AG Bremen – Az.: 243 M 430663/14 – Beschluss vom 11.06.2014
Auf die Erinnerung des Gläubigers vom 04.03.2014 wird Herr Obergerichtsvollzieher S… angewiesen, die Zwangsvollstreckung wie im Auftrag vom 09.10.2013 erteilt unter Beachtung der Rechtsansicht des Gerichts fortzuführen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Der Gläubiger beauftragte den Obergerichtsvollzieher S… mit Vollstreckungsauftrag vom 09.10.2013 unter anderem mit der Durchführung der Sachpfändung gemäß § 808 ZPO und bezeichnete hierbei die ladungsfähige Anschrift des Schuldners.
Mit Schreiben vom 14.11.2013 versuchte der Gerichtsvollzieher gegenüber dem Schuldner die Zwangsvollstreckung zum 27.11.2013 anzukündigen. Dieses Schreiben konnte der Gerichtsvollzieher beim Schuldner nicht zustellen. Die Zustellungsurkunde des Gerichtsvollziehers wurde – offenbar von diesem persönlich – durchgestrichen. Mit Schreiben vom 05.12.2013 ersuchte der Gerichtsvollzieher die Zentrale Meldebehörde um Auskunft hinsichtlich des aktuellen Aufenthaltsorts des Schuldners. Mit Auskunftserteilung vom 16.12.2013 erhielt der Gerichtsvollzieher die Information, dass der Schuldner unter der vom Gläubiger bezeichneten Anschrift – als alleiniger Wohnsitz – weiterhin gemeldet ist. Es handelt sich bei der bezeichneten Adresse um ein Mehrparteienhaus im sogenannten Szeneviertel Bremens.
Weitere Maßnahmen zur Ausführung des Vollstreckungsauftrags unterblieben. Mit Schreiben vom 29.04.2014 teilte der Gerichtsvollzieher mit, dass der Schuldner vor Ort nicht zu ermitteln gewesen sei; weder an der Klingelleiste, noch an den Briefkästen habe sich ein Namensschild befunden. Hausbewohner seien nicht angetroffen worden. Einem vor Ort anwesenden Postzusteller sei der Schuldner nicht bekannt gewesen.
II.
Die zulässige Erinnerung hat in der Sache Erfolg (§ 766 II ZPO).
Der Gläubiger hat Vollstreckungsauftrag erteilt und seinen Auftrag nicht – in unzulässiger Weise (vgl. AG Wiesloch, DGVZ 2014, 20) – auf die Aufenthaltsermittlung beschränkt.
Der Obergerichtsvollzieher durfte die Zwangsvollstreckung mit der Begründung des unbekannten Aufenthalts des Schuldners nicht ohne Weiteres einstellen.
Bei einem Mehrfamilienhaus trifft den Gerichtsvollzieher die Pflicht zur Erkundung, ob der unter der Anschrift offiziell gemeldete Schuldner in dem Haus tatsächlich wohnhaft ist; der Gerichtsvollzieher hat insbesondere durch Befragung des Vermieters oder Hauswirts zu ermitteln, ob der Schuldner verzogen ist oder das Mietverhältnis andauert; gegebenenfalls sind Nachbarn zu befragen (AG Tettnang, DGVZ 2010, 19; AG Hannover DGVZ 1977, 26).
Zwar wird vertreten, dass der Vollstreckungsauftrag mit der Feststellung, dass der Schuldner unbekannt verzogen sei, durchgeführt wäre (vgl. AG Leipzig, DGVZ 2004, 46). Eine derartige Feststellung vermochte der Gerichtsvollzieher jedoch nicht zweifelsfrei zu treffen. Denn es wurde gerade nicht positiv ermittelt, dass unter der weiterhin aktuellen Schuldneranschrift ein neuer Mieter lebte.
Zwar kann von einem Gerichtsvollzieher angesichts des erheblichen Arbeitsaufwands nicht verlangt werden, detektivisch tätig zu werden; offenkundigen Anhaltspunkten und mühelos feststellbaren Äußerlichkeiten ist jedoch nachzugehen. Aufgrund der Einführung des § 755 ZPO n.F. besteht seit dem 01.01.2013 eine erweiterte Verpflichtung zur Aufenthaltsermittlung. Zwar formuliert § 755 ZPO Rechte des Gerichtsvollziehers („darf“); hiermit korrespondieren jedoch entsprechende Pflichten im Sinne einer pflichtgemäßen Ermessenausübung. Wenn der Gerichtsvollzieher nunmehr ermächtigt bzw. verpflichtet sein kann, die aktuelle Schuldneranschrift über bestimmte Behörden ermitteln zu lassen, so ist er erst recht berechtigt bzw. verpflichtet, die offiziell gültige Meldeadresse selbst zu überprüfen; Gründe des Datenschutzes stehen dem nicht entgegen.
Andernfalls bestünde das Risiko, dass sich jeder Schuldner denkbar einfach der Zwangsvollstreckung entziehen könnte: Er müsste lediglich seinen Namen vom Klingelschild und Briefkasten entfernen oder durch einen alias Namen (Müller, Meyer, Schulze) ersetzen. Im Gegensatz zum Gerichtsvollzieher verfügt der Gläubiger über keine staatliche Autorität; Dritte sind dem Gläubiger nicht auskunftspflichtig. Daher kann es nicht Aufgabe des – oftmals auswärtigen – Gläubigers sein, die Meldeanschrift zu überprüfen. Außerdem ist dem Gerichtsvollzieher die Person des jeweiligen Hauseigentümers/Vermieters oftmals bekannt.
Angesichts des Mietnotstands erscheint es unwahrscheinlich dass die Schuldnerwohnung leer steht; möglicherweise wird ein etwaiger Nachmieter Kenntnisse vom Verbleib des Schuldners haben, sollte dieser – wie vom Gerichtsvollzieher vermutet – tatsächlich verzogen sein. In diesem Fall dürfte der Vermieter wegen des Kautionsrückzahlungsanspruchs des Schuldners (mit neuer Absenderadresse) kontaktiert worden sein oder demnächst kontaktiert werden. Dem ist nachzugehen.