Oberlandesgericht Bamberg
Az: 2 Ss OWi 835/08
Beschluss vom 16.07.2008
Das AG hat den Betr. mit Ersturteil vom 16.08.2006 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 47 km/h (Tatzeit: 07.04.2006) schuldig gesprochen. Bezüglich des Schuldspruchs ist das Urteil rechtskräftig. Auf die Rechtsbeschwerde der StA hat das OLG mit Beschluss vom 29.11.2006 das Ersturteil im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen. Mit Zweiturteil vom 24.01.2007 hat das AG den Betr. zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt; von dem im Bußgeldbescheid vom 18.05.2006 angeordneten Fahrverbot von einem Monat wegen Erfüllung eines Tatbestandes nach § 4 I 1 BKatV hat es demgegenüber wiederum abgesehen. Auf die Rechtsbeschwerde der StA hat das OLG am 28.08.2007 auch dieses Urteil aufgehoben und die Sache erneut an einen anderen Bußgeldrichter des AG zurückverwiesen. Mit Urteil vom 14.04.2008 hat das AG den Betr. zu einer Geldbuße von 100 Euro verurteilt und wiederum von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen. Die hiergegen gerichtete neuerliche Rechtsbeschwerde der StA blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
1. Aufgrund der Feststellungen des AG kam gegen den Betr. gemäß §§ 24, 25 I 1 StVG, § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c zum BKat neben einer Geldbuße von 100 Euro die Anordnung eines Fahrverbots für die Dauer von einem Monat wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht. Dies hat das AG auch nicht verkannt und rechtsfehlerfrei einen Ausnahmetatbestand zum Regelfall auf Grund eines Augenblicksversagen und das Vorliegen eines außergewöhnlichen Härtefalls verneint. Das AG hat aber von der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots gleichwohl aus Gründen des Zeitablaufs von mehr als zwei Jahren seit dem Pflichtverstoß abgesehen und hierzu u.a. ausgeführt:
„Das Fahrverbot ist als Denkzettel für nachlässige und leichtsinnige Kraftfahrer vorgesehen, um den Täter vor einem Rückfall zu warnen und ihm ein Gefühl für den zeitweisen Verlust des Führerscheins und den Verzicht auf die aktive Teilnahme am Straßenverkehr zu vermitteln. Diese Warnungs- und Besinnungsfunktion kann das Fahrverbot – auch im Hinblick auf seinen Strafcharakter – aber nur dann erfüllen, wenn es sich in einem angemessenen zeitlichen Abstand zur Tat auf den Täter auswirkt. Nach einem längeren Zeitablauf verliert der spezialpräventive Zweck eines Fahrverbotes seine eigentliche Bedeutung, so dass nur noch der Pönalisierungscharakter als Sanktionsinhalt übrig bleibt. Tatzeitpunkt war hier der 07.04.2006. Die Hauptverhandlung fand am 14.04.2008 statt. Seit dem Pflichtverstoß des Betr. sind somit mehr als 2 Jahre vergangen. Die Anordnung eines Fahrverbotes ist als Warnungs- und Besinnungsstrafe für einen über 2 Jahre zurückliegenden Pflichtverstoß jedenfalls nicht mehr geeignet. Der Zeitablauf von 2 Jahren führt hier dazu, dass das im Bußgeldbescheid verhängte Fahrverbot seinen spezialpräventiven Zweck verliert. Es bedürfte dann schon ganz besonderer Umstände für die Annahme, dass zu einer nach wie vor erforderlichen erzieherischen Einwirkung auf den Betr. die Verhängung eines Fahrverbotes neben der Regelgeldbuße unbedingt erforderlich ist. Solche besonderen Umstände sind nach Dafürhalten des Gerichtes nicht ersichtlich, zumal aktuelle Auszug aus dem VZR keine Eintragung enthält. Der Betr. hat sich weder vor dem Pflichtverstoß am 07.04.2006 noch danach eines Fehlverhaltens im Straßenverkehr schuldig gemacht, auch liegen die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereiches des Betr.. Aufgrund dieser Gesamtumstände ist ein Absehen vom Regelfahrverbot angezeigt.“
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
a) Ein Absehen vom Fahrverbot kann grundsätzlich berechtigt sein, wenn die Tat lange zurückliegt und der Betr. sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat. Denn das Fahrverbot hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (BVerfGE 27, 36/42). Das Fahrverbot kann deshalb seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden seiner Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist. Diese im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorzunehmende Ermessensabwägung ist bereits auf die Sachrüge hin zu überprüfen (BayObLG NZV 2004, 210; NZV 2004, 100; OLG Schleswig DAR 2000, 584; OLG Köln VRS 99, 212; OLG Düsseldorf VRS 99, 214; OLG Brandenburg NZV 2005, 278/279), zumal sich bereits im Hinblick auf die Tatzeit und den Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils die maßgeblichen Anhaltspunkte aus den Urteilsgründen selbst ergeben (BGH NJW 2005, 518).
b) Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum für das Tatgericht eröffnet. Dementsprechend finden sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Antworten darauf, ab wann von einem „erheblichen Zeitraum“ zwischen dem Verkehrsverstoß und seiner Ahndung ausgegangen werden kann. In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ist die Tendenz erkennbar, den Sinn des Fahrverbots in Frage zu stellen, wenn die zu ahndende Tat mehr als zwei Jahre zurückliegt (OLG Bamberg, Beschluss vom 12.11.2007 – 2 Ss OWi 580/07; BayObLG NStZ 2004, 210; NZV 2004, 100; BayObLG NStZ-RR 2004, 57; BayObLGSt 2002, 6/8 jeweils m.w.N.; OLG Naumburg ZfS 2003, 96; OLG Brandenburg NZV 2005, 278; OLG Karlsruhe NJW 2007, 2936). Hieraus kann aber keinesfalls gefolgert werden, dass bei einem mehr als zweijährigen Zeitablauf stets von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen wäre. Der Zeitrahmen von zwei Jahren führt folglich nicht automatisch zu einem Absehen von einem Fahrverbot; er ist lediglich ein Anhaltspunkt dafür, dass eine tatrichterliche Prüfung, ob das Fahrverbot seinen erzieherischen Zweck im Hinblick auf den Zeitablauf noch erfüllen kann, nahe liegt. Sie ist anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls vorzunehmen. Es ist zu berücksichtigen, worauf die lange Verfahrensdauer zurückzuführen ist, insbesondere ob hierfür maßgebliche Umstände im Einflussbereich des Betr. liegen oder Folge gerichtlicher oder behördlicher Abläufe sind (BayObLG NZV 2004, 210). Dabei kann die Ausschöpfung von Rechtsmitteln und der Gebrauch der in der StPO eingeräumten Rechte dem Betr. nicht als eine von ihm zu vertretende Verfahrensverzögerung entgegen gehalten werden (OLG Hamm NStZ-RR 2006, 25). Andererseits finden Verfahrensverzögerungen, die ein Betr. auch durch zulässiges Prozessverhalten verursacht hat, bei der Bemessung der Verfahrensverzögerung keine Berücksichtigung (BVerfG NStZ-RR 2005, 346).
c) Diesen Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung wird die Entscheidung des AG in noch ausreichendem Umfang gerecht. Hier sind zwischen der Tat und dem angegriffenen Urteil exakt 2 Jahre und 1 Woche vergangen. Der Tatrichter hat sich hier aber nicht allein auf den Zeitablauf berufen, sondern zutreffend zunächst durch Einholung eines aktuellen Auszugs aus dem Verkehrszentralregister festgestellt, dass es auf Seiten des Betr. weder vor noch nach der verfahrensgegenständlichen Tat zu einem weiteren Fehlverhalten im Straßenverkehr gekommen ist. Weiterhin hat der Tatrichter einbezogen, dass die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Verzögerungen außerhalb des Einflussbereichs des Betr. liegen. Damit wurden hier vom AG rechtsfehlerfrei gerade keine besonderen Umstände festgestellt, die den Schluss auf eine nach wie vor aus Gründen der erzieherischen Einwirkung auf den Betr. notwendige Verhängung eines Fahrverbotes neben der Regelgeldbuße erforderlich machen. Soweit der Tatrichter auf Grund dieser vorgenannten und eingehend dargelegten Gesamtumstände deshalb ein Absehen von einem Regelfahrverbot für angezeigt erachtet, hält sich dieses Ergebnis im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens und lässt keine Rechtsfehler erkennen.