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Geschwindigkeitsüberschreitung: Messdatenauswertung ein privates Dienstleistungsunternehmen – Zulässigkeit

OLG Rostock, Az.: 21 Ss OWi 161/15 (B), Beschluss vom 17.11.2015

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Schwerin wird das Urteil des vormaligen Amtsgerichts Parchim vom 01.04.2015 – 5 OWi 2431/14 – mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ludwigslust – Zweigstelle Parchim – zurückverwiesen.

Gründe

I.

Geschwindigkeitsüberschreitung: Messdatenauswertung ein privates Dienstleistungsunternehmen – Zulässigkeit
Symbolfoto: Von iKap / Shutterstock.com

Der Landrat des Landkreises Ludwigslust-Parchim hat gegen den bereits vielfach verkehrsordnungsrechtlich in Erscheinung getretenen Betroffenen wegen einer am 31.01.2014 – nach Einschätzung der Verkehrsordnungsbehörde lediglich fahrlässig – begangenen Überschreitung der innerorts an der näher bezeichneten Messstelle in B. zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um vorwerfbare 40 km/h mit Bußgeldbescheid vom 31.03.2014 eine Geldbuße in Höhe von 320,00 Euro sowie das einmonatige Regelfahrverbot verhängt (Ordnungswidrigkeit gem. §§ 24, 25 StVG i.V.m. § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 StVO, Nr. 11.3.6 BKatV). Die Regelgeldbuße ist dabei wegen fünf zu berücksichtigender Voreintragungen um 160,00 Euro erhöht worden.

Auf seinen hiergegen gerichteten form- und fristgerechten Einspruch hat das Amtsgericht den Betroffenen mit Urteil vom 01.04.2015 mit der Begründung freigesprochen, die dem Verfahren zugrundeliegenden Rohmessdaten der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage seien rechtlich unzulässig von einem Privatunternehmen im Rahmen eines mit dem Landkreis abgeschlossenen Dienstleistungsvertrages ausgewertet und anschließend nur die aus den Rohdaten extrahierten Lichtbilder (Fahrzeug nebst (vergrößertem) Kennzeichen, Foto des Fahrzeugführers) und die darauf eingeblendete Datenleiste mit den Angaben zur Tatzeit, der gemessenen Geschwindigkeit und dem angewandten Messverfahren in Form einer JPEG-Datei an den Landkreis rückübermittelt und die Ausdrucke der Bilddateien dann als einziges Beweismittel in das Verfahren eingeführt worden.

Gegen das freisprechende Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Schwerin mit ihrer auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde, die von der Generalstaatsanwaltschaft mit Zuschrift vom 12.10.2015 vertreten wird. Die Verteidigung des Betroffenen ist dem Rechtsmittel mit Gegenerklärung vom 07.08.2015 entgegengetreten. Zur Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft hat sie unter dem 11.11.2015 eine Gegenäußerung abgegeben.

II.

Die statthafte und zulässig angebrachte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat mit der erhobenen Aufklärungsrüge umfassenden Erfolg, weshalb es eines Eingehens auf die weitere Verfahrensbeanstandung und auf die ebenfalls erhobene allgemeine Sachrüge nicht bedarf.

1.

Die Aufklärungsrüge genügt entgegen der Auffassung der Verteidigung noch den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Der Gesamtheit der auslegungsbedürftigen und -fähigen Rügebegründung ist zu entnehmen, dass es das Gericht zur Überzeugung der Staatsanwaltschaft rechtsfehlerhaft unterlassen hat, durch Anforderung und erneute, ggf. sachverständige Auswertung der weiterhin beim Landkreis vorhandenen Rohdaten die dem Betroffenen vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung prozessordnungsgemäß aufzuklären (Seite 5, 3. Absatz der Rechtsbeschwerdebegründung = BI. 89 d.A.; ebenso a.a.O. Seite 4 f. = BI. 88 f. d.A.), was andernfalls „sowohl auf Grundlage der konvertierten wie auch auf der Grundlage der ‚Original‘-Rohdaten (zu) eine(r) dem Tatvorwurf entsprechende(n) Verurteilung“ des Betroffen hätte führen „können und müssen“ (a.a.O. Seite 5. 2. Absatz = BI. 89 d.A.).

