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Gemeinschaftliches Testament – Verfügungsbefugnis des überlebenden Ehegatten

Oberlandesgericht Hamburg, Az.: 2 W 22/17, Beschluss vom 13.02.2018

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Blankenese – Nachlassgericht – vom 22.3.2017 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 120.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Erteilung eines von der Beschwerdeführerin beantragten Testamentsvollstrecker-Zeugnisses.

Gemeinschaftliches Testament – Verfügungsbefugnis des überlebenden Ehegatten
Symbolfoto: Yastremska/Bigstock

Die Beteiligten sind die ehelichen Kinder der Erblasserin und ihres vorverstorbenen Ehemannes Herbert (G. E.). Ein fünftes gemeinsames Kind der Eheleute, (L.), litt unter dem Down-Syndrom und ist ebenfalls vorverstorben. Die Erblasserin und ihr Ehemann haben einen Ehe- und Erbvertrag vom (…) sowie drei eigenhändige gemeinschaftliche Testamente vom 21.7.1990, 8.10.1991 und 21.2.1995 errichtet.

In § 3 des Erbvertrages setzten sich die Eheleute gegenseitig als Erben und ihre (zu diesem Zeitpunkt noch nicht geborenen) Abkömmlinge stammweise zu Nacherben ein.

Durch das gemeinschaftliche Testament vom 21.7.1990 hoben die Eheleute alle bisherigen Verfügungen von Todes wegen auf und regelten weiter u.a. folgendes:

„2. Wir setzen uns hiermit gegenseitig zu alleinigen und ausschließlichen Vollerben ein. Eine Nacherbfolge findet nicht statt; die oder der Überlebende kann über das Erbe der oder des Erstversterbenden frei verfügen.

3. Schlusserben beim Tod des Überlebenden von uns und Erben von uns beiden im Falle unseres gleichzeitigen Versterbens sind unsere Kinder mit Ausnahme unserer Tochter (L.). (…)

5. [enthält Vermächtnisanordnungen für die Tochter (L.)]

6. Für die Erfüllung der Vermächtnisse ordnen wir Dauertestamentsvollstreckung an. Die gemeinsamen Testamentsvollstrecker sollen sein: (…)

9. Es ist uns bewusst, dass die Verfügungen in diesem Testament zu Lebzeiten von uns beiden einseitig nur durch notarielle Urkunde widerrufen werden können.“

Die Testamente vom 8.10.1991 und 21.2.1995 enthalten Ergänzungen zu dem Testament vom 21.7.1990, die im vorliegenden Zusammenhang nicht relevant sind.

Im Jahr 2016 führten die Beteiligten mit Blick auf die erwartete Schlusserbschaft ein im Ergebnis erfolgloses Mediationsverfahren durch. Am 15.4.2016 besuchten der Beteiligte zu 4.) und der Sohn (M.) des Beteiligten zu 3) die Erblasserin. Diese unterzeichnete während des Besuchs umfangreiche Schenkungsverfügungen zugunsten ihrer Kinder, durch die nach Darstellung der Beschwerdeführerin die Beteiligten zu 3) und 4) im Verhältnis zu den anderen Kindern bevorzugt wurden. Später – wenige Tage vor ihrem Tod – unterzeichnete die Erblasserin eine eidesstattliche Versicherung mit einer Darstellung des Ablaufs des Besuchs vom 15.4.2016.

Bereits zuvor hatte die Erblasserin durch eigenhändiges Testament vom 16.5.2016 Testamentsvollstreckung über ihren Nachlass angeordnet und die Beschwerdeführerin zur Testamentsvollstreckerin ernannt.

Durch Beschluss vom 22.3.2017 hat das Nachlassgericht den Antrag auf Erteilung des von der Beschwerdeführerin beantragten Testamentsvollstrecker-Zeugnisses zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Erblasserin wegen der Bindungswirkung der Schlusserbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament vom 21.7.1990 daran gehindert gewesen sei, die Schlusserben durch die Anordnung einer Testamentsvollstreckung zu beschweren. Wegen der Einzelheiten der Argumentation des Nachlassgerichts wird auf den Inhalt des Beschlusses vom 22.3.2017 und des Nichtabhilfebeschlusses vom 19.4.2017 verwiesen.

Gegen den Beschluss vom 22.3.2017, der der Beschwerdeführerin am 24.3.2017 zugestellt wurde, richtet sich ihre am 16.4.2017 beim Nachlassgericht eingegangene Beschwerde.

