Bundesfinanzhof
Az.: VI B 1/02
Beschluss vom 26.03.2002
Vorinstanz: FG Münster
Einführung:
Nach § 3 Nr. 39 des Einkommensteuergesetzes ist Arbeitslohn aus einer geringfügigen Beschäftigung steuerbefreit (630 DM-Job), wenn der Arbeitgeber nach bestimmten Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch Sozialversicherungsbeiträge entrichten muss. Zusätzliche Voraussetzung ist aber, dass die Summe der anderen Einkünfte des Arbeitnehmers nicht positiv ist. Die Steuerfreiheit kann aber auch entfallen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb des Kalenderjahres von einer geringfügigen zu einer Teil- oder Vollzeiterwerbstätigkeit beim gleichen Arbeitgeber übergegangen ist.
Sachverhalt:
Eine Arbeitnehmerin war im laufenden Jahr 1999 bis Oktober geringfügig beschäftigt gewesen und hat danach als Halbtagskraft bei demselben Arbeitgeber bis zum Jahresende noch über 4.000 DM verdient. Damit war die Summe ihrer anderen Einkünfte positiv, was zum Wegfall der Steuerbefreiung führte.
Entscheidungsgründe:
Nach der Auslegung des Einkommenssteuergesetzes durch den Bundesfinanzhof spielt es keine Rolle, ob die Mehreinkünfte im Anschluss an eine geringfügige Beschäftigung und beim selben Arbeitgeber erzielt worden sind.
Beschluss des BFH:
Leitsatz: Die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 39 EStG entfällt auch dann, wenn die Summe der anderen Einkünfte des Arbeitnehmers deshalb positiv ist, weil innerhalb des Kalenderjahres von einer geringfügigen zu einer Teil- oder Vollzeiterwerbstätigkeit übergegangen wird.
Gründe
Bei der Einkommensteuerveranlagung 1999 der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde Arbeitslohn in Höhe von 4 214 DM einbezogen, den die Klägerin in der Zeit vom 1. April bis 31. Oktober 1999 im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung bezogen hatte und der aufgrund einer Bescheinigung nach § 39a Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gemäß § 3 Nr. 39 EStG steuerfrei ausbezahlt worden war. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt –FA–) versagte die Steuerbefreiung, weil die Klägerin vom 1. November bis 31. Dezember 1999 –beim selben Arbeitgeber nach Umwandlung in ein Teilzeitbeschäftigungsverhältnis– weitere 4 168 DM erzielt hatte, die nach Steuerklasse V dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden waren. Die Kläger sind der Auffassung, die den 4 168 DM entsprechenden Einkünfte seien keine „anderen Einkünfte“ i.S. des § 3 Nr. 39 EStG, da unter diesen Begriff nicht Einkünfte aus demselben Beschäftigungsverhältnis beim selben Arbeitgeber fielen.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 310 veröffentlichten Gründen ab.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger geltend, die Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung, ob die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 39 EStG zu versagen sei, wenn beim selben Arbeitgeber im nämlichen Jahr von einer „geringfügigen“ zu einer Halbtagsbeschäftigung übergegangen werde. Dies wird im Einzelnen dargelegt.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt bzw. offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, zuletzt Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 24. September 2001 IX B 84/01, BFH/NV 2002, 307). Das ist hier der Fall.
1. Nach § 3 Nr. 39 EStG ist das Arbeitsentgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung i.S. des § 8 Abs. 1 Nr. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IV) steuerfrei, wenn u.a. die Summe der anderen Einkünfte des Arbeitnehmers nicht positiv ist. Daraus folgt, dass die Steuerbefreiung entfällt, wenn bei dem betreffenden Arbeitnehmer zu den Einkünften aus der geringfügigen Beschäftigung andere Einkünfte hinzukommen, deren Summe positiv ist.
a) Dabei kommt es nach dem unmissverständlichen Wortlaut der Vorschrift weder darauf an, zu welcher Einkunftsart diese anderen Einkünfte gehören, noch darauf, ob sie innerhalb des Veranlagungszeitraums zeitlich vor, während oder nach dem Bezug der Einkünfte aus der geringfügigen Beschäftigung erzielt werden. Insbesondere sieht das Gesetz keine Ausnahme für solche Einkünfte vor, die im Anschluss an eine geringfügige Beschäftigung i.S. von § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV vom bisherigen Arbeitgeber für eine nicht begünstigte Beschäftigung zugewendet werden.
