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Gerichtssachverständiger – Haftung bei unrichtigem Gutachten

Amtsgericht München

Az: 281 C 34656/08

Urteil vom 19.11.2009


Das Amtsgericht München erläßt in dem Rechtsstreit wegen Schadenersatz im schriftlichen Verfahren (Zeitpunkt gem. § 128 ZPO: 11.11.2009) am 19.11.2009 folgendes Endurteil:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klagepartei trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger gegen den Beklagten aus dessen Tätigkeit als Sachverständiger in einem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren einen Schadensersatzanspruch hat.

Der Kläger wurde von seinen Mietern im Jahr 2003 unter dem Aktenzeichen 413 C 168 /03 vor dem Amtsgericht München verklagt und erhob Widerklage. Im Rahmen der Widerklage war streitig, ob die Mieter das Blechdach des Klägers beschädigt hatten. Das Amtsgericht wies die Widerklage durch Teilurteil ab. Die hiergegen gerichtete Berufung führte zunächst zur Zurückweisung an das Amtsgericht München. Es wurde eine Beweisaufnahme durch Einvernahme von Zeugen und durch Beauftragung des Beklagten als Sachverständigen durchgeführt. Im Gutachten führte der Beklagte unter anderem aus, dass die stochastische Verteilung der Schadstellen eher für imponderabile Verursacher aus Umwelt und Umgebung spreche und nicht zweifelsfrei für eine Verursachung durch die Bauarbeiten der damaligen Klagepartei. Der Beklagte wurde mündlich angehört und ihm wurden durch den Kläger Fragen gestellt. Der Kläger stellte keinen Antrag auf Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen. Das Amtsgericht erließ wieder ein abweisendes Teilurteil, gegen das erfolglos Berufung eingelegt wurde.

Der Kläger behauptet, das Gutachten des Beklagten sei unrichtig. Der Sachverständige habe nicht ausreichend beachtet und überhaupt nicht gewürdigt, dass die Abplatzungen der Beschichtung ausschließlich in horizontal liegenden Bereichen des Daches vorhanden waren. Bei den schadhaften Veränderungen handle es sich um einen Korrosionsangriff des Zinks, der durch alkalische Bestandteile des Mauerwerks – insbesondere von Kalkmörtel – hervorgerufen wird und zum anderen um mechanische Beschädigungen durch Begehen des Garagendachs durch die Mieter. Der Beklagte habe grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet: Er habe ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt. Der Kläger meint, einen Anspruch auf die Zahlung der Kosten eines neuen Dachs abzüglich eines Drittels zu haben. Der Kläger behauptet, im Ausgangsverfahren dem Gutachter zahlreiche Ergänzungsfragen gestellt zu haben, welche der Beklagte nicht habe beantworten können. Im weiteren Verfahrensverlauf behauptete der Kläger, der Beklagte habe vorsätzlich böswillig gehandelt. Der Kläger gab an, es sei ihm leider nicht möglich gewesen, einen Antrag auf erneute Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, da das Urteil überraschend im Anschluss an die Verhandlung verkündet worden sei, wodurch eine weitere Befragung und Anträge abgeschnitten worden seien.

Der Kläger beantragte: Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 2.884,00 nebst 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Der Beklagte beantragte: Abweisung der Klage.

Der Beklagte meint, er habe im vorbezeichneten Gutachten feststellen müssen, dass keine sichere Aussage möglich sei und Verursacher für die Abplatzungen der Beschichtung auf dem Garagendach multiple Veränderungen bzw. Ereignisse sein können. Das Gutachten sei nicht falsch und selbst unterstellt, der Beklagte hätte ein falsches Gutachten erstellt, hätte er weder grob fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt. Die alkalische Eigenschaft von Mörtel sei dem Beklagten bekannt, aber dessen Verbreitung, Dauer, Umfang etc. auf dem Garagendach durch die Mieter des Klägers bzw. dessen Handwerker sei als nicht feststehend durch das Gericht. angenommen worden und offenbar vom Kläger in den dortigen Verfahren nicht beweisbar gewesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der Sitzung vom 23.07.2009 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Soweit der Kläger meint, dem Beklagten eine vorsätzliche und böswillige Schädigung unterstellen zu können, gibt es keinen ausreichenden Sachvortrag für einen Anspruch aus § 826 BGB.

Die einzige realistisch in Betracht kommende Anspruchsgrundlage ist die Haftung des gerichtlichen Sachverständigen nach § 839 a BGB. Deren Voraussetzungen sind ein unrichtiges Gutachten, dass die Unrichtigkeit auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Sachverständigen beruht, dass das unrichtige Gutachten kausal für die gerichtliche Entscheidung war und insbesondere das es keinen Haftungsausschluss nach §§ 839 a II, 839 III BGB gibt. Hinsichtlich der Voraussetzung der Unrichtigkeit des Gutachtens ist zu beachten, dass es hierfür auch auf die vom Gericht vorgegebenen Anknüpfungstatsachen und auf die Formulierung der Beweisbehauptungen und des Beweisbeschlusses ankommt, aber hierauf ist nicht einzugehen, da jedenfalls offensichtlich der Haftungsausschluss nach §§ 839 a II, 839 III BGB greift, weshalb der Anspruch unabhängig vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der weiteren Voraussetzungen nicht besteht.