Die Beschwerdeführerin trägt vor:

Aus der Formulierung „(…) die oder der Überlebende kann über das Erbe des Erstversterbenden frei verfügen“ in dem gemeinschaftlichen Testament vom 21.7.1990 ergebe sich eine Ermächtigung des überlebenden Ehegatten zur freien Verfügung nicht nur unter Lebenden, sondern auch von Todes wegen. Dies folge aus der Verwendung des Begriffs „Erbe“, der auf eine letztwillige Verfügung abziele. Da davon auszugehen sei, dass die Eheleute vor Abfassung des Testaments von einem sehr erfahrenen Juristen beraten worden seien, müsse der Begriff „Erbe“ in seiner rechtlichen Bedeutung verstanden werden. Auch der Umstand, dass durch gemeinschaftliches Testament und nicht durch Erbvertrag testiert worden sei, spreche für die Absicht der Eheleute, sich die Testierfreiheit weitestmöglich zu erhalten. Ziel der Eheleute sei es stets gewesen, ihre Kinder zu gleichen Teilen zu bedenken. Insbesondere zu diesem Zweck, nämlich um eine einfache Teilungsmöglichkeit zu schaffen, habe der Ehemann sein früheres Unternehmen veräußert und in Geldvermögen umgewandelt. Durch die Vermögensverfügungen im Zusammenhang mit dem Besuch bei der Erblasserin am 15.4.2016 sei dieser gemeinsame Plan der Eheleute vereitelt worden.

Die Einsetzung der Beschwerdeführerin als Testamentsvollstreckerin ziele darauf ab, die gleichmäßige Teilhabe der Kinder an der Schlusserbschaft wiederherzustellen. Deshalb stehe sie bei einer an dem Willen der Erblasser orientierten Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments auch nicht mit dessen Bindungswirkung in Konflikt. Zudem stelle die Testamentsvollstreckung im Verhältnis zu den Schwierigkeiten, die die Abwicklung einer Erbengemeinschaft ohnehin mit sich bringe, keine zusätzliche Belastung dar, vielmehr werde die Auseinandersetzung eher erleichtert. Auch eine ergänzende Auslegung des Testaments führe zur Annahme eines die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers ermöglichenden Änderungsvorbehalts, da von einem entsprechenden mutmaßlichen Erblasserwillen für den Fall auszugehen sei, dass sie von der später eingetretenen Situation nach den Verfügungen im Zusammenhang mit dem Besuch vom 15.4.2016 bei Abfassung des Testaments Kenntnis gehabt hätten.

Der Beteiligte zu 2) verteidigt den Beschluss des Nachlassgerichts und weist darauf hin, dass auch die Beschwerdeführerin Schenkungen erhalten habe; um eine gleichmäßige Verteilung des Gesamtvermögens der Eltern zu erreichen, müsse diese einen Ausgleich leisten, nicht umgekehrt.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Nachlassgericht die Anordnung der Testamentsvollstreckung durch das Testament der Erblasserin vom 16.5.2016 wegen Missachtung der Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments vom 21.7.1990 für unwirksam erachtet.

Nach dem Tod eines Ehegatten kann der überlebende Ehegatte seine in einem gemeinschaftlichen Testament enthaltenen wechselbezüglichen Verfügungen nicht mehr widerrufen oder durch eine neue testamentarische Regelung einschränken (§ 2271 Abs. 2 BGB).

Bei der hier in Rede stehenden Schlusserbeneinsetzung der gemeinschaftlichen Kinder beider Ehegatten handelt es sich im Verhältnis zur Einsetzung der Ehefrau als Alleinerbin des Ehemannes um eine wechselbezügliche Verfügung im Sinne des § 2270 BGB. Dies ergibt sich bereits aus der Zweifelsregelung in § 2270 Abs. 2 Alt. 2 BGB und im vorliegenden Fall überdies daraus, dass die Eheleute in Ziff. 9 des gemeinschaftlichen Testaments auf die für wechselbezügliche Verfügungen geltende Widerrufsregelung in §§ 2271 Abs. 1, 2296 Abs. 2 BGB Bezug genommen haben.

