Oberlandesgericht Thüringen
Az: 1 SsRs 68/11
Beschluss vom 22.08.2011
In dem Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Altenburg vom 14.02.2011 der Senat für Bußgeldsachen des Thüringer Oberlandesgerichts durch am 22. August 2011 beschlossen:
1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2. Die Sache wird nach § 80a Abs. 3 OWG dem Senat für Bußgeldsachen in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, da es geboten ist das Urteil des Amtsgerichts Altenburg vom 14.02.2011 zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.
Gründe:
Mit Urteil des Amtsgerichts Altenburg vorn 14.02.2011 wurde der Betroffene wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um km/h zu einer Geldbuße von 120,- Euro verurteilt Mit am 21.02.2011 bei Gericht eingegangenen-1 Schriftsatz seines. Verteidigers hat der Betroffene die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Nach Zustellung des mit Gründen versehener Urteils am 30,03.2011 hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers die Zulassungsrechtsbeschwerde am 28.04.2011 mit der Verletzung sachlichen Rechts begründet.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 10.05.2011 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
In dem hier gegebenen Fall der Festsetzung einer Geldbuße von 120,- € kann die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 und 2 OWiG wegen Versagung rechtlichen Gehörs, zur Fortbildung des formellen oder materiellen Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auf dem Ge biet des formellen oder materiellen Rechts zugelassen werden. Der letztgenannte Zulassungsgrund ist gegeben.
1. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs, die mittels einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge geltend zu machen wäre, wird vom Betroffenen nicht behauptet. Auch ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht zur Fortbildung des materiellen Rechts geboten, da klärungsbedürftige, entscheidungserhebliche und in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausgehende sachlich-rechtliche Fragen, die Anlass für eine Rechtsfortbildung bieten könnten, nicht erkennbar sind. Insbesondere ist in der Rechtsprechung bereits geklärt, welchen Anforderungen ein Bußgeldurteil – vor allem die darin vorgenommene tatrichterliche Beweiswürdigung – im Falle einer Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung gerecht werden muss. die mit Hilfe eines standardisierten Messverfahrens – hier mittels der grundsätzlich verschiedene Einsatzarten zulassenden Videoverkehrsüberwachungsanlage ProViDa 2000 — festgestellt worden ist (vgl. BGHSt 39: 291: Senatsbeschlüsse vom 11.08.2005, 1 Ss 216/05 und vom 08.05 2005, 1 Ss 60/05, bei juris: Göhler-Seitz, OWiG, 15. Aufl., § 71 Rn. 43f m.w.N.). Danach muss sich dem Bußgeldurteil vor allem entnehmen lassen, mit welcher Messmethode, z.B. Messung aus stehendem Polizeifahrzeug, Messung aus fahrendem Polizeifahrzeug durch Nachfahren oder Vorwegfahren mit gleichbleibendem Abstand, Weg-Zeit-Messung — die festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung ermittelt worden ist, zumal nur diese Angabe die Beurteilung erlaubt, ob der vom Tatrichter vorgenommene und ebenfalls im Urteil mitzuteilende Toleranzabzug angemessen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 08.05.2006, a,a.0.).
2. Dieser, nach ständiger Senatsrechtsprechung einzuhaltenden, Mindestanforderung wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Urteilsangaben lassen nämlich nicht erkennen, in welcher Weise die Videoüberwachungsanlage ProViDa 2000 im vorliegenden Fall zum Einsatz gekommen ist. Allenfalls kann anhand des im Urteil enthaltenen Hinweises auf die Ausstattung des Messfahrzeugs mit Sommerreifen vermutet werden, dass die vorn Betroffenen gefahrene Geschwindigkeit aus einem fahrenden und nicht aus einem stehenden Polizeifahrzeug gemessen worden ist, wobei jedoch unklar bleibt, ob dies durch Nach- oder Vorwegfahren mit wechselndem oder konstantem Ab- stand geschehen ist. Entgegen der Auffassung der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft wird dieser sachliche Urteilsmangel nicht dadurch behoben, dass das eingeholte Sachverständigengutachten, welches die verwendete Messmethode beschreibt, in den Urteilsgründen in Bezug genommen worden ist. Denn Bezugnahmen sind nur im Rahmen des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf Abbildungen zulässig. Pauschale Bezugnahmen auf den im Urteil nicht wiedergegebenen Inhalt in der Akte befindlicher Urkunden können dagegen das Fehlen wesentlicher Urteilsangaben nicht kompensieren (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 71 Rn, 42).
Dieser Mangel des Urteils rechtfertigt die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Denn es ist zu besorgen: dass das Amtsgericht die in der tatrichterlichen Praxis sehr häufig auftauchende Frage nach dem notwendigen Urteilsinhalt bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem in Thüringen ständig genutzten Messsystem ProViDa 2000 ohne ein Eingreifen des Senats auch künftig fehlerhaft beurteilen und dadurch schwer erträgliche Rechtsanwendungsunterschiede gegenüber anderen Amtsgerichten verursachen könnte.