Damit liegen sowohl eine klare Beweisbehauptung (der Betroffene habe die ihm im Bußgeldbescheid vorgeworfene Geschwindigkeitsüberschreitung so begangen) wie auch die Bezeichnung des vom Gericht fehlerhaft nicht benutzten Beweismittels (die weiterhin vorhandenen Rohdaten und deren mögliche erneute Auswertung, notfalls durch einen Sachverständigen) vor. Auch wird das Ergebnis der unterbliebenen Beweiserhebung mit der notwendigen Bestimmtheit mitgeteilt, nämlich dass dann erwiesen worden wäre, dass sich der dem Betroffenen vorgeworfene Verkehrsverstoß im Tatsächlichen so ereignet hat wie im Bußgeldbescheid beschrieben.

Dass sich dem Gericht diese unterbliebene Beweiserhebung aufdrängen musste, ist offensichtlich. Der Senat entnimmt den ihm auf die Sachrüge hin zugänglichen Urteilsgründen, dass der Tatrichter lediglich von einem Beweisverwertungsverbot bezüglich der aufbereiteten Messdaten ausgegangen ist, weil der Landkreis die Auswertung der an der Messstelle von der Verkehrsüberwachungsanlage erhobenen Rohmessdaten „erlasswidrig“ und ohne eigene Kontrollmöglichkeit exklusiv einem privaten Dienstleistungsanbieter übertragen habe. Selbst wenn diese Rechtsauffassung zutreffen sollte, ergibt sich daraus nicht, warum das Gericht dann nicht im Rahmen seiner eigenen Verpflichtung zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 244 Abs. 2 StPO) eine erneute und dann prozessordnungsgemäße Auswertung der weiterhin vorhandenen Rohdaten mittels der dafür zugelassenen Software selbst vorgenommen oder durch sachverständige Dritte hat durchführen lassen, obwohl dies dann die einzig verbliebene Möglichkeit zur Feststellung der dem Betroffenen vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit wäre. Dass bezüglich der Rohdaten ebenfalls ein Beweiserhebungs- oder -verwertungsverbot bestünde, wird vom Tatrichter in den Urteilsgründen nicht behauptet.

2.

Die Aufklärungsrüge der Staatsanwaltschaft ist auch begründet. Aus dem Vorgesagten folgt ohne Weiteres, dass das Gericht die ihm obliegende Aufklärungspflicht verkannt und verletzt hat, worauf das freisprechende Urteil auch beruht (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 337 Abs. 1 StPO).

III.

Diese Entscheidung konnte entgegen des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft durch den Einzelrichter getroffen werden (§ 80a Abs. 1 OWiG). Das Verfahren bietet keinen Anlass, zu Fragen der richterlichen Sachaufklärungspflicht oder zur Zulässigkeit der von der Staatsanwaltschaft erhobenen Aufklärungsrüge zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung grundsätzliche Ausführungen zu machen (§ 80a Abs. 3 Satz 1 OWiG). Alle damit im Zusammenhang stehenden Rechtsprobleme sind durch die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung vielfach und ausreichend geklärt.

Eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof war aus den von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 12.10.2015 zutreffend aufgeführten Gründen nicht veranlasst, zumal über die Frage eines Beweisverwertungsverbots vom Senats derzeit nicht entschieden werden musste, weil bereits die Aufklärungsrüge durchgreift.

IV.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

1.

Die Übertragung der Auswertung der anlässlich einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme erhobenen Rohdaten an einen privaten Dienstleister, dessen Mitarbeiter von der Verwaltungsbehörde insoweit als Sachverständige oder als sachverständige Zeugen in Anspruch genommen werden (vgl. zu dieser Möglichkeit auch im verwaltungsbehördlichen Bußgeldverfahren § 46 Abs. 2 OWiG i.V.m. §§ 72 ff., § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO: „Ermittlungen jeder Art“), begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Auch in anderen Verfahrensordnungen und zur Klärung anderer Fragestellungen ist die Einschaltung von privaten Sachverständigen oftmals erforderlich und rechtlich unproblematisch. Das gilt auch, wenn es nur darum geht, bestimmte Befunde zu erheben (Tatsachenbekundung), die nur aufgrund besonderer Sachkunde (hier: Auswertung der Rohdaten mittels spezieller Software und unter Einhaltung vorgeschriebener Verfahrensweisen) und/oder mittels spezieller Technik wahrnehmbar gemacht werden können. Lediglich beispielhaft verweist der Senat auf die Entnahme und Auswertung von Blutproben zur Bestimmung der Alkoholkonzentration oder anderer toxikologischer Parameter durch – auch private – Ärzte und wissenschaftliche Institute, die nicht notwendig öffentlich-rechtlich verfasst sein müssen, und die Entnahme und molekulargenetische Untersuchung von Gewebsproben zur DNA-Identitätsfeststellung, die unter bestimmten Voraussetzungen auch durch Sachverständige nichtöffentlicher Stellen vorgenommen werden darf (§ 81f Abs. 2 Satz 4 StPO). Auch zur Auswertung sichergestellter elektronischer Datenträger oder zur Aufspürung und Sicherung bestimmter elektronisch gespeicherter Daten sowie zur Ermittlung von Beteiligten einer mittels des Internets begangenen Straftat ist die Heranziehung privater Sachverständiger rechtlich zulässig.