Ein die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers ermöglichender Änderungsvorbehalt ist dem gemeinschaftlichen Testament weder ausdrücklich noch im Wege der Auslegung zu entnehmen. Soweit es in Ziff. 2 heißt, dass die oder der Überlebende über das Erbe der oder des Erstversterbenden frei verfügen könne, handelt es sich lediglich um einen Hinweis darauf, dass der überlebende Ehegatte – anders als bei der alternativ in Betracht kommenden Einsetzung des Überlebenden als Vorerben – in seiner Verfügungsbefugnis unter Lebenden nicht beschränkt werden sollte. Dies entspricht nicht nur der üblichen Auslegung entsprechender Klauseln (BayObLG, FamRZ 1985, 209; FamRZ 2002, 1434; OLG München, NJW-RR 2012, 338 m.w.N.), sondern ergibt sich im vorliegenden Fall insbesondere auch daraus, dass es sich bei der in Rede stehenden Formulierung um den zweiten Teil eines Satzes handelt, in dessen ersten Teil auf die Nichtanordnung einer Nacherbfolge hingewiesen wird. Es handelt sich bei dem zweiten Satzteil also um eine Erläuterung, die deutlich machen soll, dass den Eheleuten die rechtlichen Konsequenzen des Verzichts auf eine Vor- und Nacherbschaft, nämlich insbesondere die freie lebzeitige Verfügungsbefugnis des längerlebenden Ehegatten, bewusst waren. Diese Erläuterung war zur Verdeutlichung ihres Willens auch deshalb sinnvoll, weil die Eheleute in dem durch das Testament vom 21.7.1990 aufgehobenen Erbvertrag vom 21.6.1946 noch eine abweichende Gestaltung (Vor- und Nacherbschaft) gewählt hatten.

Anhaltspunkte für eine auch Verfügungen von Todes wegen umfassende Änderungsbefugnis des überlebenden Ehegatten lassen sich dem gemeinschaftlichen Testament hingegen nicht entnehmen. Soweit die Beschwerdeführerin meint, dass das in der Regelung enthaltene Wort „Erbe“ wegen der juristischen Beratung der Eheleute im Rechtssinne verstanden werden müsse, geht dies schon deshalb ins Leere, weil „Erbe“ im Rechtssinne eine Person, nämlich der Rechtsnachfolger des Erblassers ist (§ 1922 BGB), während sich die im Testament enthaltene Formulierung der Verfügungsbefugnis über „das Erbe“ offensichtlich nicht auf eine Person, sondern auf eine Vermögensmasse bezieht. Der Begriff wurde also gerade nicht im juristischen Sinne, sondern – wie in der Alltagssprache nicht unüblich – als Synonym für „Nachlass“ verwendet. Im Übrigen folgt allein aus der Verwendung eines erbrechtlichen Begriffs nicht, dass sich die Regelung (auch) auf Verfügungen von Todes wegen erstrecken soll. Denn mit „Erbe“ (bzw. Nachlass) wird nur die Vermögensmasse bezeichnet, auf die sich die nachfolgende Aussage zur Verfügungsbefugnis bezieht. Hingegen ergibt sich daraus nicht, zu welchen Arten von Verfügungen der überlebende Ehegatte bezüglich dieser Vermögensmasse ermächtigt werden sollte.

Ebenso wenig lässt sich aus dem Umstand herleiten, dass die Eheleute, anstatt (erneut) einen Erbvertrag abzuschließen, als Gestaltungsform ein gemeinschaftliches Testament wählten. Denn die Bindungswirkung wechselbezüglicher Bestimmungen in gemeinschaftlichen Testamenten nach dem Tod eines Ehegatten ist nicht geringer als diejenige erbvertraglicher Regelungen. Auch ergibt sich nicht allein aus der Wahl eines gemeinschaftlichen Testaments als Gestaltungsform, dass darin keine wechselbezüglichen Verfügungen getroffen werden sollten, die das Gesetz doch ausdrücklich ermöglicht. Wesentlich näher liegt die Annahme, dass die Eheleute aus anderen Gründen – etwa zur Vermeidung von Notarkosten oder wegen der schnelleren Abänderbarkeit eines privatschriftlichen Testaments – davon absahen, erneut einen Erbvertrag zu schließen.

