LG Hamburg, Az.: 77 S 179/76, Urteil vom 18.05.1977
Tatbestand
Am 24. Juli 1975 gegen 21.05 Uhr befuhren der Kläger mit seinem Pkw Daimler Benz und der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw Renault R 16 die Bundesautobahn A 7 von H. kommend in Richtung F. . Der Kläger, der mit einer Geschwindigkeit von 180 bis 200 km/h auf der Überholspur fuhr, geriet bei Kilometer 38,5 bei einer Vollbremsung gegen die rechte Leitplanke.
Die Beklagte zu 2) hat mit Schreiben vom 8. Januar 1976 jegliche Schadensersatzleistung an den Kläger abgelehnt.
Der Kläger hat vorgetragen: Er sei zur Vollbremsung gezwungen worden, weil der Beklagte zu 1) zum Überholen eines mit geringer Geschwindigkeit fahrenden Wohnwagengespanns angesetzt habe, als er, der Kläger, sich nur noch in einer Entfernung von 75 bis 100 m von ihm befunden habe. Sein Pkw habe einen Wiederbeschaffungswert von 9.900,– DM gehabt. Abzüglich des erzielten Restwertes von 4.500,– DM verbleibe ein Fahrzeugschaden von – nach Rechnung des Klägers – 5.490,– DM. Außerdem seien an Mietwagenkosten 237,80 DM entstanden. Abmeldekosten und Neuzulassungskosten würden 80,– DM betragen. An Unkosten seien 20,– DM anzusetzen. Von seinem Gesamtschaden von 5.827,80 DM müßten die Beklagten ihm jedenfalls 2.900,– DM ersetzen.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 2.900,– DM nebst 4% Zinsen seit dem 8. Januar 1976 zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise Befugung.
Sie haben vorgetragen: Der Beklagte zu 1) habe das Wohnwagengespann erst über 300 m hinter der bei der Einfahrt Sch.-Nord befindlichen Kurve überholt. Zuvor habe er das linke Blinklicht an seinem Fahrzeug gesetzt und sich davon überzeugt, daß durch das Überholmanöver kein Fahrzeug gefährdet oder behindert werden könnte. Auch vor dem Ausscheren habe er sich nochmal hiervon überzeugt. Erst während des Überholvorganges sei der Kläger aus der Kurve gleichsam herausgeschossen gekommen und habe sein Fahrzeug so scharf gebremst, daß er die Gewalt hierüber verloren habe.
Der geltend gemachte Fahrzeugschaden werde bestritten. Der Kläger habe eine Besichtigung des Unfallfahrzeuges nicht ermöglicht. Von den Mietwagenkosten seien 20% wegen ersparter Eigenkosten abzusetzen. Die geltend gemachte Unkostenpauschale sei übersetzt.
Nach Beweisaufnahme hat das Amtsgericht Hamburg mit Urteil vom 26. November 1976 der Klage unter Klagabweisung im übrigen in Höhe von 2.312,08 DM nebst 4% Zinsen seit dem 8. Januar 1976 stattgegeben. Auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des amtsgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit ihrer formgerecht und fristgerecht eingelegten Berufung.
Sie wiederholen ihre tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen erster Instanz und tragen ergänzend vor:
Entgegen der Meinung des Amtsgerichts sei das Fahrverhalten des Beklagten zu 1) für den Schaden des Klägers nicht ursächlich gewesen. Denn nach den Angaben des Klägers gegenüber dem den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten wolle er vom Fahrzeug des Beklagten zu 1) noch etwa 200 m entfernt gewesen sein, als dieser zum Überholen ausgeschert sei. Bei einer solchen Entfernung hätte der Kläger sein Fahrzeug ohne besondere Schwierigkeiten in dem erforderlichen Umfang abbremsen können. Offensichtlich sei aber die Bremsanlage des klägerischen Pkw nicht in Ordnung gewesen. Das Amtsgericht sei im übrigen zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Beklagte zu 1) kurzfristig vor dem Wagen des Klägers die Spur gewechselt habe. Aus der Tatsache, daß der Kläger und sein nachfolgender Schwager gebremst hätten, könnten könnten keine Schlußfolgerungen über die Kausalität hergeleitet werden. Die Schadenshöhe werde weiter bestritten. Insbesondere könnte der Kläger bei der vom Amtsgericht vorgenommenen Abrechnung auf Reparaturbasis keine Abmeldekosten und Neuzulassungskosten beanspruchen.
