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Geschwindigkeitsüberschreitung – Anforderungen an die Urteilsgründe

Oberlandesgericht Celle

Az: 322 SsBs 161/10

Beschluss vom 10.06.2010


In der Bußgeldsache wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Sulingen vom 2. Dezember 2009 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch Richter am Oberlandesgericht am 10.06.2010 beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an dieselbe Bußgeldrichterin des Amtsgerichts Sulingen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen tateinheitlich begangener vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (in einem Fall um 49 km/h außerorts, im anderen Fall um 36 km/h innerorts) zu einer Geldbuße von 175 € verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot unter Gewährung der viermonatigen Antrittsfrist gemäß § 25 Abs. 2 a StVG verhängt.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 8. Juni 2008 mit einem Pkw die Bundesstraße 61 in Sulingen in Richtung Neuenkirchen. Dabei fuhr er in einem Bereich, in dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch Verkehrszeichen auf 70 km/h begrenzt war, mit einer Geschwindigkeit von 119 km/h und wenig später in Neuenkirchen, bei Geltung der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, mit einer Geschwindigkeit von 86 km/h, was er jeweils billigend in Kauf nahm. Diese Feststellungen beruhen nach den Urteilsgründen auf der Einlassung des Betroffenen und den sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergebenden Beweismitteln.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. Das angefochtene Urteil konnte bereits deshalb keinen Bestand haben, weil sich aus ihm nicht ergibt, wie das Amtsgericht zu den getroffenen Feststellungen gelangt ist. Die Urteilsgründe teilen lediglich mit, dass die Feststellungen auf der Einlassung des Betroffenen und den sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergebenden Beweismitteln beruhen. Wie der Betroffene sich eingelassen hat und welche Beweismittel zu welchem Beweisergebnis im Einzelnen geführt haben, ergibt sich indes aus den Urteilsgründen nicht, weshalb diese den Anforderungen gemäß §§ 261, 267 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG nicht genügen, da jede Beweiswürdigung fehlt. Hinzu kommt, dass sich aus dem in Bezug genommenen Hauptverhandlungsprotokoll nicht einmal eindeutig ergibt, ob der Betroffene in der Hauptverhandlung am 2. Dezember 2009 überhaupt anwesend war. Jedenfalls hat er sich danach zur Sache nicht eingelassen und auch sonst sind in der Hauptverhandlung ausweislich des Sitzungsprotokolls keinerlei Beweise erhoben worden.

2. Die Urteilsgründen geben im Übrigen Anlass zu weiteren Anmerkungen:

a) Bei einer Geschwindigkeitsmessung mit dem als standardisiertes Messverfahren anerkannten Police-Pilot-System entspricht es der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass bei Geschwindigkeiten von mehr als 100 km/h ein Toleranzabzug von 5 %, bei Geschwindigkeiten von weniger als 100 km/h ein solcher von 5 km/h ausreicht, um sämtliche Fehlerquellen zu berücksichtigen (siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Beck/Berr, OWi-Sachen im Straßenverkehrsrecht, 5. Aufl. 2006, Rdnr. 403 a Fn. 939; Senatsbeschluss vom 17.02.2004, 222 Ss 25/04). Will das Tatgericht von diesen Toleranzwerten zu Lasten des Betroffenen abweichen, bedarf es eingehender Darlegungen, warum im konkreten Fall ausnahmsweise ein geringerer Toleranzabzug ausreichend erscheint. Unabhängig davon bedarf es in jedem Fall auch der Angabe, welche Messeinstellung („man“ oder „auto 2″) im konkreten Fall verwendet worden ist (Senatsbeschlüsse vom 21.08.2009, 322 SsBs 177/09, und vom 19.10.2009, 322 SsBs 273/09; auch OLG Jena VRS 111, 211 ff.; OLG Hamm DAR 2006, 697 f.). Auch daran fehlt es hier, zumal die Beschreibung der Messung im Urteil durch den Verweis auf den gleichbleibenden Abstand einerseits auf eine Messung in der Stellung „auto 2″, andererseits auf, eine solche in der Stellung „man“ hindeutet, weil die Geschwindigkeit mittels Wegstrecken- und Zeitzähler errechnet worden ist.

b) Die Urteilsgründe tragen auch die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise nicht. Zwar ist im Grundsatz nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht aus dem Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung Rückschlüsse auf die Schuldform des Vorsatzes gezogen hat, was bei Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um mehr als 40 % in Betracht kommt (Senatsbeschluss vom 13.10.2004, 222 Ss 197/04 – OWi; Senatsbeschluss vom 02.06.2010, 322 SsBs 154/10). Indes kann ein solcher Rückschluss nicht gezogen werden, wenn dem Betroffenen die Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung möglicherweise – etwa aus Unachtsamkeit – verborgen geblieben ist (vgl. Senatsbeschluss vom 02.07.2008, 322 SsBs 114/08). Vorliegend fehlen jedoch jegliche Feststellungen dazu, ob der Betroffene die die Geschwindigkeit begrenzenden Verkehrszeichen bemerkt hat.

c) Die Urteilsgründe belegen auch die Annahme einer tateinheitlichen Begehungsweise i. S. des § 19 Abs. 1 OWiG nicht. Regelmäßig handelt es sich bei mehreren Geschwindigkeitsüberschreitungen im Verlauf einer Fahrt nämlich um mehrere Taten im materiellen und prozessualen Sinn (siehe etwa OLG Brandenburg NZV 2006, 109; OLG Hamm DAR 2006, 697 f.). Gerade in vorliegender Konstellation (ein Verstoß innerorts, ein Verstoß außerorts, deutlich divergierende Geschwindigkeiten) liegt die Annahme von Tateinheit fern (vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 3. Januar 2001, 322 Ss 151/00 – OWi). In der neu zu treffenden Entscheidung wird das Amtsgericht in diesem Zusammenhang allerdings das Verschlechterungsverbot bei der Rechtsfolgenbemessung zu beachten haben.

d) Abschließend weist der Senat im Hinblick auf den Umstand, dass die dem Betroffenen zur Last gelegten Taten jetzt mehr als zwei Jahre zurückliegen, für die neu zu treffende Entscheidung darauf hin, dass ein Fahrverbot vorliegend seine Denkzettel- und Erziehungsfunktion verloren haben könnte, wenn der Betroffene zwischenzeitlich nicht erneut verkehrsrechtlich in Erscheinung getreten ist (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom 30.10.2009, 322 SsBs 90/09; vom 05.10.2009, 322 SsBs 241/09; vom 18.05.2006, 222 Ss 300/05 – OWi; und vom 20.09.2002, 222 Ss 141/02 – OWi).

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