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Geschwindigkeitsüberschreitung – Fahrverbot für Arzt im Dienst?

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

Az.: 2 Ws (B) 94/01 OWiG 961. OWi

BESCHLUSS vom 14.03.2001


In der Bußgeldsache wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main – Senat für Bußgeldsachen -auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 21. November 2000 am 14. März 2001 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

Gegen den Betroffenen wird eine Geldbuße von 200,- DM verhängt. Ihm wird ferner untersagt, für die Dauer eines Monats Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.

Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Rechtskraft dieses Beschlusses (15. März 2000).

Der Betroffene hat die Kosten der Rechtsbeschwerde einschließlich seiner notwendigen Auslagen zu tragen.

Zusätzlich angewendete Vorschrift: 25 StVG.

Gründe

Das Amtsgericht Frankfurt am Main hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 400,- DM festgesetzt. Die Amtsanwaltschaft Frankfurt am Main rügt mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde die Nichtverhängung eines Fahrverbots. Das von der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main nicht vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

Nach den Feststellungen hat der Betroffene als Führer des PKW F-… am 21. Juli 2000 um 22.46 Uhr auf der A. in F. die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h unter Berücksichtigung einer Meßtoleranz von 3 km/h um 32 km/h überschritten. Den Verzicht auf die Anordnung eines Fahrverbots unter Erhöhung der Geldbuße hat das Amtsgericht im wesentlichen wie folgt begründet:

„Der Betroffene hat sich wie folgt eingelassen:

Er sei Lungenarzt, der Patient G. G. sei seit 12 Jahren in seiner ärztlichen Behandlung, leide unter Asthma, Er – Betroffener – müsse öfter Hausbesuche machen. An dem Tage, einen Freitag, sei er in der R.allee gewesen. Das Handy habe geklingelt, die Frau des Patienten G. habe angerufen: Ihrem Mann gehe es sehr schlecht, er bekomme schlecht Luft, habe einen Asthmaanfall. Er – Betroffener -sei von der R.allee sofort losgefahren, in Eile, es sei alles frei gewesen, er haben niemanden gefährdet. Gegen 23.00 Uhr sei er bei dem Patienten gewesen, habe ihm ein Mittel gespritzt. Der -Patient sei ein schwerkranker Mann, -er – Betroffener – habe es als seine Pflicht angesehen, dem Patienten in der Not zu helfen. Er habe immer seinen Arztkoffer dabei. Einen Notarztwagen habe er nicht gerufen, da er den Patienten seit langer Zeit kenne und wisse, worauf es ankomme. Er habe dem Patienten mehrere Spritzen gegeben, habe schnell bei ihm sein wollen. Er sei auf das Auto angewiesen, weil er als Arzt oft Hausbesuche machen müsse.

Die Rechtsfolgen ergeben sich aus §§ 24,25 StVG in Verbindung mit §§ 1,2 BKatV in Verbindung mit Nummer 5.3 des Bußgeldkataloges in Verbindung mit der in Bezug genommenen Tabelle la, Buchstabe c), laufende Nr. 5.3.3. Geldbuße in Höhe von 200,- DM, zusätzlich das einmonatige Fahrverbot.

Gegen den Betroffenen wurde die angemessene Geldbuße in Höhe von 400,- DM festgesetzt (§ 2 Abs.4 BKatV).

Das Fahrverbot mußte selbstverständlich in Wegfall kommen, der Betroffene handelte in einer notstandsähnlichen Situation, angesichts der von dem Betroffenen und seinem Patienten glaubhaft geschilderten Umstände kann dem Betroffenen keineswegs der Vorwurf der „groben oder beharrlichen Verletzung der. Pflichten eines, Kraftfahrzeugführers“, gemacht werden.“

Die nach § 79 Abs.1 Nr.3 OWiG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und ebenso, begründete Rechtsbeschwerde ist zulässig. Aufgrund der wirksamen Beschränkung der Rechtsbeschwerde ist der Schuldspruch rechtskräftig. Wegen der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot wird der Rechtsfolgenausspruch von der Rechtsbeschwerde allerdings in vollem Umfang erfaßt. Der Rechtsfolgenausspruch hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Zutreffend geht das Amtsgerichts zunächst davon aus, daß die in § 2 Abs.1 Nr.1 BKatV i.V.m. Nr. 5.3.3. der Tabelle 1 c des Anhangs umschriebenen Voraussetzungen für die Anordnung eines sog. Regelfahrverbots gegeben sind. Die Erfüllung dieses Tatbestands indiziert das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs.l S.1 StVG, der zugleich ein derart hohes Maß an Verantwortungslosigkeit im Straßenverkehr offenbart, daß es regelmäßig er Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vg l. BGHSt38,125,134). Die Regelungen des § 2 Abs, 1,2 BKatV sind verfasssungsgemäß (vgl. BVerfG NJW 1996,1809).

