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Geschwindigkeitsüberschreitung – fehlerhafte Identitätsfeststellung zwischen Betroffenem und Fahrer

OLG Rostock, Az.: 2 Ss(OWi) 167/04 I 100/04, Beschluss vom 10.06.2004

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Schwerin zurück verwiesen.

Gründe

I. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Amtsgericht gegen den Betroffenen wegen „fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 45 km/h“ eine Geldbuße von 150 Euro sowie – unter Anwendung des § 25 Abs. 2 a StVG – ein Fahrverbot von zwei Monaten verhängt.

Gegen diese in seiner Anwesenheit verkündete Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die er mit am selben Tag beim Amtsgericht eingegangenen Anwaltsschreiben vom 13.01.2004 eingelegt und mit weiterem Schriftsatz seines Verteidigers vom 12.03.2004 mit der Verletzung des formellen und des sachlichen Rechts begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Rechts-mittels als unbegründet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO beantragt.

II. Das statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) Rechtsmittel ist frist- und formgerecht eingelegt und – jedenfalls mit der Sachrüge – auch begründet worden, mithin zulässig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Rechtsbeschwerde-begründungsschrift bereits vor der – erst am 08.04.2004 ordnungsgemäß erfolgten – Zustellung des schriftlichen Urteils (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) an den dazu bevollmächtigten Verteidiger beim Amtsgericht ein-gegangen ist.

Die Rechtsbeschwerde hat auch – vorläufigen – Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf die allgemeine Sachrüge entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen aufgedeckt hat. Auf die – wohl un-zulässigen – Verfahrensrügen kam es daher nicht mehr an:

Das Amtsgericht hat seine Feststellung, der Betroffene sei Fahrer gewesen, nicht ohne Rechtsfehler getroffen.

1. Allerdings dient das Bußgeldverfahren nicht der Ahndung kriminellen Unrechts, sondern der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung. Es ist auf eine Vereinfachung des Verfahrensganges ausgerichtet, weshalb an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen gestellt werden (ständige Rechtsprechung des Senats, z. B. Beschlüsse vom 27.04.2001 – 2 Ss [OWi] 23/01 I 58/01 – = DAR 2001, 421 und vom 02.02.2004 – 2 Ss [OWi] 272/03 I 10/04 -; BGHSt 39, 291 [299]). Gleichwohl müssen die Feststellungsgrundlagen so klar und eindeutig mitgeteilt werden, dass dem Rechtsbeschwerde-gericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Die Beweiswürdigung ist durch das Rechts-beschwerdegericht dahingehend zu überprüfen, ob die Urteils-gründe rechtlich einwandfrei, d. h. frei von Widersprüchen, Lücken, Unklarheiten und Verstößen gegen Denkgesetze oder die gesicherte Lebenserfahrung sind und ob der Tatrichter seine Befugnis nicht willkürlich ausgeübt und die Beweise erschöpfend gewürdigt hat (BGHSt 29, 18 [20]), wobei es zu berücksichtigen hat, dass die Überlegungen und Schluss-folgerungen des Tatrichters nicht zwingend sein brauchen, es vielmehr genügt, wenn sie nach der allgemeinen Lebenserfahrung möglich sind.

Hat der Tatrichter seine Überzeugung von der Identität zwischen dem Betroffenen und der anlässlich einer Verkehrs-überwachungsmaßnahme gefertigten Lichtbildern (Beweisfoto, Videofilm) abgebildeten Person erlangt, so gilt für die Darstellung in den Urteilsgründen nach der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung (vgl. dazu BGHSt 41, 376 = NZV 1996, 157; Senatsbeschlüsse vom 24.03.03 – 2 Ss [OWi] 282/02 I 166/02 – und vom 17.12.2002 – 2 Ss [OWi] 295/02 I 172/02 -, OLG Hamm NZV 1997, 89; 2001, 89; BayObLG DAR 1998, 147; KG NZV 1998, 123; OLG Dresden DAR 2000, 279; Pfälz. OLG VRS 102, 102; vgl. auch Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 71 Rdnrn. 47 a, 47 b; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 267 Rdnrn. 8 ff.; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 267 Rdnrn. 11 ff.) folgendes:

Wird im Urteil gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG auf ein zur Identifizierung generell geeignetes Foto verwiesen, bedarf es im Regelfall keiner näheren Ausführungen. Die Bezugnahme muss dabei im Urteil deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck kommen (BGH a.a.O.; OLG Celle OLGSt § 267 StPO Nr. 7; Meyer-Goßner a.a.O. Rdnr. 8). Die Verwendung des Gesetzestextes wird dem in der Regel gerecht (OLG Düsseldorf VRS 81, 375). Dagegen genügt der bloße Hinweis, das Foto sei in der Hauptverhandlung „in Augenschein genommen“ worden, nicht (Senatsbeschluss vom 28.01.1999 – 2 Ss [OWi] 226/98 I 148/98 -; BayObLG NZV 1997, 52; OLG Dresden a.a.O.; OLG Brandenburg DAR 1998, 112; OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238; KG OLGSt § 267 StPO Nr. 9; Meyer-Goßner a.a.O.).

