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Gerichtlicher Widerrufsvergleich – Erfordernis einer qualifizierten Vollstreckungsklausel

LG Koblenz – Az.: 2 T 719/10 – Beschluss vom 05.01.2011

1. Die Beschwerde wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 830,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien schlossen am 05. Februar 2009 in öffentlicher Sitzung der dritten Zivilkammer des Landgerichts Koblenz unter dem Aktenzeichen 3 O 387 / 08 folgenden Widerrufsvergleich:

1. Der Beklagte zahlt zum Ausgleich der Klageforderung an den Kläger einen Betrag von 9.500,- € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 12.05.2008 nebst 15,50 € vorgerichtlichen Mahnkosten.

2. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, den in Ziffer 1. genannten Betrag in monatlichen Raten zu je 500,00 € jeweils zum 01. eines Monats, beginnend, mit dem 01.03.2009 zu zahlen.

3. Kommt der Beklagte mit mehr als zwei Raten länger als 14 Tage in Verzug, ist der gesamte dann noch offene Betrag sofort fällig.

4. Die Parteien erhalten ein Widerrufsrecht binnen einer Woche ab dem heutigen Tag.

Kläger in diesem Prozess war der jetzige Gläubiger, Beklagter der Schuldner. Ein Widerruf wurde von keiner der Parteien gegenüber dem Gericht erklärt.

Eine Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erteilte dem Gläubiger eine Ausfertigung des Vergleiches zum Zwecke der Zwangsvollstreckung. Die Klausel trug den Wortlaut „Vorstehende Ausfertigung des Protokolls wird dem Kläger zum Zwecke der Zwangsvollstreckung erteilt.“

Der Gläubiger möchte die Vollstreckung aus dem Vergleich betreiben und beantragte mit Schriftsatz vom 27. August 2009 den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses u.a. bezüglich der Forderung aus diesem Vergleich. Dazu legte er die o.g. Ausfertigung des Vergleichs vor. Das Vollstreckungsverfahren wurde beim Amtsgericht Altenkirchen unter dem Aktenzeichen 5 M 1245 / 09 geführt. Mit Verfügung vom 03. September 2009 wies der Rechtspfleger den Gläubiger u.a. darauf hin, dass das Protokoll einer qualifizierten Klausel nach § 725 ZPO bedürfe. Mit Schriftsatz vom 31. August 2010 übersandte der Gläubiger zusätzlich zur vollstreckbaren Ausfertigung des Vergleichs eine auf den 26. November 2009 datierende Verfügung einer Justizobersekretärin … als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zum Aktenzeichen 3 O 387 / 08 des Landgerichts Koblenz mit dem Wortlaut „Vorstehende Vollstreckungsklausel wird dahingehend ergänzt: Es wird bescheinigt, dass innerhalb der Widerrufsfrist, wie im Protokoll ausgewiesen, kein Widerruf zu den Akten gereicht wurde.“ Außerdem war dem Schreiben beigefügt eine Bescheinigung der Justizobersekretärin … als Urkundsbeamtin des Landgerichts Koblenz, wonach die Wirksamkeit des Vergleichs vom 05. Februar 2009 aktenersichtlich sei. Mit Beschluss vom 10. September 2010 wies der Rechtspfleger beim Amtsgericht Altenkirchen sodann den Antrag auf Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses zurück, soweit der Gläubiger als Vollstreckungstitel eine Ausfertigung des Vergleichs vorgelegt hatte. Dazu führte er aus, es hätte einer qualifizierten Vollstreckungsklausel bedürft, die vom Rechtspfleger zu erteilen gewesen wäre, da der Widerruf nicht ausschließlich dem Gericht gegenüber zu erklären gewesen wäre.

Der Gläubiger beantragte daraufhin beim Landgericht Koblenz die Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel zum Vergleich im Verfahren 3 O 387 / 08. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 lehnte die Rechtspflegerin beim Landgericht Koblenz diesen Antrag ab und führte aus, die Wirksamkeit des Vergleichs sei aktenkundig. Es sei kein Widerruf gegenüber dem Gericht erklärt worden, außerdem befänden sich Tatsachenerklärungen beider Parteien bei den Akten, wonach der Vergleich nicht widerrufen worden sei. Deshalb sei eine Klausel nach den §§ 724, 795 b ZPO zu erteilen. Ein Fall des § 726 ZPO sei daher nicht gegeben, die Erteilung einer qualifizierten Klausel sei abzulehnen.

