OLG Hamm
Az: 3 Ss OWi 1010/02
Beschluss vom: 25.02.2003
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 17. Mai 2002 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 25.02.2003 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herford zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung und fahrlässigen Nichtmitführens des Führerscheins zu einer Geldbuße von 80,- € verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 17. Juli 2001 um 00:08 Uhr mit einem PKW außerhalb geschlossener Ortschaft im Bereich der Stadt Löhne die B 61 in Richtung der BAB 30. In Höhe der Straße „Auf dem Keile“, wo durch mehrfach aufgestellte Verkehrszeichen die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkt war, wurde die Geschwindigkeit des Fahrzeugs mit einem ordnungsgemäß bedienten und arbeitenden Messgerät der Marke Multanova 6 F gemessen. Die Messung ergab einen Wert von 115 km/h. Auf der Grundlage dieser Messung ist das Amtsgericht von einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 110 km/h ausgegangen. Bei der Bemessung der dem Betroffenen anzulastenden Geschwindigkeitsüberschreitung hat das Amtsgericht anstelle der bei Radarmessungen allgemein angewandten, auch von der Rechtsprechung fortgeschriebenen, Messtoleranz von 3 % des gemessenen Wertes bei Geschwindigkeiten über 100 km/h, die im vorliegenden Fall 3,45 km/h und zugunsten des Betroffenen aufgerundet 4 km/h beträgt, eine solche von 5 km/h abgezogen. Dabei hat es sich im Wege der Mehrfachverweisung auf die eigenen Urteile vom 23. Dezember 1999 – 11 OWi 14 Js 704/99 (312/99) – und vom 4. Juni 1993 – 3 OWi 53 Js 793/92 (192/92) – auf ein von dem Sachverständigen Dr. Löhle im letztgenannten Verfahren erstattetes Gutachten vom 12. Januar 1993 berufen, in welchem dieser mit näherer Begründung ausgeführt hat, der übliche Toleranzabzug könne theoretisch dann unzureichend sein, wenn die Geschwindigkeit, wie im Fall des Betroffenen, in abfließender Verkehrsdichtung gemessen werde und die Messung ausnahmsweise erst so spät nach der Einfahrt des Fahrzeugs in den Radarstrahl erfolge, dass die von dem eingebauten Kompensationsrechner bei einer Heckmessung automatisch vorgenommene Addition von 1 % des Nennwerts zur Ermittlung einer Geschwindigkeit führe, die leicht über der tatsächlich gefahrenen liege, weswegen in diesem Fall ein zusätzlicher Toleranzabzug von 1 km/h notwendig sein könne. Wegen der von ihm auf diese Weise angenommenen Geschwindigkeitsüberschreitung um (lediglich) 40 km/h außerhalb geschlossener Ortschaft hat das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen.
Mit der hiergegen eingelegten Rechtsbeschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist, rügt die Staatsanwaltschaft Bielefeld den Zuschlag von 1 km/h zur üblichen Eichtoleranz.
II.
Das in zulässiger Weise eingelegte und begründete Rechtsmittel hat Erfolg. Der Abzug von 5 km/h von der ermittelten Geschwindigkeit ist rechtsfehlerhaft, da ein Sicherheitsabschlag von 3 % bei Messwerten über 100 km/h, d.h. hier von 4 km/h, alle möglichen Betriebsfehlerquellen ausgleicht (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 3 StVO Rdnr. 59 m.w.N.). Hierauf hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1994 – 3 Ss OWi 992/93 – (NZV 1994, 489), mit welcher er nach Zulassung der von der Staatsanwaltschaft eingelegten Rechtsbeschwerde das vom Amtsgericht für die Richtigkeit seiner Auffassung herangezogene eigene Urteil vom 4. Juni 1993 aufgehoben hatte, mit näheren Ausführungen hingewiesen. Gleichwohl hat das Amtsgericht bei seiner jetzt angefochtenen Entscheidung wiederum verkannt, dass der Sachverständige Dr. Löhle in seinem Gutachten lediglich eine rechnerisch mögliche zusätzliche Betriebsfehlerquelle aufgezeigt, ihre Übertragung auf die Praxis jedoch ausdrücklich vom Ergebnis durchzuführender Versuche abhängig gemacht hat. Wie der Senat in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1994 ausgeführt hat, haben gerade derartige Versuche jedoch die ausnahmslose Einhaltung der in der Eichordnung vorgegebenen Fehlergrenzen ergeben. Nach der Stellungnahme der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) vom 24. Juni 1993, die dem Amtsgericht ausweislich des angefochtenen Urteils bekannt ist, haben tausendfache Versuchsmessungen, die sowohl bei der Zulassungsprüfung der hier in Frage stehenden Gerätebauart zur Eichung als auch bei späteren Untersuchungen in verschiedenen Messsituationen im Vergleich mit Referenzmessgeräten durchgeführt sind, belegt, dass in der Praxis keine Werte zustande kommen, die bei gemessenen Geschwindigkeiten von über 100 km/h mehr als 3 % über dem tatsächlichen Geschwindigkeitswert liegen. An dieser gesicherten Erkenntnis hat sich bis heute nichts geändert.
Hiernach beträgt die von dem Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit 115 km/h – 4 km/h = 111 km/h. Das bedeutet, dass er die zulässige Geschwindigkeit von 70 km/h um 41 km/h überschritten hat. Der Regelfall für die Verhängung eines Fahrverbots gemäß Nr. 5.3.4 der Tabelle 1 des Anhangs zu § 2 BKatV liegt somit vor. Eine eigene Entscheidung des Senats hierzu kam allerdings nicht in Betracht, da die Urteilsfeststellungen insoweit keine ausreichende Grundlage darstellen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Dabei hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herford zurückzugeben.