Die Beklagten beantragen, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er wiederholt im wesentlichen seinen erstinstanzlichen Sachvortrag und trägt ergänzend vor:
Mit Recht habe das Amtsgericht ein Verschulden des Beklagten zu 1) an dem Unfall angenommen. Der Beklagte zu 1) habe im Bereich einer unübersichtlichen Kurve ein Überholmanöver eingeleitet, obwohl er damit habe rechnen müssen, daß Fahrzeuge mit einer erheblich höheren Geschwindigkeit auf der Überholspur herankommen könnten.
Das Berufungsgericht hat die Ermittlungsakte E 6 – 011151-3 zur Überprüfung der amtsgerichtlichen Beweisaufnahme jedoch nicht zu Beweiszwecken beigezogen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die vom Kläger eingereichten Kopien eines TÜV-Beleges vom 21. Mai 1974, eines Beleges über Inspektionsarbeiten der Firma P. vom 18. Juli 1975 an dem Unfallfahrzeug des Klägers und des Kaufantrages vom 16. Mai 1974 bezüglich des später verunglückten Wagens des Klägers Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nur teilweise begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagten lediglich Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 836,05 DM gemäß den §§ 7 StVG, 3 Pflichtversicherungsgesetz.
Entgegen der Meinung des Amtsgerichts ist das Berufungsgericht der Auffassung, daß der Kläger nicht bewiesen hat, daß den Beklagten zu 1) ein Verschulden an dem Unfall trifft. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Beklagte zu 1) in einem zu kurzen Abstand hinter der Kurve das Überholmanöver eingeleitet hat. Denn nach der polizeilichen Unfallskizze beginnt die Bremsspur des Fahrzeugs des Klägers erst in einer Entfernung von 330 m vom Ausgang der Kurve. Der Kläger war also unter Berücksichtigung der in der Reaktionszeit und Bremsansprechzeit von 0,8 Sekunden bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h durchfahrenen Strecke von 45 m bereits 285 m hinter dem Ausgang der Kurve, als er erstmals eine Gefahr für sich erkannte.
Die Beweisaufnahme hat auch nicht ergeben, daß der Beklagte zu 1) schuldhaft in einem zu kurzen Abstand vor dem Kläger zum Überholen ausgeschert ist. Das Gericht hält keine der von den Parteien und Zeugen hierzu angegebenen Entfernungsschätzungen für glaubhaft. Während der Kläger vor dem Amtsgericht die Entfernung zum Pkw des Beklagten zu 1) im Zeitpunkt von dessen Ausscheren auf 75 bis 100 m schätzte, habe er im Ermittlungsverfahren diese Entfernung gegenüber dem den Unfall aufnehmenden Polizeibeamten mit 200 m angegeben. Der Zeuge D. hat diese Entfernung auf drei bis vier Fahrzeuglängen geschätzt. Bei dieser Aussage ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Zeuge das Geschehen aus einer Entfernung von 150 m Abstand zum klägerischen Fahrzeug und aus einer Geschwindigkeit von rund 200 km/h beobachtet hat, was eine Entfernungsschätzung so erschwert, daß das Gericht erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieser Angaben hat.
Auch aus der Lage der Bremsspur 330 m hinter dem Kurvenausgang und der Länge der Bremsspur von 95 m sowie der Länge der Schrammen an der Leitplanke von 22,5 m läßt sich nicht herleiten, daß der Beklagte zu 1) schuldhaft in zu kurzem Abstand vor dem Kläger die Spur gewechselt hat. Aus den Spuren läßt sich lediglich entnehmen, wie bereits ausgeführt worden ist, daß der Kläger bei einer Entfernung von 285 m hinter der Kurve eine Gefahr erkannte. Hierbei ist jedoch offen geblieben, ob der Beklagte zu 1) in diesem Zeitpunkt erst das linke Blinklicht eingeschaltet hatte, ob er in diesem Zeitpunkt bereits nach links hinüberzog oder ob er sich schon auf der linken Spur befand. Dann ist es ebenso gut möglich, daß der Kläger sich hinsichtlich der Geschwindigkeit des Beklagten zu 1) verschätzt hatte oder erst jetzt erkannte, daß sich neben dem Beklagten zu 1) ein Wohnwagengespann befand und der Beklagte zu 1) nicht rechtzeitig vor dem Kläger wieder nach rechts hinüberfahren konnte. Es kann daher auch nicht festgestellt werden, daß das Fahrzeug des Klägers für den Beklagten zu 1) bereits zu erkennen war, als er zum Überholen ansetzte.