Mit Schriftsatz vom 12. November 2010 beantragte der Gläubiger erneut den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschluss bezüglich einer Forderung in Höhe von 8.292,98 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten aus dem Vergleich. Das Verfahren wurde diesmal unter dem Aktenzeichen 14 M 881 / 10 beim Amtsgericht Altenkirchen geführt. Mit Beschluss vom 18. November 2010 wies der Rechtspfleger beim Amtsgericht Altenkirchen den Antrag aus den Gründen des Beschlusses vom 10. September 2010 im Verfahren 5 M 1245 / 09 zurück. Gegen diese, ihm am 20. November 2010 zugestellte Entscheidung wendet sich der Gläubiger mit seiner am 02. Dezember 2010 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Zur Begründung vertrat er die Ansicht, die Wirksamkeit des Vergleiches sei „aktenersichtlich“. Es sei daher keine qualifizierte Vollstreckungsklausel erforderlich.

Mit Beschluss vom 08. Dezember 2010, auf dessen Inhalt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, half der Rechtspfleger beim Amtsgericht Altenkirchen der Beschwerde nicht ab und legte das Verfahren zur Entscheidung der Kammer vor.

Der Einzelrichter der Kammer hat das Verfahren mit Beschluss vom 20. Dezember 2010 zur Entscheidung auf die Kammer übertragen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ist zulässig, jedoch unbegründet. Der Rechtspfleger beim Amtsgericht Altenkirchen hat zu Recht den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses abgelehnt. Gem. § 726 ZPO bedarf es zur Vollstreckung aus dem Vergleich der Erteilung einer qualifizierten Klausel durch die zuständige Rechtspflegerin. Die Rechtspflegerin beim Landgericht Koblenz hat zu Unrecht die Erteilung einer solchen qualifizierten Klausel verweigert.

Entgegen der Auffassung des Gläubigers und der Rechtspflegerin beim Landgericht Koblenz findet § 795 b ZPO schon keine Anwendung auf das vorliegende Verfahren: § 795 b ZPO ist grundsätzlich nicht anwendbar bei Prozessvergleichen, deren Widerruf nicht nur gegenüber dem Gericht, sondern auch gegenüber der jeweils anderen Partei erklärt werden kann. Im vorliegenden Fall war aber das im Vergleich beiden Parteien eingeräumte Widerrufsrecht nur zeitlich, nicht aber bezüglich des Adressaten, begrenzt. Damit konnte der Widerruf sowohl gegenüber dem Gericht als auch gegenüber der jeweils anderen Partei erklärt werden. Soweit von einer Mindermeinung in der Literatur die Ansicht vertreten wird, 795 b ZPO müsse auch bei gegenüber der anderen Partei widerrufbaren Verträgen ausnahmsweise dann Anwendung finden, wenn, wie hier, beide Parteien schriftlich dem Gericht mitgeteilt haben, dass kein Widerruf erfolgt sei (so Stöber in Zöller, 28. Auflage 2010, § 795 b ZPO Rn.3), folgt die Kammer dem nicht. Der Wortlaut des § 795 b ZPO verlangt, dass die Wirksamkeit des Vergleichs ausschließlich vom Eintritt einer sich aus der Verfahrensakte ergebenden Tatsache abhängig sei. Die relevante Tatsache bei Widerrufsvergleichen ist aber die Tatsache, dass der Widerruf nicht erfolgt ist. Diese Tatsache ergibt sich nur dann aus den Akten, wenn der Widerruf nur gegenüber dem Gericht erteilt werden kann, weil nur dann das Nicht-Vorhandensein einer Widerrufserklärung in der Akte zugleich bedeutet, dass kein Widerruf erfolgt ist. Kann dagegen der Widerruf auch gegenüber der anderen Partei erklärt werden, kann sich die Tatsache, dass der Widerruf nicht erfolgt ist, nicht aus der Akte ergeben. Dass die Parteien sich in schriftlichen Erklärungen dazu geäußert haben, stellt eben nur eine Mitteilung des Eintritts der Tatsache dar, ändert nichts daran, dass sich die eigentliche Tatsache des Nicht-Widerrufs nicht direkt aus der Akte ergibt (so wohl auch Lackmann in Musielak, 7. Auflage 2009, § 795 b Rn. 2; Sandhaus in RPfleger 2008, 236 ff.; ausdrücklich Wolfsteiner in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Auflage 2007, § 795 b Rn. 1 und 2 sowie Scheuch in Prütting / Gehrlein, § 795 b Rn. 2).