b) Diese nach dem Wortlaut gebotene Auslegung lässt nicht die von den Klägern nach Sinn und Zweck der Vorschrift für erforderlich gehaltene Einschränkung zu. Ziel der Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse war, „der Erosion der Finanzgrundlagen der beitragsfinanzierten Sozialversicherung entgegenzuwirken“ und „Frauen, die vor allem in diesen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, eine Option auf eine verbesserte Alterssicherung zu geben“ (BTDrucks 14/280, S. 10). Außerdem sollte die „begrenzte Steuerfreistellung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse … insbesondere auch für verheiratete und alleinstehende Frauen den Neu- und Wiederzugang in eine Berufstätigkeit fördern und erleichtern“ (BTDrucks 14/280, S. 11). Dabei wurde bereits im Allgemeinen Teil der Begründung, was die „begrenzte“ Steuerbefreiung betrifft, neben anderen Voraussetzungen auf das Erfordernis hingewiesen, dass „der Arbeitnehmer keine anderen Einkünfte erzielt“ (BTDrucks 14/280, S. 11). Dies wurde im Besonderen Teil wie folgt konkretisiert: „Die Berücksichtigung der anderen Einkünfte des Arbeitnehmers für die Frage der Steuerfreiheit dient der Gleichstellung der Bezieher von Arbeitslohn mit den Beziehern von Einkünften aus anderen Einkunftsquellen. Als andere Einkünfte sind solche i.S. des § 2 Abs. 1 zu verstehen“ (BTDrucks 14/280, S. 17).
Daraus ergibt sich unmissverständlich, dass die Steuerfreiheit für solche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die innerhalb der Geringfügigkeitsgrenze des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV bleiben, nicht nur dann entfällt, wenn Einkünfte aus anderen Einkunftsarten hinzukommen, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer andere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit hat, vorausgesetzt, die Summe der anderen Einkünfte ist positiv. Maßgebendes Kriterium ist somit nicht eine bestimmte Einkunftsart oder ein bestimmter Zuflusszeitraum, sondern die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers im Veranlagungszeitraum, die daran gemessen wird, ob andere Einkünfte als solche, die im Rahmen des § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV bleiben, einen positiven Betrag ergeben. Da der Begriff der anderen Einkünfte an § 2 Abs. 1 EStG anknüpft, gehen in den genannten Maßstab beispielsweise steuerfreie Einnahmen nicht ein, „weil sie im Rahmen der einkommensteuerlichen Einkunftsermittlung nicht erfasst werden. Das gilt ebenso für pauschal besteuerten Arbeitslohn, weil dieser bei der Einkommensteuerveranlagung nach § 40 Abs. 3 EStG außer Betracht bleibt“ (BTDrucks 14/441, S. 34). Für steuerbare Einnahmen, die weder steuerbefreit sind, noch abgeltend pauschal besteuert wurden, gilt dies nicht.
c) Den Klägern kann auch nicht darin gefolgt werden, dass ihre Auffassung von der Verwaltung, insbesondere in der Verfügung der Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt/Main vom 21. Mai 1999 -S 2533 A- 113-St II 30 (Deutsches Steuerrecht –DStR– 1999, 1767) bzw. in R 21d Abs. 1 Satz 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 2000 geteilt würde. Was die Verfügung der OFD Frankfurt (a.a.O.) betrifft, ist der hier zu beurteilende Sachverhalt des Übergangs von einer geringfügigen zu einer Halbtagsbeschäftigung nicht angesprochen. Aus dem Umstand, dass nur zu anderen Sachverhalten eine Stellungnahme abgegeben worden ist, schließen die Kläger zu Unrecht, in allen anderen Fällen werde von Steuerfreiheit ausgegangen. Entsprechendes gilt für R 21d Abs. 1 Satz 3 LStR 2000. Bereits aus der Wortwahl „hierzu gehören auch Einkünfte“ … ergibt sich, dass die Aufzählung beispielhaft, aber nicht abschließend ist. Im Übrigen wird der Rechtsstandpunkt der Kläger soweit ersichtlich auch in der Literatur nirgends vertreten.
2. Der Einbeziehung des strittigen Arbeitslohns in die Einkommensteuerveranlagung steht schließlich nicht entgegen, dass er aufgrund der vorgelegten Bescheinigung im Lohnsteuer-Abzugsverfahren zu Recht nicht erfasst worden ist. Mit Art. 10 Nr. 9 des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 388) wurde § 46 Abs. 2 a EStG (vgl. auch § 56 Abs. 1 Nr. 1 c und Nr. 2 c der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung) eingeführt, der eine Pflichtveranlagung vorsieht, wenn –wie hier– für den Steuerpflichtigen eine Bescheinigung nach § 39a Abs. 6 EStG ausgestellt worden und die Summe seiner anderen Einkünfte positiv ist. In diesem Fall wird die Steuer auf die zunächst als steuerfrei behandelten Einkünfte im Wege der Veranlagung nachgefordert.