Ein Sachverständiger kann im Rahmen eines Folgeverfahrens nur in Anspruch genommen werden, wenn im Rahmen des Ausgangsverfahrens mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versucht wurde, gegen das für falsch gehaltene. Gutachten vorzugehen. Es gilt ebenso wie bei § 839 III BGB der Grundsatz des Vorrangs des Primärrechtsschutzes. Der Geschädigte ist gehalten, mit dem ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln gegen die von ihm für falsch gehaltene Entscheidung vorzugehen. Wer sich nicht gegen eine falsche Entscheidung im Ausgangsverfahren wehrt, ist mit einem. Schadensersatzanspruch im Folgeprozess ausgeschlossen. Zweck der Bestimmung ist, dass verschiedene Ansichten am besten im Ausgangsprozess geklärt werden sollen und dass verhindert werden soll, das im Ausgangsverfahren die falsche Partei gewinnt mit der Folge, dass die Streitfragen im Folgeverfahren erneut aufgerollt werden müssen und dann im. zweiten Durchgang aufgrund der Rechtskraftwirkung des Ausgangsverfahrens statt zu Lasten einer Partei zu Lasten der Staatskasse. Diese für die Amtspflichtverletzung entwickelten Grundsätze gelten über § 839 a II BGB genauso für den gerichtlichen Sachverständigen.

Im vorliegenden Fall hat der Kläger im Rahmen der mündlichen Anhörung Ergänzungsfragen gestellt, aber keinen Antrag nach § 412 ZPO auf Begutachtung durch einen weiteren Sachverständigen gestellt.

Der BGH hat in den Entscheidungen vom 05.07.08, BGHZ 1173, 98 ff. und vom 28.07.2006, NJW-RR 2006, 1932 ff., ausgeführt, dass als Rechtsmittel u.a. in Betracht kommt ein formeller Beweisantrag auf Einholung eines heuen (Ober-) Gutachtens nach § 412 ZPO. Der Kläger argumentiert dahingehend, er habe durch Einlegung von Rechtsmitteln auf eine. Korrektur des seiner Meinung nach unrichtigen Sachverständigengutachtens hingewirkt. Er habe beantragt, den Sachverständigen zur Erläuterung. des Gutachtens zu laden und er habe dem Gutachter die Möglichkeit zur Korrektur in der Einvernahme gegeben und ihm mit einem Privatgutachten konfrontiert. Bei diesem Vorgehen handelt es sich. zwar auch um ein Rechtsmittel, aber dies reicht nicht aus. Der BGH benennt mehrere Rechtsmittel, aber lässt offen, ob alle versucht werden müssen. Selbst wenn man nicht der Meinung sein sollte, dass alle Rechtsmittel versucht werden müssen, obwohl hierfür der Zweck des § 839 III BGB spricht, ist zumindest zu verlangen, dass die erfolgsversprechendsten Rechtsmittel versucht werden müssen. Gegen ein für in fachlicher Hinsicht für falsch gehaltenes Gutachten ist der Antrag auf Erholung eines weiteren Gutachtens eines weiteren Sachverständigen das Mittel erster Wahl. Gerade in der vorliegenden Konstellation, in der dem Kläger bereits damals ein Privatgutachten vorlag, von dem er meint, hiermit die Unrichtigkeit des Gerichtsgutachtens belegen zu können, wäre es geradezu klassisch, ein Obergutachten zu beantragen. Der Kläger kann nicht erwarten, dass das Gericht ohne Obergutachten das Privatgutachten für überzeugender hält als das Gutachten des gerichtlich ausgewählten Sachverständigen). Ein Antrag auf Obergutachten wäre das effektivste und. das einzige Rechtsmittel mit Erfolgsaussichten gewesen. Dagegen war nicht zu erwarten, dass die eingelegte Berufung .etwas am Ergebnis ändern wird, da der eingeschränkte Prüfungsumfang nach § 529 I ZPO gilt.

Die Nichtbeantragung eines Obergutachtens unterblieb fahrlässig, da dieser Antrag einer sorgfältigen Prozessführung entsprochen hätte. Insbesondere entschuldigt den Kläger dessen Vorbringen zu einem Überraschungsurteil nicht. Nach § 311 IV ZPO ist es der gesetzlich vorgesehene Regelfall, das das Urteil in dem Termin verkündet wird, in dem die mündliche Verhandlung geschlossen wird. Selbst wenn das Amtsgericht einen Verkündungstermin festgesetzt hätte statt gleich ein Urteil zu verkünden, wäre ein Vorbringen nach § 296 a ZPO nicht mehr möglich gewesen. Es ist ein selbst unter Anwälten verbreiteter Irrtum, man könne den Zeitraum nach Schluss der mündlichen Verhandlung bis zum Verkündungstermin noch für Schriftsätze nutzen. Dem ist nicht so. Vielmehr gilt gemäß § 282 I ZPO, dass jede Partei in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so zeitig vorzubringen hat, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Der Kläger hätte den Antrag auf ein Obergutachten bereits nach Vorliegen des schriftlichen Gutachtens stellen können, spätestens aber in der mündlichen Verhandlung stellen müssen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO.

Die Entscheidung über‘ die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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