Dem Beklagten zu 1) kann auch nicht vorgeworfen werden, daß er den Überholvorgang nicht abbrach, als der Kläger herannahte. Da der Abstand des Beklagten zu 1) zu dem Wohnwagengespann unbekannt ist, kann nicht festgestellt werden, daß der Beklagte zu 1) gefahrlos wieder nach rechts hätte einscheren können. Auch hätte der Kläger den Beklagten zu 1) zumindest durch Betätigen der Lichthupe warnen müssen. Daß er dies getan hat, hat er nicht einmal behauptet.
Bei dieser Sachlage haben die Beklagten nur für die Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 1) einzustehen. Ebenso wie das Amtsgericht ist das Berufungsgericht auf Grund der Aussage des Zeugen D. und der Tatsache, daß ein anderer Grund für das gefährliche Bremsmanöver des Klägers nicht ersichtlich ist, der Überzeugung, daß der Kläger wegen des vom Beklagten zu 1) durchgeführten Überholmanövers gebremst hat. Die Beklagten haben nicht bewiesen, daß der Unfall für den Beklagten zu 1) unabwendbar im Sinne des § 7 Abs 2 StVG war, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß er sein Fahrzeug erst nach links lenkte, als der Kläger bereits zu dicht herangekommen war.
Auf der anderen Seite trifft den Kläger ein Verschulden an dem Unfall. Er ist nach dem Ausgang der Kurve noch rund 285 m mit einer Geschwindigkeit von 180 bis 200 km/h gefahren, obwohl er während dieser Zeit (immerhin 5 Sekunden) sehen konnte, daß rechts ein Wohnwagengespann fuhr, und er damit rechnen mußte, daß andere Fahrzeuge das langsam fahrende Gespann überholen würden. Auch mußte er davon ausgehen, daß die Bremswirkung bei seinem Wagen wegen der Erneuerung der Bremsklötze, die ausweislich der Rechnung der Firma P. vom 18. Juli 1975 erst vor dem Unfall durchgeführt worden war, vermindert war, so daß die von ihm gefahrene Geschwindigkeit ohnehin überhöht war.
Bei der Abwägung der beiderseitigen Schadensverursachungsbeiträge gemäß § 17 StVG haben sich die Beklagten nur die Betriebsgefahr eines zulässigerweise überholenden Pkw anrechnen zu lassen, während auf Seiten des Klägers bereits die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs wegen der gefahrenen hohen Geschwindigkeit erheblich höher zu bewerten ist. Berücksichtigt man weiter das Verschulden des Klägers an dem Unfall, so hält das Gericht eine Schadensteilung im Verhältnis von 80:20 zu Lasten des Klägers für angemessen.
Der Schaden am Fahrzeug des Klägers ist nach Auffassung des Gerichts auf Totalschadensbasis abzurechnen. Nach der vom Kläger eingereichten Kopie des Kaufantrages vom 16. Mai 1974 betrug der Kaufpreis des klägerischen Fahrzeugs seinerzeit 9.900,– DM einschließlich Mehrwertsteuer. Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Kläger den Wagen bis zum Unfall rund ein Jahr lang gefahren hatte, schätzt das Gericht den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs im Zeitpunkt des Unfalls auf 8.400,– DM. Wie der Zeuge P. glaubhaft angegeben hat, betrug der vom Kläger erzielte Restwert 4.500,– DM, so daß von einem Fahrzeugschaden von 3.900,– DM auszugehen ist.
Mit Recht hat das Amtsgericht von den Mietwagenkosten von 237,80 DM 20% = 47,56 DM wegen ersparter Eigenkosten des Klägers abgesetzt, so daß nur 190,24 DM Mietwagenkosten anzusetzen sind.
Den vom Kläger für die Fahrzeugummeldung in Ansatz gebrachten Betrag von 80,– DM hält das Gericht ebenso wie das Amtsgericht für angemessen.
An pauschalen Unkosten ist dagegen nach Auffassung des Berufungsgerichts mangels Nachweises höherer Kosten nur die übliche Pauschale von 10,– DM anzusetzen.
Demnach ergibt sich folgende Schadensabrechnung:
Fahrzeugschaden 3.900,– DM
Mietwagenkosten 190,24 DM
Ummeldekosten 80,– DM
Unkostenpauschale 10,– DM
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insgesamt: 4.180,24 DM.
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Hiervon haben die Beklagten 20% = 836,05 DM zu erstatten.
Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 284, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92, 97 ZPO.