vorschrift ergeben sollte, ist in der vorliegenden Streitsache nicht entscheidungserheblich.
b) Auf Vertrauensschutz kann sich der Kläger nicht berufen. Zwar beziehen sich die Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO und die sich unmittelbar daraus ergebenden Folgen für die Kraftfahrzeugsteuer auch auf bereits vor der Verkündung der Änderungsverordnung vom 2. November 2004 zugelassene Fahrzeuge; dabei handelt es sich jedoch um eine verfassungsrechtlich zulässige tatbestandliche Rückanknüpfung („unechte“ Rückwirkung), die unter Berücksichtigung der vergleichsweise geringen Intensität des in der Steuererhöhung liegenden Eingriffs durch die Interessen des Staates und des Gemeinwohls gerechtfertigt ist.
Die allgemeine Erwartung des Bürgers, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, ist verfassungsrechtlich nicht geschützt (BVerfG-Beschluss vom 5. Februar 2002 2 BvR 305/93 u.a., BVerfGE 105, 17, 40). Das gilt auch für den Bereich der Kraftfahrzeugsteuer (BFH-Beschluss vom 24. April 2001 VII S 6/01, BFH/NV 2001, 1303). Zwischen der Verkündung der Verordnung vom 2. November 2004 und dem Wirksamwerden der Aufhebung des § 23 Abs. 6a StVZO lagen zudem mehrere Monate, in denen sich die Steuerpflichtigen auf die neue Rechtslage einstellen konnten.
c) Bedenken unter dem Gesichtspunkt der Kontinuität der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2007 GrS 2/04, BFH/NV 2008, 651, m.w.N.) bestehen schon deshalb nicht, weil eine Änderung der maßgebenden Vorschriften einer solchen Kontinuität entgegensteht.