Voraussetzung für die Bezugnahme ist allerdings, dass sich die Abbildung bei den Akten befindet und zumindest für die Dauer des Verfahrens dort verbleibt. Nur dann ist sie – weil für das Gericht und die Verfahrensbeteiligten jederzeit einsehbar – geeignet, das Urteil zu ergänzen. Abbildungen im Besitz anderer Behörden scheiden für die Verweisung aus (Senatsbeschluss vom 17.12.2002 a.a.O.; LR-Gollwitzer, StPO, 25. Aufl., § 267 Rdnr. 16).

Ist im Falle einer ordnungsgemäß erfolgten Bezugnahme das Foto – etwa aufgrund schlechterer Bildqualität (z.B. erhebliche Unschärfe) oder aufgrund seines Inhalts – zur Identifizierung eines Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tat-richter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind um so höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die – auf dem Foto erkennbaren – charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben (BGH a.a.O.).

2. Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht.

Ausweislich der – allein maßgeblichen – schriftlichen Urteilsgründe stützt das Amtsgericht seine Überzeugung, der Betroffene sei auch der Fahrer des gemessenen PKW gewesen, auf zwei Indizien: zum Einen stehe dies „aufgrund der Videoaufzeichnung“ fest, auf der der Fahrer „über längere Sequenzen deutlich zu erkennen“ sei, wobei Körperstatur und Kopfform überein stimmten. Zum Anderen gehe das Gericht „auch von der Richtigkeit der durch die Polizeibeamten festgestellten Personalien im Fallprotokoll aus, da sich der Betroffene ausweislich der Videoaufnahme den Polizeibeamten gegenüber durch Vorlage eines Reisepasses ausgewiesen“ habe.

Damit ist die Feststellung, der Betroffene sei der Fahrer gewesen, jedoch nicht hinreichend belegt.

a) Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft darauf hin-gewiesen, dass es das Amtsgericht versäumt hat, gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V..m. § 46 Abs. 1 OWiG in prozessordnungsgemäßer Weise auf das Videoband zu verweisen, das offensichtlich in der Hauptverhandlung in Augenschein genommen worden ist. Auch lassen die Urteilsgründe eine Beschreibung der auf dem Video erkennbaren Person – mit Ausnahme der Bezeichnung ihrer Statur und des Hinweises auf die hohe breite Stirn – vermissen. Zudem befindet sich das Video nicht (mehr) bei den Akten.

Eine Nachprüfung ist dem Rechtsbeschwerdegericht daher insoweit verwehrt, das Video damit keine taugliche Grundlage für die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen.

b) Entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft wird dieser Mangel aber auch nicht dadurch geheilt, dass die Tatrichterin ihre Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen aus anderen Beweismitteln gewonnen hat.

Den Urteilsgründen könnte zwar möglicherweise noch entnommen werden, dass auf dem Video zu sehen ist, wie der Fahrer des gemessenen und angehaltenen PKW dem kontrollierenden Polizei-beamten einen Reisepass übergibt – auch wenn schwer vorstellbar ist, dass derartige Details auf der – hier wohl vor-liegenden – Videoaufzeichnung einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren noch mit der erforderlichen Deutlichkeit zu erkennen sind. Nicht mitgeteilt wird jedoch, dass und woraus sich die Übereinstimmung der Angaben in dem so vorgelegten Pass mit den Personalien und dem Erscheinungsbild des Betroffenen ergibt. Allein der Umstand, dass in dem von den Polizeibeamten aufgenommenen Fallprotokoll die Personalien des Betroffenen enthalten sind, lässt nicht den zwingenden Schluss darauf zu, dass der Betroffene auch gefahren ist. Die Tatrichterin durfte von der Identität auch nicht ohne weiteres ausgehen, zumal sie nicht mitteilt, ob „ausweislich des Videos“ ausschließlich der Fahrer des angehaltenen PKW kontrolliert wurde oder ob etwa noch andere Insassen zu erkennen waren, ob der kontrollierende Polizeibeamte das Foto in dem ihm ausgehändigten Pass mit der von ihm kontrollierten Person verglichen hat oder sonst die Identität überprüft hat und ob somit ausgeschlossen werden kann, dass in dem Fallprotokoll die Personalien einer anderen Person als der des Fahrers aufgenommen wurden. Einen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass die von Polizeibeamten anlässlich einer Verkehrskontrolle aufgenommenen und zur Akte gebrachten Personalien immer diejenigen des tatsächlichen Fahrers sind, gibt es nicht.

Hinzu kommt, dass das Fallprotokoll ausweislich des Urteils (UA S. 2) in der Hauptverhandlung zwar „auszugsweise verlesen“ wurde, wobei allerdings nicht mitgeteilt wird, welche Teile dieser Urkunde verlesen wurden. Dies diente dem Amtsgericht jedoch offensichtlich lediglich zum Beweis der Feststellung, „dass der Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen (…) mit der festgestellten überhöhten Geschwindigkeit gefahren“ sei. Damit ist schon fraglich, ob auch die in dem Fallprotokoll enthaltenen Personalien verlesen oder sonst festgestellt worden sind. Die Identität zwischen Fahrer und Betroffenen kann allein damit aber keinesfalls belegt werden.

c) Die vom Amtsgericht herangezogenen Beweismittel und ihre Würdigung im Urteil tragen daher die getroffenen Fest-stellungen nicht. Andere naheliegende Beweise, etwa die Aussagen der grundsätzlich als Zeugen zur Verfügung stehenden Polizeibeamten, hat das Gericht nicht erhoben.

3. Wegen dieser fehlerhaften Beweiswürdigung war die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurück zu verweisen.

 

 

 

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