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Geschwindigkeitsüberschreitung – Identifizierung eines Betroffenen anhand eines Messfotos

OLG Düsseldorf, Az.: IV-5 Ss (OWi) 226/03 – (OWi) 95/03 I, Beschluss vom 14.01.2004

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 16. September 2003 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Neuss zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat den Betroffenen zu 200 Euro Geldbuße und einem Monat Fahrverbot verurteilt, weil er mit seinem Pkw am Abend des 11. Juni 2002 auf der A 46 bei Neuss in einer Baustelle die zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 43 km/h vorsätzlich überschritten habe. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Sachrüge vorläufig Erfolg, weil die Beweiswürdigung unklar ist und nicht erkennen lässt, ob das Amtsgericht sich rechtsfehlerfrei von der Täterschaft des Betroffenen überzeugt hat.

1. Das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen ist allein Sache des Tatrichters. Nur er kann feststellen, ob der in der Hauptverhandlung erschienene Betroffene mit der auf einem Radarfoto abgebildeten Person identisch ist. Die Überprüfung dieser tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich versagt (BGHSt 41, 376 = NJW 1996, 1420).

2. Die Urteilsgründe müssen aber so gefaßt sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Aufgrund der Bezugnahme, die deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein muss, wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist. Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto – wie etwa ein (Front-) Radarfoto, das die einzelnen Gesichtszüge erkennen läßt – zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet ist. Weder müssen die charakteristischen Merkmale aufgelistet werden, auf die sich die Überzeugung von der Identität mit dem Betroffenen stützt, noch brauchen diese Merkmale und das Maß der Übereinstimmung beschrieben zu werden. Solche Ausführungen wären auch überflüssig und ohne Wert: Die Überprüfung, ob der Betroffene mit dem abgebildeten Fahrer identisch ist, steht dem Rechtsmittelgericht ohnehin nicht zu und wäre ihm zudem unmöglich.

3. Macht der Tatrichter von der Möglichkeit, auf das Beweisfoto zu verweisen, keinen Gebrauch, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auf-listet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird. Die Zahl der zu beschreibenden Merkmale kann dabei um so kleiner sein, je individueller sie sind und je mehr sie in ihrer Zusammensetzung geeignet erscheinen, eine bestimmte Person sicher zu erkennen. Dagegen muss die Beschreibung um so mehr Merkmale umfassen, wenn die geschilderten auf eine Vielzahl von Personen zutreffen und daher weniger aussagekräftig sind. Umstände, die eine Identifizierung erschweren können, sind ebenfalls zu schildern.

4. Die Gründe des angefochtenen Urteils enthalten weder eine wirksame Bezugnahme auf das Radarfoto im Sinne von § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Verbindung mit § 71 Abs. 1 OWiG noch eine Beschreibung, die dem Senat die Prüfung ermöglicht, ob das Foto für eine Identifizierung geeignet ist.

a) Die Bezugnahme auf das Radarfoto muss in den Urteilsgründen deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden (BGH aaO). Das muss nicht in der Weise geschehen, dass die Vorschrift des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO angeführt und ihr Wortlaut verwendet wird, obwohl diese Form der Verweisung sich als die kürzeste und deutlichste aufdrängt (OLG Hamm NStZ-RR 1998, 238 mwN). Den Gründen muss aber eindeutig zu entnehmen sein, dass nicht nur der Vorgang der Beweiserhebung beschrieben, sondern durch die entsprechenden Ausführungen das Foto zum Bestandteil der Urteilsurkunde gemacht werden soll (Senat VRS 93 [1997], 178, 180; OLG Hamm aaO). Das angefochtene Urteil verweist nicht ausdrücklich auf § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO und verwendet auch nicht den Wortlaut dieser Vorschrift. Den Gründen kann auch nicht mit hinreichender Gewissheit entnommen werden, dass das Foto durch Bezugnahme ebenso wie der Text Teil der Urteilsurkunde, gleichsam in das Urteil eingefügt sein soll. Die Angabe der Blattzahl („Fahrerfoto Bl. 3“) reicht dazu nicht aus. Damit kann auch – im Zuge der Beweiswürdigung – der Vorgang der Beweiserhebung beschrieben sein (OLG Hamm aaO; BayObLG DAR 1997, 498; OLG Dresden DAR 2000, 279; OLG Zweibrücken ZfS 2000, 513; OLG Hamm ZfS 2000, 557). Angesichts der Feststellung, „die Überzeugungsbildung des Gerichts beruht auf dem Vergleich zwischen dem Aussehen des in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen und dem Aussehen des auf dem Fahrerfoto Bl. 3 abgelichteten Fahrers“, liegt dieses Verständnis der Urteilsgründe nicht nur fern. Die spätere Formulierung, „von einer Schilderung der einzelnen Gesichtsteile des Betroffenen im Einzelnen hat das Gericht im Hinblick auf die Entscheidung des BGH in BGHSt 41, 374 abgesehen“, verweist auf die genannte Entscheidung und nicht auf einen Bestandteil der Akte.

b) Aus dem Urteil ergibt sich, dass die Person, die auf dem Radarfoto zu sehen war, eine hagere Gesichtsform und keine tiefliegenden Augen hatte (Bl. 8 o. UA). Weitere konkrete Angaben zu charakteristischen (individuellen) Merkmalen der fotografierten Person sind ihm nicht zu entnehmen. Damit ermöglichen die Urteilsgründe dem Senat nicht die Prüfung, ob das Foto für eine Identifizierung des Betroffenen geeignet war.

5. Ohne Rechtsfehler hätte das Amtsgericht seine Überzeugung, dass der Betroffene und nicht – so dessen Einlassung in der Hauptverhandlung – ein Besucher aus A. den Wagen gefahren hatte, allein damit begründen können, dass – der Betroffene Eigentümer und Halter des fotografierten Fahrzeugs war,

– das Radarfoto Bl. 3, auf das nach den genannten Vorschriften wegen der Einzelheiten verwiesen werde, einen männlichen Fahrer ähnlichen Alters und Typs zeige und

– der Betroffene in seinem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid die Tat eingeräumt habe („Ich weiß, dass ich gegen das Gesetz verstoßen habe, als ich die Geschwindigkeit überschritten habe. An dem besagten Abend war ich auf einer Geschäftsreise und wollte schnell nach Hause. Ich bedauere, mich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung gehalten zu haben“).

Das Amtsgericht hat die Feststellung, dass der Betroffene der Fahrer war, aber in erster Linie mit dessen Identifizierung anhand des Fotos begründet und nur hilfsweise („aber auch deshalb“) angeführt, dass der Betroffene die Tat eingeräumt habe. Deshalb kann der Senat nicht ausschließen, dass die Überzeugung des Amtsrichters auf einer nicht ausreichenden Beweisgrundlage beruhte.

6. Wegen des aufgezeigten Mangels ist das angefochtene Urteil nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, §§ 353, 354 Abs. 2 Satz 1 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Neuss zurückzuverweisen.

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