2. Die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall von dem Fahrverbot sind nach dem festgestellten Sachverhalt nicht gegeben.

a) Eine Minderung des sog. Erfolgsunwerts liegt nicht vor. Die Überschreitung der vorgegebenen Grenzwerte indiziert in objektiver Hinsicht die gesteigerte Gefährlichkeit des Verhaltens für die übrigen Verkehrsteilnehmer. Diese Vermutungswirkung kann nur durch konkrete Feststellungen widerlegt werden. Das ist nicht der Fall. Die nicht sub-stantiierte Einlassung des Betroffenen, „es sei alles frei gewesen, er habe niemanden gefährdet“, ist dafür nicht ausreichend (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 1999,477).

b) Der sog. Handlungsunwert ist ebenfalls nicht gemindert. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts handelte der Betroffene nicht unter notstandsähnlichen Umständen.

Offensichtlich ist der Betroffene – der den Patienten nach seiner Einlassung seit langer Zeit kannte – selbst nicht von einem Notfall ausgegangen, bei dem es auf jede Sekunde angekommen wäre, da er sonst den Rettungsdienst informiert hätte. Nur ein Rettungsfahrzeug hat nämlich die medizinische Ausstattung, die eine möglichst umfassende Versorgung des Patienten vor Ort ermöglicht. Außerdem stehen dem Rettungsdienst

nach § 35 Abs. 5a StVO Sonderrechte im Straßenverkehr zur Verfügung, die ein schnelles Erreichen des Patienten und eventuell dessen Verbringung in ein Krankenhaus gewährleisten. Das muß dem Betroffenen als Arzt ohne weiteres klar gewesen sein. Gleichwohl hat er sich nach seiner Einlassung – nur mit einem Arztkoffer und ohne Sondersignal -bewußt und damit vorsätzlich über die Geschwindigkeitsbegrenzung hinweggesetzt und eine Gefahrensituation für andere Verkehrsteilnehmer geschaffen, die mit einer so hohen Geschwindigkeitsüberschreitung nicht, zu rechnen brauchten, so daß Fehleinschätzungen und -reaktionen mit der Gefahr schwerer Unfälle nahelagen. Auch das konnte der Betroffene unschwer erkennen. Ihn trifft deshalb jenes gesteigerte Unwerturteil, das regelmäßig die Verhängung der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots erfordert.

c) Schließlich kann auch nicht unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit von der Anordnung eines Fahrverbots abgesehen werden. Das wäre möglich, wenn das Fahrverbot zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art, z.B. zum Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer oder zum Existenzverlust bei einem Selbständigen führen würde. Berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art sind jedoch grundsätzlich hinzunehmen. Nach der Neuregelung in § 25 Abs. 2a. StVG, wonach ein verhängtes Fahrverbot maximal 4 Monate aufgeschoben werden kann, ist bei der Frage, ob und inwieweit wirtschaftliche Nachteile für die Beurteilung der Angemessenheit und Vertretbarkeit eines Fahrverbots überhaupt von Bedeutung, sind, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen. Einem Betroffenen ist deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschluß vom 10. Januar 2001 – 2 Ws (B) 4/OI OWiG m.w.N.) grundsätzlich zuzumuten, durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen die Zeit des Fahrverbots zu überbrücken, zum Beispiel durch Inanspruchnahme von Urlaub, Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Inanspruchnahme einer Fahrgemeinschaft, Anstellen eines bezahlten Fahrers usw. Die hierdurch auftretenden finanziellen Belastungen hat der Betroffenen hinzunehmen, notfalls durch Aufnahme eines Kredits. Im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer des Fahrverbots von einem Monat bewegen sich eventuelle finanzielle Belastungen ohnehin in einem überschaubaren und grundsätzlich zumutbaren Rahmen.

Ein solcher Ausnahmefall ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts hier nicht gegeben Der Senat verkennt nicht, daß der Betroffene als Arzt zwar grundsätzlich auf ein Kraftfahrzeug angewiesen ist. Wenn er die Dauer des Fahrverbots nicht durch Urlaub überbrücken kann, muß er aber einen Fahrer anstellen oder sich eines Taxis bedienen. Die daraus resultierenden finanziellen Belastungen hat er hinzunehmen.

IV.

Es ist nicht ersichtlich, daß weitere erhebliche Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch getroffen werden könnten. Der Senat kann deshalb gemäß § 79 Abs.6 -OWiG in der Sache selbst entscheiden und die Regelsanktionen von einer Geldbuße in Höhe von 200,– DM sowie einem Fahrverbot von einem Monat verhängen.

Der Betroffene hat die Kosten des für ihn nachteilig entschiedenen Rechtsmittels einschließlich seiner notwendigen Auslagen zu tragen (§ 465 StPO).

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