Selbst, wenn man aber der Mindermeinung folgen wollte und § 795 b ZPO hier ausnahmsweise anwenden würde, würde dies nichts daran ändern, dass eine qualifizierte Klausel i.S.d. § 726 ZPO für die Vollstreckung erforderlich wäre. § 795 b bestimmt nur, dass die Vollstreckungsklausel vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erteilen ist. Über die Form der zu erteilenden Vollstreckungsklausel sagt § 795 b ZPO überhaupt nichts aus. Es handelt sich somit um eine reine Zuständigkeitsregelung. Daher ändert die Anwendung des § 795 b ZPO nichts daran, dass bei die Vollstreckungsklausel für einen Vergleich, dessen Vollstreckung vom Eintritt anderer Tatsachen als einer dem Gläubiger obliegenden Sicherheit abhängt, nur erteilt werden darf, wenn der Beweis dieser Tatsache durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden geführt wird. Sodann sind die für diesen Beweis herangezogenen Urkunden in der Klausel zu bezeichnen.

Etwas anders ergibt sich auch nicht aus der amtlichen Begründung (BR-Drucksache 550/06, S. 85 – 86): Dort ist zwar einerseits die Rede davon, dass die Regelung „in Zusammenhang mit den Vorschriften in § 724 Absatz 2“ stehe und sich der Regelungsvorschlag an § 724 Absatz 2 ZPO „anlehne“. Auch ist betont, dass die Änderung der „Beschleunigung und Effizienz“ dienen solle. Dies scheint zunächst darauf hinzudeuten, dass tatsächlich im Ergebnis § 724 ZPO angewendet werden solle statt § 726 ZPO. Andererseits wird aber in dieser Begründung immer wieder betont, dass es um die Zuständigkeit gehe und dass besagte Beschleunigung und Effizienz durch ein „ganzheitliche, effiziente und Ressourcen sparende Aufgabenerledigung“ gehen soll. Dementsprechend ist auch ausgeführt, dass vor der Gesetzesänderung in der gerichtlichen Praxis häufig § 724 Abs. 2 ZPO bei der Vollstreckbarerklärung von gerichtlichen Vergleichen angewendet worden sei, dieser Handhabung aber das Bundesarbeitsgericht widersprochen habe und nunmehr „klargestellt“ werden solle, dass der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle zuständig sei. Dies alles deutet eher darauf hin, dass der Gesetzgeber hier tatsächlich nur eine Zuständigkeitsregelung treffen wollte, (so auch Lackmann in Musielak, § 795 b Rn. 1; Sandhaus in RPfleger 2008, 236 ff; a.A. Scheuch in Prütting / Gehrlein, § 796 Rn. 3 und Stöber in Zöller, § 795 b Rn 6).

Nach all dem war die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Soweit der Gläubiger gegen dieses Ergebnis vorbringt, die vorliegende, durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle erteilte Klausel müsse ausreichen, da andernfalls der Vergleich nicht vollstreckbar wäre, geht sein Vortrag fehl. Es wird mit dieser Entscheidung weder die Wirksamkeit noch die Vollstreckbarkeit des Vergleichs in Frage gestellt. Zu entscheiden ist alleine, wer für die Klauselerteilung zuständig ist und welchen Inhalt diese haben muss. Wie oben bereits ausgeführt, hat das Landgericht Koblenz nur zu Unrecht die Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel abgelehnt. Eine solche wäre sehr wohl zu erteilen und sodann auch die Vollstreckung aus dem Vergleich möglich.

Die Entscheidung über die Kosten für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 97 ZPO. Der Beschwerdewert hat die Kammer angesichts der Tatsache, dass nur derzeit die Erteilung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses wegen einer nicht ausreichenden Klausel abgelehnt wurde, in Höhe eines Bruchteils von 10 % der zu vollstreckenden Forderung festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde war nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Soweit ersichtlich gibt es bislang keine obergerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Anwendung des § 795 b ZPO auf auch gegenüber den Parteien widerrufbare Vergleiche und zur Frage der Rechtsfolgen einer Anwendung des § 795 b ZPO.

 

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