Ob die Tätigkeit der für derartige Aufgaben herangezogenen Sachverständigen, deren Sachkunde und Verfahrensweisen im konkreten Fall den jeweiligen wissenschaftlichen und technischen Anforderungen genügt, und ob deren Feststellungen und Bewertungen als richtig erscheinen und im weiteren Verfahren verwertbar sind, unterliegt der eigenverantwortlichen Prüfung und Kontrolle des Gerichts bzw. im Vorverfahren derjenigen der Staatsanwaltschaft oder der Verwaltungsbehörde, die erforderlichenfalls regulierend einzugreifen hat (vgl. § 78 StPO).

Wird die Auswertung von Rohdaten eines Verkehrsüberwachungsvorgangs – wie vorliegend – einem privaten Dienstleister überlassen, wird sich das Gericht und zuvor die Verfolgungsbehörde deshalb im Zweifelsfall davon zu überzeugen haben, dass diese Tätigkeit dort von ausreichend dafür geschulten und regelmäßig hinsichtlich ihrer ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung überwachten Mitarbeitern unter Einhaltung der dafür vorgeschriebenen Verfahrensweisen und mittels der im Zuge der Zulassung eines standardisierten Messverfahrens von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt genehmigten Software erfolgt. Insoweit gilt nichts anderes als für die Prüfung, ob der eigentliche Messvorgang im Straßenverkehr gemäß den dafür bestehenden rechtlichen und technischen Vorgaben durchgeführt worden ist, woran das Gericht im vorliegenden Verfahren keine Zweifel geäußert hat.

Hat sich die Verwaltungsbehörde im vorstehenden Sinne die Überzeugung davon verschafft, dass die Datenaufbereitung und -auswertung durch den privaten Anbieter ordnungsgemäß erfolgt ist, so dass Zweifel an der Richtigkeit des erzielten Resultats nicht bestehen, ist sie nicht daran gehindert, auf der Grundlage dieses für zutreffend erachteten Beweisergebnisses die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen festzustellen und ggf. entsprechenden Bußgeldbescheid zu erlassen. Erst dabei handelt es sich wieder um eine originär hoheitliche Tätigkeit, die ohne gesonderte Beleihung nicht auf Private übertragen werden darf.

Darauf, ob die Verwaltungsbehörde „erlasswidrig“ handelte, als sie die Datenaufbereitung und -auswertung einem privaten Dienstleister übertrug, kommt es entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht an. Selbst wenn diese Einschätzung zutreffen sollte, würde dies für sich genommen nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führen, weil dieser Erlass, der allein im öffentlichen Interesse der Organisation des Messvorgangs und seiner Auswertung dient, ausschließlich im Binnenverhältnis zwischen Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde Bindungswirkung entfaltet, nicht jedoch eine mit der Begründung subjektiver Rechte verbundene Außenwirkung, auf die sich ein Betroffener im Falle der Nichtbeachtung zu seinen Gunsten berufen könnte.

Dass das im Urteil geschilderte zögerliche Auskunftsverhalten der Verwaltungsbehörde während des gerichtlichen Bußgeldverfahrens keinen Einfluss auf die Verwertbarkeit der vorhandenen Messdaten als Beweismittel haben und insbesondere nicht zu einem diesbezüglichen Verwertungsverbot führen kann, bedarf keiner weiteren Ausführungen. Soweit das Gericht die Einsicht in den zwischen dem Landkreis und dem Dienstleistungsanbieter geschlossenen Vertrag für zwingend erforderlich erachtete, hätte die Möglichkeit bestanden, sich diesen mit den gesetzlich dafür vorgesehenen Ermittlungsmaßnahmen zu beschaffen. Davon wurde jedoch kein Gebrauch gemacht.

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2.

Dem in B. wohnhaften Betroffenen wird eine innerhalb B.s begangene Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um vorwerfbare 40 km/h zur Last gelegt, so dass die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung nahe liegen dürfte.

V.

Der Senat hat von der Möglichkeit des § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch gemacht und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des nunmehr örtlich zuständigen Amtsgerichts Ludwigslust – Zweigstelle Parchim – zurückverwiesen.

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