Auch eine ergänzende Auslegung des Testaments in dem Sinne, dass der überlebende Ehegatte bei Kenntnis der inzwischen eingetretenen Gesamtsituation von den Erblassern zur Einsetzung eines Testamentsvollstreckers ermächtigt worden wäre, kommt nicht in Betracht. Dies gilt selbst dann, wenn man die Richtigkeit des Vortrages der Beschwerdeführerin unterstellt, wonach die Beteiligen zu 2 und 3) die Erblasserin zu Vermögensverfügungen unter Lebenden veranlasst haben sollen, wodurch es im Ergebnis zu einer ungleichmäßigen Teilhabe der Kinder an dem Gesamtvermögen ihrer Eltern gekommen sei. Dies folgt zum einen daraus, dass die Eheleute den Überlebenden durch die zuvor bereits besprochene Regelung ausdrücklich und ohne irgendwelche Beschränkungen zu Verfügungen unter Lebenden ermächtigt haben. Es kann also gerade nicht davon ausgegangen werden, dass die Eheleute dem Ziel der gleichmäßigen Verteilung ihres Vermögens unter den Schlusserben im Verhältnis zur Erhaltung der Verfügungsbefugnis des Überlebenden immer oder auch nur im Regelfall den Vorrang einräumen wollten. Zum anderen ist die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers bereits im Grundsatz kein geeignetes Mittel, um eine durch vorherige Verfügungen des Erblassers unter Lebenden gefährdete gleichmäßige Verteilung des Gesamtvermögens auf die Schlusserben sicherzustellen. Denn ein Testamentsvollstrecker hat die testamentarische Regelung, hier also die Gleichverteilung des tatsächlich vorhandenen Nachlasses (nicht: des lebzeitigen Gesamtvermögens der Erblasserin) auf die Schlusserben zur Ausführung zu bringen. Anderes könnte allenfalls gelten, wenn sich die lebzeitigen Verfügungen der Erblasserin als unwirksam erweisen sollten und der Testamentsvollstrecker mit Aussicht auf Erfolg Rückforderungsansprüche gegen die Zahlungsempfänger geltend machen könnte. Hierfür fehlt es jedoch – auch bei Einbeziehung des Inhalts der eidesstattlichen Versicherung der Erblasserin vom 13.8.2016 – an hinreichendem Vortrag. Unabhängig hiervon könnten entsprechende Rückforderungsansprüche auch durch die Erbengemeinschaft geltend gemacht werden. Durch Einsetzung eines Testamentsvollstreckers würde die Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen allenfalls erleichtert. Deswegen und auch mangels Fehlen sonstiger Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Erblasser kann nicht angenommen werden, dass sie, wenn sie die spätere Entwicklung vorausgeahnt hätten, gerade durch einen auf die Einsetzung eines Testamentsvollstreckers gerichteten Änderungsvorbehalt des Überlebenden reagiert hätten.

Schließlich stellt die nachträgliche Anordnung einer Testamentsvollstreckung auch eine der Bindungswirkung der wechselbezüglichen Regelungen im Testament zuwiderlaufende Beschränkung – hier: der Schlusserbeneinsetzung der Kinder – dar (OLG Köln, FamRZ 1990, 1402; BayObLG, FamRZ 1991, 111; OLG Frankfurt, WM 1993, 803). Durch Einsetzung eines Testamentsvollstreckers verlieren die Erben, wenn auch nur (bei der Abwicklungsvollstreckung) für einen begrenzten Zeitraum, die Verfügungsbefugnis über den Nachlass. Sie werden daher in ihren Rechten erheblich eingeschränkt, während Erben in einer Erbengemeinschaft in ihrer Gesamtheit voll handlungsbefugt bleiben. Der Umstand, dass es auch innerhalb einer Erbengemeinschaft im Einzelfall bei Uneinigkeit der Erben zu gegenseitigen Blockaden kommen kann, ändert nichts daran, dass die Einrichtung einer Testamentsvollstreckung eine ungleich fundamentalere Beschränkung darstellt. Da diese mit der Bindungswirkung der wechselbezüglichen Schlusserbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament nicht zu vereinbaren ist, ist die Anordnung der Testamentsvollstreckung unwirksam, so dass das beantragte Testamentsvollstreckerzeugnis nicht zu erteilen ist.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 84 FamFG, 61, 65 GNotKG. Zur Ermittlung des Verfahrenswerts wurde entsprechend der Angabe der Beschwerdeführerin im Schriftsatz vom 9.6.2017 ein Nachlasswert von 1,2 Mio. € zugrundegelegt, von dem gemäß § 65 GNotKG 10% in Ansatz zu bringen sind.

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